Update zur Debatte um Veröffentlichung von „Mein Kampf“

Der Focus meldet heute:

Das bayerische Finanzministerium will gerichtlich gegen eine Veröffentlichung von Hitlers „Mein Kampf“ vorgehen. Es wird beim Landgericht München noch heute Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, um die Rechtspositionen des Freistaats Bayern zu wahren“, sagte Ministeriumssprecher Thomas Neumann am Dienstag. „Durch die mögliche Veröffentlichung von Auszügen aus „Mein Kampf“ sehen wir unser Urheberrecht verletzt.“

Der ganze Artikel ist hier zu lesen.

Zu den Hintergründen siehe auch den Blogbeitrag von gestern.

Dem Vorkämpfer für den Schutz des geistigen Eigenthums

Der Titel ist Teil einer Inschrift auf einem Grabstein, die ich zufällig bei einem Spaziergang über den alten Friedhof in Bonn entdeckt habe:

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Laut Eintrag in der Wikipedia entwickelte Klostermann, der eigentlich Spezialist im Bergrecht war,

„einen neuartigen Ansatz, um geistige Schöpfungen (Literatur, Kunst und Erfindungen) mit einem aus sich selbst heraus begründbaren Schutz auszustatten. Dazu stellte er die Voraussetzung eines neuartigen (nicht bereits bekannten) Geisteswerkes auf, welches der mechanischen Vervielfältigung zugänglich ist und dessen Schöpfer eben hierdurch einen potentiellen Vermögensvorteil erhält.

Dies zog nicht nur eine argumentative Klammer um die Bereiche des Urheberrechts (Literatur und Kunstwerke) und des Patentrechts, sondern stellte eine Theorie des geistigen Eigentums auf, welche sich nicht auf ein naturrechtliches Persönlichkeitssubstrat des jeweiligen Schöpfers berufen musste. […]

Er hatte maßgebliche Vorarbeit für die spätere Gesetzgebung des Kaiserreichs auf diesem Gebiet geleistet.

Seine Theorie vom geistigen Eigentum wurde jedoch schon kurz darauf als undifferenziert und schlichtweg fehlerhaft angegriffen. Namentlich ersetzte Josef Köhler sie durch seine Lehre der Immaterialgüter und der (nun nicht mehr aus dem Naturrecht stammenden) Persönlichkeitsrechte.“

Schaut man übrigens in den entsprechenden Artikel zum geistigen Eigentum in der Wikipedia ist der Teil zur wesentlichen historischen Entwicklung im 19. Jahrhundert noch ziemlich dünn und wenig hilfreich.

Urheberrecht vs. Wissensexplosion

Zur Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert bietet spiegel online einen sehr interessanten Artikel. Im Vergleich von England und Deutschland ergibt sich, dass gerade das lange Fehlen urheberrechtlicher Beschränkungen zu einer Wissensexplosion und viel höheren Bücherproduktion geführt hat. Schöner Text für einen Oberstufenkurs, auch gut kombinierbar mit dem Unterrichtsvorschlag von Goethes Brief an die Bundesversammlung zum Urheberrecht.

Urheberrecht im Geschichtsunterricht – Vorschlag für eine Vertretungsstunde

Der Deutsche Bund habe Goethe „für die intendierte neue Ausgabe seiner Werke ein Privilegium erteilt, daß kein Buchhändler in Deutschland wagen darf, sie je nachzudrucken. Dies regt ihn nun [an], die Redaktion der neuen Ausgabe rasch zu betreiben und mich wieder um meine tätige Hülfe zu ersuchen.“  So schreibt Eckermann am 27. März 1825 an seine Verlobte Johanna Bertram.

Goethe erhielt als erster ein solch umfassendes Privileg, nachdem er sich 75jährig im Januar 1825 mit einer Bittschrift an die Deutsche Bundesversammlung sowie an die Regierungen Österreichs, der Schweiz, Holland und Dänemark gewandt hatte, um jenen Schutz zu erwirken. Goethe bekam nach und nach begrenzte Zusicherungen, eine allgemeine Regelung folgte für den Deutschen Bund 1837.

Klaus Seehafer bewertet diesen Vorgang in seiner Goethe-Biographie (³2004, S. 437) überaus positiv:  „Eine solches Privileg stellt etwas ganz Neues dar und bedeutet einen ungeheuren Fortschritt in der deutschen Verlagsgeschichte. Goethe gelingt es damit als erstem Autor, sich mit Erfolg gegen Raubdruck zur Wehr zu setzen.“

Das Ersuchen Goethes führte zu einem grundlegenden Wandel des Urheberrechts, das heute in einer breiten gesellschaftlichen Debatte in Frage gestellt wird. Neben der hohen Aktualität besitzt das Thema einen wichtigen Bezug zur Lebenswelt der Schüler, die durch die Möglichkeiten der digitalen Medien täglich mit Fragen des Urheberrechts konfrontiert sind (bei der Verwendung von Fotos, Textzitaten, dem Kopieren von Musik, Filmen und Spielen, um nur einige Beispiele zu nennen).

Durch die Thematisierung des Urheberrechts im Geschichtsunterricht erkennen die Schüler dieses als historisch gewachsene Regelung, die auch Wandlungen unterworfen ist. Der Bittbrief Goethes an die Bundesversammlung vom Januar 1825 (word.doc) eignet sich als Quelle gut für den Unterricht, da an ihm das Vor- und Nachher gut aufgezeigt werden können. Ggf. kann auch versucht werden, das Vorwissen der Schüler zur Geschichte des Buchdrucks zu aktivieren und im Zusammenhang mit Goethes Ausführungen zu klären, welchen Wandlungen der Buchdruck überhaupt erst eingeleitet hat. So wäre auch die Integration des hier vorgestellten Quellenausschnitts in eine längere  Unterrichtseinheit zum Buchwesen vom Skriptorium der Mönche über das frühe Druckwesen bis zur digitalen Publikation im Internet denkbar. Voraussetzung für den Einsatz der vorliegenden Quelle ist die vorangehende Behandlung des Deutschen Bundes im Unterricht.

Als Einstieg lässt sich ein aktueller Artikel zum Thema aus der Tagespresse entnehmen. Alternativ kann auch das Vorwissen der Schüler über die geltenden Urheberrechtsbestimmungen in bezug auf Musik, Computerspiele o.ä. stehen.

An die anschließende Quellenlektüren schließen sich zunächst Fragen zur Klärung des Textverständnisses sowie ggf. Nachfragen der Schüler zum Verständnis einzelner Wörter an. Die Schüler arbeiten aus dem Text Goethes heraus, wie die Situation des Urheberrechts zum Zeitpunkt des Schreibens ist und welche Forderung er erhebt.

In arbeitsteiliger Gruppenarbeit stellen die Schüler nun mit Bezug zum vorliegenden Quellentext die Vor- und Nachteile der Regelungen für Autoren, Herausgeber und evtl. auch für die Leser gegenüber. Damit werden neben dem historischen Wandel auch die unterschiedlichen Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in diesem Zusammenhang deutlich. Die Ergebnisse werden vorgetragen und miteinander verglichen.

In einer abschließenden Diskussion kann in Rückkopplung an den Einstieg erneut thematisiert und hinterfragt werden, ob die gesammelten Vor- und Nachteile heute noch in gleicher Weise gelten oder Veränderungen stattgefunden haben, die eine Überarbeitung des rechtlichen Rahmens notwendig machen. Als Redenanlass kann auch folgendes Zitat projiziert werden, zu dem die Schüler kritisch Stellung nehmen:

Als Goethe im Oktober 1825 ein entsprechendes Privileg des österreichischen Kaisers erhielt, bezeichnete er dieses dem Großherzog Carl August gegenüber als „das wunderbarste Dokument, das die Literaturgeschichte aufzuweisen hat“.

Weitere Informationen und gute Überblicke zur Geschichte des Urheberrechts finden sich auf artnet und bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

PS. Dank an Sebastian Dorok für den Hinweis: Materialien für den Unterricht zum Thema Urheberrecht gibts auf folgender Seite aus Österreicht: Ideen sind etwas wert.

PPS. Wichtiger Hinweis von Matthias Spielkamp von iRights.info (siehe auch den ausführlichen Kommentar), die auch Materialien zum Thema für den Schulunterricht zusammengestellt haben.