Schulbücher tun sich oft noch schwer mit der Öffnung: Verweise ins Internet erfolgen in den meisten Fällen über einen „Medien“-Code. Mit diesem gelangt man auf die Webseite des Verlags, wo dann die Links und Online-Angebote zum jeweiligen Kapitel in einer Liste angezeigt werden. Aus Verlagssicht ist das eine deutliche Verbesserung gegenüber dem direkten Abdruck von Links im Buch, die oft kurz nach der Veröffentlichung schon veraltet waren und nicht mehr funktionierten. Die Verweise aus dem Buch bleiben nun dauerhaft erhalten und die in Listen gebündelten Links können regelmäßig, mit weniger Arbeitsaufwand kontrolliert und gegebenfalls aktualisiert werden. eBooks spielen im schulischen Bereich bislang fast keine Rolle.
Aus Verlagssicht verständlich stellt dieser mediale „Bruch“ sowohl aus Sicht der Lehrer/innen wie der Schüler/innen ein Problem dar, da die Nutzung der Verknüpfungen von gedruckten und digitalen Inhalten umständlich ist: zunächst muss die Seite des entsprechenden Verlag aufgerufen werden, dort ist der Code (für einige Schüler durchaus herausfordernd) richtig abgetippt eingegeben werden, um dann von der damit gefundenen Verlagsseite auf das eigentlich intendiert Online-Angebot geleitet zu werden.
Digitale Lernangebote, ob nun digitale Schulbücher oder Lernplattformen scheinen einfachere Lösungen zu bieten, sie haben aber mit anderen Problemen zu kämpfen: Zwar ist hier kein Medienbruch gegeben, sondern es kann direkt verlinkt oder sogar eingebettet werden, aber die Probleme von Werbung, Rechtemanagement und langfristigen Instabilität vieler externer Angebot besteht auch hier.
Einen interessanten Weg beschreiten neue Anbieter wie z.B. Areeka. Bücher werden mit Augmented Reality-Elementen angereichert, so dass ich durch ein Smartphone oder Tablet schauend direkt auf oder über der Buchseite ein Bild, Film oder sogar ein interaktives Modell oder eine Simulation direkt sehen kann. Statt eines Bruchs findet sich hier eine intelligente Zusammenführung von analog und digital. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten – jedoch wenn es die Entwicklung weg von gedruckten Büchern hin zu reinen digitale Gesamtangeboten wäre diese Art Brückenbau nicht mehr notwendig.
Nichtsdestotrotz, das sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, ist die Ausstattung vieler Schulen weiterhin defizitär und hinkt der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung deutlich hinterher.
Ein möglicher Lösungsansatz könnte darin bestehen, dass Archive, Museen und andere Institutionen ihre Digitalisate für die Nutzung in Unterricht und Wissenschaft freigeben, so dass sie heruntergeladen, auf diese Weise gesichert und z.B. für ein Schulbuch über einen eigenen Server verfügbar gemacht werden können. Das würde eben auch die „kommerzielle Nutzung“ beinhalten, was aus Sicht der Institutionen problematisch ist. Oft kommen auch fehlende (vor allem personelle) Ressourcen hinzu, die eine Digitalisierung oder ihre Verfügbarmachung erschweren. Ansätze hat es in den letzten zehn Jahren mehrfach gegeben, allerdings ist kein eindeutiger Trend erkennbar.
Es wird zwar zunehmend digitalisiert, aber die Digitalisate nicht immer so online gestellt, dass sie – technisch oder rechtlich – weiter genutzt werden können. Das Bundesarchiv hat gerade „zentrale Quellen der Abteilung Militärarchiv“ online bereitgestellt und digitalisiert weitere für die Öffentlichkeit interessante Quellen u.a. aus der Kolonialzeit und der Weimarer Republik. Allerdings hatte das Bundesarchiv bereits 2011 die Zusammenarbeit mit der Wikimedia nach nur 3 Jahren wieder eingestellt, die mehr als 80.000 digitalisierten Fotos aus dem Archiv stehen aber weiterhin in der Wikimedia zur Verfügung und bilden neben wenigen Digitalisaten aus dem rheinland-pfälzischen Landeshauptarchiv und dem Koblenzer Stadtarchiv den Hauptbestand an Quellen in der „App in die Geschichte“, die speziell für den schulischen Geschichtsunterricht konzipiert wurde.
Trotz allen Einschränkungen, bereits jetzt bietet das World Wide Web Überfluss statt Knappheit für das Geschichtslernen, eine Art „Archivsituation“ im Klassenzimmer, ohne das Klassenzimmer zu verlassen. Das ermöglicht im Unterricht das Entwickeln und Beantworten eigener Fragen, ohne dass von der Lehrerin oder dem Lehrer die notwendigen Quellen bereitgestellt werden. Es gilt vielmehr, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, selbst Fragen zu stellen, die notwendigen Arbeitsschritte, wie z.B. die Quellenrecherche und -auswertung, zu planen und durchzuführen und ihre Ergebnisse in unterschiedlicher medialer Form u.a. als schriftliche Ausarbeitung, Vortrag, besondere Lernleistung oder Film zu präsentieren. Voraussetzung dafür ist eine allgemeine und fachspezifische Medienkompetenz. Recherche, Bewertung und Auswertung von Online-Funde sind nicht ausreichend eingeübt und erlernt, wenn sie einmalig über eine Methodentrainingsseite in einem Schulbuch in den Unterricht integriert werden. Vielmehr sind es heute grundlegende Arbeitsmethoden, die permanent eingeübt und im Sinne der Lernprogression aufeinander aufbauend auf zunehmend komplexere Suchen und Fragestellungen angewandt werden müssen.
Die Medialität der Quellen im Unterricht zusammen mit den verwendeten Werkzeugen bestimmt ganz wesentlich den Denk- und Arbeitsraum von LehrInnen und SchülerInnenn. Es macht einen Unterschied, ob ich eine Quellenauszug in einem Schulbuch habe, in das ich nicht schreiben darf und dazu ein Heft und einen Stift als Arbeitswerkzeuge nutze oder einen Laptop oder die Quellen as Scan und Transkript vorliegt und ich diese an einem digitalen Gerät untersuchen, auswerten, beschriften und direkt in andere Medienprodukte einbinden kann:
Im Rahmen des Modells des Lernen mit / an / über und in Medien ist genau das mit dem Lernen „IN“ Medien gemeint: Bis vor wenigen Jahren war eine Reflexion über den jeweiligen Denk- und Lernraum kaum zu beobachten, da das mediale Format im Druck selbstverständlich schien und der Blick nur auf die medialen Werkzeuge des Lehrers gerichtet war – so wie es sich unter „Medieneinsatz“ in zahllosen Lehrprobenentwürfen bis heute findet. Nach dem Gesagten scheint es aber eine Notwendigkeit die Medienformate der Quellen und Darstellung bei der Planung und Gestaltung von Unterricht mitzudenken.
Nimmt man die bisherigen Überlegungen ernst, können daraus grundlegende Veränderungen für den Geschichtsunterricht resultieren, in der Formen altersgemäß mehr oder weniger offener Projektarbeit gegenüber einem de facto in der Praxis am Aufbau des Schulbuchs orientierten Unterricht mehr Raum einnehmen. Zugleich besteht das Risiko der Überforderung einzelner Schüler, aber auch der Überforderung eines in der Unter- und Mittelstufe nur maximal zweistündigen Fachs, da diese Art des Lernens voraussetzungsreich ist und zahlreiche Kompetenzen erfordert, die von den Schülerinnen und Schüler fächerübergreifend erst noch erworben und eingeübt werden müssen.
Dabei sind die Potentiale offensichtlich: Die Schülerinnen und Schüler lernen eigene Frage zu stellen und diese selbstständig zu bearbeiten. In dem sie dies tun, erwerben sie grundlegende fachspezifische wie auch überfachliche Kompetenzen, die grundlegend sind für Lebens- und Arbeitswelt im digitalen Zeitalter (beispielhaft seien hier Informationsrecherche und digitale Quellenkritik genannt).
Wichtig und das sei hier abschließend gesagt, ist es gar nicht, um jeden Preis in jeder Stunde mit digitalen Geräten in der Schule im Unterricht zu arbeiten, sondern viel mehr, die Bedingungen der Digitalität mitzudenken und im Unterricht zu reflektieren, so dass LehrerInnen und SchülerInnen lernen, für ihr Lernen, ihre Arbeit, aber auch für ihren Lebensalltag bewusst für Situation und Ziel angemessen die für sie richtigen Werkzeuge (Wann benutze ich mein Smartphone? Wann besser Papier und Stift?) und Inhalte (historische „Quellen“ wie im Alltag umgangssprachlich Informations-„Quellen“) auswählen.