In einem „Großprojekt“ mit Filmen, Radiobeiträgen, Internetpräsenz und Unterrichtsmaterialien für die Schule wirft der SWR einen Blick zurück in die „schwarz-weißen Jahre“, in das Rheinland-Pfalz der 50er Jahre. Gestern Abend war Vorpremiere in Koblenz, in denen ein rund 90 Minuten Zusammenschnitt der Filmreihe zu sehen war.
Die insgesamt neun 30minütigen Filme erzählen die Geschichte des relativ jungen und aus unterschiedlichsten historischen Bindungen heraus zusammengestückelten Bundeslandes auf mehreren Ebenen: den Zeitzeugenberichten, filmischen Umsetzungen dieser Berichte, Originalfilmausschnitten sowie einer „Spurensuche“ vor Ort.
Nach den Feiern zum 60jährigen Bestehen des Bundeslandes 2007 will das vom SWR finanzierte Projekt nun eine gute und lebendige Ergänzung zu den bereits existierenden Materialien für den Geschichtsunterricht bieten. Inwieweit dieser Anspruch speziell im Hinblick auf den möglichen Einsatz der Filme im Unterricht eingelöst werden kann, soll hier kurz reflektiert werden, soweit sich dies nach dem Film der Vorpremiere beurteilen lässt.
Die Berichte der Zeitzeugen sind gut und spannend erzählt und können so Interesse für die Zeit wecken. Wie auf der Homepage des SWR angekündigt wird Geschichte hier „aus dem Erleben, den Erinnerungen und Familiengeschichten ‚ganz normaler Menschen‘ erzählt“. Mit viel Engagement und Begeisterung wurde sich hier an die filmische Dokumentation der 50 Jahre in Rheinland-Pfalz gemacht. Der Ansatz scheint mir entgegen der Selbstdarstellung allerdings weder besonders innovativ noch einzigartig. Mein Eindruck nach der Vorstellung war: „Noch eine Wirtschaftswunder-Dokumentation!“, von denen es schon einige gibt, wenn auch noch nicht mit dem entsprechenden regionalen Bezug. Die wesentliche Botschaft einer „schweren Zeit“, in der es aber durch „gemeinsames Anpacken“ wieder „voranging“ mit Deutschland durchzog den Premierenfilm; inklusive der schon so oft gesehenen Bilder vom Gewinn der Weltmeisterschaft 1954.
Gelungen ist hingegen die Auswahl der Schauspieler für die Filmszenen, die die Zeitzeugen als junge Menschen verkörpern und deren erzählte Geschichten in Bilder umsetzen. Filmisch wurde versucht, zumindest bei der Vorschau, die Geschichten in viele kleine Häppchen aufzusplitten und so einen Spannungsbogen durch die Einschübe anderer Geschichten aufzubauen, der mir aber nur teilweise gelungen schien. Für den Einsatz im Unterricht werden die Filme so aber problematisch, da sich kein Thema herausgreifen lässt, sondern der ganze Film anzuschauen ist, um die einzelne Geschichte zu Ende erzählt zu bekommen. Wobei anzumerken bleibt, dass der Vorpremierenfilm ja nur eine zusammengeschnittener Überblick war und noch keine fertige Folge der Serie. Etwas langatmig wirkten allerdings die Aufnahme bzw. Wiederholung von gerade im Zeitzeugengespräch erzählten Dialogen als Überleitung in nachfolgende Spielszenen.
Methodisch problematisch scheint mir die Fokussierung auf Zeitzeugengespräche und deren Wiedergabe und Nacherzählung (mit filmischen Mitteln). Es gelingt so zwar ein umfassendes, regional und thematisch weit gefächertes Panorama des Bundeslandes in dieser Zeit, den einzelnen Geschichten fehlt aber m.E. jegliche Rückkopplung an andere Erzählungen oder Quellenarten, kurzum: Es fehlt das für Geschichtsunterricht und – wissenschaft grundlegende Prinzip der Multiperpektivität. Sollen die Filme außer zum Anschauen vor den Ferien wirklich in den Schulen eingesetzt werden, wären entsprechend aufgearbeitete Materialien, die eine Verortung und ggf. kritische Reflexion der Zeitzeugenerzählungen ermöglichen, notwendig.
Ich möchte das zwei Beispielen verdeutlichen: Sehr anschaulich, ebenso lebhaft wie unterhaltsam erzählt Anna Blasen von ihrer Zeit als Schmugglerin von Kaffee und Tabak an der deutsch-belgischen Grenze. Ihre Erzählung und die entsprechenden Spielfilmszenen suggerieren Abenteuer, Spaß, zugleich wird aber quasi parallel zu den Helden von Bern eine weitere Heldenerzählung aus der Gründerzeit der Republik geliefert. Wie haben die Belgier den Schmuggel erlebt? Wie war die Einschätzung der deutschen und belgischen Behörden? In einer Episode erzählt die alte Dame wie sie schlitzohrig als Frau und unter Angabe eines falschen Namens von den belgischen Zöllnern wieder gehen gelassen wird. Das filmische Identitifierungsangebot ist dabei einseitig eindeutig: Der geschickten Schmugglerin, die ihre Geschichte erzählt, stehen dümmliche belgische Grenzbeamte gegenüber. Warum die Belgier nicht schärfer vorgingen, wird nicht weiter geklärt. Die Geschichte kann im Unterricht also allenfalls als Einstieg in die Thematik dienen.
Ähnlich sieht es mit der Wiederbewaffnung und der Einrichtung der späteren Bundeswehr aus. Geschildert wird dies aus der Sicht eines der damaligen jungen Rekruten und späteren Generals, der 1955 in Andernach in die erste Kaserne einrückte, und gestern Abend auch anwesend war. Konsequent wird die Geschichte nur aus seiner Perspektive geschildert: Die neue Armee ist eine Selbstverständlichkeit, eine staatsbürgerliche Verpflichtung, die Proteste gegen die Wiederbewaffnung bleiben unerklärt und unverständlich. Leider verzichten die Filmemacher hier, wie durchgängig im ganzen Film, auf die Hinzunahme anderer Perspektiven. Ein Prinzip, das der Geschichtsunterricht ab der 7. Klasse, also mit seinem Einsetzen hier in Rheinland-Pfalz, versucht, den Schülern als absolut grundlegend zu vermitteln.
Dieser Verzicht ist kein Zufall oder Versehen, sondern entspricht dem im Vorschaufilm vermittelten Grundtenor: Es sind Helden- und Erfolgsgeschichten, die erzählt werden (wollen? sollen?). Die TV-Filme haben hier dieselbe Funktion wie der schulische Geschichtsunterricht des 19. Jahrhunderts: Sie sind affirmatorisch legitimierend und zielen auf diesem Weg auf eine (regionale) Identitätsbildung.
Fazit: Trotz der vorgetragenen Kritikpunkte darf man auf die aufwändig produzierte und präsentierte Filmreihe und das mit ihr einhergehende Begleitprogramm im Januar 2010 gespannt sein. Sendetermin für die erste Folge ist der 11. Januar 2010 um 18.15 Uhr.