Nächste Woche startet die Vortragsreihe „Clio im Cyberspace“ an der Universität Koblenz. Organisiert ist die Vortragsreihe in Zusammenarbeit des Instituts für Geschichte und des Zentrums für Lehrerbildung. Es freut mich sehr, dass die Uni Koblenz sich des Themas annimmt. Die Vorträge geben – wie im Untertitel angekündigt – aus verschiedenen beruflichen Perspektiven Einblicke auf den Zusammenhang von „Geschichte“ und Digitalisierung. Auf Einladung von Herrn Dr. Grieshaber, der bei uns an der Schule auch mit Studierenden ein Projekt zur Globalgeschichte durchführt, werde ich zu Beginn der Sommerferien auch einen Vortrag halten, der sich mit der Frage nach Veränderungen durch digitale und digitalisierte Quellen im Geschichtsunterricht und in Schulbüchern auseinandersetzen wird. Mehr Informationen zur Vortragsreihe gibt es im Flyer, der hier als PDF heruntergeladen werden kann.
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Was ist eigentlich „deutsche“ Geschichte?
Schaut man sich einzelne Debatten in den Sozialen Medien der letzten Wochen an, dann scheint einige Verwirrung zu herrschen, was „deutsche Geschichte“ eigentlich meint. Überraschend ist das eigentlich nicht, wenn man einen Blick auf die Alltagssprache wirft, wo die meisten Menschen schon für die Antike von „Griechenland“ und „Italien“, im Mittelalter von „Deutschland“ und „Frankreich“ sprechen. Dem zugeordnet wird dann das entsprechende Adjektive, also die „deutsche“ oder „griechische“ Geschichte und damit eine Zugehörigkeitsrelation eröffnet („Das gehört zu ‚uns‘.“), die vor allem dann besonders missverständlich und letztendlich auch falsch ist, wenn sie sich mit der Vorstellung eines durchgängig existierenden „Volkes“ verbindet – also die alten „Germanen“ als „Vorfahren“ der heutigen Deutschen ansieht. Wie populär diese Vorstellung ist, zeigen beispielhaft die Cover des Magazins „Spiegel“.
Die mit dem modernen Staatsbegriffe verbundenen Konzepte von Land, Staat und Nation werden weitgehend anachronistisch in die vergangenen Zeiten übertragen und erschweren sodas Verständnis historischer Entwicklungen und Veränderungen, wie z.B. des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation).
Der Gebrauch des Wortes „Deutschland“ dient also nicht nur zur geographischen Orientierung im Sinn von „im Gebiet des ehemaligen oder heutigen deutschen Staates“ gelegen, sondern impliziert die Idee einer ahistorischen Kontinuität eines bestimmten Territoriums mit gemeinsamer Sprache und Bevölkerung.
Diese problematische Wortbedeutung findet sich nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch bei Historikern. Ausgehend vom übersetzten Quellenbegriff „die Deutschen“ bei einem Chronisten schreibt z.B. Nonn: „Seit jener Zeit wurde der Name der Deutschen bei den Galliern missachtet.“ Er spricht von „patriotischer Begeisterung“ und setzt das Reich mit dem nicht existierenden „Deutschland“ gleich: „[…] das Königtum in Deutschland [sic!] [verlor] seit der Doppelwahl von 1198 zunehmend an Bedeutung“. Diese anachronistische Verwendung von „Deutschland“ unterstützt die Vorstellung einer kontinuierlichen Nations- und Staatsvorstellung. Diese Sichtweise deckt sich weder mit den Quellenbegriffen noch mit den historischen Gegebenheiten des „römischen Reichs“, das erst später den Zusatz „deutscher Nation“ erhalten sollte, und postuliert zum anderen eine Kontinuität, die der prinzipiellen Offenheit historischer Entwicklung grundlegend widerspricht. Schiller stellte bereits treffend in einem unvollendeten Gedicht fest: „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge.“
Der Begriff „die Deutschen“ hat seinen Ursprung eigentlich als Fremdbezeichnung von Aßen für die Bewohner des (Kaiser-) Reiches nördlich der Alpen. Der Begriff, der zwar aus den Quellen stammt, kann allerdings wie oben schon ausgeführt, zu Missverständnisse führen, wenn der historische Begriffswandel nicht berücksichtigt wird. Die Wörter „deutsche“ und „die Deutschen“, die sich in den Quellen finden, dürfen mit ihrer heutigen Bedeutung gleichgesetzt werden. Im frühen und hohen Mittelalter ist mit „den Deutschen“ nicht ein Volk gemeint.
Als „Völker“ galten vielmehr Gemeinschaften der Herzogtümer wie die Sachsen oder Thüringer. So stellt auch Weinfurter in der Einleitung zu seinem Werk über das Reich im Mittelalter fest, dass dieses nicht „deutsch“ in einem modernen Sinn war und man daher im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auch nicht von einem „deutschen Reich“ sprechen kann. Noch die Goldene Bulle weist 1356 auf „die Vielfalt der Sitten, der Lebensweisen und der Sprachen“ des Reiches hin (Cap. XXX § 1). Gleichzeitig wird festgelegt, dass zukünftige Fürsten in den Sprachen des Reiches zu unterrichten seien. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts taucht dann für das Reich die Formulierungen „heiliges Reich und Teutsche gezunge“ oder „reich und deutsche landen“ auf. Dabei steht das deutsche Wort „gezunge“ zunächst als Übersetzung des lateinischen „natio“. Ab den 70er Jahren desselben Jahrhunderts findet sich der Zusatz „deutscher Nation“ an den Reichstitel angehängt, also eines Reiches, in dem vorrangig deutsch gesprochen wird.
Der Begriff Volk besitzt eine Doppelbedeutung: nämlich zunächst in einem ethnischen Sinne, in dem „Volk“ als Synonym von Ethnie verstanden werden kann. Die ist die ursprüngliche, ältere Bedeutung des Wortes. Gemeint ist damit eine Abstammungsgemeinschaft, eine imagniert homogene Bevölkerung mit gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte. In dieser Bedeutung steht auch das ursprüngliche lateinische natio. Der zweite Sinn des Wortes ist neuer und politischer Art: Er bezeichnet die Bevölkerung eines Staates, im Sinne eines Staatsvolkes, also einer Nation. Diese muss aber nicht unbedingt dieselbe Sprache, Kultur, Religion oder Geschichte teilen.
Durch diese Doppelbedeutung kommt es zu Unklarheiten und Ungenauigkeiten, so dass oft auch „Nation“ als Begriff für den Staat oder das Land verwendet wird. Problematisch ist gleichfalls, dass bis in neuere Forschungsarbeiten hinein, neben der ungenauen Verwendung des Nationsbegriffs oft eine Vermischung der Begriffe „Volk“ und „Nation“ zu finden ist. Die frühmittelalterlichen Ethnogenese wird teilweise bereits als Nationsbildung beschrieben, was ganz der Geschichtskonstruktion entspricht, die der Nationalismus selbst hervorgebracht hat und die offenkundig ein Deutungsmuster darstellt, das bis heute wirkt.
Von „Deutschland“ und der „deutschen Geschichte“ im engeren Sinn kann eigentlich erst mit der Staatsgründung von 1871 gesprochen werden. So wird übrigens auch in der Reichsverfassung von 1871 „Deutschland“ als alternativer Begriff synonym für „Deutsches Reich“ verwendet.
Werden diese Begriffe auf die Zeit vor 1871 angewendet, so können sie nur eine räumliche Zugehörigkeit beschreiben: Die damit identifizierten Personen, Ereignisse oder Institutionen haben „auf dem Gebiet des heutigen Deutschland“ (bzw. den Gebieten, die zwischen 1871 und heute zu Deuschland gehört haben) gelebt, sich ereignet oder bestanden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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Zitierte Literatur:
Nonn, Ulrich, „Die Entstehung der französischen Nation im frühen Mittelalter“, in: Koblenzer Beiträge zur Geschichte und Kultur 5 (1995), S. 33-50, hier: S. 50.
Schiller, zitiert nach Safranski, Rüdiger, Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 176.
Weinfurter, Stefan, Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500-1500, München 2008, S. 8, 204, 220.
„Der Patriotismus verdirbt die Geschichte.“ (Goethe)
Im heutigen Sprachgebrauch finden wir Nationalismus in der Regel aufgefasst als eine Ideologie, die die Interessen der eigenen Nation rücksichtslos über alles andere setzt. Auch in einer älteren Auflage des Brockhaus wird der Begriff als „übersteigerte, intolerante Form des Nationalgedankens“ definiert.1 Dieses negative Verständnis entspricht aber weder dem wissenschaftlichen noch dem historischen Gebrauch des Begriffs.
Gellner z.B. definiert Nationalismus als „politisches Prinzip, das die Übereinstimmung von ethnischen und staatlichen Grenzen erheischt“.2 Damit geht der Nationalismus in seinen Forderungen über das Ziel der reinen Staats- und Nationsbildung hinaus. Als politische Bewegung sieht der Nationalismus im Nationalstaat, der nach innen Homogenität3 und nach außen Autonomie anstrebt, die höchste Organisationsform menschlicher Gesellschaften.4 Für die Übergangszeit in der Entstehungsphase der Nationen lässt sich der Nationalismus auch als eine „Ideologie, die Zerfall und Zerstörung der überlieferten Ordnung legitimiert und an deren Stelle etwas Neues setzen will“5 charakterisieren. Hierbei wird schon deutlich, dass man beim Phänomen des Nationalismus unterscheiden muss zwischen seinem Auftreten vor der Einrichtung eines Nationalstaates und in einem existierenden Nationalstaat.
Synchrone Bedeutungsvielfalt
Allgemein gilt, dass Nationalismus „eine besondere Art ist, die Welt zu sehen und zu interpretieren, ein Referenzrahmen, der uns hilft, der uns umgebenden Realität Sinn zu geben und diese zu strukturieren.“6 Allerdings lässt sich das Phänomen nicht auf den Aspekt der Ideologie beschränken. Geläufige wissenschaftliche Vorannahmen in Bezug auf das Wesen des Nationalismus beschreiben diesen als Gefühl, Identität, soziale Bewegung und historischen Prozess.
Eine Beschränkung auf einen dieser Aspekte ist weder möglich noch sinnvoll. Je nach wissenschaftlicher Fragestellung kann es allerdings sinnvoll sein, einen dieser Aspekte zu betonen oder herauszugreifen. Die anderen deshalb aus einer allgemeinen Definition auszuschließen wäre hingegen falsch.7 Die Wandlungsfähigkeit und Vielfalt des Begriffs betont auch Kocka. Er definiert Nationalismus „als Bezeichnung für ein Ensemble kollektiver Einstellungen, Identifikationen (mit Nation und Nationalstaat) und Verhaltensweisen, das in verschiedenen historischen Situationen unterschiedliche Wirkungen hat und zu unterschiedlichen Wertungen herausfordert.“8
Der moderne Nationalismus vor der Errichtung von Nationalstaaten war zunächst eine Emanzipationsideologie, deren Forderung nach einem Nationalstaat mit dem Willen zum Umbau der überlieferten Gesellschafts- und Staatsordnung verbunden war. Diese sollte egalitärer aufgebaut sein, wobei durchaus der Ausschluss durch Ausgrenzung bis hin zur physischen Vernichtung Teil dieses Umbauprogramms und damit Teil des nationalen Bewegung sein konnte.9 Ausgehend von diesem negativen Element definiert Dann Nationalismus in einem vor allem negativen Sinn als „politisches Verhalten, das nicht von der Überzeugung der Gleichwertigkeit der Menschen und Nationen getragen ist, sondern intolerant einzelne Völker und Nationen als minderwertig oder als Feinde einschätzt und behandelt“10. Er sieht den Nationalismus als Gefährdung des bei ihm positiv besetzten „Patriotismus“.11 Diese gängige, oft zitierte begriffliche Zweiteilung in einen vermeintlich positiven Patriotismus12 und einen negativen Nationalismus lässt sich aufgrund der historischen Forschungsergebnisse allerdings nicht aufrecht halten.13
Der Nationalismus als historisches Phänomen und seine Entwicklung
War der Nationalismus zunächst im 18. Jahrhundert in den vormodernen Staaten ein Mittel der Herrschaftsintensivierung und des Verstärkens von historischen gewachsenen Loyalitäten,14 wurde er gegen Ende des Jahrhunderts zu einer antiständischen, egalitären Befreiungsideologie. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Nationalismus und mit ihm dann der Nationalstaat zum bestimmenden Herrschaftsmodell in Europa und führte zu grundlegenden Veränderungen der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung des Kontinents.15 In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts trat mit dem sogenannten integralen Nationalismus eine neue Form auf: Innenpolitisch wurde der Nationalismus nun vom Nationalstaat oder einzelnen Gruppen „ideologisch systematisiert und propagandistisch organisiert“16 mit dem Ziel, ein gesteigertes, radikalisiertes nationales Verhalten bei der breiten Bevölkerung zu erwirken.17 Außenpolitisch ist ein weltweites Ausgreifen des Phänomens im Zuge des Imperialismus zu beobachten. Der Nationalismus wurde dann während der Entkolonialisierung wieder zu einer Befreiungsideologie und entlegitimierte die imperialistischen Machtansprüche der europäischen Staaten, was letztendlich zur weltweiten Durchsetzung des Nationalstaatprinzips führte.18 Während der Nationalismus in Europa nach dem 2. Weltkrieg zunächst als nicht mehr bedeutsam galt19, kehrte er seit den 70er Jahren als Befreiungsideologie nach Europa zurück20, als der alte Kontinent in vielen Regionen das Entstehen nationalistischer, teilweise separatistischer Bewegungen (u.a. Basken, Korsen, Flamen) und seit dem Ende der Sowjetunion eine nicht für möglich gehaltene Rückkehr des Nationalismus erlebte, die sich u.a. in Form von Regionalisierung und Dezentralisierung sowie sogar in Bildung neuer Nationalstaaten, wie z.B. des Kosovo – um nur das aktuellste Beispiel zu nennen – niederschlugen.21
Funktionale Begriffsbestimmung
Funktionalistisch betrachtet entspricht der Nationalismus als Gefühl der an Wachstumslogik orientierten Industriegesellschaft. Der einzelne wird zu permanenter Leistung und Anpassung gezwungen, ohne dass entsprechende der neuen gesellschaftlichen Realitäten Sinnsetzungen geboten werden. Der Nationalismus erfüllte genau diese Funktion, in dem er ein Identifikationsangebot machte und so die isolierten Individuen der auseinanderfallenden Industriegesellschaft in Verbindung und einen größere Zusammenhang setzte.22
Einen anderen Ansatz zum Verständnis des Nationalismus bietet Hearn. Für ihn ist das gesellschaftliche Streben nach Macht zutiefst menschlich. Er sieht dieses Streben als überhistorisch und den meisten menschlichen Vorgehensweisen zu Grunde liegend.23 Auf dieser anthropologischen Prämisse definiert er Nationalismus „nur“ als eine besondere, in hohem Maße moderne Art, nach Macht zu streben. Wobei der Nationalismus aus anderen Dimensionen gesellschaftlicher Organisation von Macht hervorgeht und zugleich diese für sich beansprucht.24 Folgt man dieser Argumentation, dann ist es verkehrt anzunehmen, dass Nationalismus der Suche nach nationaler Identität entspringt. Nationalismus hat vor allem etwas mit Macht zu tun. Kultur, Identität und andere im Phänomen des Nationalismus enthaltene Aspekte spielen demnach nur eine untergeordnete Rolle.25 Zwar ermöglicht die Untersuchung dieser anderen Aspekte Erkenntnisse über den Nationalismus, aber um zu einem tieferen Verständnis des Nationalismus als historischem Phänomen zu gelangen, ist der Stellenwert der Nation und des Nationalismus in der Moderne zu bestimmen.26
Resümee Nationalismus
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Nationalismus ist ein modernes und gesamteuropäisches Phänomen. Man kann ihn unter drei Schwerpunkten untersuchen: als Ideologie, Gefühl oder politische Machtstrategie. Die Konzentration auf die politische Modernisierung als historischem Prozess kann das Entstehen von souveränen und territorial klar umgrenzten Staaten als Teil eines Systems konkurrierender Staaten erklären. In einer Anfangsphase ist nationalistische Politik oppositionelle Politik, die auf eine Umwälzung, eine Modernisierung des Staates zielt. Erst in einer zweiten Phase, nach Erreichung eines Nationalstaates, wird sie zu einer systemerhaltenen Kraft. Mit dieser Definition lassen sich verschiedene Ausprägungen von Nationalbewusstsein und national(istisch)en Bewegungen vergleichen und untersuchen.27
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1 Zitiert nach Alter (1985), S. 11f.
2 Vgl. Asendorf (1994), S. 456.
3 Siehe Fußnote 70 (Eingrenzung/Ausgrenzung Langewiesche).
4 Asendorf (1994), S. 456. Breuilly kann sogar 12 Klassifikationen von verschiedenen Nationalismen unterscheiden, je nachdem ob sie sich gegen bestehende Nationalstaaten richten, auf Separation, Reform oder Unifikation zielen, siehe Breuilly (1999), S. 24f.
5 Langewiesche, Nation (2000), S. 43.
6 Özkirimli (2005), S. 30.
7 Hearn (2006), S. 6f.
8 Kocka (2001), S. 82.
9 Langewiesche (2000), S. 22.
10 Dann (1997), S. 83.
11 Ebda.
12 Vgl. die deutsche „Patriotismus“-Debatte vom Ende der 1990er Jahre bis heute, so z.B. in Aus Politik und Zeitgeschichte 39 (2004), der Sammelband zur „Leitkultur“-Diskussion, ders Mitte 2006 auf Einladung des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zustande kam (siehe Lammert (2006)) oder die Essay-Reihe „Schwarz-Rot-Gold“ des Deutschlandfunks, die nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 auch in zahlreichen Tageszeitungen abgedruckt wurde. Einen Überblick über die Debatte und die Entwicklung des empirisch erhobenen Nationalgefühls während des Sommers 2006 bieten Ahlheim/Heger (2008), S. 44ff.
13 Langewiesche, Nation (2000), S. 43f; Nonn (2007), S. 216f.. So auch Breuilly (1999), S. 239, der diese Dychotomie gut vs. schlecht als eher moralisch denn als analytische Unterscheidung qualifiziert. Eine aktuelle empirisch soziologische Begründung des Zusammenhang von Nationalismus und Exklusionsmechanismen bei Ahlheim/Heger (2008), S. 51ff., zusammenfassend S. 95f.
Die Schwierigkeit dieses Begriffes (und seiner Unterscheidung) zeigt sich auch, wenn eine wissenschaftliche Expertenkommission den Begriff ‚Nationalismus’ vermeidet und „jene Fragen, die eben den nationalistischen Aspekt rechtsextremer Ideologie erfassen [sollten], lieber unter dem Oberbegriff ‚Chauvinismus’“ zusammenfasst. Siehe Ahlheim/Heger (2008), S. 25.
14 Siehe die Untersuchungen zum Siebenjährigen Krieg Burgdorf und Planert.
15 Langewiesche (2000), S. 36f.
16 Dann (1997), S. 84.
17 Ebda.
18 Langewiesche (2000), S. 37.
19 Siehe dazu z.B. Alter (1985), S. 129ff.
20 Für die „National“-Staaten, die sich aus dem Erbe der Sowjetunion bildeten gilt analog folgende Analyse zur Ukraine: „Die Idee der Nation bildet die zum totalitären sowjetischen System und zu den autoritären Tendenzen im postsowjetischen Raum. Der patriotische und zugleich prowestliche Intellektuelle ist ein auch für andere Staaten des östlichen Europas typisches Phänomen, das sich dem westeuropäischen Leser nicht immer leicht erschließt. Das Konzept der Nation wurde hier zur Grundlage einer imaginierten, aus kulturellen Traditionen schöpfenden Solidargemeinschaft, die half, Lasten der Transformation beim Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft zu tragen und zu rechtfertigen.“ Jilge (2005), S. 172.
21 Breuilly (1999), S. 320f., Langewiesche (2000), S. 37ff.
22 Asendorf (1994), S. 457. Vgl. auch Gellner (1983), der im Aufkommen des Nationalismus eine enge Verzahnung mit Urbanisierung und Industrialisierung sieht.
23 Das Zitat im Originallaut; „I see the social quest for power as the normal mode of human affairs, one that is transhistorical and behind most human procedures“. Hearn (2006), S. 169.
24 Hearn (2006), S. 169: „I view nationalism as a particular, largely modern way of pursuing power, one that arises out of, and seizes upon, other dimensions of social organization of power.” Vor allem als politische Strategie hat auch schon Breuilly den Nationalismus beschrieben. Vgl. Breuilly (1999), S. 13ff.
25 Breuilly (1999), S. 13.
26 Breuilly (1999), S. 253.
27 Breuilly (1999), S. 268.
„Wir haben Italien geschaffen, jetzt müssen wir Italiener schaffen.“ (Massimo d’Azeglio)
Typenbildung
Die Wissenschaft hat seit dem Beginn der Beschäftigung mit dem Phänomen versucht, Typen von Nationen zu bilden und die unterschiedlichen Formen in Kategorien zu ordnen. Alle Versuche typisieren Nationen über ihren Ursprung bzw. ihre Entstehung. Die von der Forschung herausgearbeiteten Nationsmodelle sind eher Idealtypen, denen in der Realität allenfalls Mischformen entsprechen.1
Die drei Typen nach Schieder
Nach Schieder sind drei Typen von Nationen zu unterscheiden:2
1) Staatsbürgerliche Willensgemeinschaften, wie er sie in England oder Frankreich durch revolutionär-demokratische Gründung, also durch Transformation des Bestehenden verwirklicht sah;
2) Nationen, die durch Unifikation zustanden kamen, und oft in der Einigungsbewegung kulturnationale Elementen betonten, die gegen das Gewicht der Einzelstaaten stand, wie z.B. in Italien oder Deutschland;
und schließlich
3) Nationen, die durch Sezession oder Unabhängigkeitsbewegungen aus Vielvölkerstaaten hervorgingen. Als Beispiele könnte man hier Belgien, Griechenland oder Ungarn nennen.3
Schieder unterscheidet diese Typen mit Hilfe eines hervortretenden, distinktiven, nicht eines ausschließlichen Merkmals und unterscheidet sich damit von älteren Typologisierungsversuchen. Ihm gelingt es damit trotz der vorhandenen Mischformen Nationalstaaten durch ihre Entstehung deutlich voneinander zu trennen und damit der historischen Analyse ein wichtiges Werkzeug an die Hand zu geben. Gleichzeitig impliziert seine Kategorienbildung die Nation als modernes Phänomen.
Ältere Typologisierungsversuche: Kultur- vs. Staatsnation
Während man bei der Entstehung der Nationalstaaten eine zeitliche Staffelung in Europa von West nach Ost ausmachen kann, sollte man diese nicht mit der älteren Unterscheidung nach Nationstypen vermischen.4 Eine Trennung von Kultur-/Sprach- und Staatsnationen und in diesem Sinne ‚alten’ und ‚neuen’ Nationen kann nicht aufrecht erhalten werden.5 Für die historische Analyse territorialpolitischer Machtansprüche und Aggressionen ist sie auch nicht hilfreich, sie ist jedoch grundlegend für Geschichte und Verständnis des Nationsbegriffs.6 Die immer noch weit verbreitete Unterscheidung zwischen Staats- und Kulturnation geht einerseits bereits zurück auf Herder und andererseits insbesondere auf Meineckes Buch „Weltbürgertum und Nationalstaat“ von 1907.7 Diese Typologie stammt also aus der Hochzeit des Nationalismus. So wenig hilfreich und wissenschaftlich fragwürdig diese Unterscheidung ist, da z.B. Frankreich sich auch schon im 19. Jahrhundert sehr stark über den Kulturaspekt definiert8, hält sie sich bis heute in der Alltagsvorstellung ebenso hartnäckig wie in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte um Nationen und Nationalismus. Darüber hinaus ist die historische Wirkmächtigkeit dieser Unterscheidung festzuhalten, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung besonders des deutschen Nationalbewusstseins gespielt hat.9
Eine Fehlinterpretation ist es, davon auszugehen, dass es Nationen gebe, die bei ihrer Gründung lediglich zu jahrhundertealten nationalen Identitäten ihrer sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Gemeinschaft zurückkehrten. Damit würde man nichts anderes tun, als eben genau die nationalistische Ideologie, die diese Kontinuitäten konstruiert, zu übernehmen und fortzusetzen.10 Dass Sprache und Kultur keine hinreichende Bedingung für die Nationsbildung bieten, hat schon Rénan Ende des 19. Jahrhunderts gesehen und formuliert.11 Als Beispiel konnte er die Schweiz anführen, die mit ihrer Sprachenvielfalt auch eine Nation gebildet hat. Rénan wandte sich ebenso gegen Rasse, Religion, gemeinsame Interessen oder natürliche Grenzen als Grundlage der Nationsbildung. Stattdessen hat er besonders den Willen zur Einheit, zur Bildung einer Gemeinschaft hervorgehoben.12 Folgerichtig bezeichnete er Nationen auch als „principe spirituel“, als geistiges Prinzip.13
Der primordialistische Ansatz
Der auch als primordialistisch – oder mit anderer Schwerpunktsetzung als ethno-nationalistisch – bezeichnete Forschungsansatz betont hingegen die vermeintlich „natürliche“ Genese der Nationen und ihre vormoderne Entstehung. Aber gerade die in diesem Ansatz herausgehobenen Faktoren Kultur und Sprache sind in hohem Maße Kunstprodukte, die ihre Ausformung zumeist erst im 19. Jahrhundert erlebten14 und die in der Regel gleichzeitig mit einer Unterdrückung von alternativen Ausdrucksformen, wie z.B. Dialekten und Regionalsprachen, einhergingen.15 Daher kann man mit Hobsbawm sagen, dass die Sprache eher kennzeichnend ist für die ideologische Konstruktion durch Staat und Bildungssystem.16 Dabei geht es vor allem um das (künstliche) Herstellen nationaler Homogenität, das nach den genannten Prinzipien von Integration und Ausgrenzung funktioniert.17
Auch wenn Traditionslinien, Kontinuitäten und eine Entwicklung des Begriffs seit dem Mittelalter nicht zu leugnen sind18, handelt es sich bei der Nation im modernen Sinn doch um ein grundlegend neues Phänomen.19 Für Staaten wie England oder die Niederlande, in denen kein Bruch, sondern ein Transformationsprozess stattfand, ist dieser Übergang schwieriger zu bestimmen als in Staaten, wo Staats- und Nationsbildung getrennt liefen wie z.B. in Deutschland oder Italien.20 Grundsätzlich ist Langewiesche zuzustimmen, wenn er in der nachrevolutionären Zeit eine scharfe Abgrenzung des modernen Nationalismus zu seinen Vorläufern sieht und das vor allem wegen des nun sich neu durchsetzenden allgemeinen Geltungsanspruches, der Breite der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Handlungsrelevanz für gesellschaftliche Gruppen und Entscheidungsträger. Jede kulturelle Praxis kann nur unter bestimmten Bedingungen entwickelt werden. Für die moderne Nation sieht Breuilly erst nach 1815 einen langfristigen Aufbau von Institutionen, die einen stabileren Zusammenhang für eine größere Beständigkeit der Konstruktion von Nationen bieten.21
Aufgrund der vorangehenden Überlegungen kann der ethno-nationalistische bzw. primordialistische Ansatz in dieser Arbeit vernachlässigt werden, um den Schwerpunkt der Darstellung auf die verschiedenen Aspekte des modernisierungstheoretischen Konzeptes zu legen.
Theorien zur Nationsbildung
Lange hat die Forschung gebraucht, um zu den grundlegenden Erkenntnissen Rénans zurückzufinden. Ein grundlegender Wandel in der wissenschaftlichen Diskussion trat mit dem Buch von Anderson22 ein, der die Bildung von Nationen als Imagination beschrieb, deren Bildung als kulturelle Erziehungsaufgabe (Literatur, Kunst, Volkslieder, Feste, Vereine usw.) angesehen wurde.23 Die Herausbildung der modernen Nationen brachte eine Normierung, teilweise gar erst Erfindung der „Nationalsprachen“ als Schriftsprachen mit sich. Eine zentrale Rolle spielte auch die Geschichtsschreibung als populäre Wissenschaft, die durch die kohärente Erzählung der Vergangenheit als nationale Vorgeschichte einen essentiellen Beitrag zur Legitimation der europäischen Nationen leistete.24
Prozess des nation-building
Fix gibt in ihrer Arbeit zum belgischen Staat eine Arbeitsdefinition zum nation-building: Dieses ist demnach ein „Prozeß, in dessen Verlauf politisch agierende Eliten auf einem gegebenen, klar abgegrenzten Territorium unter Umständen auch ethnisch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu integrieren versuchen […]“25. Klar kommt in der Definition der Konstruktionscharakter der Nation zum Ausdruck, wobei davon ausgegangen wird, dass eine Staats- der Nationsgründung vorangeht. Nach den neuesten Forschungsergebnissen hebt Fix die Rolle der Eliten zu einseitig hervor, da viele Gruppen auf unterschiedlichen Ebenen zur Bildung des Nationalbewusstseins beitragen und es kein einfacher, von oben nach unten gehender Instruktionsvorgang war.
Neben dieser soziokulturellen Faktoren findet Nationsbildung als Prozess auch wirtschaftlich und politisch statt, wobei – wie nachfolgend zu zeigen sein wird, von Anderson vernachlässigt – gerade die politische Dimension das „Fundament“ für den angestrebten Nationalstaat her- bzw. darstellt.26
Die Nation als „imagined community“ nach Anderson
Anderson beschreibt Nationen als „vorgestellte Gemeinschaften“.27 Dabei ist in diesem Diktum vor allem ein Widerspruch gegen jeden Versuch zu sehen, „die Nation als etwas überzeitlich Gültiges auszugeben, in grauer Vorzeit entstanden als die dem Menschen vermeintlich wesensgemäße Form des Zusammenlebens und deshalb auch in Zukunft verbindliches Orientierungsmaß“28. Darin liegt auch der große Gewinn von Andersons Thesen, die vereinfacht gesagt die Nation als eine gesellschaftliche Konstruktion sehen. Das ist – wie Langewiesche betont – für den Historiker eigentlich nichts Neues29, aber war in Vergessenheit geraten, da sich die Geschichtswissenschaft an der Konstruktion der Nation aktiv beteiligt hat und ein Teil der Literatur eben selbst „ein gewichtiges und oft folgenreiches Element von Nations-Bildungs-Prozessen“30 war.
Wie in einem der vorangehenden Beiträge bereits kurz beschrieben betonen Mediävisten stärker die Kontinuitäten, die Historiker der Neuzeit stärker die Brüche und Veränderungen. Jede Nationskonstruktion bezieht sich auf reale Begebenheiten.31 Geschichtlich wurde die Idee der Nation auch deshalb so wirkmächtig, weil sie ältere Traditionen nicht auslöschte, sondern diese durch Inkorporation neu ausrichtete. Die Sinnzuschreibung in diesem Prozess der gesellschaftlichen Konstruktion von Nationen erfolgte durch die Auswahl aus Vorhandenem. Man berief sich je nach Kontext der nationalen Bewegung z.B. auf die eigene Sprache oder Religion als vermeintlich objektive, distinktive Merkmale, um sich von anderen Gruppen abzugrenzen.32 Insofern verbietet sich eine strikte Trennung der beiden konträren Ansätze der Forschung. Gerade durch die Erforschung der vorhandenen bzw. gewählten Traditionslinien in Mittelalter und Früher Neuzeit lässt sich erklären, warum Staaten, Völker und gesellschaftliche Großgruppen sich zu Nationen und Nationalstaaten entwickeln konnten, warum einige Regionen eine stark ausgeprägte Identität besitzen und teilweise nationale Bewegungen entwickeln, andere aber wiederum nicht.33
Durchsetzung der Nation und Trägergruppen
Die Erfindung34 der modernen Nation erfolgt in einem Moment, als andere traditionelle Bindungen sich lösten, traditionelle Legitimationsverfahren nachhaltig in Frage gestellt waren und die nationale Gemeinschaft sozusagen als Ersatz an ihre Stelle treten konnte.35 Dabei wurde bei der Entstehung eines Nationalbewusstsein Bezug genommen auf bereits existierende Zugehörigkeitsgefühle, die als vor- oder protonational bezeichnet werden können.36
Bei der Beschreibung des nation-building als Konstruktionsprozess ergibt sich natürlich die Frage nach den Trägern dieses Vorgangs. Hilfreich ist hierzu die Einteilung dieses Prozesses in einzelne Phasen nach Hroch, die er aus der Untersuchung „kleinerer“ Nationen in Ostmitteleuropa gewonnen hat: In einer vornationalstaatlichen Phase sieht Hroch den Beginn der Ausbildung des Nationsgedankens in einer kulturellen Elitebewegung, die für eine Ausbreitung eines Nationalbewusstseins sorge. Diese nationale Suche wandelt sich noch vor Umsetzung des Nationalstaates in einer zweiten Phase zu einer politisierten Elitenbewegung, die erst in der dritten und letzten Phase zu einer Massenbewegung wird. Entscheidend ist dabei vor allem der Übergang von einem kulturellen zu einer politischen Projekt. Diesen Übergang bezeichnet er auch als „nationale Erweckung“.
Seine Forschungen zeigen darüber hinaus, dass die Intensität nationaler Bewegungen regional sehr unterschiedlich ausgeprägt war, dass junge Menschen in diesen Bewegungen überdurchschnittlich stark partizipierten und dass die Träger sozial äußerst heterogen waren und sogar in der ersten Phase nicht nur Akademiker sondern auch z.B. kleine Beamte umfassten.37
Hrochs Phasenbildung gilt nur für die Entstehungszeit der Nationen. Insgesamt betrachtet ist die Nationsbildung ein nie abgeschlossener, sondern beständig sich fortsetzender und verändernder Prozess.38 Das Nationalbewusstsein ent- und besteht nicht zu gleicher Zeit noch in gleicher Weise in allen Teilen der Bevölkerung. Die historische Durchsetzung in breitere Schichten erfolgte durch soziale Bewusstwerdung, Bildung und Emanzipation. Entscheidend war hierbei seit dem 18. Jahrhundert einsetzenden Veränderungen im Bereich der Kommunikation, die den Nationalismus als Massenphänomen erst ermöglichten. Diese Prozesse brachten auch Veränderungen in Inhalt, Wertsetzung und Ausdrucksformen des Nationalbewusstseins mit sich.39
Kultur und Macht
In einer Gegenüberstellung des modernisierungstheoretischen und primordialistischen Ansätze kritisiert Hearn zu Recht am letzteren vor allem die mangelnde Berücksichtigung der gesellschaftlichen Aspekte.40 Auch in der Analyse nationalistischer Symbole und Diskurse sieht er keine hinreichende Erklärung, da ihre Effizienz immer abhängig ist von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtstrukturen. Die Idee der Nation entwickelt sich im Kontext von komplexen Formen gesellschaftlicher Organisation und diese müssen dann folglich auch bei der Analyse berücksichtigt werden.
Hier sieht man seine Nähe zum modernisierungstheoretischen Ansatz. Allerdings lässt dieser für ihn die Fragen nach den Wurzeln und Ursprüngen der Nationsvorstellungen unbeantwortet. Aus diesen Problemen mit den eher als komplementär zu sehenden Theorieansätzen leitet Hearn die Forderung ab, sich intensiver mit den Konzepten von „Power“ und „Culture“ zu beschäftigen, die er als grundlegend für alle Arten von sozialen Beziehungen ansieht.41
Elemente der Nationsbildung
Trotz der synchronen und diachronischen Bedeutungsvielfalt innerhalb des Diskurses und der verschiedenen Träger (Eliten, Institutionen, Vereine usw.) kann man zusammenfassend vor allem die scharfe Abgrenzung von älteren (wissenschaftlichen) Vorstellungen zur Nation als etwas vermeintlich Überzeitlichem und natürlich Gegebenem festhalten. In der Forschung hat sich in einem langen Prozess die Vorstellung durchgesetzt, dass ein grundlegender Wandel im Nationsverständnis in einer Sattelzeit zwischen 1750 und 1850 stattgefunden hat, während der sich die Mehrzahl der modernen europäischen Nationen bildeten. Die Nationsbildungsprozess beinhaltet natürlich Rückbezüge auf ältere Epochen, die vor allem der Identitätsbildung, der Bildung eines Nationalbewusstseins dienen. Diese historische Konstruktion einer kohärenten, nationalen Geschichte bis in die mythische Vorzeit war so prägend, dass sie auch heute noch die Vorstellungen von Nation und ihren Entstehungsprozessen maßgeblich beeinflusst.
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1 Gies (1998), S. 24
2 Ursprünglich verbindet Schieder mit dieser Typologisierung sowohl eine geographische als auch eine zeitliche Staffelung. Für diese Einteilung lassen sich jedoch zu viele Gegenbeispiele finden, als dass sie aufrecht erhalten bleiben könnte. Schon Schieder selbst sieht sie ohne „letzte Präzision“ und „in Wirklichkeit vielfach abgewandelt. Schieder (1966), S. 71. Vgl. dazu auch Nonn (2007), S. 210ff. In reduzierter Form bleibt das von Schieder vorgelegte Schema nicht nur das bekannteste sondern auch das brauchbarste.
3 Schieder (1992), S. 8; Ders. (1966), S. 58ff.
4 Die Transformation der westeuropäischen Staaten scheint früher zu verlaufen, während einige der osteuropäischen Nationalstaaten erst nach dem Ersten Weltkrieg gegründet werden. Aber wie am Beispiel Polens zu sehen ist, kann die Nationsbildung schon sehr früh einsetzen, auch wenn die Bildung eines Nationalstaats erst sehr spät gelingt. Siehe dazu z.B. Kocka (2001), S. 83. Vgl. auch Fußnote 26 (Davies -> 1773!).
5 Diese Unterscheidung könnte ersetzt durch eine Abgrenzung von organischen und voluntaristischen Metaphern ersetzt werden.. So Breuilly (2002), S. 249.
6 Langewiesche, Nation (2000), S. 46. So auch Gies (1998), S. 22.
7 Kunze (2005), S. 27f.; Hirschi (2005), S. 33.
8 Arnaud sieht in Frankreich einen klaren Widerspruch zwischen der Betonung des strikten politischen Charakters der Nation in Frankreich, die aber zugleich immer auch ethnische und/oder kulturelle Kriterien implizierte. Arnaud (2006), S. 42. Er weist zu Recht darauf hin, dass die heutige sprachliche Einheit und das Nationalgefühl eine Konsequenz und nicht eine Ursache der politischen Einheit Frankreichs sind. Ebda., 46, 52.
9 Vgl. Dann (1997), S. 86. Zur Wirkmächtigkeit der Vorstellung vom „historischen Recht“ scheinbar objektiver, d.h. ethnisch definierter Nationen und ihrer Staatlichkeit in Südosteuropa siehe den Aufsatz von Sundhaussen (2007).
10 Breuilly (1999), S. 267.
11 Vgl. auch Nonn (2007), S. 194.
12 Rénan (1887), S. 298f.
13 Ebda., S. 305.
14 Vgl. z.B. auch die Geschichte des Dudens in Deutschland: Wolff (2004), S. 182ff.; Ernst (2005), S. 223ff.
15 Siehe z.B. auch die Geschichte der Durchsetzung der französischen Sprache. Die politische Bedeutung der Sprache während der französischen Revolution siehe zusammenfassend Busekist (1998), S. 34f; Wolf (1991), S. 144ff. Zum „Monopolanspruch“ der Nationalsprachen schon Schieder (1964), S. 95. Die Durchsetzung zentralistischer und vereinheitlichender Staats- und Nationskonzepte während der französischen Revolution siehe Hintze (1928).
16 Hobsbawm (2005), S. 72.
17 Langewiesche (2000), S. 49. Dies gilt auch für Eroberungen von weiteren Gebieten während oder nach Bildung der Nationalstaaten, vgl. z.B. den Umgang mit der polnischen Bevölkerung im Deutschen Kaiserreich oder dem eingegliederten Elsaß. Das Ab- bzw. Ausgrenzen des Fremden zielt neben der Feindbildkonstruktionen von anderen Nationen auch auf die Ausgrenzung von Gruppen im Innern, wie das im Deutschen Reich z.B. für die Katholiken, Juden oder Sozialisten der Fall gewesen ist. Ebda., S. 51ff.
18 Dabei handelt es sich vor allem um Elemente wie das Territorium, Volk als ethnische Mehrheit in späteren Nationen, aber auch Denkbilder und Stereotypen. Vgl. Kunze (2005), S. 40f.
19 Langewiesche (2000), S. 22ff. Vgl. auch Abschnitt „Seit wann gibt es Nationen?“.
20 Ebda., S. 27f.
21 Breuilly (2002), S. 253.
22 Anderson (2005), ursprüngliche englische Ausgabe von 1983. Grundlegend auch Gellner (1983). Der primordiale Ansatz entstammt dem Nationalismus selbst. Zur Verteidigung der primordialen Position siehe dagegen Smith (1998), Birnbaum (1998), S. 26f. oder Blanning (2006), S260ff. Dieser sieht z.B. eine Entwicklung des englischen Nationalbewusstseins (sic!) schon im frühen Mittelalter. Bei seiner Kritik an der Modernisierungstheorie zur Nationsbildung bezieht er sich vor allem auf den Ansatz von Adrian Hastings. Vgl. dazu: Rowe (2008).
23 Langewiesche, Nation (2000), S. 82ff. Die Thesen von Andersons (2005) grundlegenden Buch wurden mittlerweile ergänzt und teilweise korrigiert.
24 Schulze (1994), S. 176ff.
25 Fix (1991), S. 24.
26 Langewiesche, Nation (2000), S. 132, 235.
27 „Imagined communities“ so der Originaltitel des Buches von Anderson (2005).
28 Langewiesche (2003), S. 597.
29 Vgl. Langewiesche (2007), S. 20, 32.
30 Von Bredow (1996), S. 453.
31 Langewiesche (2003), S. 602: die Erfindung der Nation „ist immer auch Auffinden im Reservoir des historisch Vorgegebenen.“
32 Langewiesche (2007), S. 24, 32.
33 Kunze (2005), S. 40; Hearn (2006), S. 229; vgl. auch von Bredow (1996), S. 454.
34 „Erfindung“ beinhaltet bewusstes Handeln und lässt sich daher mit dem Konzept des „nation-building“ in Verbindung bringen. Vgl. Breuilly (2002), S. 248.
35 Hobsbawm (2005), S. 102.
36 Ebda., S. 59f.
37 Vgl. die Zusammenfassungen bei Nonn (2007), S. 204f.; Kunze (2005), S. 32ff.
38 Dann (1997), S. 82, verweist auch auf Rénan, der von der Nation als einem „plébiscite de tous les jours“ sprach. Rénan, (1887), S. 307. Siehe dazu auch die Arbeit von Billig (1995), der in seinem Buch Banal nationalism von einem „continual ‚flagging’ or reminding of nationhood“ spricht. Ebda., S. 8. Als ein Ergebnis seiner Untersuchung hebt er den konservativen Charakter dieses Prozesses in der heutigen Zeit hervor: „National identities are rooted within a powerful social structure, which reproduces hegemonic relations of inequity. Moreover, the nation-state is rooted in a world of such states.” Ebda., S. 175.
39 Dann (1997), S. 82.
40 Hearn (2006), S. 7. Busekist unterscheidet zudem noch eine dritte Gruppe: Im Französischen zusätzlich zu den modernistes und pérennialistes sieht sie noch eine Gruppe der fonctionalistes, vgl. Busekist (1998), S. 10-19. Breuilly (1999) unterscheidet gar vier verschiedene Gruppen: Neben dem primordialen, dem modernisierungstheoretischen und dem funktionalistischen macht er noch eine eigenen narrativen Ansatz aus. Ebda., S. 241.Gute zusammenfassende Darstellung des primordialistischen Ansatzes bei Hearn (2006), S. 20ff. Zur Verteidigung desselben siehe Birnbaum (1998), S. 26f.
41 Hearn (2006), S. 229ff.
„Die Nationen machen Europa aus, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Unterschiede und ihre Gemeinsamkeiten, und diese Nationen sind viel älter als die Nationalstaaten.“ (Joschka Fischer)
Wie alt sind Nationen?
Die Frage lässt sich so letztendlich nicht befriedigend beantworten. Wohl aber lassen sich Aussagen treffen über das Entstehen der Nationalstaaten. Zu deren Analyse wiederum ist es sinnvoll, die beiden, interdependenten Prozesse der Staatswerdung und der Nationenbildung zu unterscheiden.1 Nationen sind historische Phänomene und damit entgegen der allgemeinen Vorstellung „Erfindungen“ oder zumindest „Produkte“ der Geschichte.2 Das heißt, sie sind zu einer bestimmten Zeit entstanden (und nicht von Natur aus gegeben, sind nicht „Natürliches“ und bestehen nicht seit „Urzeiten“3) und unterliegen unterschiedlichen Wandlungs-prozessen. Zu unterscheiden sind ein vormodernes und ein modernes Verständnis von „Nation“, wobei sich der Wandel in Europa innerhalb einer Sattelzeit zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzieht.4
Voraussetzungen der Nationsbildung
Entgegen landläufiger Vorstellungen folgen Nationen – global betrachtet – häufiger der Errichtung eines Staates, als dass sie dieser vorangehen. Wobei jedoch die bloße Errichtung eines neuen Staates nicht ausreicht für die Schaffung einer Nation.5 Zu einem Massenphänomen wird die Nation und das Bewusstsein von ihr im 19. Jahrhundert.6
Schmidt sieht in der quantitativen Veränderungen im Vergleich zur Entwicklung seit dem Mittelalter das einzige distinktive Merkmal.7 Allerdings lassen sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch qualitative Veränderungen des Nationsbegriffs auf dem Weg hin zur Bildung von Nationalstaaten beschreiben, die den Begriff erst in seiner modernen Bedeutung erscheinen lassen8 und mit einer Nationalisierung der Lebenswelten- und Verhaltensnormen einhergehen.9
Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Kommunikationsrevolution dieses Jahrhunderts.10 Ebenso wichtig für die Bildung der modernen Nation war auf sozialer Ebene die Idee einer Staatsbürgergesellschaft, die (zunächst nur) alle Männer als rechtlich und politisch gleich verstand und damit einen Bruch mit den vormodernen Staatsformen darstellt.11
Der Begriff „Nation“ selbst ist älter12: In Mittelalter und Neuzeit gab es zwei Formen eines Zugehörigkeitsgefühls: 1) dynastisch-gentilistisch und 2) territorial. Dynastische Loyalität konnte, musste teilweise sogar nach heutigem Verständnis „international“ sein, wenn man sich z.B. das Vielvölkerreich der Habsburger anschaut. Erst wenn dynastisches und territoriales Zugehörigkeitsgefühl zusammenfielen, konnte schon in der Neuzeit eine Art Landespatriotismus entstehen, der als Vorläufer des Nationalbewusstseins angesehen werden kann. 13
Die Verwendung des Begriffs „Nation“ in der Vormoderne bezieht sich gleichfalls auf zwei Sachverhalte. Zum einen lässt sich ein territoriales Verständnis herausarbeiten, das also die Gemeinschaft von Menschen in einem gewissen (Herkunfts-) Gebiet und teilweise auch mit derselben Sprache bezeichnet, so z.B. an den mittelalterlichen Universitäten oder der Namensbildung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab dem 15. Jahrhundert. Diese Gemeinschaften wurde schon früh von den Humanisten in eine Kontinuitätslinie mit den alten Germanen, in engem Zusammenhang mit der Publikation von Tacitus’ Germania, gezogen, die die Identitätsbildung förderten und zeigen, dass die „Erfindung“ der Nation an sich kein modernes Phänomen ist.14
Zum anderen existiert auch in der frühen Neuzeit schon ein politischer Nationsbegriff, der sich jedoch nur auf einzelne Gruppen der Gesellschaft bezieht, wie z.B. die „Adelsnation“ der polnischen Krone. Politisch ist dieser Begriff insofern, als er Gruppen benennt, die Mitbestimmungsrechte im Staatswesen besitzen und sie damit von anderen Gruppen abgrenzt. Der Nationsbegriff ist in dieser Hinsicht also Teil der Ständegesellschaft mit ihren spezifischen Formen der Beteiligung an Herrschaft.15
Im Laufe des 18. Jahrhunderts werden dann diese beiden Pole des Nationsbegriffs in Deckung gebracht und auf die Gesamtheit des Volkes als Souverän ausgedehnt. Damit einhergehend vollzieht sich folgerichtig die Aufhebung der Ständegesellschaft und der Anspruch auf eine einheitliche Sprache in einem Territorium oder umgekehrt ein Territorium für eine vermeintliche Sprachgemeinschaft. Vor allem die sprachlichen und territorialen Ansprüche wurden historisch legitimiert und die Entstehung der spracheinheitlichen Nationsgemeinschaft in die Anfangszeiten der Geschichte, auf die alten Gallier und Germanen oder aber in die Zeit der frühmittelalterlichen Ethnogenese zurückdatiert.16
Im Vergleich der Reichweite des modernen Begriffs mit seinen vormodernen Vorläufern wird die Zäsur und die Modernität des Nationalismus deutlich, der seine entscheidende Prägung dadurch erhielt, dass die Nation den Anspruch auf den Höchst- oder Letztwert, auf die oberste Instanz und Legitimation der europäischen Gesellschaften erhob.17 Das heißt natürlich keineswegs, dass es keine anderen Identitätskonzepte in dieser Zeit mehr gegeben hätte. Die Nation trat vielmehr zum einen als weitere Teilidentität neben Familie, Klasse, Stadt, aber auch in Konkurrenz zur Kirche, was in vielen Ländern zu Kulturkämpfen führte, und wurde zu einer Art Religionsersatz, der in der Bereitschaft für die Nation Opfer zu bringen und gegebenenfalls im Krieg für sie zu sterben gipfelte.18
Ein erstes Buch, das diesen Einsatz für die Nation fordert, erschien bereits 1761 von Thomas Abbt mit dem Titel „Vom Tode für das Vaterland“.19 Damit einher geht die Errichtung nationaler Denkmäler, die einen Kult für die fürs Vaterland Gefallenen einleitet. Ein erstes Denkmal findet sich schon 1793 in Frankfurt am Main. Mit der zunehmenden Anonymisierung der Kriegsführung findet der nationale Gefallenenkult in den Massen von namenlosen Toten im Ersten Weltkrieg seine endgültige Ausgestaltung.20
Den deutlichen Wandel des Nationsbegriffs in der Sattelzeit unterstreicht das Entstehen der nationalen Symbole, die von den USA über Frankreich bis Deutschland allesamt in dieser Zeit kreiert werden, auch wenn ihre endgültige Durchsetzung wie z.B. im Falle der Marseillaise oder der schwarz-rot-goldenen Flagge weit darüber hinaus dauert. Die Einführung dieser Symbole markiert den Übergang von der vormodernen Ständegesellschaft mit ihren unterschiedlichen Orientierungspunkten zum modernen Nationalstaat, der rechtliche und politische Gleichheit verspricht und dessen Mitglieder sich außerhalb der alten Standesgrenzen am einheitlichen Wert der Nation als höchstem Gut ausrichten, die in diesen Symbolen ihre bildhafte Verkörperung findet.
Die Entwicklung des Begriffs verläuft also keineswegs geradlinig. So auch das Fazit Hirschis: „[…] die europäische Nationenbildung [ist] ein diskontinuierlicher Prozess von langer Dauer, in dem sich Phasen von Autonomisierung und Heterogenisierung ablösen.“21 Wobei er die deutliche Trennung eines modernen Nationalismus von vormodernen Formen ablehnt.22
Entstehung und Wirkung des Nationalstaats
Der moderne Nationalstaat setzt seine Ordnung auf dem gesamten Territorium durch und bringt eine unmittelbare Herrschaft, die universell und alltäglich wird – vom Dorfpolizisten bis hin zur Volkszählung – und damit im Gegensatz zu vormodernen Herrschaftsformen steht. Gleichfalls im Sinne dieses neuen durchdringenden Anspruchs stehen die Einführungen und Durchsetzung von Schul- und Wehrpflicht, einer Verkehrs- bzw. Nationalsprache und (das Versprechen einer) Demokratisierung. Die Umsetzung der Nationsidee ging also einher mit einem enormen Modernisierungsschub.23
Der Begriff des „Nationalstaates“ wird erst nach 1848 gebräuchlich und ist vorher in den Quellen nicht nachzuweisen.24 Für den Begriff der Nation ist der Wandel zur modernen Bedeutung jedoch trotzdem früher anzusetzen. Nach den neuesten Forschungen findet die Begriffsausbildung in einer „nationalen Sattelzeit“ statt, die grob zwischen 174025 und dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts anzusetzen ist.26 Insofern kann das Aufkommen des Nationalstaates als Begriff als Endpunkt und Abschluss dieser Entwicklung betrachtet werden.27
Entscheidend ist, dass entgegen der landläufigen Darstellung z.B. in schulischen Geschichtsbüchern, die Nation weder zuerst in Frankreich noch mit der Französischen Revolution entsteht28 und mit den napoleonischen Kriegen dann das „Erwachen“ des Nationalgefühl in anderen Ländern erfolgt29, sondern dass die Herausbildung der modernen Nationsvorstellung ein jahrzehntelanger und gesamt-europäischer Prozess war.30 Insofern greift das aktuelle Erklärungsmodell im Geschichtsunterricht für die Entstehung des Nationalbewusstseins zu kurz.
Diese Kürze kann nicht mit didaktischer Reduktion begründet werden, da die Darstellung verglichen mit dem aktuellen Forschungsstand irreführend, wenn nicht gar falsch zu nennen ist. Der Bedeutung von Nation und Nationalismus, nicht nur für die europäische, sondern für die Weltgeschichte31 des 19., 20. und wahrscheinlich auch 21. Jahrhunderts, werden die Darstellungen in den schulischen Geschichtsbüchern nicht gerecht. Eine Analyse der Darstellung von Nation und Nationalismus in deutschen Schulgeschichtsbüchern folgt in einem der nächsten Beiträge.
1Siehe auch Furrer (2004), S. 33.
2 Kritik an der missverständlichen Verwendung des Begriffs „Erfindung“ in diesem Zusammenhang, siehe Langewiesche (2007), S. 19ff.
3 Vgl. auch Schieder (1992), S. 5ff.
4 Einer Epoche, in der laut Koselleck „einige, unaustauschbare Grundbegriffe […] ohne die die soziale und politische Wirklichkeit nicht mehr wahrgenommen werden“ kann, geprägt wurden. Koselleck (2006), S. 66.
5 Hobsbawm (2005), S. 95.
6 Gies (1998), S. 21.
7 Schmidt (2001), S. 42.
8 Hobsbawm (2005), S. 13.
9 Zitiert nach Langewiesche (2000), S. 42
10 Langewiesche (2000), S. 31; Nonn (2007), S. 70ff.; insbesondere zur Bedeutung der Schriftlichkeit, Postwesen und der deutschsprachigen Publizistik für die Entstehung eines „deutschen“ Zusammengehörigkeitsgefühl schon im 18. Jahrhundert siehe: Burkhardt (2006), S. 442ff. Allgemeiner zu den neuen Kommunikationsformen und Medien im 18. Jahrhundert siehe Stollberg-Rilinger (2000), S. 114ff. Zur Rolle von Schule und Heer für die Verbreitung des Nationsgedankens, vgl. Hobsbawm (2005), S. 137f. Dagegen Langewiesche (2000), S. 77f.
11 Langewiesche (2000), S. 31.
12 Vgl. zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bedeutung zusammenfassend: Planert (2004), S. 12f; Langewiesche (2000), S. 19ff. Erschreckend ist, wie sich historische Fehldeutungen des älteren Nationsbegriffes bis in aktuelle Forschungsarbeiten hinein halten. Siehe z.B. die Habilitationsschrift von Kronenberg (2005), der behauptet, dass „um 1500 […] innerhalb einer Generation die Grundlage für ein deutsches (sic!) Nationalbewusstsein [entstand]“. Kronenberg (2005), S. 70; konsequenterweise sieht er dann für die Türkenkriege „‚Deutschland’ zu diesem Zeitpunkt [als] Allegorie, ohne politische Wirklichkeit“ aber schon als „patriotische Identität“. Ebda. S. 72
13 Vgl. Blanning (2006), S. 221.
14 Hirschi (2005), S. 12f. Giesecke (2016) übersieht in seiner Argumentation die unterschiedliche Bedeutung von „Nation“ in Vormoderne und Moderne.
15 Vgl. Niendorf (2006), S. 22-54.
16 Siehe dazu: Geary (2004). Zum Wandel des Begriffs im Vorfeld der französischen Revolution: Martin (1998), S. 35-38, 60f. Eine sehr frühe Form moderner Nationsbildung findet sich auf Korsika, vgl. Eisenmenger (2010).
17 Langewiesche (2000), S. 21; Hirschi (2005), S. 58ff.
18 Hobsbawm (2005), S. 96; Langewiesche (2000), S. 30f. Falsch wäre in diesem Zusammenhang die Vereinfachung, dass mit der Nation als höchstem Wert gleichzeitig eine Schwächung des Glaubens einhergegangen sei. Gerade Nationen, die einen starken Zusammenhang zwischen der nationaler und religiöser Identität herstellten, beweisen das Gegenteil. Als Beispiele können z.B. Iren oder Polen genannt werden. Vgl. Alter (1985), S. 15; Mosse (1993), S. 44, sieht daher eher ein Verschmelzen von nationalen und christlichem Glauben im Mythos des Kriegserlebnisses.
19 Blomert (1991), S. 107.
20 Mosse (1993), S. 48, 60ff.
21 Hirschi (2005), S. 21.
22 Ebda., S. 61, beschreibt dieses Prozess als „Autonomisierung“ nach dem Wegfall des „gemeinsamen, internationalen christianitas-Rahmens“. Trotz aller Kritik erkennt er doch an, dass der Nationalismus als „Ideologisierung der Nation“ diese zu einer autonomen und universalen Kategorie gemacht habe. Ebda., S. 63. Und dies wiederum, auch wenn er heftigst dagegen schreibt, ist ein Phänomen der späteren Neuzeit und unterscheidet somit ein älteres Nationsverständnis von einem modernen. Hirschi kann gemeinsame Motive zwischen dem Nationsdiskurs der Humanisten und des 19. Jahrhunderts, aber keine Kontinuitäten aufzeigen. Tacitus wird auch im 19. Jahrhundert wieder zum einem zentralen Bezugspunkt der deutschen Nationalideologie. Verbindungen finden sich in den antifranzösischen Tendenzen und dem nationalen Repräsentationsprinzip, aber Hirschi selbst hält fest, dass „der Freiheitsdiskurs des modernen deutschen Nationalismus mit jenem des deutschen Humanismus wenig gemein“ (Ebda., S. 493) hat und untermauert somit in einem weiteren Punkt die Unterscheidung von älteren und modernen Nationsverständnis. Ebda., S. 491-497.
23 Hobsbawm (2005), S. 97ff. Eine der ersten, m.W. sogar die erste moderne Nationsbildung fand auf Korsika statt. Der Versuch scheiterte zwar durch Intervention der Festlandmächte, aber in der Präambel der von Pasquale Paoli 1755 (!) redigierten Verfassung findet sich die Verbindung von Nation und Verfassung zur Gründung eines unabhängigen Nationalstaats: „Ayant reconquis sa liberté, voulant donner à son gouvernement une forme durable et permanent, en le transformant en une constitution propre à assurer la félicité de la nation.“ Siehe dazu Eisenmenger (2010).
24 Langewiesche, Nation (2000), S. 83.
25 Zur Bedeutung dieser Epoche für die Entstehung von Nationalbewusstsein siehe Planert, in: Echternkamp (2002), S. 47ff. Nach Planert finden sich in den Kriegen seit 1740 zum einen die Herausbildung der Geschlechterstereotypen des vaterländischen Kriegshelden und der „Mutter der Nation“, als auch publizistische Aufrufe an die patriotische Gesinnung der Preußen, die hier mit einer von oben betriebenen preußischen Identitätsbildung schon an der Schwelle der Nationswerdung standen. Siehe dazu auch Burgdorf (2000), S. 161ff.; Schmidt (2001), S. 60. Für die Entwicklung der kleineren Nationen, die aus dem ehemaligen Reich entstehen, siehe auch den Sammelband von Dann u.a. (2004). Daneben lässt sich auch die Entwicklung eines Reichspatriotismus im 18. Jahrhundert feststellen, der aber bisher nur wenig erforscht ist, da der Schwerpunkt auf dem Ende des alten Reiches und den neu entstehenden Staaten lag. Vgl. Burkhard (2006), S. 459.
Die Offenheit dieses Prozesses zeigt das Beispiel Bayerns, das von Beginn bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine von oben gelenkte patriotische Bewusstseinsbildung erlebte, die noch bis heute in einem extranationalen Identitätsempfinden nachwirkt. In Deutschland lief der Prozess der Nationsbildung im 19. Jahrhundert auf zwei Ebenen: der gesamtdeutschen und der partikularstaatlichen. Siehe dazu: Langewiesche (2000), S. 58ff.; Die Spannung und Deutungskämpfe um das nationale Selbstbild werden erst seit kurzem von der Geschichtsschreibung wiederentdeckt. Über die Erforschung der Selbstbilder der „Verlierer“ wird die Vielfalt und Offenheit des Prozesses deutlich. Ders. (2001), S. 60ff.
Zu einem ähnlichen zeitlichen Rahmen kommt Koll in seiner Untersuchung zur Entstehung des Nationalbewusstsen in den Südlichen Niederlanden. Er konstatiert seit den 1760er Jahren einen intensiven Diskurs mit unterschiedlichen, konkurrienden Nationsvorstellungen. Siehe Koll (2003), S. 15, 21-25.
26 Zusammenfassend: Planert (2004), S. 14ff. Als Eckpunkte gibt Planert die Erbfolgekriege des 18. Jahrhunderts bis zur Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes (für Deutschland: Zollunion) und dem Anwachsen der liberalen Bewegung (seit Anfang der 1830er Jahre) an. Ausführliches „Plädoyer“ für diese Sattelzeit Planert (2002), S. 25-59. Diese „Sattelzeit“ etwas weiter, nämlich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fassend, siehe: Koselleck (1992), S. 380.
27 Die Untersuchungen von Planert belegen die ältere These vom Krieg als „Katalysator“ bzw. „Vater der Nationen“, verlegen nur die Entstehung der modernen Nationsvorstellung deutlich nach vorne. Vgl. Langewiesche (2000), S. 26. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Mehrkens, die in ihrer Untersuchung zum deutsch-französischen Krieg feststellt, dass der Krieg vielmehr Ausgangspunkt als Folgeerscheinung nationalen Denkens also zu einer zunehmenden Nationalisierungsprozess der Teilnehmer geführt hat. Siehe Mehrkens (2008).
28 Vgl. die oft als Quelle zur Bearbeitung gegebene Rede von Sieyès, „ Was ist der dritte Stand?“, wo der Begriff der Nation unvermittelt eingeführt und erstmals definiert wird. So z.B. Geschichte und Geschehen, Band Neuzeit (2005), S. 18f. Siehe auch Schulze (1994), S. 168. So auch oft noch die Forschung in den Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft, siehe z.B. Schnapper (1994), S. 13. Dabei wird u.a. auch die Entwicklung der Amerikanischen Revolution völlig vernachlässigt: So spricht sowohl die Unabhängigkeitserklärung 1776 im modernen Sinn von einer „civilized nation“, um die Herrschaft des englischen Königs von dieser als ungerecht abzugrenzen, als auch die Verfassung von 1787 nimmt den Begriff der Nation in Bezug auf den Außenhandel mit „foreign Nations“ auf. Folgerichtig charakterisiert Kunze die Entstehung der Nation als „europäisch-atlantisches Phänomen“. Kunze (2005), S. 25.
29 So z.B. noch bei Schulze (1994), S. 190, der den „Anstoß für das Erwachen der europäischen Volksnationen“ im Freiheitskampf der Spanier gegen Napoleon sieht.
30 Vgl. z.B. Geschichtsbuch Oberstufe Band I, S. 209, 358f.
31 Nach dem 2. Weltkrieg wird das Konzept der Staatsbürgernation durch die antikolonialen Bewegungen aufgenommen und durchgesetzt. Siehe Dann (1997), S. 85.
„Der Staat macht die Nation, nicht die Nation den Staat.“ (Roman Dmowski)
Schon Rénan (siehe den vorangehenden Beitrag) beklagte, dass die Begriffe Rasse und Nation zu seiner Zeit nicht deutlich unterschieden würden.1 In der Alltagssprache heute wird „Nation“ oft synonym mit „Staat“ verwendet, was bei Schülerinnen und Schülern oft zu Verwirrungen führt. Dies lässt sich jedoch im Kontext in der Regel schnell klären und ist Teil des Begriffslernens im Geschichtsunterricht, das von einem Alltagsverständnis zu einem historischen Fachwortschatz führen soll. Für den heutigen deutschen Sprachgebrauch2 scheint eine Unterscheidung und Abgrenzung zu den Begriffen „Volk“ bzw. „Ethnie“ , der so deutlich wie möglich vom Nations-Begriff abzugrenzen ist.3
Der Begriff Volk besitzt eine Doppelbedeutung: nämlich zunächst in einem ethnischen Sinne, in dem „Volk“ als Synonym von Ethnie4 verstanden werden kann. Die ist die ursprüngliche, ältere Bedeutung des Wortes. Gemeint ist damit eine Abstammungsgemeinschaft, eine imagniert homogene Bevölkerung mit gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte. In dieser Bedeutung steht auch das ursprüngliche lateinische natio. Der zweite Sinn des Wortes ist neuer und politischer Art: Er bezeichnet die Bevölkerung eines Staates, i.S. eines Staatsvolkes, also einer Nation. Diese muss aber nicht unbedingt dieselbe Sprache, Kultur, Religion oder Geschichte teilen. Durch diese Doppelbedeutung kommt es in der Alltagssprache zu Unklarheiten und Ungenauigkeiten, so dass oft auch „Nation“ als Begriff für den Staat oder das Land verwendet wird.5 Problematisch ist gleichfalls, dass bis in neuere Forschungsarbeiten hinein, neben der ungenauen Verwendung des Nationsbegriffs oft auch eine Vermischung der Begriffe Volk und Nation zu finden ist. Die frühmittelalterlichen Ethnogenese wird teilweise bereits als Nationsbildung beschrieben, was ganz der Geschichtskonstruktion entspricht, die der Nationalismus selbst hervorgebracht hat und die offenkundig ein Deutungsmuster darstellt, das bis heute wirkt.6
Deutlich zeigt sich das an Arbeiten einiger Mediävisten, die dazu neigen, die Entstehung von Nationen vergleichsweise früh anzusetzen. Exemplarisch seien hier zwei Argumentationen herausgegriffen. Ausgehend vom übersetzten Quellenbegriff „die Deutschen“ bei einem Chronisten schreibt Nonn: „Seit jener Zeit wurde der Name der Deutschen bei den Galliern missachtet.“ Er spricht hier von „patriotischer Begeisterung“ und setzt auch die Deutschen im Sinne seiner im Aufsatztitel enthaltenen These von der „Entstehung der französischen Nation im frühen Mittelalter“ mit einem noch nicht existierenden „Deutschland“ gleich: „[…] das Königtum in Deutschland [sic!] [verlor] seit der Doppelwahl von 1198 zunehmend an Bedeutung“.7 Die anachronistische Verwendung von „Deutschland“ unterstützt die Vorstellung einer kontinuierlichen Nations- und Staatsvorstellung. Diese Sichtweise deckt sich weder mit den Quellenbegriffen noch mit den historischen Gegebenheiten des „römischen Reichs“, das erst später den Zusatz „deutscher Nation“ erhalten sollte, und postuliert zum anderen eine Kontinuität, die der prinzipiellen Offenheit historischer Entwicklung grundlegend widerspricht.8 Schiller stellte bereits treffend in einem unvollendeten Gedicht fest: „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge.“9
Der Begriff „die Deutschen“ hat seinen Ursprung als Fremdbezeichnung von Aßen für die Bewohner des (Kaiser-) Reiches nördlich der Alpen.10 Der Begriff, der zwar aus den Quellen stammt, kann allerdings wie oben schon ausgeführt, zu Missverständnisse führen, wenn den historischen Begriffswandel nicht berücksichtigt. Die Bezeichnung kann nicht mit ihrer heutigen Bedeutung gleichgesetzt werden. Im frühen und hohen Mittelalter ist mit „den Deutschen“ nicht ein Volk gemeint. Als „Völker“ galten vielmehr Gemeinschaften der Herzogtümer wie die Sachsen oder Thüringer. So stellt auch Weinfurter in der Einleitung zu seinem Werk über das Reich im Mittelalter fest, dass dieses nicht „deutsch“ in einem modernen Sinn war und man daher auch kaum von einem „deutschen Reich“ sprechen kann.11 Noch die Goldene Bulle weist auf „die Vielfalt der Sitten, der Lebensweisen und der Sprachen“12 des Reiches hin. Gleichzeitig wird festgelegt, dass zukünftige Fürsten in den Sprachen des Reiches zu unterrichten seien.13
Erst Mitte des 15. Jahrhunderts taucht dann für das Reich die Formulierungen „heiliges Reich und Teutsche gezunge“ oder „reich und deutsche landen“14 auf. Dabei steht das deutsche Wort „gezunge“ zunächst als Übersetzung des lateinischen „natio“. Ab den 70er Jahren desselben Jahrhunderts findet sich der Zusatz „deutscher Nation“ an den Reichstitel angehängt, also eines Reiches, in dem vorrangig deutsch gesprochen wird.15
Was versteht man also unter „Nation“ bzw. wann spricht man von einer Nation im Gegensatz z.B. zu Begriffen wie Volk oder Ethnie? Der Politikwissenschaftler Deutsch beschreibt „Volk“ zunächst nur als „Personengruppe mit komplementären Kommunikationsgewohnheiten“ und grenzt davon die Nation ab, in dem er in der Nation ein Volk sieht, das die Kontrolle über einige gesellschaftliche Institutionen erlangt hat, was zur Ausbildung eines Nationalstaates führen kann.16 Schon hier wird der Zusammenhang von Nation und Staat in Abgrenzung zu „Volk“ deutlich. Dieser Zusammenhang ist in der Forschung unstrittig. Die Definition von Deutsch ist allerdings zu ergänzen und gerade in Hinsicht auf die implizite ethnische Gleichsetzung von Volk und Nation zu korrigieren.
Hobsbawm nennt drei Kriterien, die seines Erachtens eine eindeutige Klassifizierung eines Volkes, i.S. einer ethnischen Gruppe, als Nation ermöglichen: 1. Staat, 2. geschriebene Literatur und Sprache sowie 3. die erwiesene Fähigkeit zu Eroberung.17 Hobsbawm macht im Gegensatz zu anderen Autoren zu Recht deutlich, dass Nationalstaaten immer auch (sprachlich und ethnisch) heterogen sind, und damit immer auch Minderheiten umfassen, deren (zumeist späten) Schutz nach jahrzehntelanger Unterdrückung er als zivilisatorischen Fortschritt ansieht.18 Aus dieser wichtigen, an zahllosen Beispielen für alle Nationalstaaten zu belegenden Beobachtung kann abgeleitet werden, dass eine rein ethnisches Argument keine Rolle spielen kann für eine wissenschaftliche Definition des Nationsbegriffes.19
Zusätzlich bedarf es seines Erachtens einer gewissen Mindestgröße für ein Volk, um eine Nation zu konstituieren. Letzteres bezeichnet er als „Schwellenprinzip“.20 Dieses Prinzip lässt er allerdings nur für die Anfangszeit gelten und sieht spätestens nach 1870 eine „Aufgabe des Schwellenprinzips“.21 Daher kann es nicht zu den grundlegenden Bestandteilen des Nationsbegriffes gezählt werden. Gegen die Fähigkeit zur Eroberung als eindeutiges Kriterium gibt es ausreichend Beispiele für die Bildung „anerkannter“ Nationen ohne Eroberungen (so z.B. Norwegen, Belgien, Schweiz), so dass es keine Berücksichtigung in einer allgemeinen Definition zu finden braucht. Hobsbawm bietet eine „vorläufige Arbeitshypothese“, dernach eine Nation eine „ausreichend große Gemeinschaft [ist], deren Angehörige sich als Angehörige einer Nation betrachten.“22 Hobsbawm betont also neben der erforderlichen Größe, vor allem das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, das Nationalbewusstsein.
Definitionsansätze von Alter, Dann und Langewiesche
Alter definierte Nation als „soziale Gruppe, die sich aufgrund vielfältiger historisch gewachsener Beziehungen sprachlicher, kultureller, religiöser oder politischer Art ihrer Zusammengehörigkeit und besonderen Interessen bewusst geworden ist. Die Nation stellt die Forderung nach politischer Selbstbestimmung oder hat diese Forderung im Rahmen des Nationalstaates bereits verwirklicht. Konstitutiv für die Nation seien das Bewusstsein einer sozialen Gruppe, eine Nation zu sein oder sein zu wollen, sowie der Anspruch auf politische Selbstbestimmung. Gegenüber anderen Solidaritätsverbänden wie der sozialen Klasse, der Konfessionsgemeinschaft oder der Familie wird ihr eine höherrangige und allgemeinere Bedeutung zugestanden.23
Einen vergleichbaren Definitionsansatz bietet Dann: Eine Nation ist ihm zufolge „eine Gesellschaft, die aufgrund gemeinsamer geschichtlicher Herkunft eine politische Willensgemeinschaft bildet. Eine Nation verstehe sich als Solidargemeinschaft. Sie gehe von der Rechtsgleichheit ihrer Mitglieder aus und sei angewiesen auf einen Grundkonsens in ihrer politischen Kultur. Nationen seien stets auf ein bestimmtes Territorium orientiert, auf ihr Vaterland. Ihr wichtigstes Ziel sei die eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse, ihre politische Selbstverantwortung (Souveränität) innerhalb ihres Territoriums, ein eigener Nationalstaat.24
Langewiesche kritisiert an diesen Definitionsversuchen zu Recht die einseitige Festlegung des Nationsbegriffs auf das positive, partizipative Element, während die mit negativen Assoziationen verbundene aggressive Seite von Dann dem Nationalismus zugeordnet wird. So erklärt Dann den Nationalismus als „ein politisches Verhalten, das nicht von der Gleichwertigkeit aller Menschen und Nationen getragen ist, sondern intolerant einzelne Völker und Nationen als minderwertig oder als Feinde einschätzt und behandelt.“25 Zwar sei diese Tendenz in jeder Nationalbewegung anlegt, Dann versucht aber davon einen positiven besetzten Patriotismus abzugrenzen. Eine solche Zweiteilung ist, wie weiter unten noch darzulegen ist, nicht möglich. Der Begriffsdefinition von „Nation“ ist also das aggressive Potential, das in jeder Nation, steckt, hinzuzufügen. Für alle nationalen Bewegungen und Nationen gilt das Prinzip: Die Abgrenzung nach Außen bildet den notwendigen Gegenpol zur Integration nach Innen.26
Elemente einer Begriffsdefinition
Zusammenfassend bietet die Forschung für den Nationsbegriff folgende konstituierende Elemente (ohne Rangfolge):
- a) Bewusstsein der Zusammengehörigkeit (Nationalbewusstsein)
- b) Abgrenzung nach außen (und damit einhergehend: Integration nach Innen)
- c) Partizipationsversprechen27
- d) Rechtsgleichheit der Bürger
- e) eine (zumindest teilweise) gemeinsame Geschichte
- f) Anspruch28 auf ein bestimmtes Territorium
- g) Anspruch auf Souveränität (zusammen mit f => Nationalstaat)
- h) Solidarität mit den Mitgliedern der Gemeinschaft29
Diese Teilelemente müssen nicht alle und nicht gleichzeitig vorhanden sein, damit von einer modernen Nation gesprochen werden kann. Daher können sie auch keine Grundlage für eine sinnvolle Begriffsdefinition bilden. Von einer Minimalbeschreibung her gedacht, ist es sicherlich aber auch nicht ausreichend, bereits dann davon auszugehen, dass eine Gruppe von Menschen eine Nation bildet, wenn sie sich selbst als Nation bezeichnet.
Eine Arbeitsdefinition des Begriffs „Nation“, die sich auch für den Geschichtsunterricht eignet, könnte wie folgt aussehen:
Eine Nation ist eine Gruppe von Menschen, die sich als zusammengehörig ansieht, Anspruch auf politische Selbstbestimmung in einem bestimmten Territorium erhebt und von anderen Gruppen anerkannt wird.
Der moderne Nationsbegriff, der mit der Idee des Nationalstaats verbunden ist und sich dadurch von älteren Begriffsverständnissen abgrenzt, ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa entstanden. Auch wenn Nationalstaaten oft Homogenität anstreben, finden sich nie homogene Staaten. Jeder Nationalstaat, dessen Nationsidee von der größten und/oder einflussreichsten Bevölkerungsgruppe geprägt wird, umfasst immer auch Minderheiten sprachlicher religiöser, ethnischer o.a. Art. Dieses grundlegende Phänomen der seit etwas über 200 Jahren in nationalen Kategorien denkenden Welt führt zu immer neuen sozialen Gruppen, die sich als Nation betrachten und staatliche Souveränität anstreben und damit zu einer andauernden Zunahme der Anzahl von „National“-Staaten.30
Aus dem vorangegangen folgt, dass Nationen sich in der Zeit verändernde Gruppen von Menschen darstellen und daher historischem Wandel unterworfen sind. Da eine exakte Definition des Begriffes Nation nicht möglich ist, lassen sich zwar diese Veränderungen des Begriffgebrauchs in der Geschichte und das Selbstverständnis der jeweiligen Gruppen untersuchen und beschreiben, ein klarer Anfang bzw. Ursprung lässt sich jedoch nicht festlegen. Hingegen ist die Unterscheidung zwischen einem älteren, vormodernen, d.h. Mittelalter und frühe Neuzeit umfassenden, und einem modernen Nationsverständnis, das mit der Entwicklung des Nationalismus einhergeht, grundlegend.
Bestimmte Merkmale, die einer sozialen Gruppe als Nation zugeschrieben werden, wie z.B. eine gemeinsame Sprache, Geschichte oder Religion, sind somit Zuschreibungen bzw. Konstruktionen, die in seltenen Fällen der Nationsbildung vorausgehen können und die Identitätsbildung tragen, oder historisch weitaus häufiger der Staatsbildung folgen und auf eine Homogenisierung der Bevölkerung mit entsprechenden Integrations- und Exklusionsmechanismen zielen. Aufgrund dieser Mechanismen konstruiert der Nationsdiskurs auch nie nur eine, sondern immer mehrere Nationen, so dass einige Nationen zunächst als Fremdkonstrukte entstanden. Nationen bilden sich in „multipolarer Abgrenzung“, das heißt andere Gemeinschaften werden gleichfalls als Nationen aufgefasst, von denen es viele gibt und die jeweils als autonom verstanden werden.31
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1 Rénan (1887), S. 278. Schon Rousseau hatte Volk mit Nation gleichgesetzt und eng mit seinen Vorstellungen von Demokratie verknüpft, so dass bis heute im westlichen Denken sowohl eine weitgehende Übereinstimmung von Volk als auch von (demokratischem) Staat mit Nation besteht. Bayer (1974), S. 369.
2 Zum Vergleich der Bedeutungsdifferenzen von „Volk“ und „Nation“ in verschiedenen europäischen Sprachen: Hirschhausen (2001), S. 13f.
3 Vgl. von Borries (2004), S. 310.
4 Der Begriff Ethnie wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der französischen Anthropologie entwickelt, um Gruppen mit gemeinsamer Sprache, Kultur oder Religion von anderen Gruppen von Menschen abzugrenzen. Im Bereich der Wissenschaft bildete „Ethnie“ zunächst den Gegenbegriff zu „Rasse“, bei dem versucht wurde, Unterscheidungen von Menschengruppen an äußerlichen Merkmalen festzumachen. Franche (2004), S. 92f.
5 Dann (1997), S. 82. Siehe auch Schnapper (1994), S. 28ff.
6 Zur politischen Bedeutung dieser Gleichsetzung und der daraus abgeleiteten historischen Rechtfertigung aktueller politischer Forderungen siehe z.B. Hösch (2007) 40ff. oder Sundhaussen (2007).
7 Alle Zitate: Nonn (1995), S. 50. Siehe auch: Ohler (1997), S. 316.
8 Einem vergleichbaren Muster folgt auch die Konzeption der im Oktober und November 2008 auf dem ZDF erstmals ausgestrahlten Dokumentationsreihe „Die Deutschen“, die in Zusammenarbeit mit dem Geschichtslehrerverband und unter wissenschaftlicher Beratung u.a. der beiden Mediävisten Gerd Althoff und Stefan Weinfurter erstellt wurde. Exemplarisch sei hier ein Zitat aus dem Vorspann jeder Folge zitiert, dass die geschichtsteleologische Darstellungsabsicht deutlich werden lässt: Deutschland „ein Land, das lange braucht, um eins zu werden“. Siehe dazu auch den sehr kritischen Artikel von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung vom 06.11.2008.
9 Zitiert bei Safranski (2007), S. 176.
10 Auch die wiederholt angeführten „Zitate“ von Johanna von Orléans, die „die Engländer“ aus Frankreich habe vertreiben wollen (siehe z.B. Ohler (1997), S. 318f.), sind problematisch. So waren die französischsprechenden Burgunder mit den Engländern verbündet und sollten ebenso „aus dem Land gejagt werden“. Dazu kommt eine heterogene Zusammensetzung der englischen Armee sowie die loyale Verbundenheit großer Teile des heutigen Westfrankreichs zu England. Das Beispiel zeigt, dass es historisch zweifelhaft ist, rückblickend von einer ähnlichen Deckung von Bezeichnung und Bezeichnetem auszugehen wie heute.
11 Weinfurter (2008), S. 8.
12 Ebda., S. 204.
13 Ebda.
14 Ebda., S. 220.
15 Ebda. (2008), S. 220f.
16 Von Bredow (1996), S. 453f.
17 Hobsbawm (2005), S. 50f.
18 Zum Umgang mit nationalen Minderheiten in den Staaten vor allem Ostmitteleuropas zwischen den Weltkriegen siehe den Aufsatz von Lemberg (2007). Hier auch zu den Alternativen des Minderheitenschutzes wie z.B. Teilautonomie, Assimilierung, Zwangsaustausch und „ethnische Säuberungen“: Beer (2007), Ther (2011). Speziell mit Blick auf die Staaten des Balkan vgl. den Überblick von Sundhaussen (2007).
19 Nonn (2007), S. 195. Dies gilt, auch wenn natürlich historisch betrachtet „Volk“ bzw. „Rasse“ einer der zentralen „Kristallisationskerne des Nationalgefühls“ im nationalistischen Diskurs waren.
20 Hobsbawm (2005), S. 44f.
21 Hobsbawm (2005), S. 121f. Zur Kritik an dem „Schwellenprinzip“ vgl. auch Langewiesche (2007), S. 22.
22 Hobsbawm (2005), S. 19.
23 Zitiert nach Kunze (2005), S. 22.
24 Dann (³1996), S. 12.
25 Dann (1997), S. 83.
26 Langewiesche, Nation (2000), S. 40. Der „Nationalismus“ wird in eigenen Blogbeitrag später noch einmal ausführlich thematisiert.
27 In der deutschen Geschichte spielt die angestrebte Partizipation der Bürger eine große Rolle. Bekanntermaßen erfolgte erst nach 1848 eine Trennung der Ziele und in der Staatsbildung 1871 wurde der Nation dann tatsächlich weitgehend die Partizipation verweigert. Diese Schwäche der politischen Kraft war einer der grundlegenden Faktoren für die weitere Entwicklung der deutschen Geschichte. Dazu Kocka, „Das Problem der Nation in der deutschen Geschichte 1870-1945“ (1989) und Langewiesche „Staats- und Nationsbildung in Deutschland – ein Sonderweg? Die deutsche Nation im europäischen Vergleich“ (2001).
28 Die vorsichtige Formulierung ist hier ebenso wie das Versprechen bei Punkt c) sinnvoll, da z.B. die Polen im 19. Jahrhundert eine Nation bilden, die zwar einen Anspruch auf ein bestimmtes Territorium und Selbstverwaltung erhebt, aber seit den Polnischen Teilungen bis zum Ende des 1. Weltkrieges keinen eigenen Staat bildeten. Der Anspruch auf beides stellt gerade deswegen einen wichtigen Teil der nationalen Selbstfindung dar. Vgl. hierzu: Davies (2000), S. 228ff., der deutliche Wurzeln für einen polnischen Nationalismus schon vor der Französischen Revolution, und zwar spätestens mit der ersten „Teilung“ von 1773 sieht, die ein bewusstes Streben nach einem Nationalstaat ausgelöst und das Entstehen eines Nationalbewusstseins gefördert habe. Interessant auch der Aufsatz von Orłowski (2003), der den Zusammenhang von Nationsbildung und der Entstehung von gegenseitigen Stereotypen im deutsch-polnischen Verhältnis darstellt.
29 Am Beispiel Belgiens kann man sehen, wie sehr das Infragestellen dieses Punkts zusammen mit einem Dissens über die politische Kultur schon das Bestehen einer Nation gefährden kann. Zu Belgien siehe z.B. den Artikel „Das doppelte Land“ (17.05.2010) und „Belgien am Rande der Spaltung: Dieses Spiel wird langsam gefährlich“ (19.05.2010) von Cornelia Bolesch in der Süddeutschen Zeitung.
30 Die formulierten Ansprüche wurden bei dem 2008 angenommenen Entwurf für die Fahne des unabhängigen Kosovo symbolisch umgesetzt: So zeigt die Flagge die Umrisse des (mit Serbien umstrittenen) Staatsgebiets, über dem sechs Sterne für die sechs größten Bevölkerungsgruppen des jungen Landes stehen.
31 Hirschi (2005), S. 58.
„In Rom bin ich Mailänder, in Paris bin ich Italiener, und in New York bin ich Europäer.“ (Umberto Eco)
Angesichts der politischen Entwicklungen in Deutschland wie auch in Europa folgt in den nächsten eine kleine Beitragsserie, die sich mit Nation, Nationalismus und Geschichtsunterricht beschäftigt. Die Beiträge speisen sich aus meinem abgebrochenen Dissertationsprojekt, das als empirische Untersuchung von Schülervorstellungen neben einer Vollzeitstelle an der Schule nicht zu bewältigen war. Es würde mich freuen, wenn die Beiträge als kleine Impulse für die inhaltliche Auseinandersetzunng mit dem Thema im Unterricht dienten.
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Nach Norbert Elias ist die Nation „eines der mächtigsten, wenn nicht das mächtigste soziale Glaubenssystem des 19. und 20. Jahrhunderts“1. Es scheint, als ob die Nation auch für das 21. Jahrhundert ihre Position als einer der wichtigsten Faktoren der Politik beibehalten wird. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in (fast) allen europäischen Ländern, Nationalismus als dominierende politische Strategie einzelner Regierungen, Unabhängigkeitsbewegungen in Konflikt mit der Zentralregierung (z.B. Katalonien oder Schottland) und neuen Nationalstaatsgründungen (z.B. Kosovo, Südsudan) beherrschen neben dem „Terrorismus“ und „Krisen“ die Schlagzeilen. Die Wikipedia bietet gar eine eigene Seite mit einer „Liste derzeitiger Sezessionsbestrebungen in Europa“, die ingesamt 27 Einträge enthält (Stand: 25.06.2016).
Die Frage nach der Geschichte des Nationsgedankens und des Nationalismus hat eine neue Aktualität gewonnen. Bei der Betrachtung der Weltkarte bzw. der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen lässt sich eine stete Zunahme von (National-) Staaten beobachten. Die Nation ist unzweifelhaft eine der bedeutendsten Triebfedern der modernen Geschichte und daher auch von hoher Relevanz für den Geschichtsunterricht. Von Borries beklagte allerdings zu Recht, dass der Geschichtsunterricht bisher wenig zur Differenzierung und zur Relativierung von nationalen Loyalitäten und Feindbildern beigetragen habe. Ganz im Gegenteil – so von Borries – habe der Geschichtsunterricht mit seinem nationsspezifischen Lernen bei der Ausformung des nation building „mit all seinen Irrwegen“ eine zentrale Rolle gespielt.2
Während weniger Jahrzehnte galt das Nationalbewusstsein nicht mehr als wichtigste Form der Zugehörigkeit, sondern an die Stelle des sich vor allem über die Nation definierenden Individuums waren (besonders in Westeuropa und Nordamerika) weitgehend neue Formen der Identitätsbildung und Gemeinschaftszugehörigkeiten entstanden, die zumeist keine territoriale Grundlage hatten.3 Seit dem Fall der Berliner Mauer hingegen hat das nationale Identitätsmodell in allen Teilen der Welt, zuerst im Bereich der ehemaligen Sowjetunion und des Balkans dann aber auch in anderen Teilen Europas eine zuvor für kaum möglich gehaltene Renaissance erlebt.4
Trotz supranationaler Organisationen wie z.B. der EU oder der UNO scheint es bislang zum Nationalstaat mit seinem spezifischen Gesellschaftsaufbau noch kein tragfähiges Alternativmodell zu geben. Noch behält der Nationalstaat, der als einziger staatsbürgerliche Rechte und die Akzeptanz der entsprechenden Pflichten garantiert sowie Partizipation und solidarische Sicherungssysteme ermöglicht, seine Bedeutung und Daseinsberechtigung.5
Was ist eine Nation? Die Frage scheint einfach und steht so („Qu’est-ce qu’une nation?“) auch am Beginn der wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens. Schon 1882, also mitten in der Hochzeit des Nationalismus, hielt der Religionswissenschaftler Ernest Rénan einen Vortrag gleichnamigen Titels.6 So einfach die Frage scheint, so schwierig ist ihre Beantwortung. Rénan fragte sich u.a., warum z.B. die Niederlande eine Nation ausgebildet haben, nicht aber Hannover?7 Festzuhalten ist zunächst, dass Nationen historische Phänomene sind. Das heißt: Sie sind irgendwann entstanden und können dementsprechend auch wieder vergehen.8
In Bezug auf die gesamte Geschichte sind moderne Nation und Nationalismus vergleichsweise junge Phänomene.9 Obwohl fest im Alltag verankert und alltagssprachlich in der Regel nicht hinterfragt, gibt es für sie keine allgemein gültige Definition, wohl aber viele Definitionsversuche.10 Einige davon werden im nächsten Beitrag kurz vorgestellt.
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1 Zitiert nach Langewiesche, Nation (2000), S. 42.
2 Borries, Staatsnation (2004), S. 310.
3 Özkirimli (2005), S. 6.
4 Gies (1998), S. 18.
5 Langewiesche (2000), S. 38; Gies (1998), S. 27.
6 Rénan (1887), « Qu’est-ce qu’une nation? » (Conférence faite en Sorbonne, le 11 mars 1882).
7 Rénan (1887), S. 287.
8 Das hat auch Rénan schon so gesehen: Rénan (1887), S. 286. Grundlegend: Schieder (1964); siehe auch: Dann (1997), S. 81; Langewiesche (2003), S. 597.
9 Zur zeitlichen Einordnung folgt ein eigener Beitrag im Blog.
10 Einen Überblick über die historischen und aktuellen Definitionsansätze findet sich bei Kunze (2005), S. 17-24.
Lehrplanentwicklung: Dialog zwischen Geschichtswissenschaft, Geschichtsdidaktik, Schule und Bildungspolitik
In einem Beitrag für Public History Weekly forderte Holger Thünemann vor einigen Wochen „einen intensiven Dialog zwischen Geschichtswissenschaft, Geschichtsdidaktik, Schule und Bildungspolitik über Inhalts- und Relevanzfragen und nicht zuletzt darüber, was es eigentlich heißt, historisch zu denken“ im Hinblick auf die Gestaltung von schulischen Lehrplänen. Das wäre in der Tat überaus wünschenswert und eigentlich darüber hinaus auch notwendig. Thünemann diskutiert den neuen, bereits in Kraft getretenen Kernlehrplan Geschichte in NRW. So begrüßenswert die Initiative ist, sie kommt zu spät. Naheliegenderweise lassen sich im Vorfeld viel eher noch Einfluss nehmen und ggf. Änderungen bewirken als nach Inkrafttreten. Nachbesserung sind natürlich möglich, aber schwieriger umzusetzen.
Ebenso lesenswert wie der Beitrag sind die drei Kommentare, wobei ich besonders Christian Schmidtmann zustimme, dass die Vorgaben für Prüfungen die Unterrichtsgestaltung in bezug auf Inhalte und Methoden mindestens ebenso stark, wenn nicht sogar noch stärker bestimmen als die Lehrpläne. Wenn am Ende eine Klausur steht, dann ist offene Projektarbeit weniger zielführend als gezielte Klausurenvorbereitung durch die Bearbeitung schriftlicher Aufgaben. Anders sieht es aus, wenn eine Klausur z.B. durch einen Vortrag oder eine Ausarbeitung als Ergebnis einer längeren Projektarbeit ersetzt werden kann.
Wenn bei der Erarbeitung von Lehrplänen in einigen Bundesländern offenkundig aus den Universitäten weder Fachwissenschaftler noch Fachdidaktiker zu Rate gezogen werden, es gleichzeitig aber Kritik an diesen Lehrplanentwürfen gibt, frage ich mich, wo sind die Verbände der Historiker wie auch der Geschichtsdidaktiker, die sich mit öffentlichen Stellungnahmen in die Debatte einmischen könnten?
Es droht sonst neben den in Beitrag und Kommentaren genannten Fragen und Problemen übrigens auch eine Perpetuierung schulischer „Selbstläufer“, bei denen u.a. der „Absolutismus“, „Germanen“ sowie neuerdings auch „das Lehnswesen“ zu nennen sind.
Angesichts der Klage über die Gestaltung der Lehrpläne und mangelnde Einbeziehung von Fachdidaktik und -wissenschaft ist es bedauerlich, dass Angebote zur öffentlichen Diskussion, wie sie beim neuen Lehrplanentwurf Geschichte für die Sekundarstufe I in Rheinland-Pfalz gemacht wurden, nicht angenommen werden. Der Entwurf steht seit Oktober 2013 online auf den Seiten des rheinland-pfälzischen Geschichtslehrerverbands verbunden mit der ausdrücklichen Aufforderung zu Kommentaren und Kritik. Seit letztem Jahr hat Kommissionsmitglied Christian Sieber ein Blog eingerichtet, wo er die überarbeitete, aktuelle Version des Lehrplanentwurfs zum Download anbietet und einzelne Elemente des Entwurfs zur Diskussion stellt.
Die Einführung des Lehrplans ist für das Schuljahr 2016/17 geplant. Noch befindet sich der Entwurf im Anhörungsverfahren, die Einspruchsfrist und damit die Möglichkeit für Änderungen endet in Kürze.
Not the ocean, but a fish bowl…
Sehenswerter TED-Talk von Jonathan Even-Zohar, Direktor von Euroclio, über Geschichte, Geschichtsunterricht und Identität in nationaler und globaler Perspektive:
Drei Webhinweise: ein Aggregator und andere Werkzeuge
Michael Schmalenstroer hat sich die Mühe gemacht und mit Planet History einen Aggregator bereitgestellt, der Beiträge aus zur Zeit bereits fast 150 geschichtsbezogenen Blogs im deutschsprachigen Raum zusammenstellt. Damit existiert jetzt eine gelungene zentrale Anlaufstelle im Netz, wenn man auf dem Laufenden bleiben möchte, was von wem in der Geschichtsblogosphäre diskutiert wird. Sollten noch Blogs fehlen, werden sie nach Hinweis der Liste hinzugefügt.
Nachdem zunächst auf Twitter unter dem Hashtag #digwerhist digitale Werkzeuge für Historiker/innen gesammelt wurden, hat sich Mareike König daran gemacht, die zahlreichen Anregungen in Form eines Beitrags zu ordnen. Ergänzt wird der Artikel „Social Media-Werkzeuge für Historiker/innen – Versuch einer Übersicht“ durch eine Auswahl von weiterführenden Literaturlinks. Hinweise auf weitere hilfreiche Tools werden auch weiterhin gesammelt.
Es stellt sich die Frage, welche dieser Werkzeuge auch für den Geschichtsunterricht sinnvoll sein können, wobei vermutlich Schülerinnen und Schüler überwiegend andere Werkzeuge benötigen als Historikerinnen und Historiker. Vermutlich gibt es in der Oberstufe eine größere Schnittmenge. Viele der Tools unterstützen selbstständiges Arbeiten (Recherchieren, Ordnen von Informationen etc.) und können bei entsprechenden Lernszenarien hilfreich sein, im historischen Frontalunterricht wohl eher weniger.
Einen ersten Ansatz einer solchen Zusammenstellung für den Geschichtsunterricht und die Geschichtsdidaktik bietet übrigens das von Ulf Kerber betreute Karlsruher Wiki. Wer das noch nicht kennt, das Blick lohnt sich. Die Sammlung steckt erst in den Anfängen, enthält aber bereits viele Anregungen:
http://geoges.ph-karlsruhe.de/mhwiki/index.php5/Abteilung_Geschichte