Bildnutzung in der Historiana

Historiana ist ein englischsprachiges Projekt des europäischen Geschichtslehrerverbandes euroclio und zum Selbstverständnis und Ziel des Projekts heißt es dort:

„Historiana™ – Your Portal to the Past is an on-line educational multimedia tool that offers students multi-perspective, cross-border and comparative historical sources to supplement their national history textbooks.“ (Zitat)

Zentral gesetzt werden also die angebotenen Materialien, besonders die Quellen, die ergänzend durch Lernende und Lehrer genutzt werden sollen. Als ich mir die Seite noch einmal angeschaut habe, ist mir ein merkwürdiger Umgang mit Bildquellen aufgefallen, der sich nach einer kurzen weiteren Recherche auf den Seite von Historiana nicht als einzelner Fehler, sondern als durchgängiges Fehlkonzept der Seite herausstellte.

Aufgefallen war mir zunächst auf den Seiten zum Kalten Krieg das folgende Porträtfoto von Karl Marx:

Marx portraitEs bedarf nicht viel Recherche, um festzustellen, dass es sich hierbei nur um einen Bildausschnitt handelt. Das Originalfoto von 1875 sieht so aus und findet sich im Wikipedia-Artikel zu Marx bzw. als Quelle in der Wikimedia:

421px-Karl_Marx_001Nicht nur, dass nicht vermerkt ist, dass es sich um einen Bildausschnitt handelt. Für Historiker ist das ein überaus zweifelhafter Umgang mit Quellen. Wer sich historisches Denken auf die Fahnen schreibt, darf so nicht mit Quellen umgehen.

Zudem wird das Bild, das in der Wikimedia unter Public Domain steht und damit frei weiter verwendet werden kann, in der Historiana mit einem Copyrightzeichen versehen (siehe Screenshot oben). Das hat nichts damit zu tun, dass sich das Projekt noch in Entwicklung befindet, sondern ist ein konzeptioneller Fehler, den im Nachhinein zu korrigieren unglaublich aufwendig ist. Gemeinfreie Werke als copyrightgeschützt auszugeben nennt man schlicht Copyfraud.

Die fehlerhafte Rechteangabe reduziert für Lernende wie für Lehrende völlig unnötig die Nutzung der dargebotenen Materialien, mit denen Weiterverwendung, Veränderung und Neuveröffentlichung möglich wäre, womit sich methodisch zahlreiche Möglichkeiten für Lernprozesse und -produkte ergäben, da jeder, der nicht weiter nachforscht oder sich nicht auskennt, mit der Copyright-Kennzeichnung von einer weiteren Nutzung abgehalten wird.

Es ist also nicht nur rechtlich falsch, es wird auch noch das Gegenteil von dem erreicht, was sich euroclio mit der Historiana vorgenommen hat. Dies ist ebenso bedauerlich wie unverständlich bei einem Projekt in dieser Größenordnung und mit dem vorgetragenen Anspruch.

Dass dies kein Einzelfall ist, zeigt der zufällig gewählte Blick auf weitere Bildquellen. Im Kontext zu polnischen „Adelsrepublik“ der Frühen Neuzeit wird auf die Attische Demokratie verwiesen und zur Illustration ein Bild der Pnyx gezeigt.

pnyx source

Auch hier findet sich mit Klick auf den kleinen, grünen i-Punkt zunächst das Copyright-Zeichen. Beim weiterführenden Klick, um das Bild „als Quelle anzeigen“ zu lassen, erhält man die Seite des obigen Screenshots, der nicht ungeschickt abgeschnitten ist, sondern es folgen tatsächlich keinerlei Informationen zum Bild.

Die Quelle des Bildes ist hingegen schnell identifiziert: Es handelt sich wiederum um die Wikimedia, wo das Bild vom Nutzer Qwqchris unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz eingestellt wurde. Das Bild darf also weiterverwendet, auch verändert werden, der Autor muss jedoch genannt werden. Das unterbleibt in der Historiana und ist damit eine klare Lizenzverletzung.

800px-Pnyx-berg2Auch didaktisch erschließt darüber der Sinn dieses Bildes bei dem Artikel nur bedingt. Was können/sollen Lernende an oder mit dem Bild hier lernen? Über eine rein illustrative Funktion geht es nicht hinaus. Das ist allerdings auch in vielen Schulbüchern so. Bei dem gewählten Thema zu Polen hätte man aber auch bei der weit angesetzten Kontextualisierung andere Abbildungen wählen können.

Über Bildquellen hinaus sieht es bei der Verwendung von Karten (finden sich unter „Quellen“ auch separat zugänglich) ähnlich aus. Ein Beispiel aus dem Kontext der polnischen Geschichte: Es geht um eine Karte zu polnischsprachigen Gebieten um 1900, also in einer Zeit, in der es keinen polnischen Staat gab. Für die Historiana hat sich euroclio entschieden ausschließlich auf Englisch zu arbeiten. Überraschend ist nun, dass die verwendete Karte vollständig auf Deutsch beschriftet ist.

Es stellt sich die Frage, was Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler – sagen wir mal in Finnland oder Malta – , die die englischsprachige Historiana nutzen wollen, mit einer deutschsprachigen Karte anfangen können. Es wäre weniger ein Problem das Material zu nutzen, wenn zumindest die Legende entsprechend übersetzt wäre.

Auch wird wiederum das Material mit einem Copyrightzeichen „geschützt“. Die Verwendung einer deutschsprachigen Karte in einem englischen Beitrag deutet daraufhin, dass die Karte nicht extra für den Beitrag in der Historiana erstellt, sondern aus einem anderen Kontext entnommen wurde. Es fehlt jedoch jegliche Angabe zu Autor oder Herkunft der Karte.

Solange mit Quellen und Nachweisen in dieser Form in der Historiana umgegangen wird, kann man niemandem ernsthaft empfehlen, das Angebot im Geschichtsunterricht einzusetzen.

 

2 Gedanken zu „Bildnutzung in der Historiana

  1. Die Karte stammt wohl von hier:
    http://www.migrationsroute.nrw.de/themen.php?thema_id=36&erinnerungsort=bochum

    Quellenangabe ist:

    „Karte nach Angaben des „Atlas zur Geschichte der deutschen Ostsiedlung“ 1958
    Grafik Dietrich und Hediye Hackenberg“

    Und da Thema, Titel und Erscheinungsjahr dann doch etwas hellhörig machen, hab ich mal weitergesucht:

    http://books.google.de/books?id=GjtwRIin9QIC&pg=PA497&lpg=PA497&dq=Atlas+zur+Geschichte+der+deutschen+Ostsiedlung&source=bl&ots=hXuG-Vq5N1&sig=IoVdTQjGn4EUMtTV-IiJJSMFlog&hl=de&sa=X&ei=P7FbVP3CHoWpOrLIgLAB&ved=0CEYQ6AEwBw#v=onepage&q=Atlas%20zur%20Geschichte%20der%20deutschen%20Ostsiedlung&f=false

    Das klingt nicht sonderlich gut – da haben also zwei Leute eine uralte Karte mit sehr zweifelhafter Datenbasis abgezeichnet und die Historiana übernimmt das dann ohne Quellenangabe.

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  2. Vielen Dank für den Hinweis! Das ist umso erstaunlicher, als der Bearbeiter des Beitrags an dem Historiana-Projekt im Auftrag des GEI mitgewirkt hat und eigentlich wissen müsste, dass Karten nicht einfaches Anschauungsmaterial sind und gerade bei solchen Themen in älteren Darstellungen Vorsicht geboten ist.

    Vergleicht man aber die Karte der Historiana mit einer 2010 erstellten Karte in der Wikipedia zum Thema der sprachlichen Minderheiten im Deutschen Reich um 1900, für die leider nicht angegeben ist, woher die zugrundeliegenden Daten stammen, ergibt sich auch deutlich anderes Bild, das den Eindruck verstärkt, dass Krallert 1958 den Anteil der Polnischsprachigen in den Gebieten des Reichs – bewusst oder unbewusst – vermutlich deutlich zu gering ansetzt.

    Damit vermittelt die Karte eine problematische politische Aussage, die gut zu den anderen Befunden in der von dir verlinkten Arbeit von Lehn passt und als einfache „Illustration“, gerade für den schulischen Einsatz und zudem wenn man Geschichte „neu“ in einer „europäischen Perspektive“ erzählen möchte, wie es sich die Historiana vorgenommen hat, völlig ungeeignet ist.

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