Mal wieder schlechte Presse für den Geschichtsunterricht

Das Gute vorne weg: Auch schlechte Presse bedeutet Aufmerksamkeit und für einen kurzen Moment wird Geschichtsunterricht gesellschaftlich thematisiert. Leider geht das immer schneller wieder vorbei und die Diskussion über „fehlendes Wissen“ von Schülern kehrt in die Kreise der wissenschaftlichen Didaktik zurück, wo sie seit langem fest etabliert ist. Man könnte fast schon sagen, die Klage ist so alt wie das Fach selbst: Die Schüler wissen zu wenig über Geschichte. Die Meldung macht heute (wieder mal) die Runde – siehe dazu z.B. den Bericht der SZ oder bei Spiegel Online.

Axel Jürgens weist in dem sehr lesenswerten Vortrag von 2001 (Vielen Dank an Christoph Pallaske für den Hinweis! – hier downloadbar als PDF-Dokument, für das Zitat siehe S. 2), dass

die Ergebnisse des Geschichtsunterrichts sind außerordentlich dürftig [sind]. Dies zeigt die Erfahrung und ist auch in der Literatur hinreichend belegt. […] Die Vermutung, früher sei der Ertrag größer gewesen, ist wohl kaum haltbar: Von Borries nimmt an, die „‚gesicherten Grundkenntnisse’ in Geschichte“ habe es „in breiten Bevölkerungskreisen nie gegeben, allenfalls als Illusion bei begrenzten bildungsbürgerlichen Schichten“. Dazu ein Beispiel: „Immer mal wieder gibt es Untersuchungen, in denen das Wissen von Schülern und Schulabgängern überprüft wird. Die Ergebnisse dieser Befragungen erschüttern dann eine unvorbereitete Öffentlichkeit, indem sie den Befragten die ‚Rückständigkeit’ ihres Bildungsstandes schwarz auf weiß vor Augen führen. So wollte auch ein Offizier das historische Wissen von jungen Soldaten überprüfen. „Wer war Bismarck?“ fragte er. Das Ergebnis: Von den 78 Leuten wussten 21 gar nichts zu antworten; sie hatten, wie sie behaupteten, den Namen Bismarck überhaupt noch nicht gehört! 22 sagten, Bismarck sei ein großer General gewesen, 6 ein Kriegsminister, 9 ein berühmter Feldherr. 5 Rekruten gaben schon bessere Antworten und sagten: „Bismarck war der erste Reichskanzler“. 9 sagten sogar: „Bismarck hat das Deutsche Reich gegründet.“ … Einer behauptete, Bismarck sei der „erste deutsche Kaiser“ gewesen, ein zweiter hielt ihn für „einen großen Dichter“ …; ein anderer verstieg sich so weit, zu sagen: „Bismarck hat die Bibel übersetzt“. … Die Zeitung, der wir diesen Bericht verdanken, betrachtete dieses Ergebnis dann auch – wie könnte es anderes sein, als „ein beschämendes Zeugnis für die Rückstände unserer Bildung“.
Nur: Das hier zitierte Blatt hieß „Berliner Zeitung“ und … kritisierte am 07.04.1901 das Ergebnis wilhelminischer Pädagogik.“
Bereits 1966 formulierte Horst Rumpf seine Verzweiflung: „Jeder, der in der Schule arbeitet, weiß, dass ein pures Nichts an Wissen das Produkt der mühevollen Unterrichtsjahre in der Mittelstufe ist.“

Das mag zunächst im Hinblick auf die Bewertung der Studie irrelevant erscheinen. Herr Larbig hat bei einer Diskusion auf Twitter zu Recht darauf hingewiesen. Deshalb möchte ich es hier noch einmal ausführlicher erklären. Der Nachweis, des ‚Das war schon immer so‘ zeigt, dass der Geschichtsunterrricht hier ein grundlegendes, dauerhaftes Problem hat. Jede neue Studie, die ihre Ergebnisse allerdings nicht in diesem Sinne historisch verortet, setzt sich dem Verdacht der Effekthascherei und des billigen Alarmismus aus. Viele Medien nehmen solche Schlagzeilen gerne auf.

Das recht große Medienecho auf diese Studie zeigt das wieder. Für Forscher und Journalisten eine Win-Win-Situation: Aufmerksamkeit für die eigene wissenschaftliche Arbeit und eine quotenträchtige Schlagzeile. Das Thema verschwindet dann wieder ebenso schnell, wie es aufgetaucht ist… bis zur nächsten Studie. Das dahinter liegende, wie gesagt dauerhafte Problem wird dadurch nicht gelöst. Was es bräuchte, wäre eine breite gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung von Geschichte, historisch-politischer und kultureller Bildung allgemein – und darüber, was diese kosten darf bzw. was man in der Lage und Willens ist, dafür an Ressourcen zu investieren.

Die langfristige Perspektive zeigt aber auch noch etwas anderes: Die Schüler heute sind nicht „doof“ (Bild-Zeitung), schon gar nicht ‚doofer‘ als früher und die Lehrer sind auch nicht unfähig. Früher war keineswegs alles besser und es wurde auch nicht mehr gelernt im Geschichtsunterricht. Um das zu präzisieren: Es wurde sicher mehr auswendig gelernt, nach allem, was wir wissen, wurde deshalb aber nicht mehr ‚gewusst‘ oder behalten (siehe die zitierten Beispiele oben). Die Rückkehr zum vermeintlich „besseren Lernen“ früher ist aber ein in der öffentlichen Debatte (auch von vielen Lehrern) immer wieder gerne vorgetragenes Argument. Also: Bitte nicht wieder die Forderung nach mehr Stoff auskramen – den haben die Schüler schon nie länger behalten und deshalb ist diese verbreitete Geschichtsunterrichtsnostalgie völlig unbrauchbar.

Fertige Lösungen habe ich keine anzubieten. Keine Frage hat das Fach ein Problem, auf das noch Antworten gesucht werden. Die Stundenkürzungen zugunsten anderer Fächergruppen waren mit Sicherheit nicht hilfreich. Jeder zusätzliche Inhalt, worauf sich die meisten Forderungen ja beschränken, ebenso wie jede andere Form von Unterricht, wie z.B. projektförmiges Lernen, braucht mehr, nicht weniger Zeit.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse wird Professor Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat (FU) wie folgt zitiert:

„Die Geringschätzung historischen Wissens schlägt hier voll durch. Aber ohne Kenntnisse keine Kompetenzen“, resümierte Schroeder. Viel stärker als Schulform, Herkunft der Eltern oder Parteipräferenz sei der Einfluss von Kenntnissen bei der Beurteilung der Systeme zu Buche geschlagen: „Und an dieser Stelle sind vor allem die Schulen gefragt“, sagte Schroeder.

Die Verwendung des Begriffs „Geringschätzung“ ist eine ebenso unpräzise wie überaus wertende Unterstellung: Wer schätzt den historisches Wissens gering? Die Geschichtslehrer und -didaktiker sicher nicht. Woraus schließen die Autoren, dass es so etwas geben könnte? Allein aus den in der Befragung festgestellten Mängeln im Wissen der Schüler sicher nicht. Schroeder verweist auf „die Schule“. Die Botschaft lautet: Schule und Lehrer sind in der Pflicht, da muss sich etwas ändern, der schulische Geschichtsunterricht „vermittelt“ kein „Wissen“ bzw. die Lehrkräfte legen darauf keinen Wert. Das ist Quatsch. Quatsch, weil es in der Studie gar nicht untersucht wurde und daher mit den Daten nicht belegt werden kann. Im übrigen gilt auch für (den indirekt kritisierten) kompetenzorientierten Unterricht: Keine Kompetenzen ohne Inhalte und umgekehrt (siehe dazu auch hier).

Hinzu kommt, dass solche Studien immer nur maximal das Aufzeigen, was (und vor allem wie) abgefragt wird. Dazu ein Beispiel:

Die Autoren argumentieren, dass Schüler ihr „Geschichtswissen vor allem aus dem Unterricht zu beziehen“. Diese Aussage beruht ausschließlich auf einer Selbsteinschätzung der befragten Schüler. Das ist zumindest mal problematisch. Die Geschichtsdidaktik sieht das etwas differenzierter und betont die Bedeutung von außerschulischen Faktoren wie Elternhaus und Fernsehen auf die Herausbildung von Vorstellungen, Konzepten und Einstellungen. Ein Inbeziehungsetzen und kritisches Reflektieren der Umfrageergebnisse mit anderen empirischen Untersuchungen zu Geschichtsbewusstsein und -unterricht unterbleibt – zumindest soweit das aus den Artikeln und an den online verfügbar gemachten Materialien bei der Buchvorstellung nachvollziehbar ist – das ist für eine Interpretation der Daten aber unerlässlich.

Möchte man nichtsdestotrotz der Argumentation der Autoren folgen und vor allem den Geschichtsunterricht in der Verantwortung sehen, stellt sich die Frage nach dem genauen Zeitpunkt der Erhebung. Befragt wurden Schüler der 9. und 10. Klassen. Nicht gesagt wird, ob dies nach oder vor der Behandlung der abgefragten Themenbereiche im Unterricht erfolgte. Wichtig wäre also nicht nur der Hinweis, dass Abschlussklassen befragt wurde, sondern der genaue Zeitpunkt der Befragung im Schuljahr. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Schüler vor den letzten Wochen des Schuljahres weder die Geschichte der DDR noch der Wiedervereinigung im Unterricht hatte. Soweit ich das überblicke, richten sich die Lehrpläne der Sekundarstufe I weiterhin am chronologischen Durchgang aus. Das heißt, die in der Studie abgefragten historischen Themen kommen zum Schluss.

De facto fällt gerade die Zeitgeschichte mit DDR und Wiedervereinigung nicht selten hinten runter, obwohl vorgesehen bis 1990 kommen viele Klassen eben nur bis 1945 – ob nun wegen Krankheit, außerunterrichtlicher Verpflichtungen oder großem Interesse an einem der vorangehenden Themen. Das könnte übrigens auch eine Erklärung für die etwas besseren Kenntnisse zum Nationalsozialismus sein.

Aufgrund der Bedeutung der Zeitgeschichte für das Verständnis der Gegenwart ist das natürlich nicht in Ordnung. Eine Lösung könnte in einem Vorziehen der Themen und einer Abkehr vom chronologischen Durchgang als Prinzip des Geschichtsunterrichts liegen. In der Geschichtsdidaktik scheint das seit langem wenig strittig. Unterschiedliche Konzepte liegen vor. Viele Schulpraktiker, die ja auch die Lehrplanmacher stellen, halten allerdings ganz offenkundig eisern daran fest.

Ohne genaue Analyse der schulischen Bedingungen machen Forderungen nach Veränderung keinen Sinn. Aus einem Mangel an Wissen ein Fehlen von „Wissensvermittlung“ zu folgern ist ein trügerischer Kurzschluss und lässt zudem vermuten, dass sich die Autoren Lernen als einfachen instruktionalistischen Prozess, à la Nürnberger Trichter, vorstellen.

Den Empfehlungen der Studie („Vermittlung von Kenntnissen“, „stärkerer Einbezug von Migrantenkindern“ etc.) zum Unterricht fehlt jegliche Grundlage, soweit dies aus den veröffentlichten Folien und Presseartikeln nachvollziehbar ist, weil weder Lehrpläne noch Unterricht in den Blick genommen wurden. Die Gründe für die vorgelegten Wissensdefizite werden durch die Studie nicht erklärt. Folglich lassen sich aus den Daten auch keine Folgerungen ableiten, was man irgendwie besser oder anders machen müsste. Dies dennoch zu tun, ist Schlagzeilenheischerei und damit wissenschaftlicher Populismus. Die besondere Pointe steckt für mich aber noch in einem anderen Detail:

Gefordert wird von Schroeder mehr „Wissenvermittlung“. Er verbindet das mit Schulkritik und einem Seitenhieb gegen Kompetenzorientierung. NRW, dessen Schülern bei der Studie besonders schlechte Leistungen attestiert werden, hatte laut Bericht bis letztes Jahr noch einen alten – das heißt also lernziel- und stofforientierten – Lehrplan.

14 Gedanken zu „Mal wieder schlechte Presse für den Geschichtsunterricht

  1. Ich habe mir eben hier die Fragen und Grafiken angeschaut:

    Klicke, um auf 2012_06_25_PK_Sp__ter_Sieg_der_Diktaturen1.pdf zuzugreifen

    Zum Teil sind die Ergebnisse echt erschreckend, manche Sachen muss man als Schüler aber auch nicht wissen. Überrascht hat mich auf jeden Fall, dass „Migrantenkinder“ (scheußliches Wort) den Nationalsozialismus mit 12,7% positiv bewerten, deutlich vor den Ost- und v.a. Westdeutschen Kindern. Dass Migranten den NS positiver bewerten als Kinder deutscher Eltern zieht sich erstaunlicherweise durch die gesamte Studie.

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  2. Schroeder, Klaus/Deutz-Schroeder, Monika/Quasten, Rita/Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen

    Klicke, um auf 2012_06_25_PK_Sp__ter_Sieg_der_Diktaturen1.pdf zuzugreifen

    Ein kurzer Blick auf den pdf zeigt:

    In der Tat erschreckende Schaubilder | weil: eine unsägliche Studie

    Hier soll das Unwissen von Schüler_innen mittels unwissender Fragen abgefragt werden?! Innovativer Ansatz

    Es sind ja nur 4 Beispiele veröffentlicht | Die angeblich richtige Antwort zu Deutscher Herbst ist wertend und falsch | gängiger Begriff: Zeitfenster September/Oktober 1977 | bei den anderen Fragen teils sehr ungenaue Formulierungen | geht z.T gar nicht.

    Aus Sicht empirischer Sozialforschung ist zudem Wer wird Millionär-Fragebogen unsäglich.

    Ärgerlich, dass eine solche Studie in der Presse so breit rezipiert wird,

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  3. Gestern habe ich an dieser Stelle Kritik an der Studie „Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen“ von Klaus Schröder u.a. geübt; s.o.

    Insbesondere die Frage 20: im pdf:

    Klicke, um auf 2012_06_25_PK_Sp__ter_Sieg_der_Diktaturen1.pdf zuzugreifen

    auf S. 8: Wofür steht der ‚deutsche Herbst'“ und die dazugehörige Antwort „Das Vorgehen des Staates gegen den Terrorismus in der BRD Ende der 1970er Jahre“ erschien mir (abgesehen von der merkwürdigen Formulierung) unsinnig, da als deutscher Herbst idR. schlicht das Zeitfenster September/Oktober 1977 bezeichnet wird.

    These zur Schröder-Studie: Die Studie ist wenig brauchbar, wenn das Unwissen von Schüler_innen mittels unwissender Fragen abgefragt werden soll.

    Heute morgen – bei genauerer Durchsicht – eine Entdeckung; manchmal lohnt es sich doch, genauer hinzuschauen. Denn die Spiegel-Online Redaktion hat das Problem offenbar auch erkannt.

    http://www.spiegel.de/fotostrecke/ddr-und-drittes-reich-geschichtswissen-von-jugendlichen-fotostrecke-84147-5.html

    Auf der Folie 5 der Fotostrecke wurde die Antwort der FH Berlin umgeschrieben in „Das Vorgehen des Staates gegen den Terrorismus in der BRD im Jahr 1977“

    Eindruck: Hat Spiegel-Online die Ergebnisse der Schröder-Studie manipuliert?

    Frage an Spiegel Online: Oder gibt es eine andere Erklärung?

    Screenshots twitter ich gleich.

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  4. Wider Erwarten ist die Debatte heute noch nicht ganz wieder abgetaucht, trotz offenkundiger Mängel macht die Studie weiter Schlagzeilen. Hier in Ergänzung noch der Hinweis auf aktuelle Besprechungen:

    Interview im Deutschlandfunk mit dem Vorsitzenden des VGD:
    „Natürlich ist das nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden, jedoch sind vor allen Dingen auch in der Presseformulierung die formulierten Schlussfolgerungen nicht differenziert genug, um der Schule weiterzuhelfen. Sie erwecken Panik, als wären die Schüler völlig uninformiert, und das stimmt so nicht, da sind eine Reihe Missverständnisse drin.“

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1797830/

    Josef Kraus, „Geschichtliches Wissen; Der historische Analphabetismus greift um sich“:
    „Die skizzierte geschichtsdidaktische Verbalkosmetik wird ihr Ziel verfehlen, weil sie nicht an den Wurzeln des historischen Analphabetismus ansetzt. Deshalb steht zu befürchten, dass mit der „modernen“ Kompetenzenpädagogik abermals eine Furie des Verschwindens in Szene gesetzt wird, ein endgültiges Verschwinden der konkreten Inhalte aus dem Geschichtsunterricht. Also Geschichtsunterricht ohne Geschichte?“

    http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/geschichtliches-wissen-der-historische-analphabetismus-greift-um-sich-11793015.html

    Ralf Julke, „Später Sieg der Diktaturen? Eine Schüler-Befragung mit Scheuklappen und falschen Ansätzen“:
    „Kaum ein Journalist, der sich des Zahlenwerks annahm, stolperte über die Herkunft der Studie. Denn unumstritten ist der „Forschungsverbund SED-Staat“ schon lange nicht mehr. Objektiv und wirklich wissenschaftlich ist das, was er mit seinen Studien produziert, auch nicht wirklich.“

    http://www.l-iz.de/Bildung/Leipzig%20bildet/2012/06/Spaeter-Sieg-der-Diktaturen-Schueler-Befragung-42607.html

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  5. Bodo von Borries hat ein fundiertes Gutachten zu einer 2007er „Vorstudie“ der jetzt publizierten Studie „Später Sieg der Diktaturen“ geschrieben (siehe http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/politische_bildung/kenntnisse_ddr_geschichte.pdf). Wenn sich die AutorInnen nicht stark im Bereich multivariater Statistik und Erhebung sozialwissenschaftlicher Daten weiterqualifiziert haben, dürfte die Studie nach wie vor nicht nur auf fragwürdigen geschichtsdidaktischen Operationalisierungen bestehen (Validität?), sondern methodisch große Schwächen aufweisen (Reliabilität? Repräsentativität).

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  6. Lesenwert zum Thema auch folgender Beitrag:

    „Welche Kompetenzen und historische Orientierungen brauchen unsere Schülerinnen und Schüler, um sich in ihrem Leben, in der unvorhersehbaren Zukunft zurecht finden zu können? Kann dies eine „richtige“ Deutung der DDR sein – welcher Couleur auch immer? Dies kann mit Recht bezweifelt werden, nicht nur, weil fraglich ist, ob sie diese Deutung so übernehmen, sondern auch, weil wir nicht sagen können, „wie es eigentlich gewesen“ ist (Leopold von Ranke) und welche eindeutigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Deshalb ist es hilfreich, das Konzept des historischen Denkens und der historischen Kompetenzen in den Blick zu nehmen.

    […]

    So fordert Josef Kraus jüngst öffentlichkeitswirksam in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter dem Titel „Der historische Analphabetismus greift um sich“, dass ein „fassbares historisches, ja kanonisches Wissen“ nötig sei. Begründet wird diese Forderung mit der Erkenntnis, dass viele Jugendliche etwa das Jahr des Mauerbaus nicht mehr kennen. Allerdings ist schon die Studie, auf die sich Kraus hier bezieht, äußerst kritisch zu sehen, und darüber hinaus ist die Frage, wie denn ein solches kanonisches historisches Wissen definiert werden soll, äußerst problematisch. Wenn Kraus von „Wissen“ spricht, so wird hier ein verkürzter Wissensbegriff verwendet, denn jeder Kanon enthält eine Deutung, die aber reflektiert werden muss, wenn nicht die Sinnbildung für die Gegenwart und Zukunft unkritisch übernommen werden soll. Ein Beispiel dafür, was sich hinter der Forderung von Kraus verbergen könnte, sind die sogenannten „Bildungsstandards des Geschichtslehrerverbandes Deutschland“. Bei diesen „Standards“ handelt es um einen Inhaltskanon einer europäisch-deutschen Meistererzählung, die für eine Bildung im 21. Jahrhundert kaum zu überzeugen vermag.“

    aus: Johannes Meyer-Hamme/Rüdiger Thomas, „Subjektorientierte historische Bildung. Geschichtslernen in der Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Deutungsangeboten zur DDR-Geschichte“, in:

    http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/139259/subjektorientierte-historische-bildung?p=all

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  7. Ich juble gerade ein bisschen über das Beispiel von 1901, als die gute deutsche Schulbildung von Anno Dazumal ganz offensichtlich auch nicht lauter kleine Einsteins hervorbrachte.
    Gibt es dazu eine Quellenangabe? Ich würde das Beispiel gerne bei einer Fortbildung bringen, und zwar am Besten makellos zitiert!
    Vielen Dank für dieses Beispiel!!!

    Susann

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    • Das Beispiel von 1901 stammt wohl aus einem Zeitungsartikel. Die komplette Referenz findet sich in Fußnote 8 im PDF des zitierten Artikels von Jürgens.

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  8. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Studie hier so kritisch gesehen wird. Sie verschafft dem Fach Geschichte eine Lobby, wenn auch sicherlich etwas polemisch, und mich als Geschichtslehrer freut das (die Kritik am „Deutschen Herbst“ kann ich gut nachvollziehen, finde ich sie aber ehrlich gesagt auch nicht so wichtig für die Ergebnisse der Studie). Das Zitat aus Meyer-Hamme finde ich total schwach, denn es unterstellt Kraus schlichtweg, er würde sich an den tatsächlich überarbeitungsbedürftigen Bildungsstandards des Geschichtslehrerverbands orientieren, was er aber schlicht nicht tut. Dass man aber die NS-Zeit als Diktatur und nicht als Demokratie werten kann, das ist sicherlich ein wichtiges, objektives Ziel von Geschichtsunterricht am Ende der Sek. I. Und der Gegenpol, der die jetzige Debatte ja weitgehend beherrscht, dass nämlich nur Kompetenzen wichtig sind und historisches Wissen völlig unwichtig, halte ich für eine gefährliche Tendenz unserer Zeit, der wir gerade als Geschichtslehrer entgegentreten sollten. Wenn man den Komepetenzbegriff ernst nimmt, beinhaltet er ja ohnehin Wissen als Grundlage zur Herausbildung von Schlüsselqualifikationen. Das wird aber kaum noch ernst genommen.

    Ich danke für die für mich anregende Debatte hier und den interessanten Blog!!

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  9. Und das mit der Geringschätzung historischen Wissens habe ich schon oft erfahren. Seit einiger Zeit suche ich eine Stiftung, die ein Unterrichtsprojekt zum Holocaust und anderen Völkermorden finanziert. Zuletzt wurde das abgelehnt mit der Argumentation: Historisches Wissen nicht wichtig für den Aufbau von Demokratiekompetenz. Das sehe ich eindeutig nicht so!! Wenn man aber ein Auge dafür hat, wie Stiftungen ihre Gelder verteilen, welche Publikationsprojekte finanziert werden und welche nicht… dann muss man leider zu dem Ergebnis kommen, dass Geschichte in der Tat nicht gewertschätzt wird.

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  10. Pingback: Ich bin schockiert! | Historikerkraus.de - Das Blog

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