Gamification gone wrong

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Dies ist kein einfacher Beitrag. Vor fast schon einem Monat war ich für ein paar Tage in Danzig auf der Jahreskonferenz von euroclio. Das Programm der Konferenz lässt sich online noch einsehen. Wer noch nie bei einer Veranstaltung von euroclio war, dem sei dies an dieser Stelle vorab sehr empfohlen. Euroclio macht sehr gute und sehr wichtige Arbeit. Bei den Fortbildungsanstaltungen, Konferenzen und den Projekten trifft man motivierte und motivierende Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa und ich bin bisher immer mit tollen Eindrücken und Anregungen für die eigene Unterrichtspraxis nach Hause gefahren.

So auch dieses Mal, aber da war zum Ende der Konferenz dieser eine Workshop, der uns noch den ganzen Weg zum Flughafen und auch noch auf dem Rückflug nach Frankfurt beschäftigt hat – so sehr, dass ich auch fast vier Wochen danach, noch darüber nachdenke und darüber schreiben möchte. Weil dieser Workshop wichtige und zentrale Fragen aufgeworfen und eine intensive Diskussion ausgelöst, bin ich der Kollegin dankbar, dass sie das in dieser Form vorgestellt hat. Die Kontroversität, mit der die Kolleginnen und Kollegen die Herangehensweise diskutiert haben, hat mich überrascht, zeigt aber auch, dass es sich dabei um ein wichtiges Thema handelt, das explizit verhandelt werden sollte in einer Zeit, in der „Gamification“ zunehmend Einzug in den Unterricht hält. Wer sich übrigens für die Chancen und Potentiale von Gamification interessiert, der sei noch kurz auf den Online-Kurs Learning with creativity: Let the game begin! von School European Gateway hingewiesen, der Anfang dieser Woche gestartet ist und bei dem man sich noch kostenlos einschreiben und mitmachen kann.

In diesem Workshop in Danzig hat nun eine sehr geschätzte und reflektierte Kollegin eine selbst erstellte Unterrichtseinheit zum atlantischen „Dreieckshandel“ vorgestellt. Sie hatte dazu ein Spiel entwickelt, dass nach eigener Aussage bei ihren Schülerinnen und Schüler sehr gut angekommen war. Die Schülerinnen und Schüler wären besonders engagiert und motiviert gewesen. Der Workshop war, obwohl die letzte Veranstaltung am Sonntagnachmittag, gut besucht. Die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen wurden nach Tischen in Gruppen eingeteilt und sollten jeweils als Team spielen.

Worum ging es? Jedes Team sollte eine Handelskompanie spielen: Waren von Europa nach Afrika bringen, dort Sklaven einkaufen, diese nach Amerika verschiffen, dort verkaufen, neue Waren einkaufen und diese wieder nach Europa bringen. Das Spiel basierte auf einer PowerPoint sowie Excel-Tabellen für den Ein- und Verkauf der an den verschiedenen Punkte. Ziel war es im Spiel den meisten Profit zu machen.

Als bei der Vorstellung des Spiels klar wurde, dass es darum gehen würde, dass wir als Team in die Rolle von „Sklavenhändlern“ schlüpfen sollten, weigerten sich ebenso spontan wie vehement die niederländische und isländische Kollegin an meinem Tisch, daran teilzunehmen. Wir einigten uns auf eine Beobachterrolle und darauf, dem Workshop zu folgen, um zu schauen, wie die anderen Kolleginnen und Kollegen das Spiel spielen, die Workshopleiterin das Spiel moderieren und ob es einen Abbruch und/oder Reflexion des Spiel geben würde.

Die Geschichtslehrerinnen und -lehrer aus völlig unterschiedlichen Ländern und ganz unterschiedlichen Alters in den anderen Teams akzeptierten die Aufgabe und versuchten (in Teilen sehr engagiert) aus dem Sklavenhandel den meisten Profit zu schlagen: Dabei mussten sie Entscheidungen treffen, wie z.B. männliche oder weibliche, junge oder alte Menschen zu unterschiedlichen Preisen zu kaufen, was unterschiedliche Überlebenschancen und Verkaufsmöglichkeiten mit sich brachte. Die Spielphasen wurden jeweils unterbrochen durch Bild- und Erzählimpulse der Workshopleiterin mit Verweisen auf historische Hintergrundinformationen in Form von Bildquellen z.B. wie dieser.

Entgegen der Erwartungshaltung in unserer Bebachtergruppe erfolgte kein Abbruch und keine Unterbrechung durch die Spielenden, sondern vielmehr durchaus wahrnehmbar Freude über erfolgreiche Profitmaximierung bzw. Ärger über „schlechte Geschäfte“ und einen Rückstand im Ranking der Kompagnien. Im Gespräch mit der Workshopleiterin hatte ich im Vorfeld erfahren, dass es bisher im Unterricht auch nicht zu Unterbrechungen oder Kritik an der Herangehensweise gekommen war. Dies lässt sich durchaus mit der Autorität der Lehrerin bzw. des Lehrers im Klassenraum erklären, die je nach Land, Schule und Person unterschiedlich ausgeprägt ist, aber in jedem Fall eine besondere Verantwortung mit sich bringt.

Warum aber die Kolleginnen und Kollegen die Rollenübernahme nicht in Frage stellten, war mir zunächst nicht klar. War es die Höflichkeit oder Respekt gegenüber der Workshopleiterin und Kollegin? Bei einigen war auf jeden Fall eine emotionale Immersion zu beobachten, die sicher dazu führte, dass die Freude bzw. der Ärger über Gewinn- und Verlustbilanzen die Inhalte des „Spiels“ aus dem Blick geraten ließ.

Die anschließende Besprechung war entsprechend kontrovers. Die beiden Kolleginnen an meinem Tisch lehnten die Idee grundlegend ab: Der Spielvorschlag sei moralisch völlig inakzeptabel. In diesem Spiel würden Menschen auf den Status von Waren, Objekten, letztlich von Verkaufszahlen reduziert. Grundlage des Unterrichts müsste aber eine Erziehung zur Achtung der Menschenrechte sein. Dies sei in diesem Spiel auch mit nachgängiger Reflexion nicht geleistet. Es werde nur vermittelt, wie der „Dreieckshandel“ funktioniert habe, d.h. wie welche Güter gehandelt wurden, welchen Probleme und welche Profitchancen die Händler hatten. Dies sei auch anders lernbar, ohne selbst in die Rolle von Sklavenhändlern zu schlüpfen.

Diese Einschätzung war aber keinesweg einhellig. Ein Kollege argumentierte mit der emotionalen Involviertheit durch das Spiel, die zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Thema führen könne. Andere verwiesen darauf, dass sie sich zwar „mulmig“ gefühlt hätten beim Anblick der Bilder der Sklavenschiffe, und sich gefragt hätten, ob nicht ein besserer Transport möglich gewesen wäre. Stellten aber damit weder den Sklavenhandel an sich noch die Rollenübernahme im Spiel in Frage. Die Nachfrage, warum sie das Spiel nicht abgebrochen hätten, blieb in Teilen unbeantwortet bzw. teilweise wurde auf den „Spaß“ im und am Spiel verwiesen. Zudem habe die Abstrahierung von Sklaven auf Zahlentabellen es einfach gemacht, nicht über das eigene Rollenhandeln nachzudenken.

Es kann nun nicht darum gehen, Sklavenhandel auszublenden. Es stellt sich aber die Frage, wie ein solches Thema in Spielen integriert werden kann. Und die Debatte ist nicht neu: Zu Recht wurde zuletzt mit Blick auf Anno 1800, das neue Spiel der Anno-Reihe, kritisiert, dass dieses in einer Wirtschaftssimulation den Beitrag des Sklavenhandels zum europäischen Wohlstand und zur Industrialisierung in problematischer Weise außen vor lässt. Ob in einem Brettspiel wie Five Tribes „Sklaven“ durch „Fakire“ ersetzt werden müssen, darüber lässt sich sicher streiten, entspricht aber sicher weniger historischer Akturesse als dem Wunsch und Verkaufsinteresse, dass Spiele vor allem ein gutes Gefühl („Feel-Good-Programmatik“) vermitteln sollen.

Gerade weil es sich bei den Teilnehmenden im Workshop überaus engagierte und reflektierte Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer handelte und selbst bei diesen das Spiel mehrheitlich nicht – wie von der Workshopleiterin intendiert (in der Workshopbeschreibung stand: „Participants will act as merchants,consulting with each others and making ‚life-or-death‘ decisions. This workshop lies not only the basis to teach colonialism, but also tospark discussions on human rights.“) – zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Thema oder Spiel führte, zeigt das Beispiel meines Erachtens Grenzen für den Einsatz von Gamification im Geschichtsunterricht auf. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Regel nicht freiwillig Teilnehmende, sondern stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Lehrerin bzw. zum Lehrer. Außerdem sind sie – zumindest in der Sek I sowie in Teilen der Sek II – noch nicht volljährig, und bedürfen daher eines besonderen Schutzes. Der „Arbeitsauftrag“, die Rolle von Sklavenhändlern zu übernehmen und deren Profite zu maximieren, ist für mich daher – da gehe ich mit den zwei Kolleginnen d’accord – vollkommen ungeeignet für eine Unterrichtssituation. Als Diskussionsanlass hingegen, was man wie in Spielen abbilden kann bzw. darf, lässt sich der Unterrichtsvorschlag – gerade weil er auch im Vergleich zu anderen analogen wie digitalen Spielen vergleichsweise einfach und überschaubar ist – sowohl für ältere SchülerInnen wie für Studierende sinnvoll nutzen.

Mombasa – fiktional und „nur“ ein Spiel?

pic2611318Mombasa ist ein überaus erfolgreiches Brettspiel von Alexander Pfister. Es wurde in diesem Jahr mit dem Deutschen Spielepreis ausgezeichnet und hat daneben noch zahlreiche weitere Auszeichnungen erhalten, u.a. war es auf der Empfehlungsliste für das Kennerspiel des Jahres und hat den portugiesischen Spielepreis gewonnen.

Es ist aber auch ein umstrittenes Spiel. Bereits vor seinem Erscheinen im Oktober 2015 wurde über die Wahl und Umsetzung des Themas diskutiert. Beispielhaft sei hier auf die Diskussion im Forum von spielen.de verwiesen. Bereits 2011 hatte das Spiel damals noch als Prototyp und unter anderem Titel („Afrika 1830“) den renommierten Hippodice-Spielautorenwettbewerb gewonnen und auch da gab es bereits Diskussionen.

Die Diskussion über das Spiel wurde das ganze Jahr über geführt. In Brettspielkreisen allerdings mit dem Grundtenor gegenüber den Kritikern: Entspannt euch mal, das ist „nur ein Spiel“, seid nicht politisch überkorrekt, der Vorwurf der Verherrlichung des Kolonialismus sei schlicht absurd. Auch der Autor Alexander Pfister hat sich in mehreren Interviews und auch in seinem Blog dazu geäußert:

„Mombasa tut dies jedoch nicht, denn es handelt sich hierbei NICHT um eine historische Simulation, sondern um ein fiktionales Spiel mit fiktionalen Handelskompanien. Das einzige was nicht fiktional ist, ist der Ort des Geschehens: Afrika. Wir haben tatsächlich mal mit dem Verlag überlegt das Spiel woanders anzusiedeln, aber es wäre doch schade, wenn man kein fiktionales Wirtschaftsspiel in Afrika machen kann, weil jeder gleich an Kolonialzeit denkt. […] Hier liegt das Missverständnis: Nein, die Länder werden defintiv nicht geplündert, sondern es werden Handelsposten errichtet. Das bestimme ich so als Autor 🙂

Zunächst vorne weg: Das Spiel steht bei mir zu Hause und spielerisch finde ich es klasse. Es hat zu Recht Auszeichnungen erhalten, weil es ein sehr gutes Spiel ist. Die Wahl des Themas ist allerdings und offenkundig wenig glücklich und meines Erachtens auch unnötig, da es in der gleichen Weise auch Mond, Mars oder ein fiktiver Planet getan hätte, der von „Handelgesellschaften“ ausgebeutet wird. Das Argument hingegen, das von einigen Brettspielern angeführt wurde, es sei ja nur ein Spiel, finde ich problematisch. Eine ähnliche Diskussion gab und gibt es immer wieder auch im Bereich der Videospiele. Da hat Rainer Sigl mit seinem Beitrag auf videogametourism meines Erachtens den Nagel auf den Kopf getroffen, als er vor ein paar Monaten auf folgenden Zusammenhang hinwies:

„Nur wer Spiele als komplexen Mechanismus aus Handwerk, künstlerischem Wollen und darunterliegender Ideologie – sprich: als stinknormales Kulturprodukt – versteht, kann beginnen, darüber auf einem Niveau zu sprechen, das über ‚macht Spaß: ja/nein‘ hinausgeht. Nur wer Spielen selbstverständlich zuspricht, als Ausdrücke spezifischer kultureller und gesellschaftlicher Umstände – sprich: als stinknormale Kulturprodukte – gelten zu dürfen, kann diese Umstände analysieren und sie in den Reigen anderer Medien und somit in jenes Gespräch der Welt mit sich selbst, das letztlich Kultur ist, einordnen. Nur wer das Medium so respektiert, dass er es als mehr als reinen Zeitvertreib, sondern überhaupt als Kulturprodukt begreift, noch dazu als stinknormales, und es dann auch so behandelt, sprich: ohne die gönnerhaften Stützräder des dauernden Verweises auf seine Belanglosigkeit, kann letztlich auch seine Qualitäten schätzen. Wer Spiele ernst nimmt, muss sie kritisieren, nicht nur feiern und verteidigen.“
Wer also einfordert, dass Spiele als Kulturgut zu betrachten (siehe z.B. Spiel des Jahres e.V. oder die Spieleautorenzunft), dass sie auf einer Stufe mit Buch und Film nicht „getestet“, sondern „rezensiert“ werden, für den kann „Es ist doch nur Spiel!“ kein Argument sein. Auch der Grad der Fiktionalität ist für die Analyse der vermittelten Vorstellungen von Geschichte in geschichtskulturellen Produkten nicht relevant.
Kolonialismus und Imperialismus wurden und werden immer wieder als Thema in Brett- und Videospielen aufgegriffen. Dabei reicht die thematisch Umsetzung von naiv über apologetisch (siehe z.B. Namibia oder Imperialism: Road to Domination) bis hin zur Anregung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Letzteres ist aber die Ausnahme (als Beispiel wäre hier das weniger bekannte Brettspiel „Colony“ zu nennen). Oft dienen die Kolonien als vermeintlich attraktives, exotisches Setting, das sich für Spiele „anbietet“, in denen es entweder um Eroberung oder Güterhandel geht.
So breite inhaltliche Diskussionen um ein Brettspiel sind eher selten. Auch wenn es sehr viele Brettspiele mit historischen Themen gibt, sind die wenigsten davon so erfolgreich und noch weniger so kontrovers. Mombasa wurde als „rassistisches Machwerk“ und „fast Blauplause zur Einübung von Neo-Imperialismus“ bezeichnet. Nicht nur deshalb lohnt es sich meines Erachtens, einen genaueren Blick aus geschichtsdidaktischer Sicht auf Mombasa zu werfen. Entlang der in einem vorangehenden Beitrag zusammengestellten Bereiche (Texte, Bilder, Raum, Zeit, Mechanismen) möchte ich kurz einen Blick auf die thematische Umsetzung von Mombasa werfen.
  • Texte: Das Spielmaterial ist sprachneutral. Nur bei den Standorten der nach Städten benannten Handelskompanien sind deren Namen mit einem Zusatz (z.B. „Cape Town. Trans-African Company“ auf dem Spielplan abgedruckt. Texte finden sich daher nur in der Anleitung. Für den Zusammenhang hier sind insbesondere die vorangestellten Abschnitte zu „Spiel und Geschichte“ interessant (hier auch als PDF herunterladbar):

„In Mombasa erwerben die Spieler Anteile an vier großen Handelskompanien, die in Mombasa, Cape Town, Saint-Louis und Cairo ansässig sind. Gleichzeitig müssen die Spieler Einfluss nehmen, damit sich die Kompanien mit ihren Handelsposten in ganz Afrika ausbreiten und der Wert ihrer Anteile steigt. Wer am Ende das meiste Geld verdient hat, gewinnt.

Historisch gesehen waren Handelskompanien Gesellschaften, die zum Zweck der Erforschung, des Warenhandels und der Kolonisation gegründet wurden. Damit sind sie untrennbar mit einem dunklen Kapitel der Geschichte verbunden: dem Kolonialismus. Dieses Zeitalter dauerte in etwa vom 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und stand für Ausbeutung und Sklaverei.
Auch wenn Mombasa lose in diesem Zeitraum angesiedelt ist, so handelt es sich dabei jedoch in keiner Weise um eine historische Simulation. Mombasa ist ein Strategiespiel mit einem wirtschaftlichen Fokus, das sich nur sehr grob historischer Kategorien bedient und diese in ein fiktionales und oberflächliches Handlungsgeflecht einbettet. Die Ausbeutungen des afrikanischen Kontinents und seiner Einwohner wurden nicht ins Spielgeschehen eingebunden.
Wenn ihr Näheres über die Kolonialismus-Geschichte erfahren wollt, empfehlen wir für eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema folgende Lektüre: Kolonialismus – Geschichte, Formen, Folgen
von Jürgen Osterhammel und Jan C. Jansen. Verlag C. H. Beck, München.“
1906Die Diskussion um das Spielthema indirekt aufgreifend lautet die Botschaft: Ausbeutung komme gar nicht vor, als Geschichtsdarstellung sei das Spiel nur sehr oberflächlich und mehr Fiktion, auf keinen Fall eine Simulation. Eine verständliche Reaktion des Verlags, die aber meines Erachtens in zwei Punkten am Wesentlichen vorbeigeht:
1) Die Handelskompanien stehen am Beginn der europäischen Herrschaft über Afrika mit weitreichenden Folgen bis heute:
Europäische Herrschaft über die Welt entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert punktuell und regional sehr unterschiedlich. Bürokratisch-absolutistische Institutionen, regierungsamtlich protegierte Handelskompanien und schließlich nationalstaatliche Behörden bildeten den Rahmen für Kolonialismus und Imperialismus formeller und informeller Gestalt. Militär, Wirtschaft, Kultur und Ökologie lieferten Techniken und Strukturen zur Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen.  […]

Im Zuge der europäischen Herrschaft über die Welt bildeten sich zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse heraus. Das weltumspannende, auf Europa hin orientierte Handelssystem verursachte im Süden Dependenzen und strukturelle Defizite, die eigenständige Entfaltungsmöglichkeiten zumindest erschwerten und spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Auseinanderentwicklung der beiden Weltteile führten. Der Süden produzierte – häufig auf monokulturelle Weise – Rohstoffe für den Norden und bezog von dort Produktionsmittel und Konsumgüter. Ein Entwicklungsgefälle bildete sich heraus, das durch interne Faktoren im Süden vergrößert oder verfestigt worden sein mag. Dennoch muss man feststellen, dass europäische Herrschaft Entwicklungschancen grundlegend beschnitt. Je weiter die Industrialisierung der Ökonomien des Nordens voranschritt, desto mehr waren diese in der Lage, die Länder des Südens wirtschaftlich, politisch, aber auch kulturell an sich zu binden.

Diese Abhängigkeiten wurden auf mentaler Ebene verstärkt. Europa sah sich seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert an der Spitze des Fortschritts und der Moderne. Die anderen Kulturen wurden im besten Fall als Kinder verstanden, die an den europäischen Status heranzuführen waren. Vertreter sozialdarwinistischer Positionen dagegen gingen von unabänderlichen, rassisch begründeten Sachverhalten aus. Da Europa mit seiner globalen Dominanz auch die interpretatorische und definitorische Macht erwarb, festzuschreiben, worin das Wesen anderer Kulturen lag und welcher zivilisatorische Rang ihnen zukam, wurde seine Sicht der Welt zur allgemein verbindlichen. Der Zivilisation, der Moderne und dem Fortschritt Europas standen in dieser Perspektive die Barbarei, die Despotie und die Entwicklungsunfähigkeit der überseeischen Welten gegenüber.“ (aus: Reinhard Wendt, Herrschaft, 2010).

2) Es geht bei der Diskussion über das Thema des Spiels nicht um historische Exaktheit der Darstellung, also der Frage, ob es sich um eine historische Simulation handelt oder nicht. Bei dem Spiel als geschichtskulturelles Produkt interessiert vielmehr die Frage: Welches Bild, welche Vorstellungen der Geschichte Afrikas und des Kolonialismus werden durch dieses Spiel transportiert?
  • Bilder: Die Illustrationen des Spiels finden sich auf dem Cover (siehe oben), dessen einzelne Teile an verschiedenen Stellen im Spielmaterial wieder aufgenommen werden. Das Coverbild zeigt die übergroße weiße Hand eines anonymen Manns, der mit einer weißen Feder Buchhaltungseinträge vornimmt. Auf dem Tisch im Vordergrund befinden sich ein Tropenhut, ein Kompass, Diamanten, eine Landkarte mit zwei Reitern, die Kolonialtruppen nachempfunden sind sowie eine „Aktie“ und eine Tintenfass. Vom Schreibtisch aus öffnet sich eine Art Vorhang, der den Blick freigibt auf eine weite afrikanische Landschaft, in der bunt gekleidete Frauen sowie halbnackte schwarze Männer verschiedene Waren (im Spiel: Baumwolle, Kaffeebohnen und Bananen) zum Betrachter hin transportieren. Es gibt weitere Details, die ich an dieser Stelle aber weglasse. Die Coverzeichnung einer kolonialen Idylle stellt eine romantisierende Verharmlosung der Ausbeutung dar. Die einzelnen Elemente finden sich auch in den Spielmaterialien wieder: so u.a. der Hut und die Reiter auf den „Ausbreitungskarten“, die Träger bei den entsprechenden „Rohstoffen“. Präsentiert wird hier das Bild friedlichen Handelns in einer asymmetrischen 20161023_153318Beziehung von weißer Herrschaft und schwarzer Unterlegenheit: Die Schwarzen arbeiten für den Weißen, steigern sein Einkommen und seinen Wohlstand, sie sind einfach gekleidet, barfuß, die Männer halbnackt, auch dies steht im Gegensatz zur Ausstattung und den Uniformen der weißen Europäer. Es werden alte Kolonialklischees reproduziert, wie sie auch Literatur, Comics, Werbung und Sammelbilder in der Zeit des Imperialismus selbst vermittelten. Es sind Grafik von Cover und Spielmaterial, die das Spiel eindeutig der Bilderwelt der Kolonialzeit zuordnen.
  • Raum: Als Spielplan dient eine Karte Afrikas südlich der Sahara. Afrika wird als „leerer“ Kontinent dargestellt, der von den Handelskompanien aus allen vier Himmelsrichtungen in Besitz genommen wird und ausgebeutet werden kann. Die Afrika-Karte ist cremefarben, wie ein „weißer Fleck“, der mit Grenzen in Einflusszonen unterteilt ist, in denen unterschiedliche „Belohnungen“ für die Eroberung in Form u.a. in Form von Geld oder Diamanten liegen. Als spielerisch nicht relevante Elemente enthält die Karte nur Andeutungen der afrikanischen Gebirgszüge.20161023_154533
  • Zeit: Während beim Hippodice-Wettbewerb 2011 der Titel mit dem Verweis auf 1830 eine zeitliche Einordnung erlaubte, ist diese bei der Veröffentlichung des Spiels weggefallen. Im Spiel selbst ist Zeit nur abstrakt in Form von sieben Runden wiedergegeben, die in Form von aufgedeckten Uhrsymbolen und Buchhaltungsbüchern „abgearbeitet“ werden. Es wird also keine chronologische Einordnung vorgenommen und auch die Spielzeit ist mit den Runden rein abstrakt und versucht nicht eine historischen Zeitraum abzubilden. 
  • Mechanismen: Das Spiel ist vergleichsweise komplex und bietet zahlreiche Möglichkeiten für Strategien und Entscheidungen. Diese im Einzelnen wiederzugeben, würde den Rahmen des Beitrags sprengen, deshalb sei noch einmal auf die vollständigen Spielregeln als PDF auf den bismarckSeiten des Verlags verwiesen. Im Kern zusammengefasst können verschiedene Rohstoffe und Nahrungsmittel gewonnen und verkauft, Territorien in Besitz genommen und Anteile an den vier Handelskompanien erworben werden. Auch wenn die Inbesitznahme durch „Ausbreiten“, quasi den Wettlauf um Afrika ins Spiel integriert, ist Mombasa vor allem ein Wirtschafts- und Optimierungsspiel, das – wie oben bereits gesagt – auch ohne den historischen Bezug funktioniert hätte. Es enthält verschiedene, bekannte Mechanismen darunter u.a. Area Control, Drafting und Deckbuilding, die aber neu und geschickt miteinander kombiniert werden. Dies macht es zu einem spielerisch zu einem interessanten und sehr guten Brettspiel. Ziel des Spiels ist es – vergleichsweise klassisch – das meiste Gesamtvermögen zu erlangen, das sich aus Bargeld, Kompanieanteilen, Diamanten und guter Buchhaltung zusammensetzt.
Die Dissonanz zwischen der historischen Ausbeutung von Land und Menschen mit Hilfe von Gewalt und Sklaverei und dem durch die Mechanismen vermittelten spielerischen Wirtschaften ist neben dem Cover das, was die Hauptkritik an dem Spiel hervorgerufen hat. Auch wenn auf eine genaue chronologische Verortung verzichtet wurde, fügen sich die übrigen Teile des Spiels zu einem stimmigen Bild zusammen. Die Darstellung des Verhältnisses von „Europa“ und „Afrika“ im Spiel reproduziert Vorstellungen, die – gerade bei Cover und Spielplan wird das deutlich – selbst aus der Zeit des Kolonialismus stammen.
Entgegen in den Hinweisen von Autor und Verlag geht es in Mombasa um die Ausbeutung des Kontinents und seiner Menschen. Es wird nur ausgeblendet, woher die Rohstoffe kommen und wie die Eroberung abgelaufen ist. Es wird ausschließlich die Seite des europäischen Profits dargestellt. Die übrigen Aspekte werden ausgeblendet. Natürlich ist ein Spiel keine wissenschaftliche Arbeit. Natürlich soll ein Gesellschaftsspiel Spaß machen und kann nur ausgewählte Aspekte eines Themas aufnehmen. Natürlich ist und wird niemand Rassist, nur weil er Mombasa spielt. Das Spiel stellt auch keine Verherrlichung des Imperialismus dar. Trotzdem: Mombasa transportiert offenkundig koloniale Klischees. So bleibt die Frage, warum Verlag und Autor bei einem sehr guten Spiel auf diesem Thema bestanden und es nicht unter Beibehaltung aller Spielmechaniken – wie es bei vielen anderen Spielen im Lauf der Spielentwicklung gemacht wird – gegen ein anderes Thema ausgetauscht haben.

Afrika im Geschichtsunterricht

Andreas Körber weist in seinem Blog auf eine Veranstaltung am 25. Juni in Hamburg, die sich mit der Frage „Afrika – (kein) Thema im hiesigen Geschichtsunterricht?“ auseinandersetzt. Meiner Erfahrung nach spielt Afrika in deutschen Schulen vor allem dann eine Rolle, wenn Aktionstage oder Projetkwochen für „Afrika“ organisiert, Geld gesammelt und den bedürftigen Afrikanern geschickt wird. Selbst in Schulen, die eine Partnerschule in einem afrikanischen Land haben, kommt es selten zu einem Dialog.

Für den Geschichtsunterricht ist weiterhin dem Resümee von Dennis Röder zuzustimmen:

Afrika taucht in heutigen Lehrplänen und Schulbüchern kaum auf. Wir verbinden mit der ägyptischen Geschichte weniger Afrika als eher eine frühe Etappe zur „europäischen Erfolgsgeschichte“.

Erwähnung findet die Geschichte des Kontinents sonst nur in Kontakt mit Europa (Kolonialismus, Sklavenhandel, Imperalismus, Dekolonisation) und leider weitgehend auch weiterhin ohne afrikanische Perspektiven, sondern nur mit (kontroversen) europäischen Quellen. Wie Material aussehen könnte, das auch afrikanische Stimmen berücksichtigt und diese als handelnde Akteure gleichberechtigt neben die Europäer stellt habe ich versucht in einem Arbeitsblatt zum Beginn der deutschen Kolonialherrschaft in Ruanda aufzuzeigen.

Die WM bietet natürlich Gelegenheit, Afrika zu thematisieren. Das Interesse, das durch die „erste Fußball-Weltmeisterschaft in Afrika“ (worauf die Moderatoren der Fernsehsender in jedem zweiten Satz drauf hinzuweisen scheinen) geweckt wird, kann natürlich auch im Geschichtsunterricht aufgegriffen werden. Hier bietet sich die Chance neben Tierfilm und Fußball einen anderen Blick auf Afrika zu werfen. Gerade die notenfreie Zeit jetzt kurz vor den Sommerferien bietet sich an, extracurriculare Themen aufzugreifen und projektartig zu bearbeiten.

Wer Afrika im Unterricht thematisieren möchte, dem bietet eine Liste mit Links, die in der diigo-Gruppe Geschichtsunterricht unter „Afrika“ verschlagwortet sind, einen ersten Anlaufpunkt für Materialien.