Historisches Lernen unterwegs

In Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht gibt es recht klar definierte historische „außerschulische Lernorte“. Was aber, wenn es „den“ Lernort so nicht mehr gibt, sondern jeder Ort auch zugleich ein Ort des Lernens, und damit auch des historischen Lernens, sein kann? Das ist eigentlich schon immer so, aber erst durch die zunehmende Verfügbarkeit mobiler Endgeräte gerät diese Perspektiverweiterung in den Fokus. Das dazu passende Schlagwort lautet mlearning oder „mobiles Lernen“. In der Wikipedia wird dies wie folgt definiert:

Der Begriff M-Learning ist nicht eindeutig definiert, ist aber abgeleitet von dem Begriff des E-Learning. Unter M-Learning wird allgemein das Lernen mit portablen ubiquitären Medien bzw. mobilen Medien überall und zu jeder Zeit verstanden. Ersatz für klassische Lernmedien oder das E-Learning sein, sondern viel mehr eine sinnvolle Erweiterung darstellen. mLearning (in Form einer Realisierung über Mobiltelefone) bietet den Vorteil, dass spontan an jedem beliebigen Ort gelernt werden kann (beispielsweise während Wartezeiten). Bei den meisten anderen Lernformen ist es hingegen notwendig das Lernen vorher zeitlich und örtlich zu planen (beispielsweise indem ein Buch mitgenommen wird).

Wie eingangs schon angedeutet, geht es mir nicht um die Möglichkeit, an der Haltestelle oder im Bus mit dem Handy noch Jahreszahlen pauken zu können.  Klar, das geht auch, aber darum geht es meines Erachtens nicht.

Durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen („Bibliothek in der Hosentasche“) sowie den zahlreichen Funktionen der mobilen Endgeräte („Das Smartphone als digitales Schweizer Messer“) wird nun historisches Lernen ermöglicht, für das zuvor jeweils ein enormer Aufwand betrieben werden musste (Besorgen entsprechender Aufnahmegeräte, Recherche in Bibliothek oder Archiv).

Ausschlaggebend ist nicht die Technik, aber sie ermöglicht eine Öffnung des schulischen Geschichtsunterricht sowohl inhaltlich, methodisch als auch räumlich. Der Geschichtsunterricht darf und kann viel stärker als bisher den Klassenraum verlassen und die unmittelbare Umgebung erkunden. Im Mittelpunkt müssen nicht mehr vorrangig Schulbücher und vordefinierte außerschulische Lernorte stehen, sondern die Fragen und die Lebenwelt der Lernenden können zum Ausgangspunkt werden. Damit einher gehen erweiterte Möglichkeiten zur Individualisierung von Zugang, Untersuchungsobjekten, Arbeitsweisen, Lernprozessen und Ergebnissen.

Dort, wo mir Geschichte im Alltag begegnet, kann ich dies zum Ausgangspunkt meiner Fragen an die Vergangenheit machen (das war schon immer möglich, aber nun viel einfacher als früher). Einige Ideen versuche ich hier mal zusammenzustellen, wie die Arbeit mit mobilen Endgeräten Interesse an Geschichte und historisches Lernen fördern kann.

Forschendes Entdecken und Dokumentieren:

– Aufzeichnen von Fotos, Videos, Tönen von baulichen Überresten, geschichtskulturellen Zeugnissen (wie z.B. Werbung), aber auch die Befragung von Experten oder Zeitzeugen.

– Einbettung der Ergebnisse in ePortfolios, digitale Karten, Blogs oder Wikis.

– Eigenes Erstellen von thematischen (Audio-/Foto-/Video-) Stadtrundgängen, Rallyes oder Geocaches (z.B. von älteren für jüngere Schüler).

Sich Informieren:

– Direktes Abrufen von Informationen vor Ort, wo sonst eine (für lokal- und regionalhistorische Themen oft aufwändige) Recherche an einem anderen Ort vorab oder im Nachhinein notwendig gewesen wäre (z.B. Herkunft von Straßennamen, Informationen zu Gebäuden oder Denkmälern).

Spielerisch erkunden:

– Apps, Rätsel/Quiz, Rallyes und Geocaching-Touren zu historischen und politischen Themen.

– Sich anhand von digitalisierten alten Karten in der Stadt heute orientieren.

– Orts-Bildersuche: Heutige Orte historischer Aufnahme finden

Wahrnehmung erweitern:

– Das Einblenden historischer Gemälde und Fotos, die den direkten Vergleich mit heute erlauben.

– Lesen, hören, sehen von Text-, Audio- und Videoquellen an historischen Orten.

Einige der Ideen lassen sich auch mit Fotokopien umsetzen und sind daher nicht neu. Aber sowohl Abbildungen sind nun leichter verfügbar als auch deren Qualität ist digital deutlich besser. Das mobile Nutzen von Audio- oder Videoaufzeichnungen ist für Schulen sogar weitgehend neu und war bislang professionellen Anbietern wie Museen oder der Stadttouristik vorbehalten.

13 Gedanken zu „Historisches Lernen unterwegs

  1. Ein wichtiges Thema und eines meiner Lieblingsthemen. Daher ein bißchen Senf von mir dazu:
    Was verstehst du unter „klar definierten historischen außerschulischen Lernorten“ ? Wahrscheindlich die didaktisierten Gedenkstätten, Museen usw., nicht?
    Genau. Historische Lernorte sind in Wirklichkeit alles und überall, denn es gibt nichts (unter den Bedingungen menschlicher Gesellschaft), was nicht historische Schichten hat. Nicht mal die angeblich „reine“ Natur, denn die ist – bis auf den Regenwald – kultivierte Natur.

    Es geht also eher darum die klassischen historischen „Unterrichtsorte“ von den überall liegenden historischen „Lernorten“ zu unterscheiden, die ja eben nicht didaktisiert sind (was ihr Vorteil ist.), da sie nicht als Lernorte entstanden sind oder zu solchen frisiert wurden. Diese von den Schülern selbst zu entdecken, ist in der Projektdidaktik in Form von „Erkundungsprojekten“ schon lange Tradition (bes. gut bei den Bielefeldern im Oberstufenkolleg zu sehen.) „Schüler erforschen ihren Stadtteil“ oder „Die Stadt lesen. Welche Geschichte(n) uns die Architektur unseres Wohnviertels erzählt“ und viele mehr sind Klassiker. Immer mehr klärt sich auch, dass hier die Perspektive der Schüler im Vordergrund steht. Nicht: „Wir erkunden den Hamburger Hafen“ und arbeiten ab, was schon als Lernergebnis im Arbeitsblatt, den Lernstationen oder in der App vorgefertigt bereit liegt, sondern „Was habe ich im Hafen entdeckt?“ und „Wie sieht mein Hamburg aus?“ sind lernprofitable komplexe Aufgaben.

    Mit mobiles geht das alles natürlich viel besser, das ist klar! Und zwar vor allem wegen der Möglichkeit, immer und überall „connected“ zu sein: sowohl mit den Gegenständen und ihren Repräsentationen im Netz – wie du aufzählst – , als auch mit den Peers und dem Coaching-Personal (Lehrer). Letzteres ist ja der Clou, denn individualisiertes Lernen ist nicht einsam mit Lerngegenstand und Lerngerät, sondern gemeinsam mit Peers und Coach. Und so kann es möglich sein, dass jeder an einem anderen Lernort ist und etwas anderes (unter einem gemeinsamen komplexen Gegenstand) lernt, während er sich über das, was er da lernt mit den anderen austauscht.

    Und deswegen können die Mobiles Katalysatoren dafür sein, dass Projektlernen, erkundendes forschendes Lernen außerhalb des Klassenraums wohl endlich ein bisschen üblicher werden wird, als bloß abgeschlagen in einer gesonderten Projektwoche pro Schuljahr.

    Die Schwierigkeit für das Lehrpersonal besteht einerseits darin, sich die Möglichkeiten der mobile divices vorstellen zu können. aber da können auch die Schüler mit Ideen helfen.
    Die Schwierigkeit für Lehrer und Lehrerinnen besteht andererseits vor allem darin, dass sie in der Regel wenig Erfahrung haben mit professioneller Initiierung und Begleitung von Erkundungsprojekten. Dazu gehört Projektkompetenz. Wo wird sie gelernt? In der Lehreraus- und -fortbildung noch sehr sehr selten.
    Projektkompetenz muss trainiert werden. Das geht nicht in einer Projektwoche pro Jahr. Diese komplexe Kompetenz braucht viele viele Projekt unterschiedlichster Art als Erfahrung und entsprechende reflektierte Erfahrung. Wir bleiben dran. 🙂

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  2. Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ich sehe das ähnlich. Zu den „außerschulischen Lernorten“: In der Praxis werden diese oft verkürzt verstanden als Museen, Archiv, Gedenkstätten und Orte mit historischen Überresten oder Denkmälen. Das spiegelt sich teilweise auch in der geschichtsdidaktischen Literatur wieder, z.B. bei Sauer in „Geschichte unterichten“ unter dem entsprechenden Schlagwort. Andere Geschichtsdidaktiker vertreten offener Konzepte historischer Lernort. Sehr schön in der Hinsicht z.B. der Beitrag von Berit Pleitner in: Hilke Günther-Arndt (Hg.), Geschichts-Methodik, S. 138ff. Der Titel des Beitrags „Lokalerkundung“ verweist bereits auf die andere Sichtweise.

    Zentrales Problem ist und bleibt genau, was du schreibst: Die digitalen Medien sind Katalysatoren, „Ermöglicher“, aber:

    – sie müssen auch als solche erkannt und nicht nur als Stör- und Ablenkungsfaktoren wahrgenommen werden,
    – die Öffnung des Unterrichts und Veränderung der Lernprozesse und auch der Lehrerrolle muss von den Lehrkräften erkannt und gewollt werden (und nicht behindert, verzögert, um z.B. durch Verbote von digitalen Endgeräten in der Schule überbrachte Vorstellungen von Unterricht und Lernen zu retten),
    – es ist zudem eine Frage der Rahmenbedingungen von Schule, Schulleitungen, kollegialem Umfeld, Eltern; Lehrplan- und Prüfungsvorgaben usw., kein Zufall, dass du auf Bielefeld verweist,
    – und nicht zuletzt ganz zentral die Aus- und Fortbildung neuer Lehrer – auch hier gibt es viel zu tun. In meiner Wahrnehmung sind viele Studienseminare eher Hüter und Vermittler des „Bewährten“ als Horte der Innovation. An der Schnittstelle von Uni und Praxis könnte und sollte es eigentlich genau umgekehrt sein… oder?

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  3. „In meiner Wahrnehmung sind viele Studienseminare eher Hüter und Vermittler des “Bewährten” als Horte der Innovation. An der Schnittstelle von Uni und Praxis könnte und sollte es eigentlich genau umgekehrt sein… oder?“
    Genauso ist es. Und das Fach Geschichte bildet dabei speziell nicht grade die Avantgarde in Erneuerung der Lernkultur. Woran das wohl liegen mag? Vielleicht, weil sie so extrem um ihre paar verbliebenen Stunden kämpfen müssen?

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  4. Ich denke, dass die Frage nach dem Warum komplex ist und hab das im Kommentar ja versucht aufzuzeigen, dass da viele Faktoren eine Rolle spielen. So biete ich z.B. nächste Woche eine Fortbildung für Geschichtslehrer speziell zum Web 2.0 an. Die Fortbildung war landesweit ausgeschrieben über das Pädagogische Landesinstitut (PL). Zugegeben liegt der Termin etwas ungünstig nahe am bzw. für die meisten kurz nach dem mündlichen Abi für die Gymnasien. Als alleiniger Grund ist das Abi sicher nicht hinreichend.

    So ein Angebot hat es bisher übrigens in RLP nicht gegeben. Es liegen aber nur 5 Anmeldungen vor. Normalerweise fallen solche Veranstaltungen dann aus und werden logischerweise nächstes Jahr auch nicht mehr ins Programm aufgenommen. Es ist nur dem Goodwill der verantwortlichen Kollegin zu verdanken, dass wir die Fortbildung trotzdem durchführen können.

    Was speziell die Studienseminare angeht, könnte ich mir vorstellen, dass das viel mit der Selbsterproduktion des Systems zu tun hat: Referendare, die in diesem System sehr erfolgreich sind, werden zu den neuen Fachleitern/Ausbildern der folgenden Referendare. In der Regel, so kenne ich das, gibt es auch entsprechende Leitbilder von Seiten der Seminarleitung, an denen sich alle Fachseminare zu orientieren haben und die nachfolgenden Seminarleitungen rekrutieren sich wiederum aus dem Kreis der langjährigen Fachleiter. Ich stelle mir vor, dass das für eine hohe Stabilität in der grundlegenden Orientierung der Referendarsausbildung sorgt.

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  5. Das ist ja schade und ärgerlich, wenn so wichtige Fortbildungen nicht genutzt werden und dann am ende sogar nicht wieder angeboten würden! Da haben wir Fortbildner es in Hamburg natürlich leichter, denn wir können bei zu geringer Nachfrage noch ordentlich selbst für Mundpropaganda sorgen. Gut ist auch, wenn man die schon angemeldeten Lehrkräfte ausdrücklich ermuntert, ihre Referendare aus der Schule mitzubringen.
    Deine Beschreibung der Systemselbstreproduktion klingt sehr plausibel, leider. Das scheint wirklich eine Erklärung auf der Systemebene zu sein für den fast jahrhundert alten Anachronismus des Schulunterrichts. Es ist außerdem ein ost-west und ein nord-süd-gefälle zu beobachten (in der Regel).

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  6. Daniels Enttäuschung kann ich gut nachvollziehen; ich habe bei meinen ersten Versuchen, Schulen in NRW Lehrerfortbildungen in Sachen Networking anzubieten, überwiegend ein „Nein, danke“ gehört mit der Begründung, dass das Interesse bei den KollegInnen zu gering ist. Das mag faktisch richtig sein, aber in systemischer Hinsicht steht hinter dem Desinteresse ein übermächtiger burokratischer Anforderungsdruck, der die meisten LehrerInnen nicht aus dem gewohnten Schema ausbrechen lässt. Neben den vielen (oft unsinnigen) Alltagsaufgaben auch noch den Sprung in ein neues Lernverhalten zu wagen, erscheint den meisten zu aufwändig. Hinzu kommt die immer wieder suggestiv gestellte Frage nach dem didaktischen Mehrwert, mit der Intention, eben diesen Mehrwert aus der Sicht des bestehenden Systems zu negieren. Zusätzlich geht die Politik der Behörden und Schulleitungen in Sachen Medienbildung immer noch in die falsche Richtung: Wenn etwas unternommen wird, dann in Richtung Medienausstattung der Schulen, mobile devices stehen selten im Fokus.

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    • „Enttäuschung“ – na ja, so richtig mit vielen Anmeldung habe ich auch nicht gerechnet und ich empfinde es auch eher als Luxus nun mit 5 Teilnehmer eine Fortbildung zu machen. In anderem Kontext letzte Woche und morgen habe ich Veranstaltungen mit über 30 Teilnehmern, das ist für beide Seiten dann echt schon grenzwertig und selten schön…

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