Gamification gone wrong

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Dies ist kein einfacher Beitrag. Vor fast schon einem Monat war ich für ein paar Tage in Danzig auf der Jahreskonferenz von euroclio. Das Programm der Konferenz lässt sich online noch einsehen. Wer noch nie bei einer Veranstaltung von euroclio war, dem sei dies an dieser Stelle vorab sehr empfohlen. Euroclio macht sehr gute und sehr wichtige Arbeit. Bei den Fortbildungsanstaltungen, Konferenzen und den Projekten trifft man motivierte und motivierende Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa und ich bin bisher immer mit tollen Eindrücken und Anregungen für die eigene Unterrichtspraxis nach Hause gefahren.

So auch dieses Mal, aber da war zum Ende der Konferenz dieser eine Workshop, der uns noch den ganzen Weg zum Flughafen und auch noch auf dem Rückflug nach Frankfurt beschäftigt hat – so sehr, dass ich auch fast vier Wochen danach, noch darüber nachdenke und darüber schreiben möchte. Weil dieser Workshop wichtige und zentrale Fragen aufgeworfen und eine intensive Diskussion ausgelöst, bin ich der Kollegin dankbar, dass sie das in dieser Form vorgestellt hat. Die Kontroversität, mit der die Kolleginnen und Kollegen die Herangehensweise diskutiert haben, hat mich überrascht, zeigt aber auch, dass es sich dabei um ein wichtiges Thema handelt, das explizit verhandelt werden sollte in einer Zeit, in der „Gamification“ zunehmend Einzug in den Unterricht hält. Wer sich übrigens für die Chancen und Potentiale von Gamification interessiert, der sei noch kurz auf den Online-Kurs Learning with creativity: Let the game begin! von School European Gateway hingewiesen, der Anfang dieser Woche gestartet ist und bei dem man sich noch kostenlos einschreiben und mitmachen kann.

In diesem Workshop in Danzig hat nun eine sehr geschätzte und reflektierte Kollegin eine selbst erstellte Unterrichtseinheit zum atlantischen „Dreieckshandel“ vorgestellt. Sie hatte dazu ein Spiel entwickelt, dass nach eigener Aussage bei ihren Schülerinnen und Schüler sehr gut angekommen war. Die Schülerinnen und Schüler wären besonders engagiert und motiviert gewesen. Der Workshop war, obwohl die letzte Veranstaltung am Sonntagnachmittag, gut besucht. Die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen wurden nach Tischen in Gruppen eingeteilt und sollten jeweils als Team spielen.

Worum ging es? Jedes Team sollte eine Handelskompanie spielen: Waren von Europa nach Afrika bringen, dort Sklaven einkaufen, diese nach Amerika verschiffen, dort verkaufen, neue Waren einkaufen und diese wieder nach Europa bringen. Das Spiel basierte auf einer PowerPoint sowie Excel-Tabellen für den Ein- und Verkauf der an den verschiedenen Punkte. Ziel war es im Spiel den meisten Profit zu machen.

Als bei der Vorstellung des Spiels klar wurde, dass es darum gehen würde, dass wir als Team in die Rolle von „Sklavenhändlern“ schlüpfen sollten, weigerten sich ebenso spontan wie vehement die niederländische und isländische Kollegin an meinem Tisch, daran teilzunehmen. Wir einigten uns auf eine Beobachterrolle und darauf, dem Workshop zu folgen, um zu schauen, wie die anderen Kolleginnen und Kollegen das Spiel spielen, die Workshopleiterin das Spiel moderieren und ob es einen Abbruch und/oder Reflexion des Spiel geben würde.

Die Geschichtslehrerinnen und -lehrer aus völlig unterschiedlichen Ländern und ganz unterschiedlichen Alters in den anderen Teams akzeptierten die Aufgabe und versuchten (in Teilen sehr engagiert) aus dem Sklavenhandel den meisten Profit zu schlagen: Dabei mussten sie Entscheidungen treffen, wie z.B. männliche oder weibliche, junge oder alte Menschen zu unterschiedlichen Preisen zu kaufen, was unterschiedliche Überlebenschancen und Verkaufsmöglichkeiten mit sich brachte. Die Spielphasen wurden jeweils unterbrochen durch Bild- und Erzählimpulse der Workshopleiterin mit Verweisen auf historische Hintergrundinformationen in Form von Bildquellen z.B. wie dieser.

Entgegen der Erwartungshaltung in unserer Bebachtergruppe erfolgte kein Abbruch und keine Unterbrechung durch die Spielenden, sondern vielmehr durchaus wahrnehmbar Freude über erfolgreiche Profitmaximierung bzw. Ärger über „schlechte Geschäfte“ und einen Rückstand im Ranking der Kompagnien. Im Gespräch mit der Workshopleiterin hatte ich im Vorfeld erfahren, dass es bisher im Unterricht auch nicht zu Unterbrechungen oder Kritik an der Herangehensweise gekommen war. Dies lässt sich durchaus mit der Autorität der Lehrerin bzw. des Lehrers im Klassenraum erklären, die je nach Land, Schule und Person unterschiedlich ausgeprägt ist, aber in jedem Fall eine besondere Verantwortung mit sich bringt.

Warum aber die Kolleginnen und Kollegen die Rollenübernahme nicht in Frage stellten, war mir zunächst nicht klar. War es die Höflichkeit oder Respekt gegenüber der Workshopleiterin und Kollegin? Bei einigen war auf jeden Fall eine emotionale Immersion zu beobachten, die sicher dazu führte, dass die Freude bzw. der Ärger über Gewinn- und Verlustbilanzen die Inhalte des „Spiels“ aus dem Blick geraten ließ.

Die anschließende Besprechung war entsprechend kontrovers. Die beiden Kolleginnen an meinem Tisch lehnten die Idee grundlegend ab: Der Spielvorschlag sei moralisch völlig inakzeptabel. In diesem Spiel würden Menschen auf den Status von Waren, Objekten, letztlich von Verkaufszahlen reduziert. Grundlage des Unterrichts müsste aber eine Erziehung zur Achtung der Menschenrechte sein. Dies sei in diesem Spiel auch mit nachgängiger Reflexion nicht geleistet. Es werde nur vermittelt, wie der „Dreieckshandel“ funktioniert habe, d.h. wie welche Güter gehandelt wurden, welchen Probleme und welche Profitchancen die Händler hatten. Dies sei auch anders lernbar, ohne selbst in die Rolle von Sklavenhändlern zu schlüpfen.

Diese Einschätzung war aber keinesweg einhellig. Ein Kollege argumentierte mit der emotionalen Involviertheit durch das Spiel, die zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Thema führen könne. Andere verwiesen darauf, dass sie sich zwar „mulmig“ gefühlt hätten beim Anblick der Bilder der Sklavenschiffe, und sich gefragt hätten, ob nicht ein besserer Transport möglich gewesen wäre. Stellten aber damit weder den Sklavenhandel an sich noch die Rollenübernahme im Spiel in Frage. Die Nachfrage, warum sie das Spiel nicht abgebrochen hätten, blieb in Teilen unbeantwortet bzw. teilweise wurde auf den „Spaß“ im und am Spiel verwiesen. Zudem habe die Abstrahierung von Sklaven auf Zahlentabellen es einfach gemacht, nicht über das eigene Rollenhandeln nachzudenken.

Es kann nun nicht darum gehen, Sklavenhandel auszublenden. Es stellt sich aber die Frage, wie ein solches Thema in Spielen integriert werden kann. Und die Debatte ist nicht neu: Zu Recht wurde zuletzt mit Blick auf Anno 1800, das neue Spiel der Anno-Reihe, kritisiert, dass dieses in einer Wirtschaftssimulation den Beitrag des Sklavenhandels zum europäischen Wohlstand und zur Industrialisierung in problematischer Weise außen vor lässt. Ob in einem Brettspiel wie Five Tribes „Sklaven“ durch „Fakire“ ersetzt werden müssen, darüber lässt sich sicher streiten, entspricht aber sicher weniger historischer Akturesse als dem Wunsch und Verkaufsinteresse, dass Spiele vor allem ein gutes Gefühl („Feel-Good-Programmatik“) vermitteln sollen.

Gerade weil es sich bei den Teilnehmenden im Workshop überaus engagierte und reflektierte Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer handelte und selbst bei diesen das Spiel mehrheitlich nicht – wie von der Workshopleiterin intendiert (in der Workshopbeschreibung stand: „Participants will act as merchants,consulting with each others and making ‚life-or-death‘ decisions. This workshop lies not only the basis to teach colonialism, but also tospark discussions on human rights.“) – zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Thema oder Spiel führte, zeigt das Beispiel meines Erachtens Grenzen für den Einsatz von Gamification im Geschichtsunterricht auf. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Regel nicht freiwillig Teilnehmende, sondern stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Lehrerin bzw. zum Lehrer. Außerdem sind sie – zumindest in der Sek I sowie in Teilen der Sek II – noch nicht volljährig, und bedürfen daher eines besonderen Schutzes. Der „Arbeitsauftrag“, die Rolle von Sklavenhändlern zu übernehmen und deren Profite zu maximieren, ist für mich daher – da gehe ich mit den zwei Kolleginnen d’accord – vollkommen ungeeignet für eine Unterrichtssituation. Als Diskussionsanlass hingegen, was man wie in Spielen abbilden kann bzw. darf, lässt sich der Unterrichtsvorschlag – gerade weil er auch im Vergleich zu anderen analogen wie digitalen Spielen vergleichsweise einfach und überschaubar ist – sowohl für ältere SchülerInnen wie für Studierende sinnvoll nutzen.

Geschichte im Brettspiel – am Beispiel „Colony“

pict0019Gastbeitrag von Till Meyer, spieltrieb

Wenn man sich den Markt der normalen Gesellschaftsspiele anschaut – der Mainstreamspiele – dann fällt auf, dass es überaus viele Spiele gibt, die historisch orientiert sind. Es gibt wohl kaum ein Thema aus der menschlichen Geschichte, das der interessierte Spieler nicht spielen könnte.
Begonnen mit dem Leben in der Steinzeit, über den Bau der Pyramiden, die griechischen Stadtstaaten und das römische Reich, Völkerwanderung, Barockgärten, Aufbau des Seehandels, Mittelalter, Kathedralenbau, und vieles mehr. In jedem Jahr erscheinen neue Spiele, die das Spektrum der Geschichte im Spiel um einige Facetten mehr bereichern.

Einige dieser Spiele sind hervorragend recherchiert und man fühlt sich praktisch in der Zeit zurück versetzt. Bei anderen merkt man sehr schnell, dass das Thema im Grunde austauschbar ist – anstelle der Renaissance hätte das Spiel auch durchaus die Hochkulturen im Südamerika des 13. Jahrhunderts zum Mittelpunkt haben, oder auf den Mars verlegt werden können. Aber diese Unterschiede sind erstmal nicht von Belang; die Spieler und Spielerinnen wollen eine gute Geschichte erzählt bekommen – und selbst daran beteiligt sein – ob ein Historiker wegen des betreffenden Spiels eine existenzielle Verzweiflung entwickelt, interessiert sie nicht.

Anders ist es aber, wenn ein Spiel zur Unterstützung des Geschichtsunterrichts eingesetzt werden soll. Spiele sind zweifellos prädestiniert für diese Aufgabe – schon allein aufgrund des Umstandes, dass Spiele Abläufe, Prozesse, Entwicklungen und Wechselwirkungen wiedergeben können, und die Faktoren, die in diesen Prozessen eine Rolle spielen. Geschichte kann damit unmittelbar erfahrbar gemacht werden. Vorausgesetzt, die Geschichte war bei der Spielentwicklung der Leitfaden.

Spielablauf

Bei der Entwicklung unseres Spiels „Colony“ wurde dieser Weg gewählt: die Geschichte des Kolonialismus so realitätsnah wie möglich darzustellen und daraus ein gutes Spiel zu machen. Denn neben dem Anspruch, ein Spiel für die Unterstützung des Geschichtsunterrichts zu entwickeln, muss ein Spiel immer spannend sein – 20161102_171719ansonsten steht der Lernerfolg infrage.

„Colony“ beginnt 1492 mit der Landung der spanischen Schiffe auf einem fiktiven neuen Kontinent. Drei bis sechs Spieler übernehmen die Rolle europäischer Kolonialmächte und versuchen, am Ende des Spiels die Reichsten zu sein. Dies gelingt durch Eroberung und möglichst umfassende Ausbeutung von Agrarprodukten und Bodenschätzen.

Gespielt wird in sechs Spielphasen, von denen jede einer Zeit von 80 bis 120 Jahren entspricht. Jede Spielphase wird vier Runden lang gespielt – nach 24 Runden ist „Colony“ also beendet. Jede Spielphase besitzt einen anderen Schwerpunkt: in der ersten Phase geht es nur darum, möglichst viele Länder zu besetzen und das eigene Kolonialreich zu vergrößern. In der zweiten Phase wird der Handel intensiviert; es werden Kontore errichtet und die Missionarstätigkeit begonnen. In der dritten Phase können die Kolonien militärisch gesichert werden und es kommt auch zu den ersten Aufständen der Ureinwohner. In dieser Phase können auch Kolonialkriege geführt werden, um wertvolle Kolonien der konkurrierenden Mächte zu erobern. In der vierten Phase wird mit dem Bau von Städten die Kolonialverwaltung konsolidiert, was wirtschaftliche und militärische Vorteile zur Folge hat. In der fünften Phase, in der in der alten Welt die Industrialisierung voranschreitet, können Eisenbahnen gebaut werden, wodurch ebenfalls der Export erleichtert wird und Kolonialkriege schneller und weiträumiger geführt werden. In der sechsten Phase – der De-Kolonisierung – schließlich stellen die Spieler fest, dass die notwendige Aufstellung von Kolonialheeren immense Summen verschlingt – nicht zuletzt bedingt durch die besser organisierten und bewaffneten Aufstände. Was liegt also näher, als den kritischen Kolonien die Unabhängigkeit zu gewähren? Die ehemalige Kolonialmacht möchte die nun unabhängige Nation natürlich gerne weiterhin als Rohstofflieferant und Absatzmarkt behalten, aber auch die anderen europäischen Mächte versuchen, die neue Nation zu kontrollieren.

20161102_173120Zu jeder Phase gehören neue Ereigniskarten, neue Aktionsmöglichkeiten und neue Rohstoffe – so sind Kaffee und Erdöl erst in der fünften Phase, der Industrialisierung, im Spiel. Ebenso verändert sich der Zufallsfaktor des Spiels dramatisch: In den ersten beiden Spielphase sind die Spieler dem Kartenzufall ziemlich ausgeliefert – was bei Spielern „normaler“ Gesellschaftsspiele oft zu erheblichem Unmut führt. Ab der dritten Phase allerdings bekommt die Interaktion zwischen Spielern mehr und mehr Gewicht, bis in der Phase der De-Kolonisierung praktisch alles verhandelt werden kann. Trotz der Komplexität und der unterschiedlichen Spielebenen lässt sich „Colony“ unproblematisch lernen – und einsetzen. Das Spiel ist modular aufgebaut, und beginnt mit einigen einfachen Regeln, die innerhalb von Minuten erklärt sind. In jeder Spielphase kommen einige neue Regeln hinzu. Man muss also vor dem ersten Spiel nicht das gesamte Regelwerk durchlesen; es reicht vollkommen, von Spielphase zu Spielphase jeweils den neuen Abschnitt zu lesen.

Geschichtsvermittlung durch das Spiel

Bei vielen Aspekten musste die historische Realität im Hinblick auf einen spannenden Spielablauf gebeugt werden, so tauchen zum Beispiel alle europäischen Mächte zum selben Zeitpunkt auf den neuen Kontinent auf, und der unterschiedliche Ablauf der Kolonisierung in den Amerikas, in Asien, Afrika und Australien wurde vereinheitlicht. Daraus ergab sich ein Spiel, das sich zweifellos wie ein übliches Aufbau- und Eroberungsspiel spielen lässt.

Für den Einsatz in der Bildungsarbeit bietet „Colony“ allerdings noch erheblich mehr. Eine wesentliche Komponente sind die Ereigniskarten, die nicht nur phasenrelevant realistische Ereignisse in Spiel bringen. Ab 20161102_172407etwa der dritten Phase – und danach in immer stärkerem Maß – kommen Entscheidungskarten ins Spiel, die den Spielern die Möglichkeit geben etwa pockenverseuchte Decken zu verschenken, Sprache, Kultur und Religion der Ureinwohner zu verbieten, ganze Dörfer einzuebnen oder öffentliche Hinrichtungen der Aufständischen einzuführen.

Je nach Entscheidung winkt entweder das Steigen des Einkommens, oder die Möglichkeit, einen Aufstand zu entfernen, ohne gegen die Aufständischen kämpfen zu müssen – gewissermaßen entsteht er aufgrund der Brutalität der Kolonialherren gar nicht erst. Was letztlich auch wieder ein wirtschaftlicher Vorteil ist, da das Geld, das für Soldaten ausgegeben werden müsste, anderweitig zur Verfügung steht.

Im anderen Fall – d.h., wenn sich ein Spieler gegen ein rücksichtsloses Vorgehen entscheidet, – erhält er politisches Ansehen hinzu. Eine Kolonialmacht die 500 Jahre lang ihre Kolonien rücksichtslos und brutal verwaltet hat, besitzt in der Phase der De-Kolonisierung ein derart schlechtes Image, dass es ihr schwerfällt, die Kontrolle über eine neue unabhängige Nation zu übernehmen.

Diese Auswirkung können die Spieler während der ersten Spielphasen noch nicht abschätzen. Viel wichtiger ist aber, dass es anhand dieser Entscheidungskarten zur Erkenntnis kommt, dass man hier eigentlich Realität spielt. Es ist vollkommen normal, dass ein Spieler sich gegen die Einführung öffentlicher Hinrichtungen entscheidet, obwohl überall in seinen Kolonien die Aufstände Landwirtschaft und Bergbau bedrohen. Oder ein Spieler entscheidet sich eben dafür und die anderen Spieler merken an, dass er dann jetzt auch mit seinem Gewissen klarkommen müsste.

Wohl gemerkt: Man kann „Colony“ nicht „politisch korrekt“ spielen. In gewissem Rahmen kann die Geschichte der Kolonisierung umgeschrieben werden, aber letztlich sind die Spieler in der Rolle der Kolonialmächte und versuchen, durch die Ausbeutung möglichst viel Geld einzunehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die dem Spiel beiliegende CD-Rom. Wie oben schon angemerkt, brillieren Spiele durch das Potential, Prozesse nachvollziehbar darzustellen. In dieser Hinsicht sind sie meiner Ansicht nach jedem anderen Medium überlegen.

Wofür Spiele allerdings denkbar schlecht geeignet sind, ist die Vermittlung von Fakten-Informationen; Daten, Jahreszahlen, Namen etc. Diese gehören – allgemein gesprochen – nicht zum Spielablauf und stören daher nur beim Spielen. Die Texte der Ereigniskarten sind zwar größtenteils realitätsnah, vermitteln aber nur wenige Fakteninformationen. Es wird zum Beispiel nur „von der Verbindung zweier Königshäuser durch Heirat“ – und der Übertragung einer Kolonie als Mitgift – gesprochen, nicht aber die realen Königshäuser oder das Jahr der Heirat genannt. Diese Informationen können bei Interesse in den etwa 240 deutschen Texten der CD-Rom nachgelesen werden.

Es empfiehlt sich also, beim Einsatz des Spiels Ereigniskarten, die in irgendeiner Form zu Nachfragen geführt haben, zu notieren und mithilfe der CD-Rom in der Nachbereitung darauf einzugehen. Zum Beispiel besteht eine Erfahrung, die wir in zahlreichen Spielen gemacht haben, darin, dass Jugendliche die oben erwähnte Karte, dass „Sprache, Kultur und Religion“ der Ureinwohner verboten werden können, mit Verblüffung vorlesen. Es ist ihnen nicht klar, welchen Sinn das Verbot von Sprache haben könnte. Auf den – zu dieser Karte – drei Texten der CD-Rom wird erläutert, warum in Westafrika Englisch und französisch Verkehrssprache ist, weshalb in ganz Lateinamerika Spanisch oder Portugiesisch gesprochen werden, und was mit der Kultur der Inuit passieren würde, wenn es keine zwanzig Begriffe für „Schnee“ mehr in der Sprache gäbe.
Wir haben also mit der zum Spiel gehörenden CD-Rom versucht, das Defizit von Spielen betreffs Fakten-Informationsvermittlung aufzufangen. Auf der CD-Rom befindet sich ebenfalls ein historischer Abriss des Kolonialismus. Für das Spiel selbst wird diese CD-Rom nicht benötigt.

Zwischen Spielspaß und Darstellung historischer Zusammenhänge

Die aktuell am Beispiel „Mombasa“ wieder intensiv geführte Auseinandersetzung, was ein historisch orientiertes Spiel zeigen darf, zeigen soll oder auch zeigen muss, spielte auch bei der Entstehung von „Colony“ eine gewisse Rolle. Bei der gut zweieinhalb Jahre dauernden Entwicklung des Spiels kam es immer wieder zu Erfahrungen mit den Testgruppen, die die Gesamtkonzeption des Spiels erheblich veränderten, und die – von einer anderen Seite aus – dasselbe Problem beleuchteten: Wie viel Realitätsnähe kann ein Spiel vertragen?
In der ursprünglichen Fassung von „Colony“ waren noch die realen Kontinente dargestellt und praktisch ab Beginn des 16. Jahrhunderts war der Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und den Amerikas Teil des Spiels.
Allerdings kamen viele Tests überhaupt nicht zustande, weil sich sowohl Fachkräfte als auch Jugendliche weigerten, ein Spiel zu spielen, bei dem man Geld mit Sklaverei verdienen konnte.
Als wir dann einen fiktiven Kontinent einführten, der symbolisch für weltweit alle kolonisierten Länder stand, hatte niemand mehr Probleme damit. Bei einigem Nachdenken hätte man vermutlich darauf kommen können, dass es nicht die Europäer sind, die auf den Plantagen und in den Bergwerken schuften, aber dieser Aspekt war nicht mehr explizit Teils des Spielablaufs und damit unproblematisch.
Aber auch in der jetzigen Form ist „Colony“ vielen Spielern zu realistisch. Eine komplette Bevölkerungsgruppe zu massakrieren, die gegen die europäische Eroberung aufbegehrt, ist mehr, als einige Spieler vertragen können – selbst dann, wenn man sich im Spiel gegen das Massaker entscheiden kann.

Die eingangs genannte Faszination von Spielen mit historischem Thema ist also ambivalent zu sehen. Die am Beispiel „Mombasa“ wieder in Gang gebrachte Diskussion darüber, welche Grenzen der Darstellung der Realität Spielen gesetzt werden können oder sollten, ist wertvoll und wichtig.

Und wenn bei „Mombasa“ Sklaverei und Ausbeutung Teil des Spiels gewesen, wären, hätten es vermutlich nur sehr wenige Menschen gespielt. Auf der anderen Seite sind wir mit „Colony“ in Gruppen „normaler“ Spieler immer wieder verblüfft, dass diese die Kartentexte überhaupt nicht lesen, sondern nur die Folgewirkungen: „Du erhältst eine Plantage dazu“. Es wird mit Begeisterung ein Spiel gewählt, das „historisch“ ist, die Bezüge zur Geschichte sind aber im Spiel komplett uninteressant.

Die Diskussion um die Verbindung Spiel und Realität wird sicherlich in Zukunft spannend bleiben.

„Colony“ wurde von Spieltrieb entwickelt und als von der Europäischen Kommission gefördertes Projekt von drei Nichtregierungsorganisationen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland, Spanien und England herausgebracht. Entsprechend gibt es Spielanleitung und Spielkarten auch in Spanisch und Englisch. Zusätzlich wurde eine Handreichung erstellt, die Hinweise für den Einsatz des Spiels in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit gibt sowie für Möglichkeiten der inhaltlichen Weiterarbeit.

„Colony“ wurde gezielt für den Einsatz in der Schule entwickelt, allerdings macht es die lange Spieldauer von mehreren Stunden – abhängig von der Kommunikationsbereitschaft der Spieler – am Besten geeignet für Projekttage oder – wochen. Im Regelunterricht selbst lässt sich „Colony“ ebenfalls gut einsetzen, da die verschiedenen Spielphasen in mehreren Schulstunden gespielt werden können.

„Colony“ kostet für Einrichtungen der Bildungsarbeit derzeit 15,- € anstelle von 30,- € zzgl. Versand. Die CD-Rom liegt jedem Spiel bei. Für das Begleitheft wird eine Schutzgebühr von 5,- € berechnet, als PDF wird bei Bestellung des Spiels keine Schutzgebühr erhoben. „Colony“ kann bestellt werden auf den Seiten von Spieltrieb: http://www.spiele-entwickler-spieltrieb.de

Unterrichtsmaterial zur Diskussion über den Völkermord an den Herero und Nama

Heute habe ich das erste Mal einen Ausschnitt aus der heute-show im Geschichtsunterricht eingesetzt. Die Sendung vom 3. Juni setzt sich mit der Armenien-Resolution des Bundestags auseinander und verweist auch auf den Völkermord an den Herero und Nama. Die „6. Stunde Geschi“ der heute-show:

In ihrem Blog hat die heute-show auch kommentierte Links zum Thema zusammengestellt:

http://www.heute-show.de/zdf/artikel/135237/mehr-zur-sendung-vom-03-06-2016-volkermord.html

Satterfield_cartoon_about_Samuel_Maharero's_rebellionVoraussetzung ist die vorangehende Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen. Zwei Doppelseiten mit Darstellungstext, Quellenmaterial und binnendifferenzierenden Aufgabenangeboten bietet u.a. die neue Ausgabe von Buchners „Das waren Zeiten“ Band 2 für Rheinland-Pfalz auf den Seiten 38-41. Diese sind für die Mittelstufe gemacht, können aber auch gut in der Oberstufe als Basismaterial eingesetzt werden.

Anschließend kann dann anhand des Ausschnitts der heute-show und weiteren Zeitungsartikeln der letzten Tage und Woche die aktuelle Debatte mit den verschiedenen Positionen aufgegriffen und auf solider Basis diskutiert. Für einen Oberstufenkurs habe ich dazu zwei ergänzende Texte ausgewählt und leicht gekürzt in Kopie zur Verfügung gestellt. Der erste Text ist von Jürgen Zimmerer und am 24. Juni 2016 in der Frankfurter Rundschau unter dem Titel „Völkermord an Hereo. Erdogan hat einen Nerv getroffen“ erschienen. Der zweite Text ist ein Kommentar von Alexactus Kaure in The Namibian vom 28. Juni 2016 – laut Wikipedia der größten Tageszeitung des Landes. Der Beitrag bietet einen guten Überblick über die Debatte in Namibia, die Einschätzung der Armenien-Resolution aus namibischer Perspektive sowie die Erwartungen an Deutschland wie auch an die Weltgemeinschaft.

Die Schülerinnen und Schüler haben jeweils einen der beiden Texte gelesen und sich dann darüber ausgetauscht und die unterschiedlichen Positionen herausgearbeitet. Den Schülerinnen und Schüler war freigestellt, wer Interesse hatte und sich fit genug fühlte, freiwillig den englischen Text zu lesen.

Hier die beiden für den Unterricht leicht gekürzten und mit Zeilennummern aufbereiteten Texte als odt-Dateien zum Download:

P.S. Heute erschien auf Spiegel Online übrigens eine Artikel mit dem Titel: „Kolonialforschung: Gab es wirklich einen Völkermord an den Herero?“ In dem auf diese Überschrift folgenden Text wird ein 84jähriger „Hobby-Historiker“ vorgestellt, der hier die im Titel genannte „Kolonialforschung“ repräsentiert und versucht, „die These vom deutschen Völkermord zu widerlegen“. Für den Rest des Artikels muss man bezahlen, für solchen revisionistischen Artikel sind mir allerdings selbst 39 Cents zu viel. Für mich in mehrfacher Hinsicht unfassbar, dass der Spiegel so einen Beitrag im Jahr 2016 veröffentlicht…

 

Einer Karikatur auf der Spur 2: über die Online-Suche zur Entschlüsselung unbekannter Bilder

Der Wahre Jakob, 20.2.1906, Karikatur: Aus unseren Kolonien.

Karikatur: Aus unseren Kolonien, aus: Der Wahre Jacob, 20.2.1906 .

Eine Karikatur. Noch eine. Ein spannendes Thema. Mit Begeisterung entdecke ich, welche großartigen Bestände bereits online verfügbar sind. Neu entdeckt habe ich den „Wahren Jacob“, der gleichfalls von der Universitätsbibliothek Heidelberg digitalisiert wurde. Schülerinnen aus dem Leistungskurs haben für ihre Stunde im Rahmen einer LdL-Reihe, diese Karikatur gefunden, konnten aber die beiden abgebildeten Männer nicht identifizieren und hatten deshalb um Unterstützung gebeten.

Das war der Startschuss einer etwas umfangreicheren Suchaktion, die ich mit diesem Beitrag dokumentieren möchte. Was wir hier in wenigen Stunden am Computer recherchiert haben, hätte vor zehn Jahren noch Tage mit ausführlichen Bibliotheksbesuchen benötigt. Bevor ich die Rechercheschritte beschreibe, vorab noch zwei Bemerkungen:

Zum einen der Hinweis, wie spannend Lernen durch Lehren (LdL) sein kann, wenn Schülerinnen und Schüler selbst Material online für ihre Stunden zusammenstellen. Das fällt nicht selten raus aus dem Kanon der üblicherweise genutzten und oft reproduzierten Quellen und Darstellungen und hat mich um einige tolle und spannende Funde bereichert, die ich bislang nicht kannte und sicher bei anderer Gelegenheit auch selbst im Unterricht mal einsetzen werde.

Zum anderen: ganz herzlichen Dank an @frandevol und @kaiserkath, die gestern auf meine Bitte via Twitter um Hilfe bei der Suche reagiert und fieberhaft mit gesucht haben. Das war super und sehr hilfreich!

Ausgangspunkt war ein qualitativ eher schlechter Scan der Karikatur aus einem Buch, der sich auch in der englischsprachigen Wikipedia findet. Die Datierung ist mit 1906 noch recht ungenau. Die Bildersuche von Google oder Bing hilft nicht weiter. Wohl aber die Suche nach einem Digitalisat des „Wahren Jacob“, bei dessen Durchsicht der Voranschau des Jahrgangs 1906 man schnell auf die Karikatur stößt. Die Volltextsuche wäre eine hilfreiche Alternative, hat allerdings leider nicht funktioniert.

Der Vorteil der digitalisierten Zeitung ist, dass die Karikatur im Kontext ihrer Publikation betrachtet werden kann. Das hilft in diesem Fall auch nicht weiter. Weil das Heft keine weiteren Informationen zu dem Thema enthält.

Die erste Vermutung war nun, da keine Namen oder weiteren Hinweise angegeben sind, dass es sich um bekannte Personen handeln muss, die sich für die Leser der Zeitung keiner weiteren Erläuterung mehr bedurften. Da der Titel „Aus unseren Kolonien“ lautet, war anzunehmen, dass es sich um Personen handelt, die nicht nur weithin bekannt waren, sondern sich 1906 auch in einer der deutschen Kolonien in Afrika aufgehalten haben.

Dass es sich um eine der deutschen Kolonien in Afrika handeln muss, ist aus dem Possessivbegleiter „unseren“ sowie dem historischen Kontext abzuleiten. In das Jahr 1906 fallen sowohl der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika sowie der Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika. Die genaue Lokalisierung bleibt also zunächst unklar, ist vielleicht aber auch intendiert.

Da wir von optischen Ähnlichkeiten mit historischen Personen ausgingen, haben wir über online verfügbare Listen und Porträts das Führungspersonal der Kolonialverwaltung in beiden Kolonien sowie der Kolonialabteilung bzw. des späteren Reichskolonialamtes überprüft.

Dabei fanden sich gewisse Ähnlichkeiten, aber keine die letztendlich eindeutig oder überzeugend gewesen wäre. Nach der Ausweitung der Suche auf „Industrielle“ entstand die Idee, die wir letztlich auch für schlüssig zur Interpretation der Karikatur halten, dass es sich nämlich nicht um zwei konkrete Personen, sondern vielmehr um Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen, des Adels/Koloniallobby und der Industriellen, handelt.

Das passt insofern ins Bild, als es sich bei Wahren Jacob um die zentrale Zeitung der SPD handelt, die auf Grundlage des Marxismus nicht einzelne Personen, sondern „Klassen“ für den Gang der Geschichte, und damit auch für die Kolonialverbrechen, verantwortlich macht. Gekennzeichnet sind sie durch entsprechende Attribute (dicker Bauch, Zigarre, Zylinder, Monokel etc.).

Irritierend bleibt die in schwarz-weiß angedeutete Farbenfolge der Flagge: Man vermutet „schwarz-rot-gold“, was so gar nicht passen mag, weil die Farben des Deutschen Reiches ja „schwarz-weiß-rot“ waren, die aber hier offenkundig nicht abgebildet sind. Ganz klären ließ sich die Frage nach dem Warum nicht. Hinweise sind herzlich willkommen, auch falls sich an anderer Stelle ein Fehler eingeschlichen haben sollte.

Bekanntermaßen steht „Schwarz-Rot-Gold“ eigentlich für die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte. Deshalb irritiert die Fahne in dieser Karikatur. Zunächst haben wir überprüft, ob es im Bereich der deutschen Kolonialflaggen vielleicht eine besondere Farbkombination gab, die im Bild wiedergegeben sein könnte. Dem ist aber nicht so. Alle deutschen Kolonialflaggen basierten auf den Farben der Reichsfahne (siehe die umfangreiche Übersicht in der Wikipedia).

Ein Hinweis zur Deutung der vermutlich „schwarz-rot-goldenen“ Flagge fand sich dann doch, gleichfalls in der Wikipedia:

„Interessant ist die Tatsache, dass einige rechtsextreme Gruppierungen und Parteien die Farben Schwarz-Rot-Gold als Ausdruck ihrer „nationalen Opposition“ wählten. So hieß es in den „Leitzielen“ der im Jahr 1900 aus der Spaltung der Deutsch-Sozialen Reformpartei hervorgegangenen antisemitischen Gruppierung gleichen Namens: „Wir brauchen ein deutsches Zentrum, eine deutsch-soziale Reformpartei. Ihr Banner sei schwarz-gold-rot, die Fahne des geeinten Großdeutschlands (österreichisch schwarz-gold und deutsch schwarz-weiß-rot vereinigt)“.

[…]  Insgesamt sah das gesamte „großdeutsche Lager“ in Schwarz-Rot-Gold den Ausdruck der eigenen politischen Zielsetzung. Neben den antisemitischen Parteien gehörten dazu vor allem auch die Linksliberalen in Bayern, Baden und Württemberg.

Die Farben Schwarz-Rot-Gold spielten auch eine nicht unbedeutende Rolle in der Völkischen Bewegung. Grundsätzlich bestand dort die Tendenz, die Farben der alten Nationalbewegung zu übernehmen und für die eigenen Zwecke anzupassen.“

Ich muss zugeben, das war mir bislang völlig unbekannt, aber die Erklärung für das Nutzen der Farben scheint schlüssig und sie liefert einen Hinweis für das Verständnis der Karikatur: Bringt man nämlich völkische Bewegung und Imperialismus zusammen, landet man schnell beim Alldeutschen Verband (ADV), dessen Position in der Karikatur vermutlich kritisiert werden soll. Und tatsächlich finden sich auch für das Jahr 1906, wenn zeitlich etwas später belegt, Aussagen des damaligen Vorsitzenden, die sehr gut zur Bildunterschrift der Karikatur passen (vgl. PDF, S. 3).

Für eine abschließende Klärung müssten noch weitere Informationen hinzugezogen werden. Eine kursorische Durchsicht des Wahren Jacob, ob z.B. die schwarz-rot-goldene Flagge in anderem Zusammenhang eindeutig mit dem Alldeutschen Verband in Verbindung gebracht wird, blieb erfolglos. Ggf. wären auch optische Ähnlichkeiten mit zwischen dem Führungspersonal des ADV und den abgebildeten Personen zu prüfen.

Auch wenn wir die Karikatur nicht zweifelsfrei entschlüsseln konnten, stehen für mich am Ende der Recherche drei Erkenntnisse:

1) Die schnellen und vergleichsweise effektiven Möglichkeiten im Internet eigene Hypothesen zu prüfen, indem man gemeinsam arbeitet und unterschiedliche Suchstrategien miteinander verbindet. Auch wenn keine Einordnung oder Darstellung vorliegt, lassen sich auf diese Weise unbekannte historische Bilder entschlüsseln, vielleicht nicht immer eindeutig, aber zumindest weitgehend.

2) Vor 20 Jahren, im ausgehenden Zeitalter der Zettelkästen, hätte es viel Erfahrung und Wissen benötigt, um diese Operationen zum Entschlüsseln einer unbekannten Karikatur durchzuführen. Wo hätte man die Biographien und ggf. Porträts von Kolonialbeamten nachschlagen können, deren Namen man nicht einmal kennt, sondern nur deren Funktionen? Wo wäre eine Übersicht der Kolonialflaggen verfügbar gewesen? Damals eher eine Arbeit für ausgebildete Historiker, für Studierende schon schwierig, für Schüler unmöglich.

Die beschriebene Vorgehensweise zeigt, wie wichtig es ist, angesichts der vielen und schnell verfügbaren Informationen, selbst Fragen formulieren und Hypothesen aufstellen zu können, um diese dann zu prüfen. Diese „detektivische“ Spurensuche kann Spaß machen, muss aber systematisch angeleitet und gelernt werden. Einfach mal im Internet suchen als Auftrag im Unterricht reicht nicht aus.

3) Die Erfahrung, die vermutlich viele Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht machen, wenn sie vor einer Karikatur sitzen und weder die Personen noch die Symbole (er)kennen. Wir Geschichtslehrer „lesen“ und deuten die Karikaturen, weil wir Symbole und Personen wiedererkennen. Es ist für angehende und im Beruf stehende Lehrkräfte eine hilfreiche Erfahrung, mindestens einmal vor einer Karikatur gesessen zu haben, die sie auch nach ihrem Studium nicht verstehen. Das ist vergleichbar mit der Vorgabe, dass wer Deutsch als Fremdsprache lernt, in seinem Studium auch eine Sprache mit nicht-lateinischen Schriftzeichen erlernen muss, um die Schwierigkeiten der Lernenden besser nachvollziehen zu können.

Zum Verstehen von Karikaturen braucht es letztlich eine große „Bilderdatenbank“ im Kopf, die zum Vergleich mit den Elementen, Symbolen und Personen einer Zeichnung abgerufen werden kann. Ähnliches gilt für Anspielungen auf Religion, Mythologie und Redewendungen, die vielen Schülerinnen und Schülern völlig unbekannt sind. Das ist ein Grund, warum Karikaturen im Unterricht für Lernende so unglaublich schwierig sind. Was spräche dagegen statt nur sehr einfache Karikaturen auszuwählen oder Frustrationen aufzubauen, den Schwerpunkt ein wenig zu verschieben und mit den Schülerinnen und Schüler das Internet zu nutzen, um Recherche- und Vergleichsstrategien zur Entschlüsselung historischer Bilder zu entwickeln und einzuüben?

Ruanda 1994-2014

Foto: I, Inisheer, CC-BY-SA 3.0

Foto: I, Inisheer, CC-BY-SA 3.0

Im April jährt sich der Genozid in Ruanda zum 20. Mal. Ruanda steht ganz im Zeichen der Erinnerung an den Genozid mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Initiativen, mit zum Teil auch internationaler Reichweite. Der offizielle Gedenktag in Ruanda ist der 7. April 2014.

In Deutschland hat die Erinnerung an den Genozid bislang in diesem Jahr kaum Aufmerksamkeit gefunden. Medial fokussiert wird in bisher unbekanntem Maße die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, auch andere “runde” Jahrestage im “Gedenkjahr” 2014 (u.a. 14 n.Chr., 714, 1714, 1814) treten dahinter weiter zurück.

Nicht nur als Partnerland von Rheinland-Pfalz, sondern auch im Hinblick auf Ursachen des Genozids, den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit den Ereignissen sowie der Erinnerung an sie ist der Genozid in Ruanda ein relevantes Thema für den Geschichtsunterricht. Deshalb haben ich einige Online-Ressourcen zusammengestellt, um die Geschichte Ruandas und im besonderen die Erinnerung an den Genozid von 1994 im Geschichtsunterricht aufzugreifen.

Genocide Alert

http://www.genocide-alert.de/genozid-in-ruanda-zwanzig-jahre-danach/

Die Seite bietet zusammenfassende Informationen sowie Hinweis auf eine Veranstaltungsreihe in mehreren deutschen Städten mit Podiumsdiskussionen.

Von Genocide Alert gibt es auch ein Twitter-Projekt zur Erinnnerung an die Ereignisse 1994, das Tag für Tag 20 Jahre danach “Tagesnachrichten” sendet:

http://www.genocide-alert.de/genozid-in-ruanda-zwanzig-jahre-danach/twitter-timeline

Kwibuka20

Kwibuka bedeutet Erinnern auf Kinyarwanda. Unter dieser Bezeichnung firmiert das nationale Gedenken mit einer Vielzahl von Veranstaltungen, Aktionen und dem intensiven Einsatz von Social Media: http://www.kwibuka.rw

Auf Youtube findet sich ein Kurzfilm Kwibuka ‚Remember, Unite, Renew‘ http://www.youtube.com/watch?v=00x1L34wLF8

Die “Flamme der Erinnerung” wird zwischen Januar und April durch die 30 Bezirke des Landes getragen. U.a. auf Twitter und Facebook werden die Veranstaltungen in den verschiedenen Städten dokumentiert:

http://www.kwibuka.rw/events/events-listing/urumuri-rutazima-kwibuka-flame/

Homepage des Kigali Memorial Center http://www.kigaligenocidememorial.org

Les hommes debout / Upright men ist ein sehenswertes Kunstprojekt zur Erinnnerung an die Opfer des Genozids, das auf einer eigenen Homepage auf Englisch und Französisch dokumentiert ist:

http://www.uprightmen.org/

Arte hat weiterhin sein umfangreiches Dossier zum 15. Jahrestag online: http://www.arte.tv/de/2532286.html

In Ruanda ist die offizielle Bezeichnung der Genozid an den Tutsi, womit die Erinnerung an weitere Opfergruppen wie z.B. moderate Hutu ausgeblendet wird. Dagmar Dehner berichtet in einem “Ruanda-Tagebuch” aktuell für den Tagesspiegel mit einem kritischen Blick “vom richtigen und falschen Gedenken”:

http://www.tagesspiegel.de/politik/ruanda-tagebuch-2-vom-richtigen-und-falschen-gedenken/9435046.html

Hinweise zu Filmen über den Völkermord in Ruanda im Film finden sich in einem Beitrag auf “Lernen aus der Geschichte”: http://lernen-aus-der-geschichte.de/

Speziell zum Film „Hotel Ruanda“ bietet Amnesty ein kurze Handreichung mit Unterrichtsideen als PDF zum Download an: http://www2.amnesty.de/

Bereits von 2011 hat Julia Viebach für BpB über Ruanda für die BpB geschrieben:http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68826/gedenken-an-genozid-in-ruanda-07-04-2010

Dort findet sich auch ein Beitrag von 2010 über das Gedenken an den Genozid in Ruanda: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68826/gedenken-an-genozid-in-ruanda-07-04-2010

Für eine tiefere historische Kontextualisierung und Ursachenforschung sollte auch die deutsche und später belgische Kolonialherrschaft bearbeitet werden. Im Hinblick auf den Genozid relevant ist die gegenseitige Wahrnehmung sowie insbesondere die durch die Kolonialmächte erfolgte und festgeschriebene Einteilung der Bevölkerung in Hutu und Tutsi.

Arbeitsblatt zur Ankunft der ersten Deutschen in Ruanda und der gegenseitigen Wahrnehmung

https://geschichtsunterricht.wordpress.com/2009/07/12/deutsche-kolonialherrschaft-in-ruanda/

Kurzer Überblick zur Genese und Entwicklung der Zuschreibungskonstruktion von Hutu und Tutsi von Johannes Scheu: http://www.exc16.de/cms/ruanda.html

Ausführlicher Simone Paulmichl (1998, PDF): http://www.gsi.uni-muenchen.de/forschung/forsch_zentr/forschung_3_welt/arbeitspapier/ap26.pdf

DW-World Dossier: 50 Jahre Unabhängigkeit – Afrika und das koloniale Erbe

„17 afrikanische Kolonien erreichten vor 50 Jahren ihre Unabhängigkeit. Die europäischen Kolonialherren übergaben die Macht an Afrikaner. Das große Jubiläum – ein Grund zum Feiern?“ Das Online-Dossier der Deutschen Welle nähert sich mit zahlreichen Artikeln und Hörbeiträgen der  politischen Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents aus verschiedenen Perspektiven.

Zeitleisten im Unterricht: Beispiel Genozid Ruanda

Als gelungenes Beispiel sei hier auf eine französischsprachige Zeitleiste zum Genozid in Ruanda verwiesen. Die Zeitleiste deckt den Zeitraum zwischen 1990 und 2005 ab und führt die wichtigsten Etappen und Gruppen des Konflikts inklusive der unmittelbaren Vorgeschichte und den bisher erfolgten Gerichtsprozessen auf. Die Zeitleiste ist übersichtlich gegliedert und lässt sich gut im Unterricht zur Orientierung einsetzen. Eine deutschsprachige Chronologie des Völkermords findet sich auf den auch ansonsten sehr informativen Seiten von Arte zum Thema, die im April zum 15. Jahrestag einen Themenschwerpunkt angeboten haben.

Mit der Anwendung ligne du temps lassen sich zur Zeit auf Französisch, demnächst auch in einer englischen Version eigene Zeitleisten erstellen. Auf Englisch bietet sich zur Zeit xtimeline als Alternative an. Die Arbeit mit dieser Anwendung hat Alexander König auf lehrer-online kurz dargestellt. Einige didaktische Überlegungen allgemein zum Einsatz von Zeitleisten im Unterricht bieten die auch ansonsten sehr lesenswerten Seiten der Arbeitsgruppe Geschichte des Luxemburgischen Unterrichtsministeriums (histoprim).

Eine deutschsprachige Anwendung zur Erstellung von Zeitleisten habe ich noch nicht entdeckt. Wäre aber für den Unterricht in den meisten Klassen hilfreich. Für entsprechende Hinweise wäre ich dankbar.

Teachers wanted

EarthDay

Update (01/10/2009): Relaunch of the website classroom4.eu [does not exist anymore] on October, 10. Democracy & portraiture started.

Nevertheless, we are still looking for teachers and classes to participate in this school year’s classroom4.eu-project:

What is this classroom4.eu-project about?

It’s an internet based project wanting to create a complentary website with (hi)stories from different regions in Europe giving regional perspectives on the big themes treated in the book (see below) and showing the supranational and interregional links in the development of a common European culture.

What is the reason for the project?

A textbook for upper secondary schools about European civilization by the European Academy of Yuste under direction of Abram de Swaan, published in june 2010. For the members of the Academy see also  the  homepage of the Fundación Academia Europea de Yuste in Spain.

What’s innovative about the book?

A very different approach to history, a complete crossover to the national histories we teach until now, restructuring and focussing European history in some artistic and scientific developments, like e.g. democracy, portrait painting, the lens.

How are we going to work?

Interested teachers will work in small groups to pilot the project on different themes. They will use eTwinning for communication and look with their students for relations in their regions to the big themes and investigating, writing and publishing stories on the classroom4.eu-website, maybe in addition also working materials as sources and photos. The language of communication will be English, but students can publish their work in one of six languages of the European Union, e.g. also French, German or Polish. As tool for work and communication we will use a virtual classroom on eTwinning.

How long are we going to work?

The first phase is going to take place from the beginning of the new school year in september 2009 to the publishing of the book in june 2010. Then, we will decide on if and how to continue, hopefully, the project being a success we can turn the website in a long lasting professional tool for history and language teachers from all over Europe. For more information see the homepage of the project.

Deutsche Kolonialherrschaft in Ruanda

Bis 1916 gehörte Ruanda zu Deutsch-Ostafrika. Das Arbeitsblatt versucht den afrikanischen Stimmen einen Raum zu geben und sie mit den offiziellen Berichten der Europäer in Kontrast zu setzen.

Dies scheint immer noch weitgehend ein Manko der Darstellung der afrikanischen Geschichte in deutschen Geschichtsbüchern. Auch die Kritik an Kolonialismus und Imperialismus bleibt auf die europäische Perspektive beschränkt. Die „wilden Schwarzen“ werden zu „armen Opfern“ europäischen Expansionsdrangs bleiben aber weiterhin nur Objekte europäischer Geschichtsdarstellung.

Die Reichsflagge wurde in Ruanda zunächst von Forschungsreisenden gehisst. Auf der Berliner Konferenz war Afrika zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt worden. Zur Erkundung künftiger „Schutzgebiete“ setzte die Regierung und die Deutsche Geographische Gesellschaft Offiziere private Reisende ein. Die Berichte, die diese Männer über Afrika lieferten, beeinflussten die spätere deutsche Kolonialverwaltung sehr stark.

Das Arbeitsblatt stellt den Versuch da, am Beispiel Ruandas die Darstellung der Kolonialzeit um die afrikanische Perspektive im Sinne einer Multiperspektivät zu ergänzen. Dabei wird in dem kurzen Textausschnitt die Handlungsstrategien der Ruander deutlich, die den Deutschen keineswegs so „naiv“ begegneten, wie die Berichte der Deutschen suggerieren.

Auch die Relatitivät der Zuschreibung von schwarz und weiß als konträre Hautfarben kann durch die ruandische Wahrnehmung der Deutschen als „rote Männer“ thematisiert werden. Vertiefend bietet sich anschließend eine kritische Diskussion der Hamitentheorie sowie der Erfindung der Tutsi als „Rasse“ mit hellerer Hautfarbe an.

Download Arbeitsblatt Kolonialherrschaft Ruanda


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