Symbolische Kommunikation: Königsherrschaft

Während in der historischen Forschung das Thema der symbolischen Kommunikation seit Jahren bearbeitet wird und auch an anderer Stelle in diesem Blog bereits thematisiert wurde, hat es bisher kaum Umsetzung im  schulischen Geschichtsunterricht gefunden. Gespannt darf man sein auf das angekündigte Heft von Geschichte lernen zu dem Thema „Herrschaft im Mittelalter“ in einer der nächsten Ausgaben.

Aufgrund der Komplexität des Ausgangstextes scheint der folgende Unterrichtsentwurf, den ich hier zur Diskussion stellen möchte, nur für die Oberstufe geeignet. Ich freue mich über Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge.

Der Schwerpunkt dieses Unterrichtsvorschlags liegt auf der Königsherrschaft im Mittelalter. Der Einstieg kann über ein Bild einer Königsdarstellung oder das weiterhin in Büchern weit verbreitete Schema der „Lehnspyramide“ erfolgen, das im Anschluss an diese Einheit kritisch diskutiert werden kann. Möglicherweise erstellen die Schüler in anderer Form eine eigene graphische Umsetzung von mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen.

Im Mittelpunkt steht ein Text von Gerd Althoff zu  Strukturellen Eigenheiten ottonischer Königsherrschaft, der den Wandel von der karolinigischen zur ottonischen Königsherrschaft aufzeigt. In einem Tafelbild werden die Unterschiede gesichert und gegenübergestellt. Wichtig ist dabei herauszuarbeiten, dass es sich bei den Mechanismen der ottonischen Königsherrschaft um in sich logische und der veränderten Situation  im Verhältnis von Königtum und Großen des Reiches angemessene Maßnahmen handelt.

Vertiefend können dann weitere Formen symbolischer Kommunikation anhand zweier Quellenausschnitte zur Königswahl Konrads II. und der Belagerung von Tivoli durch Otto III. stehen. Vorschläge für Arbeitsaufträge finden sich jeweils unter den Texten.

Ein alternativer Einstieg kann über die Abfrage der Schülervorstellungen zur Königsherrschaft erfolgen, die sich in der Regel auch noch in Oberstufe wie folgt zusammenfassen lassen: „Der König sitzt auf seinem Thron und erteilt Befehle. Die Leute machen, was er sagt.“ Die Schüler verfügen zumeist über ein statisches, durch Märchen, Legenden und Spielfilme bestimmtes Bild von königlicher Herrschaft. Durch die oben beschriebene Unterrichtseinheit lässt sich ein conceptual change anregen, indem der Wandel von der Herrschaft der Karolinger zu den Ottonen analysiert wird und ansatzweise der Spielraum königlicher Herrschaft im hohen Mittelalter mit Mitspielern, Gegnern und Grenzen, einige der Spielregeln sowie deren Umsetzung in symbolische Formen aufgezeigt werden.

Erst das Überdenken ihrer Alltagsvorstellungen zur mittelalterlichen Königsherrschaft ermöglicht es Schüler in der Folge das Besondere am Versuch des „Absolutismus“, die Macht in den Händen des Königs zu bündeln, zu verstehen. Für die meisten Schülern scheint dies nichts Neues und bleibt ihnen unverständlich,  da ein König in ihren Vorstellungen ja eh schon schrankenlose Befugnisse besitzt. Übrigens gilt dies auch für Widerstände gegen und Grenzen dieses königlichen Zentralismus ebenso wie die Kritik an dem Begriff des „Absolutismus“, diese  können eigentlich nur dann angemessen verstanden werden, wenn adäquate Konzepte zur Königsherrschaft im Mittelalter vorhanden sind, da die Konflikte der Zentralmacht in der Frühen Neuzeit mit „alten“ Einrichtungen, Rechten bzw. Freiheiten ausgefochten werden, die aber im Unterricht zuvor selten thematisiert wurden.

Herrscher, Stadt und Privilegien 2

Zur Vertiefung aber auch losgelöst vom vorangehenden Eintrag lässt sich folgender Text zum Thema der symbolischen Kommunikation und der Bedeutung von und Umgang mit Schrift (Urkunden) zu Beginn der Neuzeit im Unterricht einsetzen: Genter Aufstand 1539-1540

An dem frühen Beispiel der Stadt Gent lässt sich der Übergang vieler Städte von ihrer mittelalterlichen (Teil-)Autonomie zur Integration in das Landesterritorium in der Neuzeit exemplarisch studieren. Vor oder während der Arbeit mit dem Text können die Kenntnisse zur mittelalterlichen, städtischen Ratsverfassung aus vorangehenden Stunden reaktiviert werden.

Die Maßnahmen, wie z.B. der Zitadellenbau, die die alten Freiheiten der Stadt einschränken bzw. aufheben, finden sich in ähnlicher Form auch in anderen Städten: so z.B. in Münster nach der Rückeroberung der Stadt durch den Fürstbischof. An der Stelle der alten Zitadelle zur Kontrolle der Stadt steht heute das Schloss als Hauptgebäude der Universität. In Trier wird der Konflikt um den Status der Stadt am Ende vor dem Reichsgericht entschieden. Auch hier inszeniert der Fürstbischof seine Macht anschließend durch einen sehr wohl überlegten, der seine bestätigte Herrschaft über die Stadt sichtbar macht. Auf diese Weise kann vertiefend z.B. durch eine Recherche und einen Vergleich als Hausaufgabe auch ein regionaler Bezug hergestellt werden.

Zentrale Arbeitsaufträge und Fragen in der Auseinandersetzung mit dem Text zur Genter Geschichte können sein:

  • Arbeite die Ursachen und den Anlass für den Konflikt heraus.
  • Nenne die Maßnahmen der Concessio Carolina und erkläre, was ihr Ziel war.
  • Liste die einzelnen Elemente der öffentlichen Abbitte vom 3. Mai 1540 auf und analysiere ihre Aussage/Bedeutung im Gesamtzusammenhang (z.B. das Niederknieen als Geste der Unterwerfung, aber auch die Kleidung, Gegenstände, Personengruppen etc.).
  • Weise nach, dass es sich hierbei um eine Inszenierung handelt.
  • Überlege, ob Karl im Anschluss an die öffentliche Abbitte der Stadt Gnade gewährt hat.

Es gibt verschiedene, zeitgenössische Darstellungen der Deditio einer Stadt, so auch der Genter von 1540 durch Vermeyen bzw. die Kopie von Pinchart, die zur Veranschaulichung hinzugezogen werden können. Das genannte Gemälde zeigt den Kniefall der Genter und die Verlesung der Concessio Carolina. Für jüngere Schüler, für die der Text sicher gekürzt und in Teilen umformuliert werden muss, könnte es auch interessant sein, ausgehend von dem Text das Bild in den Verlauf des Konflikts einzuordnen.

Für einen kreativeren Zugang wären z.B. folgende Arbeitsaufträge aus unterschiedlicher Perspektive der Konfliktparteien denkbar:

  • Verfasse für die Stadtgemeinschaft einen Brief an Maria, die Vertreterin Karls in dessen Abwesenheit, indem du eure Beschwerden und Forderungen darstellst.
  • Versetze dich in die Rolle des kaiserlichen Gesandten und formuliere aus seiner Sicht eine Rede an die Genter Bürger.

Zur Vertiefung kann folgendes Zitat aus einem Buch zur Geschichte der Stadt Gent an die Wand projiziert werden: „Einer der grotesk volkstümlichen Tiefpunkte dieser Revolution war die Zerschneidung des Calfvel.“ In einer Transferleistung aus der vorangehenden Besprechung der Deditio als inszenierter Abbitte können die Schüler nun auch den Höhepunkt der Revolution als Inszenierung deuten und damit selbstständig eine wichtige Umbewertung der Ereignisse vornehmen, die keineswegs „grotesk“ oder „volkstümlich“ sind, sondern in höchstem Maße koordiniert und aussagekräftig. Das lässt sich an der wohl bedachten, repräsentativen Beteiligung der Räte und Zünfte aufzeigen. Man überlege zudem einmal, was auf ganz natürliche Weise mit den verspeisten Urkundenteilen anschließend passiert.

Weitere Aspekte, die an dem Text beispielhaft behandelt werden können, sind die Bedeutung der geschriebenen Urkunde in einer Zeit weitgehender Illiteralität und der städtischen Forderung nach Übersetzung und Druck der alten Privilegien in der Landessprache. Je nach Vorkenntnissen kann hier ein Bezug zur Entwicklung des Buchdrucks, zu Renaissance, Reformation und/oder den Forderungen der Bauern von 1525 hergestellt werden und damit das Geschehen in einen weiten historischen Kontext eingebettet werden.

Herrscher, Stadt und Privilegien

Eine sehr schöne Bildquelle zur Beschäftigung mit dem Thema Schriftlichkeit  und Herrschaft im Übergang von Mittelalter zur Frühen Neuzeit findet sich  in dem Festbuch des Einzugs des späteren Karl V. als neuer Graf von Flandern 1515 in Brügge, das von der British Library zusammen mit anderen Festbüchern in einem ebenso informativen wie sehenswerten Internetauftritt veröffentlicht wurde.

Beim Herrschaftsantritt zogen die neuen Fürsten festlich in die Städte des Landes ein. Dieser Einzug wird als Adventus, Joyeuse Entrée oder Blijde Inkomst bezeichnet und stellte eine aufwändige Inszenierung der Verhältnisses der Stadt zu ihrem neuen Landesherrn dar. Intensiv erforscht werden diese Formen symbolischer Kommunikation u.a. seit 10 Jahren in dem Sonderforschungsbereich 496 an der Universität Münster.

Die Stadt wurde für den Ersteinritt des neuen Herrn mit umfangreichen, ephemeren Kunstwerken an verschiedenen Stationen geschmückt, die u.a. politische Botschaften transportierten. Zentral in den Inszenierungen waren Festbögen in den Straßen, durch die der Herrscher einzog. In der Renaissance wurden diese Einzüge in Büchern schriftlich und bildlich festgehalten. Ein besonders schönes Exemplar bietet die Joyeuse Entrée des jungen Karl 1515 in Brügge.

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In einem der dokumentierten Bögen (siehe oben) wurden Karl zwei Szenen dargeboten, die ihn an seine Verpflichtungen als Herrscher erinnern sollten. Im Mittelpunkt der Herrschaftsübernahme stand die Zusicherung der urkundlich belegten Privilegien der Stadt. Im rechten Bogen ist eben jene Szene von einem von Karls Vorgängern zu sehen: Ludwig von Nevers (1322-46, Graf von Flandern) übergibt  an Vertreter der Stadt die Urkunde mit den städtischen Privilegien. Er hatte die Privilegien der Stadt 1327 erneuert. Im linken Bogen ist Moses mit den beiden Tafeln der 10 Gebote zu sehen.

Was lässt sich an diesem Bild im Unterricht lernen?

Zum einen lässt sich ansatzweise das komplexe Verhältnis von Landesherrn und Stadt in Mittelalter und Früher Neuzeit thematisieren. Interessant erscheint mir aber insbesondere die Annäherung an die Bedeutung städtischer Privilegien und das zeitgenössische Verhältnis zu Schrift und Urkunden, die durch das Nebeneinanderstellen der 10 Gebote mit den städtischen Privilegien angedeutet wird. Wieder aufgreifen lassen sich die Ergebnisse wieder später im Unterricht, z.B. bei der Menschen- und Bürgerrechtserkärung die in der Präambel bekanntermaßen die nachfolgenden Recht als „unveräußerlich und heilig“ definiert.

Das Bild kann im Zusammenhang mit dem Thema Stadt im Mittelalter eingesetzt werden. Als Einstieg scheint es mir zu komplex, aber zur Vertiefung scheint es mir durchaus geeignet, da es einen wichtigen Aspekt bezüglich der Vielfalt der komplexen Herrschaftsverhältnisse aufzeigt, der in der vereinfachenden Gegenüberstellung freie Reichsstädte gegenüber „unfreien“ Städten vieler Geschichtsbücher zu kurz kommt.

Update1: Zum Thema Joyeuse Entrée/Blijde Inkomst besteht übrigens noch Arbeitsbedarf in der deutschen Wikipedia, wie ich gerade gesehen habe. In der englischen, französischen und niederländischen Wikipedia ist das Thema  Zudem behandeln die englische und portugiesische Wikipedia das Thema des königlichen Einzugs.

Update2: Zur Einführung in das Thema Rituale und symbolische Kommunikation im alten (d.h. mittelalterlichen und frühneuzeitlichen) Europa eignen sich neben dem hervorragenden Band zur Ausstellung „Spektakel der Macht“, die bis Anfang Januar 2009 in Magdeburg gezeigt wurde, auch die kurzen Artikel auf der Webseite der Ausstellung.