Wikipedia in der Praxis – Open Peer Review

cibo00-abstracted-personal-stress-appraisal-800pxDie ausgearbeiteten Beiträge zur Tagung in Basel werden nun nach und nach zum Open Peer Review im Blog des Arbeitskreises „Digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik“ online gestellt. Den Auftakt macht mein kurzer Praxisbericht zu Schwierigkeiten und Lösungsansätzen der Wikipedia-Nutzung in Klasse 8. Die Folien zum Vortrag hatte ich bereits Ende November zur Tagung hier im Blog zur Verfügung gestellt.

Open Peer Review bedeutet, dass „alle interessierten Personen“ eingeladen sind, „nicht nur zu lesen, sondern auch zu kommentieren.“ Die genauen Informationen über Ablauf des Review-Verfahren und die Reihenfolge der Publikation der Tagungsbeiträge haben Jan Hodel und Marco Zerwas als Herausgeber in einem einleitenden Blogbeitrag zusammengefasst.

Völkerschlacht 1813

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Wer mal etwas Neues zu Napoleon ausprobieren mag, hier ein kurze Idee für ein bis zwei Unterrichtsstunden:

Der Einstieg kann über die Karikatur links („Nein, das ist kein Hamburger, sondern eine Nuss!“) erfolgen, um damit auch den thematischen Schwerpunkt der Stunde, die sogenannte Völkerschlacht von 1813, zu benennen und das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler aus den Vorstunden zu aktivieren.

Anschließend werden mehrere kurze Auszüge aus Darstellungen zur Völkerschlacht verglichen und im Hinblick auf (versteckte) Bewertungen von Napoleon und der Kriege analysiert. Die Lernenden sollen dabei besonders auf die Wortwahl achten. Die Texte sind mögliche Beispiele, es können auch andere verwendet werden.

Der Wikipedia-Artikel „Völkerschlacht bei Leipzig“ erweist sich dabei als vergleichsweise traditionell. Greift er doch begriff die 200 Jahre alte preußisch-deutsche Geschichtserzählung auf mit den Begriffen „Befreiungskriege“ und „Fremdherrschaft“, die sich unkommentiert und unhinterfragt im Text finden. Ein gutes Beispiel übrigens, um Schülerinnen und Schüler zu verdeutlichen, dass der „neutral point of view“ der Wikipedia kulturell gebunden ist und keineswegs eine „objektive“ Darstellung bietet. Wer Zeit und sprachlich fitte Lernende hat, kann noch Auszüge aus einer oder mehreren anderen Sprachversionen heranziehen, um gezielt die verwendeten Begrifflichkeiten miteinander zu vergleichen

Dass es auch anders geht, zeigt z.B. die Darstellung bei Planet Wissen. Dort ist von „Reich“ und „französischer Herrschaft“ die Rede, die allerdings „in Deutschland“ verortet wird, was politisch verkehrt und geographisch höchst unpräzise ist. Im Kontrast dazu lässt sich der Text von Dieter Wunderlich lesen, bei dem eine gewisse Faszination für die Person und Leistung Napoleons deutlich wird.

Ausgehend von der vergleichenden Analyse wird als viertes Element der kurze (6 Min 45) Trickfilm von Schwarwel mit dem Titel „1813 – Gott mit uns“ hinzugezogen. Der Trailer zum Film ist auf YouTube zu sehen und vermittelt einen guten Eindruck, wie der Film aufgebaut ist:

Zunächst äußern die Schülerinnen und Schüler ihre Erwartungen zum Titel, ohne dass sie weitere Informationen zu Art des Films haben. Gegebenenfalls ist eine kurze Internetrecherche zur historischen Verwendung und Bedeutung der Formel „Gott mit uns“ hilfreich, eventuell kennen die Schülerinnen und Schüler diese bereits aus dem Geschichtsunterricht oder aus anderen Fächern.

Die künstlerische Auseinandersetzung wird die Lernenden zunächst überraschen, weil sie einen klassischen Geschichtsfilm oder eine Dokumentation erwartet. Die schnellen Schnitte und das assoziative Nebeneinanderstellen der Bilder machen ein mindestens zweimaliges Anschauen notwendig. Wichtig ist zunächst die Eindrücke zu sammeln und dann erst zu einer Analyse des Films überzugehen, um abschließend eine mögliche Gesamtaussage und gegebenenfalls auch eine Bewertung der Darstellungsform zu erarbeiten. Als Elemente für die Filmanalyse können z.B. die recht plakativen und deshalb vergleichsweise leicht zu entschlüsselnde Gegenüberstellungen und Überblendungen (Farben, vor/nach dem Krieg, Bevölkerung/Feldherrn, Schmetterlinge/Krähen usw.) sowie die Musik (Beethovens Eroica) herangezogen werden.

Schwarwel stellt die Opfer des Krieges in den Mittelpunkt. Es gibt keine Sieger. Wer gegeneinander kämpft verwischt und spielt für den Film auch keine Rolle. Am Ende stehen Zerstörung, Leid und Tod. Das letzte Bild – nach dem „Ende“ – zeigt eine Mutter mit ihren Kindern, die ihren Mann bzw. Vater verloren haben. Dieser andere Zugang bietet einen starken Kontrast zur Schulbuch- (oder Wikipedia-) Erzählung von Schlachtenfolgen, entstehendem Nationalgefühl und Befreiungskriegen und damit Anlass zur Diskussion über Formen von Geschichtsdarstellungen und (unreflektiert? nacherzählten) nationalen Narrativen.

Vertieft werden kann das Thema mit dem Fokus auf Beethoven fächerübergreifend mit Musik oder im Fach Geschichte selbst mit einem Blick auf die Erinnerungskultur rund um die Schlacht, insbesondere der Inszenierung der Schlacht 2013 in den Medien und vor Ort, z.B.

Wikipedia als Geschichtslexikon für Schülerinnen und Schüler der Klasse 8 – Schwierigkeiten und unterrichtliche Lösungsansätze

Anbei veröffentliche ich hier vorab schon einmal die Folien meines Beitrags zur Konferenz „Wikipedia in der Praxis. Geschichtsdidaktische Perspektiven“ am Freitag und Samstag in Basel. Weitere Informationen zur Konferenz sowie das aktualisierte und aufgrund von Absagen leider auch reduzierte Programm finden sich im Blog des Arbeitskreises „digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik“ der kgd. Für alle, die die Tagung online mitverfolgen wollen, der Hashtag lautet: #gld15. Für alle, die vor Ort sind, gibt es, da die Folien ja hier schon stehen, dann am Samstagmorgen die Gelegenheit für einen zweiten Kaffee 😉

P.S. Gerade gesehen, dass Slideshare den kursiven Schrifttyp eigenwillig geändert hat… das sieht in der Originalpräsentation anders aus. Hier bleibt das jetzt aber so. Ich hab ehrlich keine Lust, so lange mit Uploads rum zu experimentieren, bis das richtig angezeigt wird… dann halt Fraktur!

Wikipedia? Fürs Lernen nicht so wichtig…

In Vorbereitung auf die 3. Tagung des KGD-Arbeitskreises „Digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik“ habe ich in einer Klasse der Sekundarstufe I eine anonyme Umfrage zur Wikipedia-Nutzung für Schule und Geschichtsunterricht durchgeführt. Die Ergebnisse haben mich überrascht. Die Wikipedia besitzt für die Schülerinnen und Schüler laut eigenen Aussagen eine wesentliche geringere Relevanz, als ich angenommen hätte. Die mehrheitlich genannten Probleme waren erwartbar, vielleicht sogar in stärkerer Ausprägung. Überraschend hingegen fand ich wiederum, dass niemand die Wikipedia „sehr hilfreich“ hält. Insgesamt haben 27 Schülerinnen und Schüler einer Klasse an der Umfrage teilgenommen. Dadurch ist der Aussagewert natürlich sehr begrenzt, trotzdem denke ich, bieten die Antworten einen interessanten Blick auf das Bild von jüngeren Schülerinnen und Schüler auf die Wikipedia. Anbei zur Diskussion ein paar Ergebnisse als Grafiken aufbereitet:

Nutzung WikipediaWikipedia Nutzung wieWikipedia wozu nutzenWikipedia Nutzung ProblemeWikipedia wie hilfreich

 

 

Konferenz Wikipedia in der Praxis – Geschichtsdidaktische Perspektiven

Nach #gld13 in München und #gld14 in Köln veranstaltet der Arbeitskreis „digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik“ der KGd eine weitere Tagung. Diese findet am 27. und 28. November 2015 in Fourth477-488Basel statt. Im Mittelpunkt steht diesmal die „Wikipedia“, die aus verschiedenen Winkeln geschichtsdidaktisch in den Blick genommen wird. Wie bereits bei der ersten Veranstaltung in München soll die Tagung als interaktive Netzkonferenz durchgeführt werden Das Programm sowie weitere Informationen finden sich bereits bei H-Soz-Kult online.

Aus Anlass der Tagung habe ich mal nachgeschaut: Hier im Blog sind seit 2009 ingesamt 22 Beiträge erschienen, die mit „Wikipedia“ verschlagwortet sind. Die einzelnen Beiträge sind in Umfang und Gehalt sehr heterogen. Die Wikipedia war 2009 tatsächlich eines der ersten Themen, das ich im Blog aufgegriffen habe. Alle bisherigen Beiträge zur Wikipedia finden sich hier in umgedrehter chronologischer Reihenfolge.

Für mich wird es eine spannende Zeitreise zur Vorbereitung auf die Tagung die alten Blogartikel noch einmal durchzulesen – und dabei vermutlich mehr als einmal aus heutiger Sicht mit Verwunderung auf frühere Überlegungen zu schauen… 😉

Nachschlagen vs. recherchieren

Die mitlesenden Lehrerinnen und Lehrer kennen das: Auch in den Klassen der Sekundarstufe I wiederholen jüngere Schülerinnen und Schüler zum Thema „Informationssuche im Internet“ mittlerweile routiniert die Hinweise auf die Unsicherheit der Informationen und die Notwendigkeit des Abgleichens mit anderen „Informationsquellen“. Was vor zehn Jahren johnny-automatic-look-it-upnoch eine gute Lösung für ein vorhandenes Problem darstellte, wird heute selbst zu einem.

So positiv die Nachricht ist, dass die Kernbotschaft durchgedrungen ist, so unrealistisch und wenig sinnvoll ist sie in ihrer Verallgemeinerung. Wenn es schlicht darum geht, z.B. die Höhe, die Erbauungszeit oder den Architekten eines Gebäudes herauszufinden, ist es irrwitzig, zu erwarten, dass mehrere Internetseiten und Bücher genutzt und miteinander verglichen werden.

Das habe wir früher nicht gemacht. Damals hat ein Blick ins Lexikon genügt. Der Nachweis ist mehrfach erbracht, dass die Wikipedia mindestens ebenso zuverlässig ist. Es muss also reichen, dort schnell solche Informationen entnehmen zu können. Ich mache das in meiner täglichen Arbeit nicht anders. Und ich kann das auch nicht von meinen Schülerinnen und Schülern erwarten. Falls trotzdem mal ein Sach- oder Tippfehler vorhanden sein sollte, dann ist das so. Das war früher in den gedruckten Nachschlagewerken nicht anders. Es ist vielleicht nur seltener aufgefallen.

Den Unterschied zwischen jeweils anlass- und inhaltsbezogenem schnellen Nachschlagen und aufwendigerer Recherche sollten wir im Unterricht thematisieren, die unterschiedlichen Vorgehensweisen explizit machen und die jeweiligen Suchstrategien besprechen bzw. erarbeiten.

Bitte liebe Lehrerkollegen, liebe Lernmaterialersteller und Schulbuchverlage, seid präzise und differenziert: Nicht jede Informationssuche ist gleich eine Internetrecherche, sondern manchmal geht es auch einfach nur darum, etwas nachzuschlagen.

 

Mehrsprachiges Wörterbuch zur Geschichte

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Beim Lesen der Rezension zu Winfried Baumgarts dreisprachigem „Wörterbuch historischer und politischer Begriffe des 19. und 20. Jahrhunderts“ kam mir die Idee zu einem kurzen Tipp aus der Unterrichtspraxis.

Internationale Geschichtsprojekte z.B. mit eTwinning werden oft in einer gemeinsamen Drittsprache, in der Regel Englisch, seltener auch Französisch durchgeführt. Sprachwörterbücher helfen hier oft nicht weiter. In der angeführten Rezension heißt es dazu:

„Aber können Historiker nicht dennoch, wenn es ‚bloß‘ um Übersetzung geht, in allgemeinen Lexika und Enzyklopädien – oder ‚im Internet‘ – nachschlagen? Das ist, wie die Erfahrung zeigt, oft problematisch. Wer konventionelle ‚analoge‘, aber eben auch digitale Hilfen wie dict.cc oder leo.org regelmäßig nutzt, stößt auf der Suchen nach treffenden Übersetzungen schnell an Grenzen – sprich: auf Fehlanzeigen oder ‚falsche Freunde‘.“

Nun ist es für Schule wenig sinnvoll Baumgarts Werk anzuschaffen, um dann für vergleichsweise viel Geld ein oder zwei Bücher zu haben. Sehr hilfreich sind hingegen die verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia. Nach meiner Erfahrung funktioniert die Verlinkung der Sprachversionen sehr gut für das Auffinden von Fachbegriffen, Eigennamen historischer Orte und Personen oder den Bezeichungen historischer Ereignisse, die nicht im Wörterbuch stehen. In Einzelfällen, eher bei den Fachbegriffen als den Ereignissen, ist dort allerdings auch mal keine Verlinkung in andere Sprachen vorhanden.

Ansonsten ist die Handhabung überaus einfach: Man sucht in der deutschsprachigen Wikipedia den entsprechenden Eintrag, z.B. den „Hitler-Stalin-Pakt“ und erhält mit Klick auf die links angezeigten Sprachversionen z.B. die englische, französische, aber auch niederländische oder litauische Bezeichnung. Die Kenntnis der Benennung in der Fremdsprache se ist eine grundlegende Notwendigkeit für die Verständigung und Diskussion über Geschichte. Wer weiß schon, dass, wenn jemand auf Englisch von Hedeby spricht, er Haithabu meint.

Ein Vorteil ist zudem, dass die Begriffe kontextualisiert sind und auch Varianten angegeben werden. Die unterschiedlichen Bezeichnungen in verschiedenen Sprachen können darüber hinaus auch Anlass sein, die darin enthaltenden Perspektiven zu untersuchen.

Die verschiedenen Sprachversionen sind übrigens auch in der Wikipedia-App verfügbar. Dort allerdings etwas versteckt über den Button (in Android oben rechts die drei Punkte) „In anderen Sprachen lesen“.

 

Lernvideos zur jüdischen Geschichte

In dem Projekt zur jüdischen Geschichte in Koblenz sind zwei weitere Videos fertig und online gestellt. Sie können im Projektblog oder auf Youtube angesehen werden. Aus der Arbeit an dem Geocache und den Videos ist übrigens quasi als Nebenprodukt auch ein neuer Artikel in der Wikipedia zur Judengasse in Koblenz entstanden.

Das genannte Projekt ist übrigens auch ein Grund für die Anmeldung zum COER13. Da ich selbst versuche, Materialien aus dem Unterricht zu entwickeln und als Open Educational Resources bereitzustellen (siehe auch die Unterrichtsreihe zum Alten Ägypten), hoffe ich in dem Kurs auf konkrete Anregungen und Tipps zu bekommen und freue mich auf die Diskussionen zur Bedeutung und Entwicklung von OER im deutschsprachigen Raum, auch wenn ich, ganz ehrlich, noch nicht absehen kann, wieviel Zeit ich in den nächsten Wochen in den Kurs investieren kann.

Aufruf zur Mitarbeit: Wikipedia-Guide für den Geschichtsunterricht

Peter Haber hat schnell und sehr konstruktiv auf die hier formulierte Kritik hinsichtlich der Praxistauglichkeit der von ihm formulierten Regeln für den Schulunterricht reagiert und eine Seite im Histnet-Wiki eingerichtet:

„Wir haben dann beschlossen, in unserem Wiki einen «Wikipedia-Guide für den Unterricht» zu erstellen. Jede/r ist herzlich eingeladen, mitzuwirken, sei es mit Textarbeit, Links oder Kommentaren. Hier geht es zur entsprechenden Seite.“

Dem kann ich mir nur anschließen. Erste Ideen sind bereits eingestellt. Manuel Altenkirch weist in seinem Blog zu Recht darauf hin, dass es bereits einige Ansätze zum Thema „Wikipedia im Unterricht“ gibt, von den er viele auch auf einer Scoop.it-Seite zusammengestellt hat. Vielleicht gelingt es ja, in gemeinsamer Arbeit fachspezifische Hilfestellungen für historisches Lernen und Arbeiten mit der Wikipedia zu erstellen.

Neue Beiträge zur Wikipedia

In der ersten Ausgabe der Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften findet sich auch ein Beitrag zur Wikipedia. Ziko van Dijk, Vorsitzender des Fördervereins Wikimedia Nederland, schreibt unter dem Titel „Die Vermählung von Klio und Isidor“ über das Verhältnis von „Geschichte“ und zur „Freie[n] Enzyklopädie Wikipedia“. Der Beitrag enthält eigentlich nichts Neues. Van Dijk bietet einen Überblick zur Entstehung und den Prinzipien der „Online-Enzyklopädie“, den Forschungsstand mit den verschiedenen Positionen zur Wikipedia sowie als Wikipedianer auch einen kleinen Einblick ins Innenleben des Projekts.

Einige Tage vorher hatte bereits Peter Haber „die unkorrigierte und fussnotenlose Fassung“ seines Artikels in das Histnet-Blog gestellt, der in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht („Wikipedia“ 5/6 2012, S. 261-270) erschienen ist. Von Seiten der wissenschaftlichen Betrachtung der Wikipedia fasst der Titel bereits den Tenor des Beitrags zusammen: „Wikipedia. Ein Web 2.0-Projekt, das eine Enzyklopädie sein möchte„.

Aus der Sicht eines Schulpraktikers scheinen besonders die „vier simplen Regeln für die Nutzung der Wikipedia“ am Ende des Beitrags interessant. Haber nennt im Text „Schule und Universität“ immer in einem Atemzug. Er schreibt, dass unter Beachtung der von ihm postulierten Regeln, „sich Wikipedia auch im Unterricht sinnvoll nutzen“ lässt. Damit bezieht er sich vermutlich auf den schulischen „Unterricht“, denkt diesen aber auf jeden Fall mit. Es ist keinesfalls ausschließlich die Universität gemeint.

Wie sehen nun seine Regelvorschläge zur Nutzung aus?

1) Zum einen sollte es Pflicht sein, bei jeder Verwendung eines Wikipedia-Eintrages die entsprechende Diskussionsseite zu konsultieren. Bereits beim ersten Querlesen lässt sich die Struktur und die Intensität der Debatten einschätzen.

2) Die zweite Regel besagt, dass mit der gleichen Aufmerksamkeit die Versionsgeschichte durchgeschaut werden sollte: Was wurde in welcher Häufigkeit geändert? Mit welchen Themen beschäftigen sich die Hauptautoren sonst noch in der Wikipedia (die werden jeweils automatisch verlinkt), was geben die Autoren von sich preis?

Die Informationen aus den Diskussionsseiten und Versionsgeschichten ergeben unter Umständen ein recht präzises Bild darüber, wo die Problemzonen des Textes sind und wie breit abgestützt die verwendeten Informationen sind.

3) Hier knüpft auch die dritte Regel an: Was lässt sich aus den Zusatzinformationen unter „Siehe auch“, „Literatur“, „Weblinks“ und „Anmerkungen“ herauslesen? Unter dem Stichwort „Siehe auch“ werden weitere Wikipedia-Einträge verlinkt, die zum vorliegenden Text einen Bezug haben. Damit lassen sich sehr schnell Themenaspekte identifizieren, die anderswo abgehandelt werden. Die Literaturliste zeigt, ob Fachliteratur oder nur allgemeine Sachbücher verwendet wurden, das gleiche gilt für die Weblinks. […]

4) Als vierten Punkt kann man – nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der Wiener Untersuchung – empfehlen, den entsprechenden Eintrag in möglichst viele Sprachversionen nachzulesen.

Die Sinnhaftigkeit der Vorschläge erschließt sich jedem, der sich ein wenig mit der Wikipedia beschäftigt. Die Praktikabiltät im Hinblick auf das Zielfeld Schule scheint mir jedoch äußerst zweifelhaft. Ich unterricht an einem Gymnasium und nehme diese Erfahrungsfeld als Hintergrund meiner Einschätzung.

zu 1) Das kann ich mir durchaus vorstellen. Einfacher und schneller leistet hier jedoch eine Hilfsseite wie Wikibu eine erste Orientierung, die zugleich mehr (vor allem quantitative) Kriterien erfasst. Für Schüler, vor allem der unteren Stufen, scheint  mir das der bessere Einstieg. der zudem auch die Konstruktionsprinzipien der Artikel graphisch gut übersichtlich offenlegt.

zu 2) Das mag für einen Wissenschaftler zu leisten sein. Exemplarisch kann das Autorenpinzip der Wikipedia so einmal deutlich machen. Für den Arbeitsalltag ist die Regel nicht praktikabel. Bei einem Artikel mit mehr als 3 Autoren kostet das viel zu viel Zeit für die Nutzung eines Nachschlagwerks. Diese Regel macht die Nutzung nicht mehr sinnvoll, sondern beim Versuch der Einhaltung unmöglich.

zu 3) Beim besten Willen selbst die meisten Schüler der Oberstufe im Leistungskursbereich können das nicht erfassen. Wie soll ein Schüler beurteilen, ob hier Fachliteratur oder Sachbücher referiert werden? Schulisches Arbeiten in der Oberstufe soll wissenschaftspropädeutisch sein. Wenn hier herangeführt wird an das Prinzip, dass Aussagen belegt werden müssen, dass Literaturangaben und Fußnoten grundlegend sind für wissenschaftliches Arbeiten sind und Hinweise auf die Qualität einer Arbeit erlauben, ist viel erreicht. Und das bezieht sich auf die gymnasiale Oberstufe. Wie sieht es bei jüngeren Schülern, wie in anderen Schulformen aus? Für wen sollten diese „simplen“ Regeln eine Hilfe sein?

zu 4) Hier gilt das bereits Gesagte. Dafür fehlen den meisten Schülern schlicht die Sprachkenntnisse. Ist in der Oberstufe vermutlich eine relativ problemfreie Rezeption des englischsprachigen Artikels möglich, gibt es vielleicht noch andere solide Sprachkenntnisse von Zuhause, so ist das keine Regeln die allgemein für alle Alterstufen und Schulformen hilfreich wäre. Womit sich hingegen sehr gut arbeiten lässt, auch schon in der Mittelstufe, ist mit dem Titeln der Artikel bzw. den sprachlich unterschiedlichen Bezeichnungen für ein Ereignis (z.B. Hitler Putsch vs. Beer hall putsch), aber das ist an sich nichts Neues, sondern ein Verfahren, das im bilingualen Geschichtsunterricht schon lange fest verankert ist.

Abschließend schreibt Haber zu Recht:

„Alle diese Regeln beanspruchen Zeit, verhindern aber dadurch einen achtlosen Umgang mit Informationen, die sich durch eine sehr prekäre Qualität und durch wenig Stabilität auszeichnen. Wikipedia ist Teil unserer modernen Wissensgesellschaft geworden und hat dazu beigetragen, die Unterschiede zwischen Information und Wissen zu vernebeln. Schule und Universität sind weder berufen noch in der Lage, dies zu ändern. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, den auszubildenden Schülern und Studierenden Hilfsmittel auf den Weg zu geben, um mit diesen Herausforderungen besser umgehen zu können. Wikipedia ist ein wertvolles Instrument, das aber eine reflektierte Nutzung voraussetzt.“

Ja, der Umgang mit der Wikipedia muss gelernt werden. Ich sehe das auch als Aufgabe von Schule. Das braucht auch Zeit. Aber in den von Haber formulierten „Regeln“ finde ich für die Praxis keine Hilfe. Aus der eigenen Unterrichtspraxis her scheinen sie mir vielmehr – zumindest für den Bereich Schule – einigermaßen weltfremd.

Hinzu kommt, dass Haber die Artikel immer als Ganzes in den Blick nimmt. Das ist aber nur die Produzentenseite. Die Nutzung und Rezeption der Artikel ist vermutlich (?) bisher weniger erforscht (Gibt es in dem Bereich noch etwas außer den grundlegenden Beiträgen von Jan Hodel?). Diese kann aber sehr unterschiedlich sein.

So nutzen auch viele Schüler die Wikipedia nicht „achtlos“, sondern sehr gezielt z.B. zum Nachschlagen einzelner Namen, Daten oder auch für die fremdsprachliche Übersetzung von Fachbegriffen. Für diese Art der Nutzung ist der beschriebene Aufwand völlig unangebracht, weil unökonomisch. Dass sich dabei Fehler einschleichen können, ist möglich. Das ist aber auch bei gedruckten Lexika so.

Als Lehrkraft Schüler apodiktisch feste Regeln für die Nutzung zu diktieren, scheint mir kontraproduktiv. Man riskiert damit, in diesem Punkt nicht ernst genommen zu werden, da Schüler sehr wohl unterschiedliche Formen der Nutzung unterscheiden, Arbeitsaufwand und Resultat in der Regel sehr genau gegeneinander abwägen.

Vielmehr ist für eine (notwendige) Sensibilisierung und reflektierte Nutzung das gemeinsame Erarbeiten von Regeln wesentlich zielführender. Der hierbei investierte zeitliche Aufwand lohnt sich dann in der Tat.