Unser Sohn ist gerade sehr begeistert von den „Römern“. So fliegen hier im Haus zahlreiche Playmobil-Römer rum (meistens in verschiedenen Räumen und auf dem Boden) und wir freuen uns in Rheinland-Pfalz zu leben, wo es zahlreiche Anknüpfungspunkte in Form von römischen Ruinen und Museen gibt. Wir wohnen auch nur ein paar Kilometer vom Limes entfernt. So waren wir vor ein paar Wochen in der Römerwelt in Rheinbrohl. Dort gibt es wenig ausgestellte Quellen, aber tolle Angebote und Aktitiväten für Kinder – auf jeden Fall eine Empfehlung für Familien mit Kindern im Alter von so ca. 5-11 Jahren.
Nun dachte ich, dann könnte es auch passen, die alten Geschichte von Caius, dem „Lausbub“ gemeinsam zu lesen. Die hatte ich selbst als Kind oder Jugendlicher gelesen und hatte gute Erinnerungen daran. Autor ist der 1901 in Hamburg geborene Henry Winterfeld, dessen erstes Caius-Buch „Caius ist ein Dummkopf“ Mitte der 1950er Jahre veröffentlicht wurde.
Dem folgten zwei weitere Bücher, die dann auch in einem Sammelband als „Caius, ein Lausbub aus dem alten Rom“ zusammengefasst wurden. Die Bücher waren (und sind?) recht beliebt gewesen und haben mehrere Auflagen sowohl als Einzelbuch wie als Sammelband erlebt. Wir haben hier den Sammelband, der 1979 erschienen ist. Die letzten Ausgaben, die ich nach kurzer Recherche gesehen haben, sind allerdings schon über 10 Jahre alt. Die Bücher gibt es also nur noch antiquarisch.
Warum schreibe ich das hier? Ich hatte die Bücher über 30 Jahre nicht in der Hand und hätte sie aufgrund eigener guter Leseerinnerungen bedenkenlos Schülerinnen und Schüler empfohlen. Solche Empfehlungen finden sich u.a. in Schulbüchern wie auch auf Seiten einzelner Schulen unter „Lektüretipps“ für den Geschichts- und Lateinunterricht.
Allerdings – und das fällt erst auf, wenn man die Bücher wieder liest – sind die Erzählungen voll von rassisistischen Personencharakterisierungen. Dies betrifft insbesondere die Beschreibung von Sklaven. An dieser Stelle sollen zwei beispielhafte Auszüge genügen.
1) Es wird der dichte Straßenverkehr vor der Schule von Caius beschrieben:
„Als er [ein großer Bauernwagen] gerade an der Schule vorbeiratterte, mußte er anhalten; denn von der anderen Seite kam ihm eine Sänfte entgegen, die von acht prunkvoll livrierten Negern getragen wurde. Es entstand eine Verkehrstockung…“ (1979, S. 21).
Warum heißt es hier „Neger“ und nicht Sklaven oder Träger. Für die Erzählung macht es keinen Unterschied. Die Sklaven in Rom, darauf wird sonst mehrfach im Buch hingewiesen, kamen aus den unterschiedlichsten Provinzen und Grenzgebieten des römischen Reichs. Durch die vorliegende Charakterisierung der Träger werden durch den Autor schlichte koloniale, rassistische Bilderwelten in das antike Rom projiziert und damit im Kinderbuch reproduziert.
2) Noch deutlicher wird es im zweiten Zitat. Xanthos, der Lehrer, der von den Schülern Xantippus genannt wird, ist überfallen worden und hat den Schülern frei gegeben. Diese suchen ihn nun erneut auf, um zu überprüfen, ob die Schreibtafel von Rufus noch dort ist:
„Xantippus war erstaunt, als seine Schüler unerwartet zurückkamen. Er saß im Bett und las. Sein rechtes Bein war in feuchte Tücher gehüllt. In der winzigen Küche fuhrwerkte eine dicke Negerin mit dem Geschirr herum. Als sie die Jungen vernahm, guckte sie neugierig um die Ecke und grinste sie fröhlich an. Ihre langen Zähne schimmerten wie Elfenbein in ihrem freundlichen schwarzen Gesicht.
‚Lehrer krank, keine Schule‘, sagte sie kichernd. ‚Armer Mann, schlimme Schmerzen, oh, oh!‘ Sie rollte ein paar Mal die Augen, um ihr Mitgefühl auszudrücken, dann kehrte sie zu ihren Töpfen zurück.“ (1979, S. 60).
Begleitet wird der Text von entsprechenden Illustrationen. Ich habe nur kurz geschaut, war aber überrascht, dass sich im Netz bis jetzt keine Hinweise auf die rassistischen Darstellungen in den Büchern von Winterfeld finden. Eine Leseempfehlung werde ich für diese Bücher nicht mehr aussprechen. Vielleicht hilft dieser Blogpost ja auch dabei, dass die Bücher von der ein oder anderen Leselisten von Schulen verschwindet.
Und wie gehe ich als Vater damit um? Die Geschichten sind für Kinder spannend. Wenn unser Sohn das weiter vorgelesen haben möchte, werde ich das tun. Allerdings wird dann die Sänfte einfach von Sklaven getragen und die Köchin zu einer dicken, freundlichen Frau mit weißen Zähnen, die fließend Latein bzw. Deutsch spricht. Das funktioniert gut, weil die rassistischen Einlassungen für die Geschichten völlig irrelevant sind. Für eigene Leseerfahrungen von Kindern sind die Bücher allerdings meines Erachtens nach nicht geeignet.
Besser als Verschweigen wäre allerdings, die Kinder darüber aufzuklären, dass es früher in Deutschland KEIN Zeichen von Rassismus war, Neger zu sagen. Kinder sollen schließlich zum Denken und Analysieren angeleitet werden, oder?
Ich bin mit Negerkussbrötchen aufgewachsen, hatte eine wunderschöne Negerpuppe, die ich sehr geliebt habe und meine Tante hatte einen schwarzen Studenten aus Kenia als Untermieter, der sich selbst als Neger bezeichnet hat und mit dem mich eine ganz besonders schöne Freundschaft verband.
Jetzt an alten Büchern Zensur zu üben und alles, was wir in unserer Gesellschaft als „Rassismus“ betrachten, kurzerhand zu unterschlagen, ist die denkbar schlechteste Methode, Kindern Geschichte nahezubringen. Die nächste Stufe der Zensur ist nämlich die Bücherverbrennung …
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Sorry, aber die Reaktion ist mir deutlich zu undifferenziert. Zum einen war es auch damals Rassismus. Zum anderen steht nirgendwo im Beitrag, dass „alles, was“ wir heute als Rassismus ansehen verschwiegen werden soll.
Für Erklärungen würde ich deutlich nach Alter der Kinder und Gelegenheit differenzieren. Gelegenheiten, Alltagsrassismus gestern und heute zu erklären, gibt es genug. Das muss ich nicht jeden Abend beim Vorlesen machen.
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In den neueren Auflagen der Caius-Bände, die heute in den Schulen gelesen werden, sind die entsprechenden Passagen geändert und kommen nicht mehr so vor, wie sie im o.g. Beitrag zitiert sind.
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Hm. Es ist ganz gewiss wichtig, auf Funde des N-Worts in Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur hinzuweisen, erst recht wenn in heute erhältlichen Fassung der Text stillschweigend bereinigt worden ist. Es ist aber überhaupt nicht nachzuvollziehen, dass Sie sich über das in der Kinder- und Jugendliteratur früherer Jahrzehnte fast schon allgegenwärtige N-Wort aufregen, um deswegen dem Autor von im antiken Rom angesiedelten Geschichten Rassismus zu unterstellen – und dabei mit keiner Silbe den biographischen Hintergrund von Henry Winterfeld erwähnen, der aufgrund seiner jüdischen Wurzeln Nazi-Deutschland verlassen musste und nach mehreren Stationen in europäischen Ländern in die USA emigrieren konnte, bevor die Deutschen Frankreich überfielen. Aber das passte Ihnen offensichtlich nicht in das Konzept Ihrer Möchtegern-Philippika … Kleiner Tipp: wenn Sie antisemitische und rechtsradikale Wölfe im Schafspelz der Kinder- und Jugendliteratur enttarnen wollen, dann beschäftigen Sie sich lieber mal mit Autoren wie Wilhelm Matthießen („Das rote U“), Alfred Weidenmann („Gepäckschein 666“) oder Rüdiger Greif alias Franz Kurowski („Die Funk-Füchse“) – da tun sich Abgründe auf! Aber nicht bei Caius im alten Rom.
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