Nachlese zur Tagung #gld13

Die Tagung Geschichte lernen digital war sehr anregend und bestens organisiert. Die vielen Eindrücke sind noch frisch und müssen nach und nach geordnet und verarbeitet werden. Deshalb möchte ich auch gar keinen allgemeinen Tagesbericht schreiben. Wer mag, kann in den folgenden Tagen die Aufzeichnungen der Vorträge auf dem L.I.S.A.-Portal nachschauen. Ab Juni werden die ausgearbeiteten Beiträge zum Peer-Review im Netz stehen.

Die Tagung kann den Anfang eines schwierigen, aber konstruktiven Dialogs bilden, der unterschiedliche Perspektiven von u.a. Geschichtsdidaktikern, Lehrkräften, Aus- und Fortbildnern auf die Veränderungen von Geschichtslernen im digitalen Zeitalter einbindet. Eine wichtige Perspektive, die auf der Tagung fehlte, war übrigens die der Lerner. Es wäre eine Überlegung wert, diese Ernst zu nehmen und miteinzubeziehen. In welcher Form das geschehen könnte, müsste man schauen.

Einen Gedanken aus der Abschlussdiskussion möchte ich in diesem Beitrag noch einmal herausgreifen, da er mir im Rückblick während der zwei Tage in München zu kurz gekommen scheint. Große Teile der Tagung waren auf die Angebotsseite fokussiert und standen unter einem instrumentellen Verständnis des Digitalen. Es ging darum, wie Lernplattformen, digitale Werkzeuge und Materialien sinnvoll für den Geschichtsunterricht sinnvoll genutzt werden können, um diesen zu verbessern bzw. nachzuweisen, dass sie es nicht tun. Die Formulierung macht es schon deutlich und vor allem Lisa Rosa hat in der Diskussion wie auch auf Twitter darauf hingewiesen: Digitale Medien werden so nur als Mittel bzw. Werkzeuge begriffen. Das ist aber ein Verständnis, das angesichts der kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, zu kurz greift. Es geht um das “Lernen unter den Bedingungen der Digitalität”. Auch ohne digitale Medien erfolgt Lernen und Arbeiten heute immer unter diesen Bedingungen.

Daraus ergibt sich die für meinen Arbeitszusammenhang als Lehrer wichtige Frage, wie sich Schule und (Geschichts-) Unterricht unter diesen Bedingungen verändern und wie darauf zu reagieren ist. Das sind in der Tat zunächst keine fachspezifischen Beobachtungen, und sie sind deshalb vielleicht weniger im Blickfeld der Geschichtsdidaktik, aber diese Bedingungen sind auch für den Geschichtsunterricht grundlegend, weil sie den Rahmen für formales historisches Lernen in der Schule bilden.

Um verständlicher zu machen, was das bedeutet und welche Veränderungen gemeint sind, möchte ich exemplarisch drei Beobachtungen aus dem Schulalltag noch einmal zusammenfassen:

– Bei einem vorbereitenden Besuch für ein Comenius-Projekt in einer zentralanatolischen Stadt in der Türkei hatte ich ein längeres Gespräch mit einem Oberstufenschüler. Er erklärte mir, dass der Geschichts- und Religionsunterricht ideologisch gefärbt sei. Das, was die Lehrer erzählten und was in den Schulbüchern steht, würde er immer noch einmal mit eigenen Recherchen im Internet überprüfen, um sich eine eigene unabhängige Meinung zu bilden. Nichtsdestotrotz lernt er das im Unterricht Dargebotene auswendig und erzielt exzellente Noten in Tests und Klausuren, weil diese Zulassungsvoraussetzung für eine gute Universität später sind. Lehrer und Schulbuch, und damit der Staat über die Schule, haben ihre Deutungshoheit verloren. Die Schule hat übrigens nicht mal eine Schulbibliothek

– Schüler organisieren ihre Lern- und Arbeitsprozesse zunehmend selbstständig und kollaborativ z.B. in Facebook-Gruppen, die parallel zu ihren Kursen laufen. Dort werden Fragen gestellt, Hausaufgaben gemacht, Klausuren vorbereitet. Die Lehrer sind außen vor und viele Kollegen wissen vermutlich nicht einmal um diese Parallelstrukturen. Daraus ergeben sich aber Fragen nach dem Sinn z.B. von Hausaufgaben und von Aufgabenformaten. Um einen älteren Spruch sinngemäß zu zitieren: Wenn sich die Antwort auf eine Frage in wenigen Sekunden googeln lässt, dann ist nicht Googel schlecht, sondern die Frage.

– Das gleiche gilt auch für den Unterricht selbst. Laut Statistiken haben Schüler weiterführenden Schulen eine 100% Ausstattung mit Handys. Davon ist eine wachsende Zahl Smartphones. Schulen reagieren in der Regel weiterhin mit „Handy“-Verboten. Das hindert aber Schüler nicht unter dem Tisch ihre Handys zu nutzen, auch gezielt für den Unterricht, um z.B. Antworten auf Lehrerfragen zu googeln. Wenn ihnen diese Frage-Antwort-Spiele, worauf Martin Lindner zu Recht hinweist, nicht sowieso zu dumm sind und sie sich diesen grundsätzlich entziehen, was in der Qualifikationsphase der Oberstufe sicher schwieriger ist als in der Mittelstufe. Ein sinnvoller Unterricht darf nicht auf Fragen aufbauen, deren Antworten sich schnell googeln lassen.

Auf der Tagung wurde von Marko Demantowsky zu Recht festgestellt, dass sich die Grundformen historischen Denkens und Lernens in der Auseinandersetzung mit Quellen und Darstellung in den Modi von Re- und Dekonstruktion nicht ändern. Was sich aber sehr wohl ändern kann bzw. ändern muss, sind u.a. Unterrichtsgestaltung, Aufgabenformate und Lernprodukte.

Jan Hodel hat darauf hingewiesen, dass wir uns mitten in einem Wandel befinden, dessen Ende wir noch nicht absehen können. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen ist eine ebenso experimentelle wie reflexive Praxis nötig, die sich öffnet und den Dialog mit den Lernenden sowie eine fachdidaktische Fundierung sucht, um nicht beliebig zu werden. Umgekehrt scheint es mir eine dringende Aufgabe der Geschichtsdidaktik auch die veränderten allgemeinen Bedingungen von Schule und Unterricht in den Blick zu nehmen, das Fach und seine Praxis zu ihnen in Beziehung zu setzen, und in einem Dialog mit der Praxis den Geschichtsunterricht weiterzuentwickeln. Der auf der Tagung ankündigte Arbeitskreis innerhalb der KGD könnte dafür ein zentrales Forum bilden.

13 Gedanken zu „Nachlese zur Tagung #gld13

  1. Schöner Bericht. Ich stimme ihm zu. Nur: Bevor wir in veränderte Unterrichtssettings und andere didaktische Frage hupfen, sollten wir den Wissensbegriff und Lernbegriff unter den Bedingungen von Digitalität neu denken. Denn: Didaktik konzeptualisiert Lernen per def als formelles, explizites Lernen. das entpuppt sich aber unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen als Reduktion auf den buchgesellschaftlichen Lerbegriff. Nicht von ungefähr hat ja die Schule des Industriezeitalters als allgemeine Pflichtschule den Comenius-Begriffspaar-Bestandteil der Didaktik (Lehre vom Lehren) zwar übernommen und prominent etabliert, den dazugehörigen Begriffsteil der Mathetik (Lehre vom Lernen) jedoch verschmäht. Eine Didaktik 2.0 müsste diese Abspaltung überwinden, denn das Lernen 2.0 expandiert den alten buchgesellschaftlichen Lernbegriff.

    ich antworte morgen in shift aud deinen Kommentar, wenn ich euer Konzept noch einmal genau auf den Punkt 4 (Lernen im digitalen Medium) hin nachgelesen habe.

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  2. Da hast du grundsätzlich Recht. Vermutlich habe ich deinen Beitrag falsch verstanden. In deinem Blogbeitrag führst du aus, dass „ein reflektiertes Theorie-Praxis-Verständnis abgesehen, das nicht dualistisch ist, sondern ermöglicht, Praxis und Theorie von jedem Standpunkt aus und in jeder Phase des Konzeptualisierens und Erprobens von Tätigkeit miteinander zu verschränken.“ Hier im Kommentar verweist du darauf, dass wir zuerst neu denken müssten. Das ist genau der Punkt: Als Lehrer hat man nur jede Woche 26 Stunden oder mehr Unterricht zu gestalten. Das geht nicht anders als in einem schnellen Wechsel von Theorie und Praxis, als eine Öffnung des Unterrichts in mehrfacher Hinsicht und Suche nach alternativen Formen der Gestaltung von Lernprozessen, auch auf dem Weg von Trial-and-Error. Ja, es gibt Dinge, die man ausprobiert, die funktionieren nicht, aber so Gewinne ich Erkenntnisse darüber, wie Lernen und wie Schule „unter den Bedingungen der Digitalität“ sich verändern. Dazu ist die theoretische Rückkopplung wichtig, aber auch, da sehe ich den großen Gewinn der „Edu-Blogosphäre“, der Austausch und die Diskussion über die eigenen Beobachtungen und Unterrichtspraxis.
    Der Alternative lässt sich übrigens auch beobachten als „Stand-By-Modus“, des Weiter-So-Wie-Bisher und alles, was da nicht rein passt, wird als Bedrohung empfunden und unterdrückt oder verboten – siehe die schulische „Handy“-Debatte.

    Vielen Dank übrigens für den Hinweis auf Rückriem. Die Lektüre habe ich als sehr hilfreich und erhellend erlebt: „In der Didaktik geht es um eine Optimierung des Unterrichts durch Einsatz der effektivsten Mittel. Das eingesetzte Mittel gilt als effektiv, wenn es mit seiner Hilfe gelingt, den Zweck/das Ziel des Unterrichts zu verwirklichen: Didaktik als auf den zweckmäßigen Einsatz von „Mitteln“ gerichtete Wissenschaft, d.h. als Vermittlungswissenschaft, für die alle Arten vonvermittelnden Dritten, seien es apersonale, personale oder immaterielle Mittler, als „Mittel“ gelten, die in einer Zweck-Mittel-Beziehung fungieren.
    Sofern in der Didaktik von „Medien“ die Rede ist, geht es in Wirklichkeit um „Mittel“. Der Terminus „Medium“ wird lediglich gebraucht, um damit eine bestimmte Klasse von technischen „Mitteln“ zu bezeichnen. „Neue Medien“ sind in diesem Verständnis
    konsequenterweise die neuesten auf dem Markt befindlichen elektronischen Mittel, also digitale Geräte oder ihre Software.“

    Klicke, um auf mittel-vermittlung-medium.pdf zuzugreifen

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    • Aber du hast diesen Rückriem schon so verstanden, dass er den Medienbegriff der Didaktik nicht für wissenschaftlich hält, sondern kritisiert, oder?

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      • Ja, klar. In Schule wäre er nach Rückriem durch „Mittel“ zu ersetzen. Die Frage ist allerdings, welche Wörter man verwendet. Um das an einem Beispiel aus unserem Artikel festzumachen: Der ist nicht nur für Geschichtsdidaktiker geschrieben, sondern vor allem auch für Lehrer im Hinblick auf Unterrichtsplanungen, z.B. im Referendariat. In der Schule wird in der Regel ein wenig reflektierter und unpräzise Begriff von „Medien“ benutzt. Rückriem spitzt zu, aber trifft meines Erachtens damit den Punkt. Was kann man tun, um verstanden zu werden und gleichzeitig ein anderes Verständnis zu vermitteln? Ich glaube, konsequent immer von „Mitteln“ statt „Medien“ zu sprechen, ist nicht alltagstauglich. Unsere Idee war es deshalb, den Begriff „Medium“ beizubehalten, aber auszudifferenzieren, so ist „Lernen mit Medien“ nichts anderes als die didaktische Perspektive des Mittels. Es lässt sich natürlich darüber streiten, was für mehr Verwirrung sorgt und was eher anschlussfähig ist, so dass es in der Breite verstanden und rezipiert werden kann.

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  3. Pingback: #dlg13 – GeschichteLernen Digital

  4. Ich könnte mir vorstellen, dass du Rückriem missverstanden hast! Schule verwechselt Medium mit Mittel, (sie verwechselt nicht Namen, das wäre ja wurscht, sondern die Sachen, die sie bedeuten) – und dann kann sie die Bedeutung eines neuen Leitmediums nicht erkennen, weil sie an ihres, das alte gebunden ist. (So sieht es auch Rückriem: Die Schule nebst ihrer Schulehalten-Wissenschaft ist ein Kind der Buchgesellschaft und findet sich bisher nicht in der Digitalität zurecht, weil sie Medien nicht anders als Mittel denken kann.)
    Es geht nicht um „Namen“ sondern um das Verständnis von Sachen.

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  5. Das möchte und kann ich nicht ausschließen, dass ich ihn missverstanden habe. Mein Punkt ist aber, dass du in der Alltagssprache den Begriff „Medium“, auch wenn er nach Rückriem falsch ist („Medien sind weder Geräte noch Gegenstände noch Mittel, und schon gar nicht sind sie optional.“) nicht ersetzen können wirst. Mit „Medien“ werden, nicht nur in der Schule, wenig reflektiert völlig unterschiedliche Dinge benannt: CDs, Computer, Folien, Software, Computer, Handys, Fotos, Zeitungen etc. Wenn Menschen, nicht nur Lehrer, von „Medien“ sprechen, meinen sie genau das. Das lässt sich nicht verbieten noch erfolgreich korrigieren durch andere Begriffe. Erfolgsversprechender scheint meines Erachtens, der Versuch das Verständnis von „Medien“ auszudifferenzieren und um ein wissenschaftliches Verständnis zu ergänzen. Ein erster Schritt wäre dazu das Bewusstmachen, dass es hier eine Differenz gibt, die dann reflektiert und expliziert werden kann. Damit lässt sich dann anlossbezogen klären, welches Verständnis von Medien jeweils gemeint ist: „Von welchem Medienbegriff gehst du aus?“ – eine Frage, die sonst unverstanden bleibt:

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  6. Ich glaub nicht, dass man Alltagsbegriffe einfach mit wissenschaftlichem Begriff ergänzen kann, denn sie widersprechen sich und schließen sich dann gegenseitig logisch aus. Entweder ich habe einen Medienbegriff, der Medium nicht mit Mittel gleichsetzt, oder ich habe einen, der es tut. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Ich muss also den Alltagsbegriff der Schule, der Medium als nur als Mittel für Unterrichtszwecke sieht (wie Rückriem in dem von dir zitierten Absatz beschreibt), durch einen wissenschaftlichen Begriff ersetzen in meinem Verständnis! Das bedeutet nicht, dass ich nicht aus strategischen oder pragmatischen Gründen gleichzeitig Praxen in der Schulrealität und Schulentwicklung unterstütze kann, die eine andere Auffassung haben. Aber dadurch teile ich diese andere Auffassung nicht, sondern unterscheide zwischen meinem Verständnis der Sache und der strategischen Unterstützung einer neuen „Immerhin!“-Praxis. Ich nenne sie immer so, weil sie IMMERHIN ein bißchen besser ist als die alte. (Man wird ja bescheiden in seinen Erwartungen.) Aber ich lasse mich dadurch doch nicht wieder „runterziehen“ zu einem in meinen Augen unwissenschaftlichen Verständnis des Gegenstands. ich hab übrigens grad was passendes zur Illustration reingekriegt … das bring ich drüben bei mir als Kommentar zum Post über das *dings*, denn hier krieg ich das nicht rein.

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  7. achso noch deine Frage: mein Medienbegriff dachte ich, wäre in meinem post deutlich geworden. Ansonsten: derselbe wie Rückriem / Michael Giesecke et al.

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  8. Pingback: Was ist das *dings* und was bedeutet es für die Geschichtsdidaktik? Anmerkungen zur Tagung Geschichte Lernen digital | shift.

  9. ich hab das Screenshot aus einer g+ Diskussion jetzt an mein Post über das *dings* jetzt als Aktualisierung angepappt, da es im Kommentar nicht ging. Wenn du es gesehen hast: Weißt du jetzt, was Rückriem mit dieser Verwechslung meint?

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  10. Ich glaube schon, das verstanden zu haben. Wir haben aber eben nur eine unterschiedliche Auffassung von der „Vereinbar-“ und Kommunizierbarkeit. An sich ein bekanntes Problem, gerade in Geschichte, dass zahlreiche Alltagsbegriffe zugleich auch Fachbegriffe sind, aber das ist noch einmal ein anderes Thema. Die Frage nach dem Medienbegriff oben war übrigens nicht an dich gerichtet.

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    • Sorry, dann habe ich dich missverstanden. Das kam, weil du schriebst: „In Schule wäre er nach Rückriem durch “Mittel” zu ersetzen.“ Das klang für mich, als müsse man in der Schule das tun. Aber es war natürlich nicht normativ sondern analytisch gemeint. Die Schule tuts, und darum geht nix vorwärts.
      Ja, über Strategien zu diskutieren, wäre sehr interessant. Es sind ja Prozess-Strategien in der Übergangsgesellschaft nötig. Da hatten Jöran und ich schon länger die Metapher des „Trojanischen Pferds“ gehabt. Aber alles, was normativ intervenieren will und hinterrücks eine neue Praxis einschmuggeln will, ist m.E. nutzlose Energie. Am besten hilft: Deine eigene tolle Praxis! Und wenn Du sie dann erklären sollst (und willst) – dann aber immer mit der avancierten wissenschaftlichen Begrifflichkeit und dem eigenen Medienverständnis, die ihr doch auch zugrunde liegt (es sei denn du wärst gespalten). So hast du beides: Du überzeugst mit neuer Praxis und die wiederum transportiert die dahinterliegenden neuen theoretischen Verständnisse mit!

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