In Rheinland-Pfalz steht die Erstellung eines neuen Lehrplans für Geschichte in der Oberstufe an. Die Ausschreibung, sich für die Mitarbeit in der Kommission zu bewerben, endet diese Woche. Während es in der Geschichtsdidaktik eine breite Diskussion über die Entwicklung von Lehrplänen gibt, beobachte ich bei uns Lehrerinnen und Lehrer oft nur eine meist gehörige Portion Unmut über die Ergebnisse der Arbeit von Lehrplankommissionen. Nach den Diskussionen, die es in den letzten Jahren regelmäßig nach Veröffentlichung der Entwürfe neuer Geschichtslehrpläne gegeben hat (zuletzt in NRW), würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, hier offen vorab mit allen Interessierten zu diskutieren, wie ein moderner, zeitgemäßer Lehrplan für die Sekundarstufe II aussehen sollte. [Disclaimer: Für die Mitarbeit in der Kommission habe ich mich nicht beworben.]
In RLP haben wir – aus meiner Sicht – den Vorteil, dass in Geschichte kein Zentralabitur gibt, so dass der Lehrplan viele Freiheiten in der Auswahl der Inhalte z.B. zur Berücksichtigung von Lokal- und Regionalgeschichte lassen kann. Eine der Schwierigkeiten bei der Lehrplanentwicklung ist hingegen, dass einerseits versucht werden sollte, Fachunterricht auf der Höhe der Zeit zu definieren, aber keinen kurzfristigen Moden zu folgen, da davon auszugehen ist, dass der Lehrplan die nächsten 10, 15, vielleicht 20 Jahre in Kraft bleiben wird.
Zum Einstieg in die Diskussion einige Aspekte, die meines Erachtens unbedingt bei der Entwicklung eines neuen Lehrplans für die Sekundarstufe II berücksichtigt werden sollten:
- Die Binsenweisheit vorweg: Der Lehrplan sollte kompetenzorientiert sein – und wenn er das konsequent macht, die Menge der verpflichtenden Inhalte reduzieren. Die Kompetenzorientierung sollte sich dabei an den Modellen der Geschichtsdidaktik orientieren und nicht wie bei einigen Lehrplänen der letzten Jahre noch einmal ein eigenes Modell entwickeln und zur Grundlage des Lehrplans machen.
- Der Lehrplan muss naheliegenderweise auf den Lehrplänen der Sek I aufbauen. Das heißt in RLP aber nicht nur die Berücksichtigung des Teillehrplans Geschichte für die Sekundarstufe I an Gymnasien, sondern auch auf den Lehrplan Gesellschaftslehre an der Integrierten Gesamtschulen, der gänzlich anders aufgebaut ist (siehe dazu hier) zu schauen. Jede Gesamtschule in Rheinland-Pfalz hat auch eine Oberstufe, die zum Abitur führt. Ingesamt sind rund ein Viertel der gymnasialen Oberstufen in RLP sind an Integrierten Gesamtschulen zu finden.
- Ein aktueller Lehrplan sollte den aktuellen Stand der Wissenschaft widerspiegeln. Überholte Konzepte wie z.B. das „Lehnswesen“ oder der „Dreieckshandel“ dürfen nicht durch Festschreibung im Lehrplan perpetuiert werden.
- Der in RLP für die Sek I festgeschriebene chronologische Durchgang muss in der Oberstufe nicht wiederholt werden, sondern es können anderen Prinzipien der Beschäftigung mit Geschichte als Gliederungsprinzipien zu Grunde gelegt werden, u.a. Längsschnitte, Themenfelder (Gender, Nationalismus usw.), offene Projektarbeit, in der die Lernenden selbst ihre Inhalte wählen usw.
- Geschichte begegnet uns im Alltag seltener in Quellen, sondern vor allem in Form medialer Geschichts- und Erinnerungskultur. Diese sollten eine stärkere Berücksichtigung finden und ein wesentliches Kriterium für die Auswahl der Inhalte sein. Zudem sollte der Lehrplan ausreichend Freiheiten lassen, dass immer die Möglichkeit besteht, aktuelle gesellschaftliche Debatten nicht nur mal zwischendurch in einer Stunde „außer der Reihe“ anzureißen, sondern ausführlich in den Unterricht aufzunehmen.
- Ein gelungener, zeitgemäßer Lehrplan sollte also meiner Meinung nach ebenso eine verbindliche Orientierung wie ausreichend Flexibilität für die Auswahl der Inhalte durch Schülerinnen und Schüler und Lehrinnen und Lehrer bieten.
- Geschichte ist eines der zentralen Fächer für Medienbildung im schulischen Fächerkanon. Ein neuer Lehrplan sollte daher Medienbildung nicht als zusätzlichen Inhalt hinzufügen, sondern durchgängig mitdenken. Das umfasst u.a. die Berücksichtigung der Geschichte von Medien, die Medialität von Quellen und Darstellungen sowie wie auch digitale Werkzeuge für die Arbeit eines Historikers (z.B. kollaboratives Schreiben, Auswerten von „Big Data“) und in der Produktorientierung des Unterrichts, in dem nicht Klausuren geschrieben und Vorträge gehalten werden, sondern auch Social Media, Blogs, Podcasts, Videos Lerngegenstand und -produkt sind.
- Geschichtsunterricht darf sich heute nicht mehr auf einen nationalen Bezugsrahmen beschränken, der um die „klassische Vorgeschichte“ der Antike ergänzt wird, sondern muss konsequent eine europäische und globalhistorische Perspektive einnehmen. Dies sollte nicht als Additum gedacht und angehängt (wie beispielsweise die „Frauengeschichte“ vor 20 Jahren), sondern strukturell integriert werden, in dem Prozesse der Globalisierung in den Blick genommen und exemplarisch vergleichende Fallstudien den Vergleich lokaler, regionaler und nationaler Entwicklungen ermöglichen.
Soweit meine spontanen, recht subjektiven und mit Sicherheit noch unvollständigen Gedanken zum Thema. Ich freue mich auf eine hoffentliche spannende und anregende Diskussion.