Nationsbildung und Demokratiegeschichte: Korsika 1755

Denkmal für Pasquale Paoli in Corte

„Überhaupt ward Corsica ein Muster einer wohlgeordneten Democratie…“, schrieb August Ludwig Schlözer 1769. Wer die Geschichte von Nationsbildung und der Entstehung der modernen Demokratie einmal anders als in der Schrittfolge USA, Frankreich, deutsche Nationalbewegung und Vormärz angehen möchte, findet in der korsischen Republik von 1755 einen möglichen, interessanten Unterrichtsgegenstand.

Im Aufstand gegen Genua und dann später gegen Frankreich unter der Führung von Pasquale Paoli gaben sich die Korsen 1755 die erste moderne, d.h. geschriebene,  durch gewählte Vertreter beschlossene und auf Gewaltteilung beruhende Verfassung der Welt. Hier wurden erstmals die Begriffe „Konstitution“ und „Nation“ von der politischen Theorie in die Praxis übersetzt.

In den schulischen Geschichtskanon haben es die korsischen Ereignisse nicht geschafft trotz ihrer Wirkung auf das aufgeklärte Europa und die englischen Kolonien vor den Revolutionen. Genau das macht die Thematisierung im Unterricht interessant. So könnten z.B. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe selbst recherchieren und hinterfragen, warum es die korsische Verfassung weder in die Lehrpläne und daraus folgend auch nicht in die Schulbücher geschafft hat, um abschließend zu diskutieren, ob diese Verkürzung gerechtfertigt ist.

Darüber hinaus können Verfassungstext und Aufbau der Verfassung im Hinblick auf Nationsbildung, Demokratieentwicklung und deutliche Orientierung an der römischen Idee einer Mischverfassung untersucht werden. Gerade der Einfluss der Antike auf diesen Staatsbildungsversuch lässt sich mit dem korsischen Beispiel gut in einen Längsschnitt zur Verfassungs- und Demokratiegeschichte einbinden.

Der vollständige Text der Verfassung findet sich auf Französisch u.a. in Wikisource. Eine von mir auf Deutsch übersetzte Fassung der Präambel kann hier als Word-Dokument oder als PDF heruntergeladen werden. Vor ein paar Jahren habe ich den Verfassung in ein einfaches Schema umgesetzt, das ich zur Nutzung im Unterricht hier auch gerne zur Verfügung stelle.

Schema Verfassung Korsika 1755

 

 

Spielidee: Herausforderungen des Jahrhunderts

Belege habe ich dafür keine, daher kann ich nur vermuten, dass in den Wochen vor Weihnachten in Schule ein bisschen mehr gespielt wird als üblicherweise. Der Krankenstand ist hoch, so dann auch die Vertretungsstunden. Angesichts der wahlweise rot- oder schwarzumrandeten Augen scheint im Lehrerzimmer vor Weihnachten neben dem Christkind auch die Zombieapokalypse vor der Tür zu stehen… und dann sind auch noch alle Medienwagen, DVD-Spieler und Projekten ausgebucht. Da greift manch einer vor lauter Verzweiflung doch mal zu einem Spiel…

Hier eine kleine, neue Spielidee weniger für den regulären Unterricht als vielleicht eher für Vertretungsstunden:

Gespielt wird in Kleingruppen mit jeweils 2 Teams, die gegeneinander spielen. Die Teams können aus jeweils 1-3 Schülerinnen und Schüler bestehen. Jedes Team benötigt ein Set mit 10 Karten, die von 0-9 nummeriert sind (entweder selbst auf Fotokarton hergestellt oder z.B. aus einem Spiel wie UNO entnommen), einen Zeitmesser für 30 Sekunden (Sanduhr oder Smartphone) und ihre Schulgeschichtsbücher.

Die 10 Karten werden gemischt und als verdeckter Nachziehstapel bereit gelegt.

Für alle Kleingruppen / Teams wird ein Jahrhundert vorgegeben, also z.B. 17… / 18… / 19…, und für alle sichtbar an die Tafel geschrieben.

Nacheinander werden nun zwei Karten gezogen und aufgedeckt, die erste Zahl gibt den 10er, die zweite den 1er an. Also z.B. 19. Jahrhundert, 18…. die Karten 3 und 1 ergänzen dann die Jahreszahl 1831.

Die Teams müssen nun – so schnell wie möglich – ein Ereignis in ihrem Schulbuch finden, dass möglichst nah an diesem Jahr dranliegt. Sobald ein Team ein Ereignis gefunden hat, startet dieses den Zeitmesser. Das andere Team hat nun noch 30 Sekunden Zeit zu suchen.

Das Team, das das nächstgelegene Ereignis nennt, erhält einen Punkt. Liegen beide Ereignisse gleich weit entfernt (für 1831 z.B. das Hambacher Fest 1832 und der Beginn der Revolution in Belgien 1830) oder wird das gleiche Ereignis genannt, erhält das Team den Punkt, das den Timer gestartet hat.

Die Karte des 10ers wird anschließend abgeworfen (im Beispiel die „3“), die Karte des 1er (im Beispiel die „1“) wieder in Nachziehstapel gemischt. Danach beginnt die nächste Runde. Es werden insgesamt 9 Runden gespielt, das Team mit den meisten Punkten am Ende gewinnt.

P.S. Je nach Voraussetzungen können die Schulbücher auch weggelassen werden und die Teams beraten sich, um ein Ereignis zu nennen, ohne Hilfsmittel dabei zu benutzen. So kann das Spiel auch zur Wiederholung am Ende von Unterrichtseinheiten eingesetzt werden.

Gamification gone wrong

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Dies ist kein einfacher Beitrag. Vor fast schon einem Monat war ich für ein paar Tage in Danzig auf der Jahreskonferenz von euroclio. Das Programm der Konferenz lässt sich online noch einsehen. Wer noch nie bei einer Veranstaltung von euroclio war, dem sei dies an dieser Stelle vorab sehr empfohlen. Euroclio macht sehr gute und sehr wichtige Arbeit. Bei den Fortbildungsanstaltungen, Konferenzen und den Projekten trifft man motivierte und motivierende Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa und ich bin bisher immer mit tollen Eindrücken und Anregungen für die eigene Unterrichtspraxis nach Hause gefahren.

So auch dieses Mal, aber da war zum Ende der Konferenz dieser eine Workshop, der uns noch den ganzen Weg zum Flughafen und auch noch auf dem Rückflug nach Frankfurt beschäftigt hat – so sehr, dass ich auch fast vier Wochen danach, noch darüber nachdenke und darüber schreiben möchte. Weil dieser Workshop wichtige und zentrale Fragen aufgeworfen und eine intensive Diskussion ausgelöst, bin ich der Kollegin dankbar, dass sie das in dieser Form vorgestellt hat. Die Kontroversität, mit der die Kolleginnen und Kollegen die Herangehensweise diskutiert haben, hat mich überrascht, zeigt aber auch, dass es sich dabei um ein wichtiges Thema handelt, das explizit verhandelt werden sollte in einer Zeit, in der „Gamification“ zunehmend Einzug in den Unterricht hält. Wer sich übrigens für die Chancen und Potentiale von Gamification interessiert, der sei noch kurz auf den Online-Kurs Learning with creativity: Let the game begin! von School European Gateway hingewiesen, der Anfang dieser Woche gestartet ist und bei dem man sich noch kostenlos einschreiben und mitmachen kann.

In diesem Workshop in Danzig hat nun eine sehr geschätzte und reflektierte Kollegin eine selbst erstellte Unterrichtseinheit zum atlantischen „Dreieckshandel“ vorgestellt. Sie hatte dazu ein Spiel entwickelt, dass nach eigener Aussage bei ihren Schülerinnen und Schüler sehr gut angekommen war. Die Schülerinnen und Schüler wären besonders engagiert und motiviert gewesen. Der Workshop war, obwohl die letzte Veranstaltung am Sonntagnachmittag, gut besucht. Die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen wurden nach Tischen in Gruppen eingeteilt und sollten jeweils als Team spielen.

Worum ging es? Jedes Team sollte eine Handelskompanie spielen: Waren von Europa nach Afrika bringen, dort Sklaven einkaufen, diese nach Amerika verschiffen, dort verkaufen, neue Waren einkaufen und diese wieder nach Europa bringen. Das Spiel basierte auf einer PowerPoint sowie Excel-Tabellen für den Ein- und Verkauf der an den verschiedenen Punkte. Ziel war es im Spiel den meisten Profit zu machen.

Als bei der Vorstellung des Spiels klar wurde, dass es darum gehen würde, dass wir als Team in die Rolle von „Sklavenhändlern“ schlüpfen sollten, weigerten sich ebenso spontan wie vehement die niederländische und isländische Kollegin an meinem Tisch, daran teilzunehmen. Wir einigten uns auf eine Beobachterrolle und darauf, dem Workshop zu folgen, um zu schauen, wie die anderen Kolleginnen und Kollegen das Spiel spielen, die Workshopleiterin das Spiel moderieren und ob es einen Abbruch und/oder Reflexion des Spiel geben würde.

Die Geschichtslehrerinnen und -lehrer aus völlig unterschiedlichen Ländern und ganz unterschiedlichen Alters in den anderen Teams akzeptierten die Aufgabe und versuchten (in Teilen sehr engagiert) aus dem Sklavenhandel den meisten Profit zu schlagen: Dabei mussten sie Entscheidungen treffen, wie z.B. männliche oder weibliche, junge oder alte Menschen zu unterschiedlichen Preisen zu kaufen, was unterschiedliche Überlebenschancen und Verkaufsmöglichkeiten mit sich brachte. Die Spielphasen wurden jeweils unterbrochen durch Bild- und Erzählimpulse der Workshopleiterin mit Verweisen auf historische Hintergrundinformationen in Form von Bildquellen z.B. wie dieser.

Entgegen der Erwartungshaltung in unserer Bebachtergruppe erfolgte kein Abbruch und keine Unterbrechung durch die Spielenden, sondern vielmehr durchaus wahrnehmbar Freude über erfolgreiche Profitmaximierung bzw. Ärger über „schlechte Geschäfte“ und einen Rückstand im Ranking der Kompagnien. Im Gespräch mit der Workshopleiterin hatte ich im Vorfeld erfahren, dass es bisher im Unterricht auch nicht zu Unterbrechungen oder Kritik an der Herangehensweise gekommen war. Dies lässt sich durchaus mit der Autorität der Lehrerin bzw. des Lehrers im Klassenraum erklären, die je nach Land, Schule und Person unterschiedlich ausgeprägt ist, aber in jedem Fall eine besondere Verantwortung mit sich bringt.

Warum aber die Kolleginnen und Kollegen die Rollenübernahme nicht in Frage stellten, war mir zunächst nicht klar. War es die Höflichkeit oder Respekt gegenüber der Workshopleiterin und Kollegin? Bei einigen war auf jeden Fall eine emotionale Immersion zu beobachten, die sicher dazu führte, dass die Freude bzw. der Ärger über Gewinn- und Verlustbilanzen die Inhalte des „Spiels“ aus dem Blick geraten ließ.

Die anschließende Besprechung war entsprechend kontrovers. Die beiden Kolleginnen an meinem Tisch lehnten die Idee grundlegend ab: Der Spielvorschlag sei moralisch völlig inakzeptabel. In diesem Spiel würden Menschen auf den Status von Waren, Objekten, letztlich von Verkaufszahlen reduziert. Grundlage des Unterrichts müsste aber eine Erziehung zur Achtung der Menschenrechte sein. Dies sei in diesem Spiel auch mit nachgängiger Reflexion nicht geleistet. Es werde nur vermittelt, wie der „Dreieckshandel“ funktioniert habe, d.h. wie welche Güter gehandelt wurden, welchen Probleme und welche Profitchancen die Händler hatten. Dies sei auch anders lernbar, ohne selbst in die Rolle von Sklavenhändlern zu schlüpfen.

Diese Einschätzung war aber keinesweg einhellig. Ein Kollege argumentierte mit der emotionalen Involviertheit durch das Spiel, die zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Thema führen könne. Andere verwiesen darauf, dass sie sich zwar „mulmig“ gefühlt hätten beim Anblick der Bilder der Sklavenschiffe, und sich gefragt hätten, ob nicht ein besserer Transport möglich gewesen wäre. Stellten aber damit weder den Sklavenhandel an sich noch die Rollenübernahme im Spiel in Frage. Die Nachfrage, warum sie das Spiel nicht abgebrochen hätten, blieb in Teilen unbeantwortet bzw. teilweise wurde auf den „Spaß“ im und am Spiel verwiesen. Zudem habe die Abstrahierung von Sklaven auf Zahlentabellen es einfach gemacht, nicht über das eigene Rollenhandeln nachzudenken.

Es kann nun nicht darum gehen, Sklavenhandel auszublenden. Es stellt sich aber die Frage, wie ein solches Thema in Spielen integriert werden kann. Und die Debatte ist nicht neu: Zu Recht wurde zuletzt mit Blick auf Anno 1800, das neue Spiel der Anno-Reihe, kritisiert, dass dieses in einer Wirtschaftssimulation den Beitrag des Sklavenhandels zum europäischen Wohlstand und zur Industrialisierung in problematischer Weise außen vor lässt. Ob in einem Brettspiel wie Five Tribes „Sklaven“ durch „Fakire“ ersetzt werden müssen, darüber lässt sich sicher streiten, entspricht aber sicher weniger historischer Akturesse als dem Wunsch und Verkaufsinteresse, dass Spiele vor allem ein gutes Gefühl („Feel-Good-Programmatik“) vermitteln sollen.

Gerade weil es sich bei den Teilnehmenden im Workshop überaus engagierte und reflektierte Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer handelte und selbst bei diesen das Spiel mehrheitlich nicht – wie von der Workshopleiterin intendiert (in der Workshopbeschreibung stand: „Participants will act as merchants,consulting with each others and making ‚life-or-death‘ decisions. This workshop lies not only the basis to teach colonialism, but also tospark discussions on human rights.“) – zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Thema oder Spiel führte, zeigt das Beispiel meines Erachtens Grenzen für den Einsatz von Gamification im Geschichtsunterricht auf. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Regel nicht freiwillig Teilnehmende, sondern stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Lehrerin bzw. zum Lehrer. Außerdem sind sie – zumindest in der Sek I sowie in Teilen der Sek II – noch nicht volljährig, und bedürfen daher eines besonderen Schutzes. Der „Arbeitsauftrag“, die Rolle von Sklavenhändlern zu übernehmen und deren Profite zu maximieren, ist für mich daher – da gehe ich mit den zwei Kolleginnen d’accord – vollkommen ungeeignet für eine Unterrichtssituation. Als Diskussionsanlass hingegen, was man wie in Spielen abbilden kann bzw. darf, lässt sich der Unterrichtsvorschlag – gerade weil er auch im Vergleich zu anderen analogen wie digitalen Spielen vergleichsweise einfach und überschaubar ist – sowohl für ältere SchülerInnen wie für Studierende sinnvoll nutzen.

Arbeitsblatt: Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

ab embr 1789Anbei ein kleines Arbeitsblatt zur Ikonografie der Menschen- und Bürgerrechte: Grundlage ist das bekannte Gemälde von Le Barbier, das auch in vielen Schulbüchern abgedruckt ist. Das Arbeitsblatt ist mit einer Bildannotationsaufgabe in den learningapps verknüpft, die zunächst den Schülerinnen und Schüler helfen soll, die zentralen Bildelemente richtig zu identifzieren. Das Arbeitsblatt bietet in einer Liste eine Deutungshilfe für die einzelnen Elemente an, deren Beziehungen zueinander zu klären ist, um auf dieser Grundlage eine Gesamtaussage zu formulieren.

Das Arbeitsblatt steht hier als veränderliches Word-Docx oder als PDF-Dokument zum Download zur Verfügung.

Learning Quest: Leben am Hof Ludwigs XIV.

martin_jean-baptiste_-_a_stag_hunt_at_versailles_-_c-_1700„Du bist ein/e junge/r Adlige/r. Du folgst dem Ruf des Königs Ludwig XIV. folgt und kommst aus der Provinz nach Versailles. Wir schreiben das Jahr 1702. Du willst am Hof des Königs leben und aufsteigen. Dafür musst du als Neuling das Leben am Hof kennenlernen. Je weiter du aufsteigst, desto näher kommst du dem König…“

Nach längerer Pause komme ich mal wieder dazu, einen kurzen Beitrag zu schreiben. Im Kopf hatte ich das schon länger, mal eine Unterrichtsreihe mit spielerischen Elementen umzusetzen… nun habe ich auch endlich eine Idee für die Umsetzung im Unterricht und die erste Stunde ist noch viel besser angekommen, als ich gehofft hatte.

Worum geht es? Für die 7. Klasse steht laut Lehrplan in Gesellschaftslehre das Thema „Absolutismus“, Ludwig XIV. und Versailles an. Die Unterrichtsidee basiert darauf, dass sich die Schülerinnen und Schüler selbst einen Charakter erschaffen, um im Rahmen der oben skizzierten Geschichte das Schloss Versailles und das Leben am Hof zu entdecken.

Dabei müssen sie als junge Adlige lernen, sich vor Ort auszukennen, die grundlegenden Verhaltensregeln lernen und natürlich auch einiges über Ludwig XIV. Erfahrung bringen. Insgesamt gibt es acht Aufgaben bzw. Rätsel zu lösen. Jede richtig gelöste Aufgabe gibt dem Adligen Zugang zu einem weiteren Raum, der näher am Schlafgemacht des Königs liegt. Ziel ist es, sich die Teilnahme am „Lever du Roi“, also den privilegierten Zugang zu diesem besonderen Ritual zu erhalten.

Den Adligen steht dabei als Ausgangswerte 3 Ehrenpunkte sowie 20.000 Goldmünzen zur Verfügung. Legen Sie Lösungen vor, die falsch sind, verlieren sie einen Ehrenpunkt. Wer alle Ehre verloren hat, muss den Hof in Versailles wieder verlassen. Die Goldmünzen können sie einsetzen, um sich z.B. bei mir Tipps für die Lösung der Aufgaben zu holen. Aber auch wer pleite, kann das Leben am Hof in Versailles nicht mehr finanzieren und muss gehen.

Die Unterrichtsreihe ist auf sechs Stunden angelegt. Die Schülerinnen und Schüler sind ausdrücklich dazu angehalten, gemeinsam zu arbeiten, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen – freiwillig als befreundete Adlige oder gegen virtuelle Goldmünzen. Die Schülerinnen und Schüler dürfen auch ihr Buch nutzen, um die Aufgaben zu lösen.

Wer sich davon ein Bild machen mag, dem stelle ich hier die ersten Materialien mal zum Download zur Verfügung:

Anregungen, Rückmeldungen und konstruktive Kritik sind sehr willkommen, um das Projekt besser zu machen. jean-baptiste_martin_-_the_stables_viewed_from_the_chateau_at_versailles_-_wga14144Es ist daher kein „best practice“, sondern ein Eindruck in die laufende Unterrichtsarbeit, den ich gerne teilen und als Ansatz hier zur Diskussion stellen möchte.

„Warum nicht digital und online?“ … höre ich die antizipierte Frage regelmäßiger LeserInnen dieses Blogs… der Bernsen macht doch sonst immer irgendwas mit so digitalen Medien und so und jetzt nur auf Totholzkopien…

Nun ja, der Grund ist recht banal: Ich unterrichte seit Beginn des Schuljahrs an einer neuen Schule und damit auch in dieser Klasse. Mehrfach versucht habe ich in dieser Klasse (in anderen hat das prima funktioniert) Unterrichtsstunden im Computerraum abbrechen müssen. Auch Ansätze frei gewählter, individueller Zugänge innerhalb der weiten Oberthemen sind völlig gefloppt, weil ein Teil der Klasse nicht in der Lage oder willens war, sich auf die Lernsituationen einzulassen und dermaßen Rabatz geschlagen hat, dass ich einen Cut gemacht habe und zu einem sehr stark lehrerzentrierten, strukturierten Frontalunterricht zurückgekehrt bin, der aber überhaupt nicht meinen Vorstellungen von gutem Unterricht entspricht und bei vielen Schülerinnen und Schüler auch nur zu offener Langeweile und verstecktem Eskapismus geführt hat.

Deshalb nun mit diesem spielerischem Ansatz ein neuer Versuch, auf diese Weise den Schülerinnen und Schülern Spaß aufs Lernen und die Auseinandersetzung mit schwierigen Aufgaben und Herausforderungen zu machen, ihr Interesse an Geschichte wieder zu wecken und sie dazu zu bringen, längere Texte nicht nur zu überfliegen, sondern gründlich zu lesen und sie zu verstehen – Texte, die ein Teil der Klasse im Unterricht normalerweise nicht mal ansatzweise lesen würde. Genau das ist – zumindest in der ersten Stunde – zu meiner großen Freude gelungen und es war toll beobachten: Alle Schülerinnen und Schüler haben gelesen, sich in den Text reingekniet, ihn bearbeitet, markiert, unterstrichen, um ihn zu verstehen und damit Aufgabe des ersten Raums zu lösen. Ich bin sehr gespannt, ob der Ansatz auch über mehrere Stunden trägt und es gelingt über die vorgesehenen sechs Unterrichtsstunden einen Spannungsbogen aufzubauen, der mit einer Rahmengeschichte eine spielerisches Entdecken der Zeit Ludwigs XIV. ermöglicht.

„Die Nationen machen Europa aus, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Unterschiede und ihre Gemeinsamkeiten, und diese Nationen sind viel älter als die Nationalstaaten.“ (Joschka Fischer)

Wie alt sind Nationen?

Prismatic-World-Countries-Globe-Word-Cloud-Plus-800pxDie Frage lässt sich so letztendlich nicht befriedigend beantworten. Wohl aber lassen sich Aussagen treffen über das Entstehen der Nationalstaaten. Zu deren Analyse wiederum ist es sinnvoll, die beiden, interdependenten Prozesse der Staatswerdung und der Nationenbildung zu unterscheiden.1 Nationen sind historische Phänomene und damit entgegen der allgemeinen Vorstellung „Erfindungen“ oder zumindest „Produkte“ der Geschichte.2 Das heißt, sie sind zu einer bestimmten Zeit entstanden (und nicht von Natur aus gegeben, sind nicht „Natürliches“ und bestehen nicht seit „Urzeiten“3) und unterliegen unterschiedlichen Wandlungs-prozessen. Zu unterscheiden sind ein vormodernes und ein modernes Verständnis von „Nation“, wobei sich der Wandel in Europa innerhalb einer Sattelzeit zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzieht.4

Voraussetzungen der Nationsbildung

Entgegen landläufiger Vorstellungen folgen Nationen – global betrachtet – häufiger der Errichtung eines Staates, als dass sie dieser vorangehen. Wobei jedoch die bloße Errichtung eines neuen Staates nicht ausreicht für die Schaffung einer Nation.5 Zu einem Massenphänomen wird die Nation und das Bewusstsein von ihr im 19. Jahrhundert.6

Schmidt sieht in der quantitativen Veränderungen im Vergleich zur Entwicklung seit dem Mittelalter das einzige distinktive Merkmal.7 Allerdings lassen sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch qualitative Veränderungen des Nationsbegriffs auf dem Weg hin zur Bildung von Nationalstaaten beschreiben, die den Begriff erst in seiner modernen Bedeutung erscheinen lassen8 und mit einer Nationalisierung der Lebenswelten- und Verhaltensnormen einhergehen.9

Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Kommunikationsrevolution dieses Jahrhunderts.10 Ebenso wichtig für die Bildung der modernen Nation war auf sozialer Ebene die Idee einer Staatsbürgergesellschaft, die (zunächst nur) alle Männer als rechtlich und politisch gleich verstand und damit einen Bruch mit den vormodernen Staatsformen darstellt.11

Der Begriff „Nation“ selbst ist älter12: In Mittelalter und Neuzeit gab es zwei Formen eines Zugehörigkeitsgefühls: 1) dynastisch-gentilistisch und 2) territorial. Dynastische Loyalität konnte, musste teilweise sogar nach heutigem Verständnis „international“ sein, wenn man sich z.B. das Vielvölkerreich der Habsburger anschaut. Erst wenn dynastisches und territoriales Zugehörigkeitsgefühl zusammenfielen, konnte schon in der Neuzeit eine Art Landespatriotismus entstehen, der als Vorläufer des Nationalbewusstseins angesehen werden kann. 13

Die Verwendung des Begriffs „Nation“ in der Vormoderne bezieht sich gleichfalls auf zwei Sachverhalte. Zum einen lässt sich ein territoriales Verständnis herausarbeiten, das also die Gemeinschaft von Menschen in einem gewissen (Herkunfts-) Gebiet und teilweise auch mit derselben Sprache bezeichnet, so z.B. an den mittelalterlichen Universitäten oder der Namensbildung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab dem 15. Jahrhundert. Diese Gemeinschaften wurde schon früh von den Humanisten in eine Kontinuitätslinie mit den alten Germanen, in engem Zusammenhang mit der Publikation von Tacitus’ Germania, gezogen, die die Identitätsbildung förderten und zeigen, dass die „Erfindung“ der Nation an sich kein modernes Phänomen ist.14

Zum anderen existiert auch in der frühen Neuzeit schon ein politischer Nationsbegriff, der sich jedoch nur auf einzelne Gruppen der Gesellschaft bezieht, wie z.B. die „Adelsnation“ der polnischen Krone. Politisch ist dieser Begriff insofern, als er Gruppen benennt, die Mitbestimmungsrechte im Staatswesen besitzen und sie damit von anderen Gruppen abgrenzt. Der Nationsbegriff ist in dieser Hinsicht also Teil der Ständegesellschaft mit ihren spezifischen Formen der Beteiligung an Herrschaft.15

Im Laufe des 18. Jahrhunderts werden dann diese beiden Pole des Nationsbegriffs in Deckung gebracht und auf die Gesamtheit des Volkes als Souverän ausgedehnt. Damit einhergehend vollzieht sich folgerichtig die Aufhebung der Ständegesellschaft und der Anspruch auf eine einheitliche Sprache in einem Territorium oder umgekehrt ein Territorium für eine vermeintliche Sprachgemeinschaft. Vor allem die sprachlichen und territorialen Ansprüche wurden historisch legitimiert und die Entstehung der spracheinheitlichen Nationsgemeinschaft in die Anfangszeiten der Geschichte, auf die alten Gallier und Germanen oder aber in die Zeit der frühmittelalterlichen Ethnogenese zurückdatiert.16

Im Vergleich der Reichweite des modernen Begriffs mit seinen vormodernen Vorläufern wird die Zäsur und die Modernität des Nationalismus deutlich, der seine entscheidende Prägung dadurch erhielt, dass die Nation den Anspruch auf den Höchst- oder Letztwert, auf die oberste Instanz und Legitimation der europäischen Gesellschaften erhob.17 Das heißt natürlich keineswegs, dass es keine anderen Identitätskonzepte in dieser Zeit mehr gegeben hätte. Die Nation trat vielmehr zum einen als weitere Teilidentität neben Familie, Klasse, Stadt, aber auch in Konkurrenz zur Kirche, was in vielen Ländern zu Kulturkämpfen führte, und wurde zu einer Art Religionsersatz, der in der Bereitschaft für die Nation Opfer zu bringen und gegebenenfalls im Krieg für sie zu sterben gipfelte.18

Ein erstes Buch, das diesen Einsatz für die Nation fordert, erschien bereits 1761 von Thomas Abbt mit dem Titel „Vom Tode für das Vaterland“.19 Damit einher geht die Errichtung nationaler Denkmäler, die einen Kult für die fürs Vaterland Gefallenen einleitet. Ein erstes Denkmal findet sich schon 1793 in Frankfurt am Main. Mit der zunehmenden Anonymisierung der Kriegsführung findet der nationale Gefallenenkult in den Massen von namenlosen Toten im Ersten Weltkrieg seine endgültige Ausgestaltung.20

Den deutlichen Wandel des Nationsbegriffs in der Sattelzeit unterstreicht das Entstehen der nationalen Symbole, die von den USA über Frankreich bis Deutschland allesamt in dieser Zeit kreiert werden, auch wenn ihre endgültige Durchsetzung wie z.B. im Falle der Marseillaise oder der schwarz-rot-goldenen Flagge weit darüber hinaus dauert. Die Einführung dieser Symbole markiert den Übergang von der vormodernen Ständegesellschaft mit ihren unterschiedlichen Orientierungspunkten zum modernen Nationalstaat, der rechtliche und politische Gleichheit verspricht und dessen Mitglieder sich außerhalb der alten Standesgrenzen am einheitlichen Wert der Nation als höchstem Gut ausrichten, die in diesen Symbolen ihre bildhafte Verkörperung findet.

Die Entwicklung des Begriffs verläuft also keineswegs geradlinig. So auch das Fazit Hirschis: „[…] die europäische Nationenbildung [ist] ein diskontinuierlicher Prozess von langer Dauer, in dem sich Phasen von Autonomisierung und Heterogenisierung ablösen.“21 Wobei er die deutliche Trennung eines modernen Nationalismus von vormodernen Formen ablehnt.22

Entstehung und Wirkung des Nationalstaats

Der moderne Nationalstaat setzt seine Ordnung auf dem gesamten Territorium durch und bringt eine unmittelbare Herrschaft, die universell und alltäglich wird – vom Dorfpolizisten bis hin zur Volkszählung – und damit im Gegensatz zu vormodernen Herrschaftsformen steht. Gleichfalls im Sinne dieses neuen durchdringenden Anspruchs stehen die Einführungen und Durchsetzung von Schul- und Wehrpflicht, einer Verkehrs- bzw. Nationalsprache und (das Versprechen einer) Demokratisierung. Die Umsetzung der Nationsidee ging also einher mit einem enormen Modernisierungsschub.23

Der Begriff des „Nationalstaates“ wird erst nach 1848 gebräuchlich und ist vorher in den Quellen nicht nachzuweisen.24 Für den Begriff der Nation ist der Wandel zur modernen Bedeutung jedoch trotzdem früher anzusetzen. Nach den neuesten Forschungen findet die Begriffsausbildung in einer „nationalen Sattelzeit“ statt, die grob zwischen 174025 und dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts anzusetzen ist.26 Insofern kann das Aufkommen des Nationalstaates als Begriff als Endpunkt und Abschluss dieser Entwicklung betrachtet werden.27

Entscheidend ist, dass entgegen der landläufigen Darstellung z.B. in schulischen Geschichtsbüchern, die Nation weder zuerst in Frankreich noch mit der Französischen Revolution entsteht28 und mit den napoleonischen Kriegen dann das „Erwachen“ des Nationalgefühl in anderen Ländern erfolgt29, sondern dass die Herausbildung der modernen Nationsvorstellung ein jahrzehntelanger und gesamt-europäischer Prozess war.30 Insofern greift das aktuelle Erklärungsmodell im Geschichtsunterricht für die Entstehung des Nationalbewusstseins zu kurz.

Diese Kürze kann nicht mit didaktischer Reduktion begründet werden, da die Darstellung verglichen mit dem aktuellen Forschungsstand irreführend, wenn nicht gar falsch zu nennen ist. Der Bedeutung von Nation und Nationalismus, nicht nur für die europäische, sondern für die Weltgeschichte31 des 19., 20. und wahrscheinlich auch 21. Jahrhunderts, werden die Darstellungen in den schulischen Geschichtsbüchern nicht gerecht. Eine Analyse der Darstellung von Nation und Nationalismus in deutschen Schulgeschichtsbüchern folgt in einem der nächsten Beiträge.

1Siehe auch Furrer (2004), S. 33.

2 Kritik an der missverständlichen Verwendung des Begriffs „Erfindung“ in diesem Zusammenhang, siehe Langewiesche (2007), S. 19ff.

3 Vgl. auch Schieder (1992), S. 5ff.

4 Einer Epoche, in der laut Koselleck „einige, unaustauschbare Grundbegriffe […] ohne die die soziale und politische Wirklichkeit nicht mehr wahrgenommen werden“ kann, geprägt wurden. Koselleck (2006), S. 66.

5 Hobsbawm (2005), S. 95.

6 Gies (1998), S. 21.

7 Schmidt (2001), S. 42.

8 Hobsbawm (2005), S. 13.

9 Zitiert nach Langewiesche (2000), S. 42

10 Langewiesche (2000), S. 31; Nonn (2007), S. 70ff.; insbesondere zur Bedeutung der Schriftlichkeit, Postwesen und der deutschsprachigen Publizistik für die Entstehung eines „deutschen“ Zusammengehörigkeitsgefühl schon im 18. Jahrhundert siehe: Burkhardt (2006), S. 442ff. Allgemeiner zu den neuen Kommunikationsformen und Medien im 18. Jahrhundert siehe Stollberg-Rilinger (2000), S. 114ff. Zur Rolle von Schule und Heer für die Verbreitung des Nationsgedankens, vgl. Hobsbawm (2005), S. 137f. Dagegen Langewiesche (2000), S. 77f.

11 Langewiesche (2000), S. 31.

12 Vgl. zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bedeutung zusammenfassend: Planert (2004), S. 12f; Langewiesche (2000), S. 19ff. Erschreckend ist, wie sich historische Fehldeutungen des älteren Nationsbegriffes bis in aktuelle Forschungsarbeiten hinein halten. Siehe z.B. die Habilitationsschrift von Kronenberg (2005), der behauptet, dass „um 1500 […] innerhalb einer Generation die Grundlage für ein deutsches (sic!) Nationalbewusstsein [entstand]“. Kronenberg (2005), S. 70; konsequenterweise sieht er dann für die Türkenkriege „‚Deutschland’ zu diesem Zeitpunkt [als] Allegorie, ohne politische Wirklichkeit“ aber schon als „patriotische Identität“. Ebda. S. 72

13 Vgl. Blanning (2006), S. 221.

14 Hirschi (2005), S. 12f. Giesecke (2016) übersieht in seiner Argumentation die unterschiedliche Bedeutung von „Nation“ in Vormoderne und Moderne.

15 Vgl. Niendorf (2006), S. 22-54.

16 Siehe dazu: Geary (2004). Zum Wandel des Begriffs im Vorfeld der französischen Revolution: Martin (1998), S. 35-38, 60f. Eine sehr frühe Form moderner Nationsbildung findet sich auf Korsika, vgl. Eisenmenger (2010).

17 Langewiesche (2000), S. 21; Hirschi (2005), S. 58ff.

18 Hobsbawm (2005), S. 96; Langewiesche (2000), S. 30f. Falsch wäre in diesem Zusammenhang die Vereinfachung, dass mit der Nation als höchstem Wert gleichzeitig eine Schwächung des Glaubens einhergegangen sei. Gerade Nationen, die einen starken Zusammenhang zwischen der nationaler und religiöser Identität herstellten, beweisen das Gegenteil. Als Beispiele können z.B. Iren oder Polen genannt werden. Vgl. Alter (1985), S. 15; Mosse (1993), S. 44, sieht daher eher ein Verschmelzen von nationalen und christlichem Glauben im Mythos des Kriegserlebnisses.

19 Blomert (1991), S. 107.

20 Mosse (1993), S. 48, 60ff.

21 Hirschi (2005), S. 21.

22 Ebda., S. 61, beschreibt dieses Prozess als „Autonomisierung“ nach dem Wegfall des „gemeinsamen, internationalen christianitas-Rahmens“. Trotz aller Kritik erkennt er doch an, dass der Nationalismus als „Ideologisierung der Nation“ diese zu einer autonomen und universalen Kategorie gemacht habe. Ebda., S. 63. Und dies wiederum, auch wenn er heftigst dagegen schreibt, ist ein Phänomen der späteren Neuzeit und unterscheidet somit ein älteres Nationsverständnis von einem modernen. Hirschi kann gemeinsame Motive zwischen dem Nationsdiskurs der Humanisten und des 19. Jahrhunderts, aber keine Kontinuitäten aufzeigen. Tacitus wird auch im 19. Jahrhundert wieder zum einem zentralen Bezugspunkt der deutschen Nationalideologie. Verbindungen finden sich in den antifranzösischen Tendenzen und dem nationalen Repräsentationsprinzip, aber Hirschi selbst hält fest, dass „der Freiheitsdiskurs des modernen deutschen Nationalismus mit jenem des deutschen Humanismus wenig gemein“ (Ebda., S. 493) hat und untermauert somit in einem weiteren Punkt die Unterscheidung von älteren und modernen Nationsverständnis. Ebda., S. 491-497.

23 Hobsbawm (2005), S. 97ff. Eine der ersten, m.W. sogar die erste moderne Nationsbildung fand auf Korsika statt. Der Versuch scheiterte zwar durch Intervention der Festlandmächte, aber in der Präambel der von Pasquale Paoli 1755 (!) redigierten Verfassung findet sich die Verbindung von Nation und Verfassung zur Gründung eines unabhängigen Nationalstaats: „Ayant reconquis sa liberté, voulant donner à son gouvernement une forme durable et permanent, en le transformant en une constitution propre à assurer la félicité de la nation.“ Siehe dazu Eisenmenger (2010).

24 Langewiesche, Nation (2000), S. 83.

25 Zur Bedeutung dieser Epoche für die Entstehung von Nationalbewusstsein siehe Planert, in: Echternkamp (2002), S. 47ff. Nach Planert finden sich in den Kriegen seit 1740 zum einen die Herausbildung der Geschlechterstereotypen des vaterländischen Kriegshelden und der „Mutter der Nation“, als auch publizistische Aufrufe an die patriotische Gesinnung der Preußen, die hier mit einer von oben betriebenen preußischen Identitätsbildung schon an der Schwelle der Nationswerdung standen. Siehe dazu auch Burgdorf (2000), S. 161ff.; Schmidt (2001), S. 60. Für die Entwicklung der kleineren Nationen, die aus dem ehemaligen Reich entstehen, siehe auch den Sammelband von Dann u.a. (2004). Daneben lässt sich auch die Entwicklung eines Reichspatriotismus im 18. Jahrhundert feststellen, der aber bisher nur wenig erforscht ist, da der Schwerpunkt auf dem Ende des alten Reiches und den neu entstehenden Staaten lag. Vgl. Burkhard (2006), S. 459.

Die Offenheit dieses Prozesses zeigt das Beispiel Bayerns, das von Beginn bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine von oben gelenkte patriotische Bewusstseinsbildung erlebte, die noch bis heute in einem extranationalen Identitätsempfinden nachwirkt. In Deutschland lief der Prozess der Nationsbildung im 19. Jahrhundert auf zwei Ebenen: der gesamtdeutschen und der partikularstaatlichen. Siehe dazu: Langewiesche (2000), S. 58ff.; Die Spannung und Deutungskämpfe um das nationale Selbstbild werden erst seit kurzem von der Geschichtsschreibung wiederentdeckt. Über die Erforschung der Selbstbilder der „Verlierer“ wird die Vielfalt und Offenheit des Prozesses deutlich. Ders. (2001), S. 60ff.

Zu einem ähnlichen zeitlichen Rahmen kommt Koll in seiner Untersuchung zur Entstehung des Nationalbewusstsen in den Südlichen Niederlanden. Er konstatiert seit den 1760er Jahren einen intensiven Diskurs mit unterschiedlichen, konkurrienden Nationsvorstellungen. Siehe Koll (2003), S. 15, 21-25.

26 Zusammenfassend: Planert (2004), S. 14ff. Als Eckpunkte gibt Planert die Erbfolgekriege des 18. Jahrhunderts bis zur Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes (für Deutschland: Zollunion) und dem Anwachsen der liberalen Bewegung (seit Anfang der 1830er Jahre) an. Ausführliches „Plädoyer“ für diese Sattelzeit Planert (2002), S. 25-59. Diese „Sattelzeit“ etwas weiter, nämlich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fassend, siehe: Koselleck (1992), S. 380.

27 Die Untersuchungen von Planert belegen die ältere These vom Krieg als „Katalysator“ bzw. „Vater der Nationen“, verlegen nur die Entstehung der modernen Nationsvorstellung deutlich nach vorne. Vgl. Langewiesche (2000), S. 26. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Mehrkens, die in ihrer Untersuchung zum deutsch-französischen Krieg feststellt, dass der Krieg vielmehr Ausgangspunkt als Folgeerscheinung nationalen Denkens also zu einer zunehmenden Nationalisierungsprozess der Teilnehmer geführt hat. Siehe Mehrkens (2008).

28 Vgl. die oft als Quelle zur Bearbeitung gegebene Rede von Sieyès, „ Was ist der dritte Stand?“, wo der Begriff der Nation unvermittelt eingeführt und erstmals definiert wird. So z.B. Geschichte und Geschehen, Band Neuzeit (2005), S. 18f. Siehe auch Schulze (1994), S. 168. So auch oft noch die Forschung in den Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft, siehe z.B. Schnapper (1994), S. 13. Dabei wird u.a. auch die Entwicklung der Amerikanischen Revolution völlig vernachlässigt: So spricht sowohl die Unabhängigkeitserklärung 1776 im modernen Sinn von einer „civilized nation“, um die Herrschaft des englischen Königs von dieser als ungerecht abzugrenzen, als auch die Verfassung von 1787 nimmt den Begriff der Nation in Bezug auf den Außenhandel mit „foreign Nations“ auf. Folgerichtig charakterisiert Kunze die Entstehung der Nation als „europäisch-atlantisches Phänomen“. Kunze (2005), S. 25.

29 So z.B. noch bei Schulze (1994), S. 190, der den „Anstoß für das Erwachen der europäischen Volksnationen“ im Freiheitskampf der Spanier gegen Napoleon sieht.

30 Vgl. z.B. Geschichtsbuch Oberstufe Band I, S. 209, 358f.

31 Nach dem 2. Weltkrieg wird das Konzept der Staatsbürgernation durch die antikolonialen Bewegungen aufgenommen und durchgesetzt. Siehe Dann (1997), S. 85.

Kraftvolle Formulierungen

Opferung IsaaksJe nach Größe des Bildschirms muss man genau hinschauen, um zu erkennen, was der Engel im Bild macht. Auf jeden Fall trifft er zielgenau Steinschloss und Feuerstein des Gewehrs, um den Schuss zu verhindern. Auf Exkursion in Trier musste ich dem Hinweis von Manfred Koren nachgehen und habe das Gemälde in der Jesuitenapotheke in Trier in Augenschein genommen. Statt des üblichen Messers zielt Abraham mit einem zu Beginn des 18. Jahrhunderts sich in der Armee durchsetzenden Steinschlossgewehr auf seinen Sohn Isaak. Statt des Griffs in den Arm der üblichen barocken Darstellungen, findet der Engel eine andere Form der Verhinderung des Opfers. Im Reim findet sich zudem für die Tätigkeit des Engels ein schöner, regional erhaltener alter Ausdruck.

Wir waren nicht die ersten in der Apotheke, die wegen des Bildes gekommen waren. Der Apotheker war ebenso freundlich wie kundig und hatte auch für 50 Cent Postkarten der recht ungewöhnlichen Darstellung zur Verfügung. Laut Auskunft vor Ort ist die Darstellung nicht ganz so selten: Es gibt wohl ähnliche Abbildungen in Bayern. Als Vorlage für das Bild in Trier könnte ein Kirchenfenster in Flandern gedient haben. Wer solche Darstellungen kennt, möge kommentieren. Eine kurze Online-Suche hat nämlich zu keinen weiteren Funden geführt.

Wer Gefallen hat an kraftvoll derben Sprüchen und Inschriften, für den folgt noch das Foto einer Torinschrift in Koblenz. Die Entzifferung überlasse ich den interessierten Lesern. Was man damit im Unterricht anfangen könnte, weiß ich auch nicht. Vermutlich eher wenig, nichtsdestotrotz sind beide Darstellungen ebenso ungewöhnlich wie erheiternd, dass sie einen kurzen Hinweis im Blog verdient haben.

Ob es reiner Zufall ist, dass beide Fundstücke aus den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts (1710 und 1732) stammen?

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Historiografie im Geschichtsunterricht: Die Französische Revolution

Ui, zwei Jahre ist das schon her. Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Aber wie damals hier berichtet bzw. vor zwei Jahren das erste Mal durchgeführt, hatte ich mir vorgenommen, mit Schülern im Leistungskurs neben den Darstellungs- und Quellenschnipseln im Schulbuch, auch zumindest jeweils einmal ein ganzes Buch im Unterricht zu lesen. Neuer LK, neues Glück: Diesmal steht – wiederum aus der ebenso günstigen wie handlichen Reclam-Reihe – das Bändchen von Axel Kuhn zur Französischen Revolution an. Vorteil der Darstellung sind die von den üblichen Schulbuchdarstellungen abweichenden und durchaus disputablen Schwerpunktsetzungen und Wertungen des Autors, die das Buch zu einer guten Grundlage für einen kritischen Umgang mit Historiografie mit dem Ziel der Förderung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins macht.

Lob der Fleißigen und Bestrafung der Faulen

Instrumentalisierung von Bildung ist kein neues Phänomen. Ein ausgesprochen anschauliches Beispiel, das auch als außerschulischer Lernort geeignet bzw. das sich als Material auch für den Unterrichtseinsatz eignet, sind die Deckengemälde im Koblenzer Rathaus. Wobei sich vergleichbare Abbildungen auch an anderen Orten finden lassen.

Das Gebäude des heutigen Rathauses geht auf das alte Jesuitenkolleg zurück, das 1582 gegründet wurde. Aufgrund der Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg war ein Neubau notwendig geworden, den im Auftrag des Kursfürsten ab 1694 begann. Im Treppenaufgang zur ehemaligen Aula im ersten Stock befinden sich aufwendige Stuckarbeiten und drei Freskodeckengemälde, die aus den Jahren 1699-1701 stammen.

Die beiden kleineren Gemälde außen zeigen:

die „Belohnung der Fleißigen“

Lob der Fleißigen

sowie die „Bestrafung der Faulen“

Bestrafung der Faulen

In der Mitte zwischen beiden Bildern und damit auch des gesamten Deckengewölbes findet sich das im Vergleich zu den beiden anderen ungefähr doppelt so große Gemälde mit dem Titel „Triumph des wahren Glaubens“ und zeigt das Ziel jesuitischer Bildungsbemühungen.

Triumph des wahren Glaubens

Die Gemälde bzw. der Ort eignen sich gut, um den Zusammenhang von Gegenreformation und Bildung aufzuzeigen. Vor Ort finden sich auch ausreichend Informationen, um die Gemälde zu entschlüsseln, so dass schnell Fragen entstehen und diskutiert werden können, wie z.B. nach der Gesamtaussage der drei Bildern im Zusammenhang mit dem Ort, an dem sie angebracht wurden.

1769: Korsikas Platz in der Weltgeschichte

„Ein kleines Volk auf einer mässigen Insel im mittelländischen Meere, das den Paoli an der Spitze, und warmes Gefül von Freiheit, Vaterland und Tyrannei im Busen hat; ein Volk, das weder herrschen noch gehorchen will, kämpft […] um die Rechte der Menschheit und seine eigenen Rechte. Bald wird es nicht mehr seyn, dieses kleine verlassne Volk: oder es wird mal unabhängig seyn, dieses tapfere und der Unabhängigkeit würdige Volk! Dies ist das Volk, dessen Geschichte ich hier beschreibe […]

Überhaupt ward Corsica ein Muster einer wohlgeordneten Democratie. […] Seit der Zeit [nachdem Schlözer bereits geschrieben hatte] hat Corsica seinen PAOLI, seine Freiheit, und mit beiden zugleich sein Interesse verloren. Nunmer würde ich verlegen seyn, wenn mich jemand fragte: ob dieses Eiland auch wirklich ein eigenes Bändgen in der Weltgeschichte verdiene?“

aus: August Ludwig Schlözer, Kleine Weltgeschichte. Num. I. Geschichte von Corsica, Göttingen/Gotha 1769, S. 6, 111, 125.

Eine spannende und m.W. noch ausstehende Aufgabe wäre es, die Rezeption der korsischen Ereignisse in der europäischen Aufklärung und ihre mögliche Wirkung auf die nachfolgenden Revolutionen zu untersuchen.