Staunen statt Denken

Mehrfach als „interaktiver Geschichtsunterricht“ betitelt (u.a. hier) ist seit einiger Zeit die zweite „Discovery Tour“ verfügbar, die in Ubisofts „Assassin’s Creed Odyssey“ in die antike griechische Welt führt.

Einen ersten Eindruck vermittelt der Trailer:

Den Vorgänger „Origins„, der im alten Ägypten angesiedelt ist und erstmalig eine Entdeckungstour enthielt, hatte ich leider versäumt mir anzuschauen. Nach einem ersten Schnuppern im klassischen Athen möchte ich hier meine ersten Eindrücke kurz vor- und zur Diskussion stellen.

Die grafische Aufbereitung und das visuelle Erlebnis sind – das zeigen ja bereits die Bilder im Trailer – fantastisch. Stauend streift man mit seiem Avatar durch diese Welt. Das Spiel schafft es mit seinen Bildern, die antike Polychromie, die an sich kein neuer Befund ist, mit der Breitenwirkung eines Spiele-Blockbusters ins allgemeine Bewusstsein zu katapultieren und die tief verwurzelte Fehlvorstellung der klassischen Antike als „weiß“ zu korrigieren.

Wie sieht es darüber hinaus aus mit dem Potential des Spiels, insbesondere des Erkundungsmodus für das schulische Geschichtslernen? Mein erster Eindruck: eher mau. Matthias Hannemann und Claudia Reinhard schrieben im Januar in der FAZ von einem lebendig gewordenen „Was ist was“-Buch. Das ist überspitzt, aber im Kern treffend. Das Computerspiel bietet eine Kulisse mit Authentizitätsversprechen: So sah das damals aus. Dafür bürgt der wiederholte Verweis auf „renommierte“ Historiker und Archäologen, die an dem Projekt mitgearbeitet hätten.

Aber schon zum Vorgänger „Origins“ wurde auf spielbar.de zu Recht kritisch angemerkt: Die Grundlagen für diese Art der Darstellung, welche Quellen, welche Forschungsliteratur der Rekonstruktion zugrundeliegen, wird dem Spieler oder hier besser: dem Besucher, nicht offen gelegt – ebenso wenig wie vorhandene Forschungskontroversen.

Das muss ein Spiel, eigentlich sogar nur das Nebenprodukt eines Spiels auch nicht leisten. Sicherlich wäre es wünschenswert, aber letztendlich ist es ein populäres Produkt der Geschichtskultur, das mit Geschichte unterhalten, aber – nach Aussage von Ubisoft – auch belehren will.

Nur ist es ein Trugschluss, das Lernen über Geschichte mit dem schulischen Geschichtsunterricht gleichzusetzen. Die Entdeckungstouren von Ubisoft bieten keinen „interaktiven Geschichtsunterricht“ für „engagierte Lehrer“. Die geführten Touren sind langweiligste Frontalbelehrungen in atemberaubender Kulisse. Die als innovative Neuerungen zum Vorgänger angepriesenen „interaktiven“ Quizelement am Ende einer Tour taugen qualitativ allenfalls für ein Telefonanruf-Gewinnspiel im Werbeblock der Halbzeitpause eines Fußballspiels.

Der zentrale Punkt ist: Es geht um Lernen, nicht um Belehren. Auch wenn das noch nicht überall angekommen ist, aber der schulische Geschichtsunterricht hat sich von einem Auswendiglern- zu einem Denkfach entwickelt. Es geht um die Unterscheidung, Einordnung und Bewertung von Quellen und Darstellungen, um Ursachen und Folgen, um Multikausalität und Multiperspektivität. Davon findet sich in dem trotz aller Bewegung statischen Bild des Computerspiels nichts.

Nichtsdestotrotz haben die Entdeckungstouren Potential auch für den schulischen Geschichtsunterricht – nur nicht von sich aus, sondern sie müssen notwendigerweise didaktisiert werden: durch die Lehrerin oder den Lehrer zum motivierenden Einstieg, in der Erarbeitung oder Analyse von Geschichtsbildern, so wie es z.B. Studierende der Universität Hamburg im letzten Jahr in Unterrichtskonzepten für unterschiedliche digitale Spiele gemacht haben oder in Formen offenen Unterrichts, in denen die Lernenden mit selbst gewählten Fragestellungen an die Darstellung von Geschichte im Spiel herantreten. Da ist vieles möglich, nur verwechseln sollte man das nicht: Das Spiel allein macht noch keinen Geschichtsunterricht!