Nationsbildung und Demokratiegeschichte: Korsika 1755

Denkmal für Pasquale Paoli in Corte

„Überhaupt ward Corsica ein Muster einer wohlgeordneten Democratie…“, schrieb August Ludwig Schlözer 1769. Wer die Geschichte von Nationsbildung und der Entstehung der modernen Demokratie einmal anders als in der Schrittfolge USA, Frankreich, deutsche Nationalbewegung und Vormärz angehen möchte, findet in der korsischen Republik von 1755 einen möglichen, interessanten Unterrichtsgegenstand.

Im Aufstand gegen Genua und dann später gegen Frankreich unter der Führung von Pasquale Paoli gaben sich die Korsen 1755 die erste moderne, d.h. geschriebene,  durch gewählte Vertreter beschlossene und auf Gewaltteilung beruhende Verfassung der Welt. Hier wurden erstmals die Begriffe „Konstitution“ und „Nation“ von der politischen Theorie in die Praxis übersetzt.

In den schulischen Geschichtskanon haben es die korsischen Ereignisse nicht geschafft trotz ihrer Wirkung auf das aufgeklärte Europa und die englischen Kolonien vor den Revolutionen. Genau das macht die Thematisierung im Unterricht interessant. So könnten z.B. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe selbst recherchieren und hinterfragen, warum es die korsische Verfassung weder in die Lehrpläne und daraus folgend auch nicht in die Schulbücher geschafft hat, um abschließend zu diskutieren, ob diese Verkürzung gerechtfertigt ist.

Darüber hinaus können Verfassungstext und Aufbau der Verfassung im Hinblick auf Nationsbildung, Demokratieentwicklung und deutliche Orientierung an der römischen Idee einer Mischverfassung untersucht werden. Gerade der Einfluss der Antike auf diesen Staatsbildungsversuch lässt sich mit dem korsischen Beispiel gut in einen Längsschnitt zur Verfassungs- und Demokratiegeschichte einbinden.

Der vollständige Text der Verfassung findet sich auf Französisch u.a. in Wikisource. Eine von mir auf Deutsch übersetzte Fassung der Präambel kann hier als Word-Dokument oder als PDF heruntergeladen werden. Vor ein paar Jahren habe ich den Verfassung in ein einfaches Schema umgesetzt, das ich zur Nutzung im Unterricht hier auch gerne zur Verfügung stelle.

Schema Verfassung Korsika 1755

 

 

Über die Fußball-EM im Unterricht zum Thema Nation und ihrer Konstruktion

Große Sportereignisse bieten auch immer die Möglichkeit, Themen, die sonst weniger Aufmerksamkeit erhalten, stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. So ist dies auch mit der EM in Polen und der Ukraine. Sport ist nicht nur gegenwärtig, sondern war immer auch Politik. Während die Ukraine als Austragungsort gerade hoch politisiert wird, gerät Polen in der Debatte etwas ins Abseits. Dabei kann die EM Anlass sein, unsere Nachbarn besser kennenzulernen und z.B. die deutsch-polnischen Beziehungen auch im Unterricht aufzugreifen.

Dies lässt sich anhand der großen Politik tun, oder aber an Fußballgeschichte, an konkreten Biographien einzelner Spieler, wie z.B. Ernst Willimowski bzw. Ernest Wilimowski:

Seine Fußballlaufbahn begann er 1927 mit elf Jahren im deutsch-oberschlesischen 1. FC Kattowitz, wo er bis zum Jahr 1934 erfolgreich spielte. Nach dem Wechsel zu Ruch Wielkie Hajdukiwurde er bereits 1934 als 18-Jähriger polnischer Fußball-Meister. Diesen Titel errang er mit seinem Team auch 1935, 1936 und 1938. In 86 Spielen für Ruch Chorzow schoss Willimowski 112 Tore und wurde 1934 und 1936 polnischer Torschützenkönig.

Am 21. Mai 1934 debütierte er in der polnischen Nationalmannschaft in Kopenhagen gegen Dänemark. Polen verlor das Spiel mit 2:4. Vor dem Zweiten Weltkrieg spielte er 22 Mal für die Polnische Nationalmannschaft. […] Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen unterschrieb Willimowski die deutsche Volksliste. […] 1941/42 absolvierte er acht Länderspiele für die Deutsche Nationalmannschaft.

Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Willimowski

Dass das Thema nicht völlig an den Haaren herbeigezogen ist, zeigen die neuen Veröffentlichungen und Veranstaltungen (Auswahl siehe unten).

Buch

Thomas Urban, Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik, Göttingen 2011. Lizenzausgabe der BpB 2012

Artikel

Marcin Wiatr, „Der oberschlesische Fußballplatz – ein europäischer Erinnerungsort?“, in: Inter Finitimos 9 (2011) – Themenschwerpunkt: Fußball, S. 22-47.

Konferenz

Konflikt und Konkurrenz: Deutsch-polnische Beziehungsgeschichte im Fußball. Ein historisches Symposium aus Anlass der Euro 2012 in Polen und in der Ukraine, FES Berlin, 29.-31.5.2012, Link

Ausstellung

Ausstellungseröffnung „Willimowski, Klose, Podolski & Co. • Oberschlesier in der deutschen und polnischen Nationalmannschaft – gestern und heute“  am 8. Juni 2012 im Amerika-Haus, Berlin, PDF 

Für den Geschichtsunterricht aufbereitet, wurde das Thema meines Wissens noch nicht. Lehrplanthemen an Fußballgeschichte aufzuhängen ist nichts Neues, für 1954 und 1974 kenne ich da einige Beispiele auch aus den bekannten Fachzeitschriften (zuletzt in Geschichte lernen Nr. 47).

Bücher und Aufsätze können das Material liefern, um hier exemplarisch eine Unterrichtseinheit vorzubereiten und passend zur EM das spannende und komplexe Thema der deutsch-polnischen Beziehungen und der Konstruktion von regionalen bzw. nationalen Identitäten an konkreten Spieler- und/oder Vereinsbiographien anschaulich im Unterricht aufzugreifen.

Kurzum die Frage: Hat jemand Interesse kollaborativ in einem Google Doc zum Themenkomplex: Deutsch-polnische Beziehungsgeschichte, Konstruktion von Nation und Nationalismus am Beispiel der oberschlesischen Fußballer und Vereine eine Unterrichtseinheit für eine 10./11. Klasse zu entwickeln?

http://goo.gl/HXCWE

Das wäre auch methodisch ein spannendes Experiment. Zwar habe ich über solche Dokumente bereits kollaborativ an Texten gearbeitet, gemeinsam eine kurze Unterrichtseinheit auf diesem Wege habe ich bisher noch nicht erstellt. Ich würde mich freuen, das mal mit ein paar Kollegen auszuprobieren!

Nationsbildung und Nationalismus – eine Werbeanzeige als Einstieg

Werbung bedient sich oft historischer Bezüge. Am Wochenende habe ich unten stehende Anzeige in der Londoner Tube entdeckt. Der Werbespruch lässt einen zunächst stutzen und setzt im Idealfall einen Denkprozess in Gang: Wie kann das sein? Ist das möglich? Seit wann gibt es eigentlich Belgien? Damit könnte die Anzeige als Einstieg in das (schwierige) Thema von Nationsbildung und Nationalismus dienen, um eigene Recherchen der Lernenden anzustoßen.

Die Geschichte Belgiens mit der Nichtexistenz eines belgischen Staates vor 1831 und der besonderen Situation von zunächst zwei, später drei Sprachgruppen als eine Nation, die durch einen regionalen Nationalismus Flanderns heute wieder in Frage gestellt wird, bietet sich zum besseren Verständnis des Charakters von Nationen als historischen Konstrukten im allgemeinen sowie damit auch als Vergleichsfolie des deutschen Nations- und Staatsbildungsprozesses im besonderen an.