Mittelalterliche Siegel – eine Unterrichtsidee

Nach Toni Diederich (Siegelkunde 2012, 12ff.) sind Siegel als Medien zu verstehen: Sie dienen ihrem Träger dazu, einem bestimmten Publikum durch Bild und Schrift eine Botschaft vermitteln. Siegel bilden somit ein wichtiges Element der der Außen- und Selbstdarstellung ihrer Träger. Dies umso mehr als sie vor allem den Rang des Siegelträgers in einer Gesellschaft bekunden, in der Rang ein konstitutives Merkmal der Gesellschaftsordnung gewesen ist: „Der Person ‚als Ganzes‘ wurde in ihrer Eigenschaft als Mitglied eines bestimmten Verbandes ein konkreter in der Gesellschaft zu gewiesen.“ (Arlinghaus, in: Späth 2009, 37) Die symbolische Repräsentation einer Person musste dies widerspiegeln, was erklärt, warum Siegel nicht Individualität des Trägers, sondern Gruppenzugehörigkeit und Rang fokussieren.

Die zunehmende Bedeutung von visuellen Zeugnissen reflektiert die Visual History, die Bilder „als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung“ betrachtet (zur Einführung siehe z.B. Gerhard Paul, Visual History auf docupedia). In der Schule dominiert der Textzugang zur Vergangenheit, Bilder gewinnen allerdings nach und nach an Bedeutung, Siegel hingegen spielen weiterhin kaum eine Rolle für den Geschichtsunterricht.

Unterrichtsideen zu Siegel sind selten (vgl. siehe den Beitrag im Blog hier und im FNZ-Blog – beides ist ohne Resonanz geblieben). Dies ist angesichts der wachsenden Bedeutung bildlicher Quellen und der Zunahme von Abbildungen in Schulgeschichtsbüchern durchaus verwunderlich, sind doch Siegel zwar in ihrer Symbolik oft dicht und daher schwer entschlüsselbar, zugleich sind viele Siegelbilder aber auch in höchstem Maße anschaulich und, sofern als Abguss verfügbar, auch haptisch erlebbar.

Wachsabgüsse finden sich z.B. im Archivkoffer des Landeshauptarchivs Rheinland-Pfalz. Auch in vereinzelten Unterrichtsvorschlägen finden sich Siegelbilder abgebildet z.B. in Geschichte lernen Nr. 135/136 „Herrschaft im Mittelalter“ auf einem Arbeitsblatt (S. 68), wo sie explizit als „Ausdruck der Herrschaftsform“ thematisiert und in Aufgaben eingebunden sind. Abgebildet sind das Siegel von Franeker (1313) (PDF) sowie das Reitersiegel Heinrichs des Löwen („vor 1163“). Die Siegelabbildungen sind zu beschreiben und daraus die unterschiedliche Formen der Herrschaft in Friesland und in Sachsen zu erläutern.

In Geschichtsschulbüchern sind Siegelabbildungen selten. Noch vergleichsweise häufig finden sich Abbildung des Wappensiegels von Lübeck (1256) zur Illustration von Aussehen und Bedeutung einer Kogge. Eine Ausnahme bildet der neu erschienene Band 2 von „Geschichte entdecken“ (Buchner) in der Ausgabe für Hessen (S. 23). Dort gilt es herauszufinden, wo Siegel heute noch verwendet werden und diese mit den abgebildeten mittelalterlichen Siegeln zu vergleichen. Abgebildet sind das oben bereits genannte Reitersiegel des Herzogs Heinrichs des Löwen sowie das spitz-ovale Siegel „des Magdeburger Bischofs Wichmann“ (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wichmann_von_Seeburg ?)

Es stellt sich die Frage, wie Siegelbilder über die Illustration hinaus gewinnbringend für ein tieferes Verständnis des Mittelalters und der Frühen Neuzeit didaktisch genutzt werden können, ohne dass die fremde Symbolhaftigkeit allzu verständnishindernd wirkt. Aus den vorangehenden Überlegungen soll hier ein Vorschlag für Unterrichtseinsatz vorgestellt werden, der sich fachlich vor allem an dem von Markus Späth herausgegebenen Sammelband Die Bildlichkeit korporativer Siegel im Mittelalter (2009, Rezension bei h-soz-u-kult) orientiert.

Abbildungen von Siegeln finden sich zahlreich z.B. in den Wikimedia Commons, die aufgrund ihrer Lizensierung auch für den Unterricht weiter nutzbar sind. Hier vier Beispiele für Stadtsiegelbilder aus dem 13. und 14. Jahrhundert:

Kiel_Siegel 1365

Siegel der Stadt Kiel von 1365

Köln_Stadtsiegel 1268

Stadtsiegel Köln 1268

Leipzig_Stadtsiegel 13 Jhd

Stadtsiegel Leipzig 13. Jahrhundert

Coesfeld_-_großes_Stadtsiegel 1246

Großes Stadtsiegel von Coesfeld 1246

Besonders Stadtsiegel bieten sich für den Unterrichtseinsatz an. „Das Konzept einer juristischen Person als Trägerin von Rechten und Pflichten unabhängig von der sie konstitutierenden Personengruppe wurde erst im 12. Jahrhundert entwickelt.“ (Groten, in: Späth 2009, 68). Die Bilder korporativer Siegel der Städte sind abgesehen von religiösen Stiftungen „die erste Form visueller Gruppenrepräsentation“ (Spät 2009, 19). Daher unterlagen die neuen Stadtkommunen in ihrer institutionellen Selbstdarstellung keinen festen Darstellungs-konventionen, sondern mussten eigene Ausdrucksformen erst noch finden. Ihnen fehlte der oben fest zugewiesene Platz innerhalb der bestehenden Ständeordnung. Die Versuche, die eigene Identität nach außen darzustellen, bewegen sich zwischen der Abbildung des Eigenwahrnehmung und der Herstellung von Differenz zu anderen.

Dies könnte man nun z.B. in eine Doppelvertretungsstunde in der Mittelstufe aufnehmen. Voraussetzung sollten Grundkenntnisse über Herrschaft, Ständeordnung und Entstehung des Städte im Mittelalter sein. Die Schülerinnen und Schüler können zunächst aufgefordert werden, ein graphisches Zeichen für sich zu entwerfen. Einige Entwürfe werden vorgestellt. Ausgehend von der Frage, ob die Klassensprecher ihre Logos nutzen dürften, um die Klassen z.B. in der Schülerversammlung oder im Jahrbuch der Schule zu repräsentieren, wird die Idee einer gemeinsamen Gruppenrepräsentation entwickelt.

In Kleingruppen gestalten die Schülerinnen und Schüler für ihre Klasse nun ein „Logo“. Die Entwürfe werden wiederum kurz vorgestellt. Eventuell kann über die beste Idee auch abgestimmt werden. Anschließend wird gemeinsam überlegt, was allen Entwürfen miteinander verbindet, um daran festzumachen, dass sie Verbindendes für die Gruppe und Abgrenzendes zu anderen Gruppen beinhalten.

Davon ausgehend können mehrere Siegelbilder betrachtet werden. Darunter sollten Personen- und Städtesiegel sein. Eventuell bietet es sich an, die Siegelträger kurz auf einer Karte zu verorten. Die Schülerinnen und Schüler ordnen nun die Siegelbild den beiden Gruppen: Personen- bzw. Gruppensiegel zu. Im Vergleich mit ihren eigenen Gestaltungserfahrungen verstehen sie die Personensiegel Repräsentationen von Rang und Gruppenzugehörigkeit und erschließen sich das Selbstverständnis mittelalterlicher Stadtgemeinden als gemeinsam handelnde Korporationen. Die rechtliche Qualität von Siegeln im Vergleich zu heutigen Logos kann anschließend mit einem kurzen Text vertiefend erarbeitet werden.