Historische Themen in Spielen: Geschichte spielen oder Holzklötzchen schieben?

Den auf der XI. Fachtagung Spiele-Entwicklung der SAZ gehaltenen Vortrag zu historischen Themen in Spielen stelle hier in einer leicht überarbeiteten und ausformulierten Fassung als PDF zum Download zur Verfügung.

Vortrag: Historische Themen in Spielen (PDF)

Da der Vortrag die Tagung eröffnet hat, habe ich dort an den folgenden zwei Tagen bereits mit Spieleautor*innen intensiv über einige Punkte diskutieren können. Ich würde mich über weitere Anregungen und Rückmeldungen freuen. Mein Eindruck ist, dass die Schnittstelle von Gesellschaftsspielen, Geschichtskultur und Geschichtslernen ein spannendes und noch weitgehend offenes Feld ist.

Die Folien zum Vortrag mit Links zu den verwendeten Materialien finden sich hier:

Nochmal 90 Minuten…. Through the darkest of times

Anknüpfend an die vorangehende Doppelstunde haben wir heute „Through the darkest of times“ angespielt. Wen das interessiert, hier eine kurze Beschreibung des (sehr einfachen) Unterrichtssettings:

Das Spiel hatte ich über Steam auf meinem Laptop dabei und im Offline-Modus frontal projiziert. Der Kurs umfasst nur 12 Schüler*innen, die sich mit ihren Tischen in einem Halbkreis vor der Projektionsfläche gesetzt haben.

Bevor wir mit dem Spiel begonnen haben, haben alle Schüler*innen einen geheimen Beobachtungsauftrag bekommen. Diese kann man gezielt zuteilen oder zufällig ziehen lassen. Geheim sollte der Auftrag deshalb sein, weil sich bei einigen Aufträgen eventuell das Verhalten im Spiel bzw. in der Gruppe ändert, sollte der Beobachtungsauftrag vorher nicht allen bekannt sein.

Hier ein paar ungeordnete Beispiele für mögliche, unterschiedlich anspruchsvolle Beobachtungsaufträge:

  • Notiere, welche historischen Ereignisse im Spiel genannt werden.
  • Mach dir Notizen: An welchen Punkten hat die Gruppe (im Rückblick) falsche Entscheidungen getroffen?
  • Notiere, ob und ggf. welche Auswirkungen die Eigenschaften der Charaktere auf den Spielverlauf haben.
  • Beobachte das Gameplay: Wie funktioniert das Spiel? Welche Rolle übernehmen die Spieler? Was können / was müssen sie tun? (Welche Entscheidungs- / Handlungsoptionen haben sie?)
  • Mach dir Notizen: Was ist das Spielziel? Wie kann man dieses erreichen?
  • Achte auf die Musik und Geräusche: Mit welchen Mitteln wird gearbeitet? Welche Effekte werden damit erzeugt?
  • Ort & Zeit: Welche Orte kommen im Spiel vor? Wie werden Orte, Räume und Bewegung im Spiel abgebildet? Wie wird Zeit im Spiel abgebildet?
  • Beobachte uns als Gruppe: Wie verlaufen die Diskussionen? Was fällt dir auf?
  • Beobachte die Entscheidungsfindung in unserer Gruppe: Welche Entscheidungen werden getroffen? Was sind die Gründe dafür?
  • Aus welchen gesellschaftlichen Gruppen kamen die Menschen, die den Widerstand gegen den Nationalsozialismus getragen haben? Mit welchen Schwierigkeiten und Problemen hatte Widerstandsgruppen zu kämpfen?
  • Achte auf die grafische Gestaltung: Notiere deine Eindrücke, welche Wirkung durch sie erzielt wird.

Je nach Schwerpunktsetzung und Gruppengröße können einzelne Aufträge auch mehrfach vergeben werden, um anschließend die gemachten Beobachtungen miteinander zu vergleichen und zu diskutieren.

Wir haben ein neues Spiel gestartet und die Schüler*innen haben jeweils per Mehrheitsentscheid über die Entscheidungen im Spiel abgestimmt. Teilweise ging die Abstimmung sehr schnell, teilweise gingen der Abstimmung lebhafte und engagierte Diskussionen voraus. Insgesamt haben sich relativ viele Schüler*innen an den Diskussionen aktiv beteiligt.

Die 90 Minuten der Doppelstunde waren wie folgt aufgeteilt:

  • ca. 60 Minuten: Einführung, Verteilen der Beobachtungsaufträge
  • ca. 5 Minuten: Vervollständigen der Notizen und Strukturieren der Antworten
  • ca 25 Minuten: Vorstellen der Beobachtungen und abschließende Diskussion

Die Spielzeit reichte aus, um die ersten vier Wochen der Geschichte zu spielen. In unserem Fall: bis zu unserem ersten Verhör und unserer ersten Verhaftung – wobei das je nach Spielverlauf vermutlich nicht immer an dieser Stelle bereits erfolgen muss.

Aufgrund der Struktur des Spiels und der geringen Größe der Lerngruppe hat sich das Verfahren das Spiel gemeinsam zu spielen, die Entscheidungen zu diskutieren und abzustimmen nach meinem ersten Eindruck sehr positiv bewährt, so dass ich das methodische Vorgehen für diese Art digitaler Spiele auf jeden Fall empfehlen kann.

Wer das Spiel noch nicht kennt, kann z.B. mit Hilfe eines Let’s Play auf YouTube einen ersten Eindruck gewinnen:

Staunen statt Denken

Mehrfach als „interaktiver Geschichtsunterricht“ betitelt (u.a. hier) ist seit einiger Zeit die zweite „Discovery Tour“ verfügbar, die in Ubisofts „Assassin’s Creed Odyssey“ in die antike griechische Welt führt.

Einen ersten Eindruck vermittelt der Trailer:

Den Vorgänger „Origins„, der im alten Ägypten angesiedelt ist und erstmalig eine Entdeckungstour enthielt, hatte ich leider versäumt mir anzuschauen. Nach einem ersten Schnuppern im klassischen Athen möchte ich hier meine ersten Eindrücke kurz vor- und zur Diskussion stellen.

Die grafische Aufbereitung und das visuelle Erlebnis sind – das zeigen ja bereits die Bilder im Trailer – fantastisch. Stauend streift man mit seiem Avatar durch diese Welt. Das Spiel schafft es mit seinen Bildern, die antike Polychromie, die an sich kein neuer Befund ist, mit der Breitenwirkung eines Spiele-Blockbusters ins allgemeine Bewusstsein zu katapultieren und die tief verwurzelte Fehlvorstellung der klassischen Antike als „weiß“ zu korrigieren.

Wie sieht es darüber hinaus aus mit dem Potential des Spiels, insbesondere des Erkundungsmodus für das schulische Geschichtslernen? Mein erster Eindruck: eher mau. Matthias Hannemann und Claudia Reinhard schrieben im Januar in der FAZ von einem lebendig gewordenen „Was ist was“-Buch. Das ist überspitzt, aber im Kern treffend. Das Computerspiel bietet eine Kulisse mit Authentizitätsversprechen: So sah das damals aus. Dafür bürgt der wiederholte Verweis auf „renommierte“ Historiker und Archäologen, die an dem Projekt mitgearbeitet hätten.

Aber schon zum Vorgänger „Origins“ wurde auf spielbar.de zu Recht kritisch angemerkt: Die Grundlagen für diese Art der Darstellung, welche Quellen, welche Forschungsliteratur der Rekonstruktion zugrundeliegen, wird dem Spieler oder hier besser: dem Besucher, nicht offen gelegt – ebenso wenig wie vorhandene Forschungskontroversen.

Das muss ein Spiel, eigentlich sogar nur das Nebenprodukt eines Spiels auch nicht leisten. Sicherlich wäre es wünschenswert, aber letztendlich ist es ein populäres Produkt der Geschichtskultur, das mit Geschichte unterhalten, aber – nach Aussage von Ubisoft – auch belehren will.

Nur ist es ein Trugschluss, das Lernen über Geschichte mit dem schulischen Geschichtsunterricht gleichzusetzen. Die Entdeckungstouren von Ubisoft bieten keinen „interaktiven Geschichtsunterricht“ für „engagierte Lehrer“. Die geführten Touren sind langweiligste Frontalbelehrungen in atemberaubender Kulisse. Die als innovative Neuerungen zum Vorgänger angepriesenen „interaktiven“ Quizelement am Ende einer Tour taugen qualitativ allenfalls für ein Telefonanruf-Gewinnspiel im Werbeblock der Halbzeitpause eines Fußballspiels.

Der zentrale Punkt ist: Es geht um Lernen, nicht um Belehren. Auch wenn das noch nicht überall angekommen ist, aber der schulische Geschichtsunterricht hat sich von einem Auswendiglern- zu einem Denkfach entwickelt. Es geht um die Unterscheidung, Einordnung und Bewertung von Quellen und Darstellungen, um Ursachen und Folgen, um Multikausalität und Multiperspektivität. Davon findet sich in dem trotz aller Bewegung statischen Bild des Computerspiels nichts.

Nichtsdestotrotz haben die Entdeckungstouren Potential auch für den schulischen Geschichtsunterricht – nur nicht von sich aus, sondern sie müssen notwendigerweise didaktisiert werden: durch die Lehrerin oder den Lehrer zum motivierenden Einstieg, in der Erarbeitung oder Analyse von Geschichtsbildern, so wie es z.B. Studierende der Universität Hamburg im letzten Jahr in Unterrichtskonzepten für unterschiedliche digitale Spiele gemacht haben oder in Formen offenen Unterrichts, in denen die Lernenden mit selbst gewählten Fragestellungen an die Darstellung von Geschichte im Spiel herantreten. Da ist vieles möglich, nur verwechseln sollte man das nicht: Das Spiel allein macht noch keinen Geschichtsunterricht!

„Lieder unserer Heimat“ – Unterrichtsmaterial

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Über 3,5 Jahre ist es her, dass das Projekt angekündigt wurde. Der Leipziger Künstler Schwarwel hat als Zeichner, Regisseur, Drehbuchautor und Songwriter einen Trickfilm gemacht, der aus mehreren Songs besteht, in denen er seine eigene Geschichte und verschiedene Aspekte des Lebens und Alltags in der DDR verarbeitet. Auf der Homepage des Projekts heißt es dazu:

Der Film ‚1989 – Lieder unserer Heimat – Vorwärts immer‘ nimmt sich die Ursachen und die Geschichte der Friedlichen Revolution und des Mauerfalls zum Inhalt, um aus persönlicher Perspektive zu erzählen, was ein Unrechtssystem und eine Diktatur mit und aus den Menschen machen, die in ihnen aufwachsen und leben.

Er ist eine Melange aus semi- und autobiografischen Erzählungen und geschichtlichen Abrissen, basierend auf Erinnerungen, Rückblenden und Gefühlen, angereichert mit den Erlebnissen und Erfahrungen von Schwarwel, der bei diesem Film als Autor und Regisseur fungierte. Eingebettet in 13 dokumentarisch aufbereitete und animierte Musikvideos gehen wir mit den Protagonist*innen in den einzelnen Episoden auf eine Zeitreise.

Die Lieder stehen auch als einzelne Musikvideos alle mittlerweile komplett online. Die Lieder sind eine künstlerische und damit sehr persönliche Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte und bieten deshalb ungewöhnliche, unkonventielle Zugänge, die bei Schülerinnen und Schüler Interesse am Thema wecken können.

Nun folgen auch erste Anregungen, wie die Musikvideos, Bildern, Liedern und Texten im Unterricht eingesetzt werden können. Ronald Hild und ich haben die Unterrichtsideen gemeinsam erarbeitet. Die ersten Arbeitsblätter und Projektvorschläge stellen wir zum Download online.

Lied Horch, Guck & Greif

Lied Rote Beete

Projektidee „Alltagsleben in der DDR“

Textura Edition „1989 – Lieder unserer Heimat“

Für das Projekt haben wir auch eine neue Textura-Edition erarbeitet. Dabei haben wir das Textura-Prinzip an die Materialien von „1989 – Lieder unserer Heimat“ (also: Bilder, Videos, Musik, Texte) adaptiert und auf dieser Grundlage einige alternative Ideen und unterschiedliche Zugangsweisen abseits klassischer Arbeitsblätter zusammengestellt.

Lehrerhandreichung

Materialien

Spiele, Geschichte und Lernen

Aktuell läuft gerade die weltweit größte Messe für (analoge) Spiele, die Internationalen Spieletage in Essen. Im Vorfeld war ich bei Dirk Huesmann zu Gast und wir haben uns u.a. über Geschichte und Spiele unterhalten. Vielleicht ist das Gespräch ja für die eine oder den anderen hier auch interessant…

Caius, ein Lausbub in Geschichten voller Rassismus

Unser Sohn ist gerade sehr begeistert von den „Römern“. So fliegen hier im Haus zahlreiche Playmobil-Römer rum (meistens in verschiedenen Räumen und auf dem Boden) und wir freuen uns in Rheinland-Pfalz zu leben, wo es zahlreiche Anknüpfungspunkte in Form von römischen Ruinen und Museen gibt. Wir wohnen auch nur ein paar Kilometer vom Limes entfernt. So waren wir vor ein paar Wochen in der Römerwelt in Rheinbrohl. Dort gibt es wenig ausgestellte Quellen, aber tolle Angebote und Aktitiväten für Kinder – auf jeden Fall eine Empfehlung für Familien mit Kindern im Alter von so ca. 5-11 Jahren.

Nun dachte ich, dann könnte es auch passen, die alten Geschichte von Caius, dem „Lausbub“ gemeinsam zu lesen. Die hatte ich selbst als Kind oder Jugendlicher gelesen und hatte gute Erinnerungen daran. Autor ist der 1901 in Hamburg geborene Henry Winterfeld, dessen erstes Caius-Buch „Caius ist ein Dummkopf“ Mitte der 1950er Jahre veröffentlicht wurde.

Caius TitelDem folgten zwei weitere Bücher, die dann auch in einem Sammelband als „Caius, ein Lausbub aus dem alten Rom“ zusammengefasst wurden. Die Bücher waren (und sind?) recht beliebt gewesen und haben mehrere Auflagen sowohl als Einzelbuch wie als Sammelband erlebt. Wir haben hier den Sammelband, der 1979 erschienen ist. Die letzten Ausgaben, die ich nach kurzer Recherche gesehen haben, sind allerdings schon über 10 Jahre alt. Die Bücher gibt es also nur noch antiquarisch.

Warum schreibe ich das hier? Ich hatte die Bücher über 30 Jahre nicht in der Hand und hätte sie aufgrund eigener guter Leseerinnerungen bedenkenlos Schülerinnen und Schüler empfohlen. Solche Empfehlungen finden sich u.a. in Schulbüchern wie auch auf Seiten einzelner Schulen unter „Lektüretipps“ für den Geschichts- und Lateinunterricht.

Allerdings – und das fällt erst auf, wenn man die Bücher wieder liest – sind die Erzählungen voll von rassisistischen Personencharakterisierungen. Dies betrifft insbesondere die Beschreibung von Sklaven. An dieser Stelle sollen zwei beispielhafte Auszüge genügen.

1) Es wird der dichte Straßenverkehr vor der Schule von Caius beschrieben:

„Als er [ein großer Bauernwagen] gerade an der Schule vorbeiratterte, mußte er anhalten; denn von der anderen Seite kam ihm eine Sänfte entgegen, die von acht prunkvoll livrierten Negern getragen wurde. Es entstand eine Verkehrstockung…“ (1979, S. 21).

Warum heißt es hier „Neger“ und nicht Sklaven oder Träger. Für die Erzählung macht es keinen Unterschied. Die Sklaven in Rom, darauf wird sonst mehrfach im Buch hingewiesen, kamen aus den unterschiedlichsten Provinzen und Grenzgebieten des römischen Reichs. Durch die vorliegende Charakterisierung der Träger werden durch den Autor schlichte koloniale, rassistische Bilderwelten in das antike Rom projiziert und damit im Kinderbuch reproduziert.

2) Noch deutlicher wird es im zweiten Zitat. Xanthos, der Lehrer, der von den Schülern Xantippus genannt wird, ist überfallen worden und hat den Schülern frei gegeben. Diese suchen ihn nun erneut auf, um zu überprüfen, ob die Schreibtafel von Rufus noch dort ist:

„Xantippus war erstaunt, als seine Schüler unerwartet zurückkamen. Er saß im Bett und las. Sein rechtes Bein war in feuchte Tücher gehüllt. In der winzigen Küche fuhrwerkte eine dicke Negerin mit dem Geschirr herum. Als sie die Jungen vernahm, guckte sie neugierig um die Ecke und grinste sie fröhlich an. Ihre langen Zähne schimmerten wie Elfenbein in ihrem freundlichen schwarzen Gesicht.

‚Lehrer krank, keine Schule‘, sagte sie kichernd. ‚Armer Mann, schlimme Schmerzen, oh, oh!‘ Sie rollte ein paar Mal die Augen, um ihr Mitgefühl auszudrücken, dann kehrte sie zu ihren Töpfen zurück.“ (1979, S. 60).

Begleitet wird der Text von entsprechenden Illustrationen. Ich habe nur kurz geschaut, war aber überrascht, dass sich im Netz bis jetzt keine Hinweise auf die rassistischen Darstellungen in den Büchern von Winterfeld finden. Eine Leseempfehlung werde ich für diese Bücher nicht mehr aussprechen. Vielleicht hilft dieser Blogpost ja auch dabei, dass die Bücher von der ein oder anderen Leselisten von Schulen verschwindet.

Und wie gehe ich als Vater damit um? Die Geschichten sind für Kinder spannend. Wenn unser Sohn das weiter vorgelesen haben möchte, werde ich das tun. Allerdings wird dann die Sänfte einfach von Sklaven getragen und die Köchin zu einer dicken, freundlichen Frau mit weißen Zähnen, die fließend Latein bzw. Deutsch spricht. Das funktioniert gut, weil die rassistischen Einlassungen für die Geschichten völlig irrelevant sind. Für eigene Leseerfahrungen von Kindern sind die Bücher allerdings meines Erachtens nach nicht geeignet.

Ein Blick in die Textura-Werkstatt (Teil 3): jedes Wort wohl gewählt

Deutsche Lager? Wir ahnten, dass die Erarbeitung eines zweisprachigen Spiels zur deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte eine Herausforderung werden würde. In wievielen Details jedoch ein kleiner Sprachteufel sitzt, das war dann aber auch für mich überraschend.

Während im Deutschen selbstverständlich die Rede von „Konzentrationslagern“ ist, haben wir bei der Erarbeitung der Inhalte gelernt, dass der (oben verlinkte) Artikel der polnischen Wikipedia den Titel „deutsche Lager“ trägt. Im Spiel sind sie jetzt fachlich korrekt als „Obozy koncentracyjne“ übersetzt. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die enge Zusammenarbeit mit der Übersetzerin und den Experten bei diesem Projekt war, sonst hätten wir leicht die Überzeugung gewinnen können, dass „deutsche Lager“ der etablierte Fachbegriff im Polnischen wäre – aber auch die Wikipedia bildet Geschichtspolitik in ihren Sprachversionen ab und ist deshalb kritisch zu hinterfragen.

Die Wikipedia ist für uns in diesem Projekt insofern besonders wichtig, weil dort tatsächlich alle Inhalte in beiden Sprachen vorliegen. Daher verlinken wir auf den Inhaltskarten des Spiel per QR-Code auf den Artikel der jeweiligen Sprachversion, um den Schülerinnen und Schüler eine schnelle Nachschlagmöglichkeit an die Hand zu geben oder als Ausgangspunkt um sich vertiefend zu informieren.

Angesichts der tatsächlich oft divergierenden Darstellung in den beiden Sprachversionen können in zweisprachigen Gruppen genau diese Unterschiede zum Lernanlass werden. In einsprachigen Gruppen ist (eingeschränkt, weil die Perspektive der anderen in Gruppe fehlt) auch möglich: Das Übersetzungstool deepl.com schafft keine perfekten, aber wirklich gut lesbare Textübersetzungen, die ausreichen, um eine abweichende Perspektive oder Wortwahl erkennen zu können und sie anschließend zu untersuchen bzw. im Unterricht zu thematisieren.

Ein anderes Beispiel ist das „Massaker von Jedwabne„. Jedes Set für jeweils ein Thema bzw. einen deutsch-polnischen Erinnerungsort umfasst (in der Regel) 15 Karten. Das heißt, es muss eine Auswahl getroffen. Gehört nun „Jedwabne“ unbedingt in das Thema „Holocaust“? Wir waren zunächst der Meinung, das aufnehmen zu müssen, um auch diesen Aspekt abzubilden und uns nicht dem Vorwurf einer vorauseilenden Selbstzensur angesichts der politischen und juristischen Entwicklung in Polen auszusetzen.

Am Ende haben wir Jedwabne doch nicht berücksichtigt. In enger Absprache mit den Experten der Polnischen Akademie der Wissenschaften und des Deutschen Polen-Instituts

sind wir übereingenommen, dass eine Einordnung des Geschehens von Jedwabne sehr voraussetzungsreich ist und dass das Spiel diese Einordnung (bei 15 Karten pro Großthema) nicht leisten kann. Ohne eine breite und notwendige Einordnung bestünde aber die Gefahr, mit einer einzelnen Karte zu „Jewabne“ in dem Set „Holocaust“ falsche Vorstellungen zu generieren. Es war dann letztlich eine Frage der (lang diskutierten und reiflichen) Abwägung, diesen Teilaspekt des Holocausts nicht zu berücksichtigen.

Die Erstellung der Inhalte für die Special Edition von Textura ist inzwischen abgeschlossen. Es läuft die Endredaktion der Texte, Christian, unser Illustrator rotiert bei der Fertigstellung der Bilder… Ende des Monats soll das Spiel im Druck sein und dann (hoffentlich) zum neuen Schuljahr, allerspätestens Anfang Oktober vorliegen. Toi, toi, toi!

Schülerrezensionen von Geschichtsspielen

peer-review-icon-2888794_1280Zum Abschluss des Projekts „Der Erste Weltkrieg in Spiel und Realität“ haben die teilnehmenden Schüler Rezensionen zu den fünf analysierten analogen und digitalen Spielen verfasst. Die Rezensionen sollten unter dem Fokus stehen, ob das jeweilige Spiel sich für den Einsatz im Geschichtsunterricht eignet oder nicht. Die fünf Rezensionen finden sich hier zum Download – je nach Wunsch der Schüler – mit oder ohne Namensangaben der Verfasser:

Rezensionen zu Geschichtsspielen zu schreiben ist auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, eine vertiefte Auseinandersetzung anzuregen. Rezensionen sind zudem auch eine lebensweltnahe Form der „Ergebnissicherung“. Denkbar sind, anders als wir das im Projekt gemacht haben, auch Video-Rezensionen. Fächerübergreifendes Arbeiten mit Deutsch ist möglich, aber nicht zwingend.

checklist-41335_1280Die Texte zeigen aber, wie schwierig es auch für ältere Schüler ist, eine Rezension zu verfassen. Daraus entstand im Nachgang des Projekts für den regulären Fachunterricht eine Vorlage bzw. ein Raster für Rezensionen zu Geschichtsspielen zu erstellen, das den Schülern einen Leitfaden für die Spielanalyse und zum Schreiben zur Verfügung stellt und nach mehrfacher Übung natürlich auch weggelassen werden kann. Die Vorlage orientiert sich an gängigen Modellen zum Schreiben für Rezensionen von Büchern, ist aber für  Spiele und speziell mit Fragen zur Darstellung von Geschichte im Spiel entsprechend angepasst. Ausprobiert haben wir den Bogen im Unterricht noch nicht, stellen ihn hier aber als Entwurf schon einmal zum Download zur Verfügung und damit auch zur Diskussion. Feedback mit Vorschlägen zur Verbesserung und Präzisierung ist sehr willkommen:

Vorlage: „Geschichtsspiel rezensieren“

Download als PDF-Dokument oder als Word-Doc

Der Erste Weltkrieg in digitalen Spielen

Ein Problem digitale Spiele im Unterricht einzusetzen, liegt in ihrer langen Spieldauer. Ein Spiel „durchzuspielen“, dauert in der Regel Dutzende von Stunden. Da steht das Spiel in keinem Verhältnis zu verfügbaren Lernzeit in der Schule. Eine Möglichkeit, digitale Spiele dennoch als geschichtskulturelle Produkte zu analysieren, besteht darin, ihre Bewerbung also Cover, Poster sowie vor allem Trailer aber auch „Let’s Plays“ (ggf. in Ausschnitten) zu nutzen, wie es Daniel Giere zuletzt noch einmal in einem Unterrichtsbeispiel zur Französischen Revolution angeregt hat.

Für das im vorangegangenen Beitrag bereits beschriebene Projekt haben wir die drei hier im Artikel auch verlinkten Trailer verwendet. Arthur Chapman hatte noch 58 digitale Spiele gezählt, die sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen (relativ wenig verglichen mit dem Zweiten Weltkrieg). Wir haben hier eine Auswahl getroffen: zum einen sind „Valiant Hearts“ und „Battlefield One“ vergleichsweise neue Spiele, zum anderen zeigen sie beispielhaft eine große Spannbreite der thematischen Umsetzung (siehe zu beiden Spielen auch die Beiträge von Nico Nolden in seinem Blog: „Innovation: Battlefield Won“ sowie „Innovation: Zersiebt, verlobt, verheiratet“.

Dazu haben wir noch das Spiel „Verdun“ ausgewählt, da das Projekt auch eine Tagesexkursion nach Verdun beinhaltet, wo wir eine Wanderung machen werden, die uns u.a. zum Fort Douamont und zum Ossuaire führen wird.

Das Spiel legt gerade im Vergleich zu „Battlefield One“ noch einmal einen anderen Fokus und wirbt gezielt mit seiner „Authentizität“. Entsprechende Englischkenntnisse voraugesetzt, ließe sich Verdun auch noch vertiefend untersuchen mit Hilfe eines Videos des YouTube-Kanals „The Great War“: mit drei Machern des Spiels „Verdun“ haben sie sich vor Ort in Verdun über die Entstehungsgeschichte, den Anspruch und die Entwicklung des Spiels unterhalten.

Die Frage nach der historischen Korrektheit der Spiele stand für uns jedoch nicht im Mittelpunkt – auch wenn das, speziell in Bezug auf die Waffen von den teilnehmenden Schülern immer wieder thematisiert wurde. Vielmehr wollten wir – wie im Beitrag über analoge Spiele bereits dargestellt – untersuchen, welches Bild bzw. welcher Bilder vom Ersten Weltkrieg durch die Spiele vermittelt werden.

Die unterschiedlichen Ansätze der beiden Spiele sind bei Nico Nolden (siehe oben) schon ausführlich darsgestellt und kritisch betrachtet. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Arbeit mit den Trailern grundsätzlich sehr gut funktioniert hat: Von den erarbeiteten Untersuchungskriterien wurden diejenigen ausgewählt, die für die Analyse der Trailer relevant sind und unter den Schülern aufgeteilt (einer konzentriert sich auf den Sound/Musik, ein anderer auf thematische Aspekte, die im Trailer vorgenommmen usw.).

Damit ließ sich der unterschiedliche Fokus der drei Spiele sowie vermutete (und anhand der Beobachtungen plausibel begründete) Intentionen der Spielemacher herausarbeiten. Auch wenn die Schüler – zu Recht – anmerkten, dass auch die Spielprinzipien und -mechanismen in den Trailern bereits vorkommen (bei Valiant Hearts kann man z.B. sehen, dass Hebel umgelegt werden müssen, um an anderer Stelle etwas zu bewegen), stellt sich mir die Frage, ob bei der Arbeit mit Trailern nicht der Kern dessen außen vor bleibt, was Spiele als Medium letztendlich ausmachen, nämlich die Interaktion (mit Mitspielern bzw. dem Computer), durch eigene Entscheidungen und Handlungen den Verlauf des Spiels zu verändern und zu gestalten.

So wie wir an die Analyse der Trailer herangegangen, ist es letztendlich nur eine andere Form der bekannten Filmanalyse und wird so meines Erachtens dem Medien „Spiel“ nicht gerecht, auch wenn ich mich gerne eines Besseren belehren lasse – das ist meinerseits zunächst einmal nur ein erster Eindruck. Grundkenntnisse der Filmanalyse (Kameraeinstellungen und deren Wirkung etc.) sind übrigens sehr hilfreich, eigentlich notwendig für die Analyse der Trailer – und sollten ggf. dann, falls nicht bekannt, explizit mit den Schülern thematisiert werden.

Der Erste Weltkrieg in analogen Spielen

In einem gemeinsamen Projekt mit einem Kollegen und fast 30 Schülern (mit einer Ausnahme durchweg Jungs) widmen wir uns in den Projekttagen dieses Jahr dem Thema „Der Erste Weltkrieg in anlogen und digitalen Spielen“. Nicht alles aus dem Projekt, das unter besonderen Bedingungen (Freiwilligkeit, viel Zeit am Stück, Vorkenntnisse zum Ersten Weltkrieg usw.) ist auf den normalen Unterrichtsalltag übertragbar, das ein oder andere kann aber vielleicht doch als Anregung dienen. Die Projekttage umfassen bei uns insgesamt 6 Tage, die aufgteilt sind in 2 getrennte Phasen von jeweils 2×3 Tagen. Von diesen Tagen sind jeweils die 3.-6. Stunde den Projekten gewidmet, in den ersten beiden Stunden findet eine Forder- bzw. Förderlernzeit in den Hauptfächern statt. In der Summe stehen für das Projekt also 24 Unterrichtsstunden zur Verfügung.

Für den ersten Teil haben wir uns auf analoge Spiele konzentriert. Wir hatten hier im Vorfeld drei Spiele ausgewählt:

Die Spiele waren so gewählt, dass sie möglichst unterschiedliche Aspekte des Themas aufgreifen bzw. diese sehr unterschiedlich umsetzen. Zudem sollte die Einstiegshürde, was den Umfang und Komplexität der Regeln angeht, relativ gering liegen – dachten wir…

Die Schülergruppe umfasst einige brettspiel- vor allem aufgrund der Ausschreibung aber viele videospielaffine Jungen, die sich, obwohl altersmäßig erst ab Klasse 10 ausgeschrieben, vermutlich wesentlich mangels Spiel- und Regelleserfahrung mit den Anleitungen der analogen Spiele mehrheitlich doch recht schwer getan haben.

„Diplomacy“ haben wir mit der ganzen Gruppe gespielt. Jedes der 7 Länder wurde jeweils durch eine Schülergruppe von je 4 Schülern repräsentiert. Das hat überraschend gut funktioniert. Da die Einführung hier für alle gleich war und die Grundregeln überschaubar sind, war das auch kein Problem. Für den Unterrichtseinsatz ist Diplomacy insofern problematisch, als es mit bis zu 7 Stunden vergleichsweise lange Spielzeit aufweist und die Auswertung der einzelnen Runden recht schwierig ist. Nach einer kurzen Einführung haben wir die ersten beiden Tage ausschließlich „Diplomacy“ gespielt, die Gruppengröße war ok, wobei kleinere Gruppe von 2-3 Spielern sicher besser wären. Es ist aber auf jeden Fall nicht notwendig, ein Land allein zu spielen. Ein Exemplar des Spiels reicht für eine ganze Klasse. Um das Spiel kennenzulernen und untersuchen zu können, lässt sich die Spielzeit durch eine Veränderung des Spielziels kürzen, so dass z.B. gewinnt, wer nach 6 oder 8 Runden die meisten Versorgungszentren kontrolliert.

Von den anderen beiden Spielen waren mehrere Exemplare. Sie sollten in Kleingruppen mit 3-5 Spielern selbstständig erschlossen und gespielt werden. Für eine Klasse sind also so ca. 5-6 Exemplare eines Spiels bzw. insgesamt (bei verschiedenen Spielen) nötig.

Obwohl „Hindenburg’s Hour“ für ein CoSim sehr einfach und regelarm ist, waren die Schüler nicht in der Lage, sich dieses Spiel zu erschließen. Dadurch dass die anderen Gruppen alle durchweg auch Probleme hatten, die Regeln von „Les Poilus“ zu verstehen, waren wir auch zu zweit nicht in der Lage allen Tischen gleichzeitig zu helfen… so dass am Ende „Hindenburg’s Hour“ nur äußerlich beschrieben, aber nicht gespielt wurde.

Praktischer Tipp: Hilfreich ist, sofern möglich, den Schülern vorab, falls alle Gruppen dasselbe Spiel spielen, ansonsten über ein Smartphone/Tablet/PC pro Gruppe ein Regel- bzw. Beispiel-Video zur Verfügung zu stellen: Für Les Poilus ist z.B. diese Animation sehr hilfreich, Nachfragen werden danach überschaubar sein und lassen sich gut beantworten.

Die Analyse der Spiele stand unter zwei Leitfragen:

1) Welche Aspekte des Ersten Weltkriegs sind im Spiel enthalten bzw. nicht enthalten?

2) Welches Bild vom Ersten Weltkrieg wird durch das Spiel vermittelt?

Zugleich hatten wir vorab überlegt, welche Elemente sich bei analogen bzw. digitalen Spielen untersuchen lassen im Hinblick auf die Darstellung von Geschichte. Dabei haben wir folgende Liste festgehalten:

  • Titel
  • Cover
  • Setting / Thema / Rahmen (Zeit, Orte)
  • Texte (auf Karten, in der Anleitung, Einführung, Dialoge etc.)
  • Grafik / Illustrationen
  • Spielprinzip / -mechanismen
  • nur für analoge Spiele: Spielmaterial
  • nur für digitale Spiele: Steuerung sowie Sound/Musik

Abschließend haben wir am Ende der ersten Projektphase „Diplomacy“ und „Les Poilus“ miteinander verglichen und sind zu folgenden Ergebnissen gekommen, die mir so interessant erscheinen, dass ich bereits überlege, ob und wie eine vergleichende Untersuchung der beiden Spiele im normalen Unterricht in Zukunft möglich ist.

Zu „Diplomacy“:

  • zeigt Komplexität der Bündnispolitik vor dem Ersten Weltkrieg und geopolitische Bedingungen
  • kein „Bild“ vom Krieg -> in Vorkriegszeit angesiedelt, aber Spiel enthält auch Kriegszüge und Eroberungen
  • Welt / Krieg als „Spielball“ (Truppen verschieben wie in von Kriegsgeschehen losgelöstem „Kabinettskrieg“)
  • Verrat und Hintergehen von Partner = im Spiel angelegt (fast) als Notwendigkeit, erhöht die Gewinnchancen
  • im Spiel enthalten: Bündnisse und psychologische Aspekte
  • Nicht enthalten:
    • politische Hintergründe und wirtschaftliche, gesellschaftliche Bedingungen
    • auf Europa beschränkt
    • Sterben von Soldaten und Zivilisten
    • militärische Stärke / Unterschiede zwischen Ländern
    • politische Handlungsmöglichkeiten (durch Spielziel vorgegeben: Spiel endet, wenn ein Land Vorherrschaft erringt: friedliches Zusammenleben/Ausgleich ist im Spiel nicht vorgesehen)

Zu „Les Poilus“:

  • Spielgefühl vermittelt gegenseitige Abhängigkeit, ist deprimierend und frustrierend
  • Versuch „Atmosphäre“ an der Front nachfühlen zu lassen (permanente Bedrohung, Unberechenbarkeit, Zufälligkeit des Sterbens, abhängig von Karten, wenig Möglichkeiten, dies zu beeinflussen)
  • ständige Gefahren an der Front für Soldaten über Bilder und Texte im Spiel präsent (Gasangriff, Kälte/Schnee, Regen, Granaten etc.)
  • Fazit: Antikriegsspiel mit Fokus auf einzelnen Menschen. Spielziel: Überleben, nicht Krieg gewinnen.