Auswanderung und Assimilation?

Zunächst wussten sie wenig von dem fernen Land. Einige wurden gezielt zur Ansiedlung in bestimmten Städten und Regionen angeworben. Mittlerweile leben sie dort schon seit Generationen, geben aber dennoch ihre Sprache nicht auf, sondern von Generation zu Generation weiter. Das ist gut möglich, weil sie eigene Gemeinschaften bilden, ihre eigenen Geschäfte haben und auch eigene Sport-, Musik- und Geselligkeitsvereine. Entsprechend haben sie auch eine eigene Presselandschaft, die über die Ereignisse in ihren Herkunftsregionen berichtet und das politische  Meinungsspektrum abdeckt. Sie haben ihre Heimat verlassen aus wirtschaftlichen Gründen, weil sie sich in der Fremde ein besseres Leben erhofften, oder aus politischen Gründen, weil sie in der Heimat wegen ihrer politischen Ansichten überwacht, zensiert oder sogar inhaftiert wurden.

Es sind vor allem Handwerker, Kleinbauern und Arbeiter aus armen, ländlichen Gebieten, die auswandern. Studierte Rechtsanwälte, Ärzte oder Lehrer sind nur wenige dabei. Kaum jemand beherrscht bei Ankunft die Landessprache. Oft gehen einige Wagemutige vor, andere, vor allem Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn kommen später nach und siedeln in der Nähe. So entstehen nach und nach kleine Stadtviertel, die nach ihrem Herkunftsland benannt sind: little Germanies.

Die Rede ist offensichtlich nicht von z.B. der türkischen Migration der letzten Jahrzehnte nach Deutschland, sondern von der Geschichte der deutschen Auswanderung, hier exemplarisch insbesondere der in die USA im 19. Jahrhundert. Aufmerksam geworden auf die offenkundigen Ähnlichkeiten bin ich durch einen Vortrag von Roland Paul vom Institut für pfälzische Geschichte auf dem Tag des Geschichtsunterricht an der Universität Saarbrücken.

Nicht nur angesichts der aktuellen Debatten um die Aussagen von Friedrich, Erdogan und zuletzt Seehofer scheint mir dies ein Thema zu sein, das im Geschichtsunterricht aufgegriffen und besprochen werden sollte, weil es die Schülerinnen und Schüler zur (aus historischer Sicht kompetenten) Teilnahme an der gesellschaftlichen Debatte befähigt. Geschichte als politisches Argument ist immer problematisch. Besonders an den Äußerungen des neuen Innenminister ist zu sehen, wie wichtig es ist, Migration nicht als Sonder-, sondern als Normalfall zu begreifen. Es gilt ggf. vorhandene naive Vorstellungen einer statischen Gesellschaft durch dynamische Konzepte zu ersetzen.

Viele Gegenden des späteren Deutschlands, wie z.B. die Pfalz, waren im 19. Jahrhundert vor allem Auswanderer-Regionen. Das Festhalten an den regionalen Traditionen (Kirmesfeiern, Karnevalsgesellschaften) und der eigenen Sprache durch die deutschsprachigen Auswanderer wird in der Literatur interessiert betrachtet und durchaus positiv gewertet (i.S. von „Es ist ihnen gelungen, ihre Sprache zu bewahren“ statt „Sie waren unfähig/unwillig, sich zu integrieren“). Die Vergleichbarkeit liegt auf der Hand, wird von den Familien- und Volkskundlern in der Regel nicht geleistet.

Spannend ist die sehr unterschiedliche Bewertung der beiden Phänomene (positiv das vermeintlich Eigene, negativ das Neue, Andere). Von der durch den Vergleich hervorgerufenen kognitiven Dissonanz, die auch bei den Schülern zu erwarten ist, sowie den Erfahrungsgeschichten von Kindern mit Migrationshintergrund kann der Geschichtsunterricht profitieren.

Als Material eignen sich Auszüge aus deutschsprachigen Zeitungen, wie z.B. den von Conrad Voelcker herausgegebenen „Hessischen Blättern“ oder „Der Pfälzer in Amerika“. Ideal für den Unterricht sind die Werbeanzeigen für die Geschäfte und Volksfeste, da diese leicht zu lesen sind und zugleich den „Community“-Charakter offenbaren. Zu finden sind solche z.B. im Buch von Roland Paul und Karl Scherer, Pfälzer in Amerika – Palatines in America, Kaiserslautern 1995. Davon ausgehend kann das Thema je nach Altersstufe vertiefend behandelt, Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede herausgearbeitet werden.

Der historische Vergleich und die Wahrnehmung der Ähnlichkeiten könnten zu einer gelasseneren Haltung in der Integrationsdebatte beitragen. Wobei ein im Sinne der Integration positiver Ausgang entsprechend dem historischen  Vorbild natürlich keineswegs garaniert ist.  Es bedarf dazu gemeinsamer gesellschaftlicher Anstrengung aller Beteiligten.

Bedenkenswert in diesem Hinblick erscheint mir übrigens das Teilfazit der RLP-Ausstellung zur Auswanderung. Dort heißt es:  „Ethnisch geprägte Viertel, wie ‚Little Germany‘ in New York oder ‚Over the Rhine‘ in Cincinnati, deutsche Schulen, Zeitungen und Kirchengemeinden erleichterten den Immigranten zwar die Integration, zugleich wurden sie jedoch als ‚Zeichen mangelnder Anpassungsbereitschaft und als Rückzug in eine vermeintlich homogene ethnische Kultur verstanden. […] Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert stellten deutsche Einwanderer und ihre Kinder zehn Prozent der US-Bevölkerung. Die meisten Immigranten waren schon seit Jahrzehnten im Land, und es gab kaum noch Zuzüge aus Deutschland, die dem ethnischen Gemeinschaftsleben hätte neue Impulse geben können. Die Heterogenität der Deutsch-amerikaner, ökonomische Integration und die fortgeschrittene Akkulturation führten insbesondere in städtischen Gebieten zum Verfall der Identität.“

Im übrigen sollte man nicht auf den Kurzschluss verfallen, dass es in den USA, die sich als Einwanderungsland verstanden, keine Konflikte gegeben habe. Vielmehr sind schon im 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche Belege für die Artikulation von Vorurteilen und „Überfremdungsängsten“, ganz ähnlich zu denen von heute, zu finden.

Es gibt zudem einige Seiten im Internet zum Thema, die sich auch im Unterricht einsetzen lassen:

Auswanderung aus den Regionen des heutigen Rheinland-Pfalz

Heimat Pfalz – Auswanderung

Zeitung: Buffalo Volksfreund (digitalisiert ab 1891)

Archivaria – the history of Buffalo, New York (digitalisierte Quellen)

Goethe-Institut: German-american site in Chicago

Palatines to America

Deutsch-Pennsylvanischer Arbeitskreis

Falls jemand noch Links zu thematischen Materialien oder zu weiteren digitalisierten deutschen Zeitungen aus den USA hat, wäre ich für Hinweise dankbar und nehme diese gerne hier auf.

Photo @dougtone auf Flickr

Neues aus dem Landeshauptarchiv

Am Sonntag, den 7. März 2010, findet zum 5. Mal der Tag der Archive in Koblenz statt. Bundes-, Landeshaupt- und Stadtarchiv laden von 14-17 Uhr zum Besuch ein. Unter dem Motto „Dem Verborgenen auf der Spur“ bieten die Archive einen Blick hinter die Kulissen.

Am 19. März 2010 wird die neue Archivkiste (Infos dazu unnötig verschämt ganz unten auf der Seite), die von Schulen ausgeliehen werden kann, auf einem Pressetermin öffentlich vorgestellt.

Der Arbeitskreis „Archiv & Schule“ trifft sich in diesem Halbjahr, am 12. April, um 15 Uhr im Landeshauptarchiv in Koblenz. Interessierte Geschichtslehrer aus RLP sin.d herzlich willkommen. Für weitere Informationen gibt es bei den Ansprechpartnern der Landesarchive.

Passend dazu erschien gestern eine Rezension des Buchs „Schüler ins Archiv! Archivführungen für Schulklasse“ auf H-Soz-u-Kult. Laut Rezension ein anregendes Buch für Archivare und Lehrer mit zahlreichen Ideen und fertigen, laut Reszensent „praxisnahen“ Modulvorschlägen für die archivpädagogische Arbeit.

Schule & Archiv in Rheinland-Pfalz

Die Landesarchive in Koblenz und Speyer bieten auf ihrem generalüberholten Internetauftritt einen Überblick über ihre pädagogischen Angebote, die u.a. Führungen durch die Archive und Werkstätten, Einführungen in das Lesen alter Schriften, in die Archiv- und Quellenarbeit umfassen. Besonders erwähnenswert scheint mir noch die für Schulen ausleihbare „Archivkiste“, mit der sich das Archiv in die Schule holen lässt. Außerdem finden sich einzelne Archivalien, die für den Unterricht aufbereitet wurden.

Zum SWR-Projekt: „Wer hat Rheinland-Pfalz gemacht?“

In einem „Großprojekt“ mit Filmen, Radiobeiträgen, Internetpräsenz und  Unterrichtsmaterialien  für die Schule wirft der SWR einen Blick zurück in die „schwarz-weißen Jahre“, in das Rheinland-Pfalz der 50er Jahre. Gestern Abend war Vorpremiere in Koblenz, in denen ein rund 90 Minuten Zusammenschnitt der Filmreihe zu sehen war.

Die insgesamt neun 30minütigen Filme erzählen die Geschichte des relativ jungen und  aus unterschiedlichsten historischen  Bindungen heraus zusammengestückelten Bundeslandes auf mehreren Ebenen: den Zeitzeugenberichten, filmischen Umsetzungen dieser Berichte, Originalfilmausschnitten sowie einer „Spurensuche“ vor Ort.

Nach den Feiern zum 60jährigen Bestehen des Bundeslandes 2007 will das vom SWR finanzierte Projekt nun eine gute und lebendige Ergänzung zu den bereits existierenden Materialien für den Geschichtsunterricht bieten. Inwieweit dieser Anspruch speziell im Hinblick auf den möglichen Einsatz der Filme im Unterricht eingelöst werden kann, soll hier kurz reflektiert werden, soweit sich dies nach dem Film der Vorpremiere beurteilen lässt.

Die Berichte der Zeitzeugen sind gut und spannend erzählt und können so Interesse für die Zeit wecken. Wie auf der Homepage des SWR angekündigt wird Geschichte hier „aus dem Erleben, den Erinnerungen und Familiengeschichten ‚ganz normaler Menschen‘ erzählt“. Mit viel Engagement und Begeisterung wurde sich hier an die filmische Dokumentation der 50 Jahre in Rheinland-Pfalz gemacht. Der Ansatz scheint mir entgegen der Selbstdarstellung allerdings weder besonders innovativ noch einzigartig. Mein Eindruck nach der Vorstellung war: „Noch eine Wirtschaftswunder-Dokumentation!“, von denen es schon einige gibt, wenn auch noch nicht mit dem entsprechenden regionalen Bezug. Die wesentliche Botschaft einer „schweren Zeit“, in der es aber durch „gemeinsames Anpacken“ wieder „voranging“ mit Deutschland durchzog den Premierenfilm; inklusive der schon so oft gesehenen Bilder vom Gewinn der Weltmeisterschaft 1954.

Gelungen ist hingegen die Auswahl der Schauspieler für die Filmszenen, die die Zeitzeugen als junge Menschen verkörpern und deren erzählte Geschichten in Bilder umsetzen. Filmisch wurde versucht, zumindest bei der Vorschau, die Geschichten in viele kleine Häppchen aufzusplitten und so einen Spannungsbogen durch die Einschübe anderer Geschichten aufzubauen, der mir aber nur teilweise gelungen schien. Für den Einsatz im Unterricht werden die Filme so aber problematisch, da sich kein Thema herausgreifen lässt, sondern der ganze Film anzuschauen ist, um die einzelne Geschichte zu Ende erzählt zu bekommen. Wobei anzumerken bleibt, dass der Vorpremierenfilm ja nur eine zusammengeschnittener Überblick war und noch keine fertige Folge der Serie. Etwas langatmig wirkten allerdings die Aufnahme bzw. Wiederholung von gerade im Zeitzeugengespräch erzählten Dialogen als Überleitung in nachfolgende Spielszenen.

Methodisch problematisch scheint mir die Fokussierung auf Zeitzeugengespräche und deren Wiedergabe und Nacherzählung (mit filmischen Mitteln). Es gelingt so zwar ein umfassendes, regional und thematisch weit gefächertes Panorama des Bundeslandes in dieser Zeit, den einzelnen Geschichten fehlt aber m.E. jegliche Rückkopplung an andere Erzählungen oder Quellenarten, kurzum: Es fehlt das für Geschichtsunterricht und – wissenschaft grundlegende Prinzip der Multiperpektivität. Sollen die Filme außer zum Anschauen vor den Ferien wirklich in den Schulen eingesetzt werden, wären entsprechend aufgearbeitete Materialien, die eine Verortung und ggf. kritische Reflexion der Zeitzeugenerzählungen ermöglichen, notwendig.

Ich möchte das zwei Beispielen verdeutlichen: Sehr anschaulich, ebenso lebhaft wie unterhaltsam erzählt Anna Blasen von ihrer Zeit als Schmugglerin von Kaffee und Tabak an der deutsch-belgischen Grenze. Ihre Erzählung und die entsprechenden Spielfilmszenen suggerieren Abenteuer, Spaß, zugleich wird aber quasi parallel zu den Helden von Bern eine weitere Heldenerzählung aus der Gründerzeit der Republik geliefert. Wie haben die Belgier den Schmuggel erlebt? Wie war die Einschätzung der deutschen und belgischen Behörden? In einer Episode erzählt die alte Dame wie sie schlitzohrig als Frau und unter Angabe eines falschen Namens von den belgischen Zöllnern wieder gehen gelassen wird. Das filmische Identitifierungsangebot ist dabei einseitig eindeutig: Der geschickten Schmugglerin, die ihre Geschichte erzählt, stehen dümmliche belgische Grenzbeamte gegenüber. Warum die Belgier nicht schärfer vorgingen, wird nicht weiter geklärt. Die Geschichte kann im Unterricht also allenfalls als Einstieg in die Thematik dienen.

Ähnlich sieht es mit der Wiederbewaffnung und der Einrichtung der späteren Bundeswehr aus. Geschildert wird dies aus der Sicht eines der damaligen jungen Rekruten und späteren Generals, der 1955 in Andernach in die erste Kaserne einrückte, und gestern Abend auch anwesend war. Konsequent wird die Geschichte nur aus seiner Perspektive geschildert: Die neue Armee ist eine Selbstverständlichkeit, eine staatsbürgerliche Verpflichtung, die Proteste gegen die Wiederbewaffnung bleiben unerklärt und unverständlich. Leider verzichten die Filmemacher hier, wie durchgängig im ganzen Film, auf die Hinzunahme anderer Perspektiven. Ein Prinzip, das der Geschichtsunterricht ab der 7. Klasse, also mit seinem Einsetzen hier in Rheinland-Pfalz, versucht, den Schülern als absolut grundlegend zu vermitteln.

Dieser Verzicht ist kein Zufall oder Versehen, sondern entspricht dem im Vorschaufilm vermittelten Grundtenor: Es sind Helden- und Erfolgsgeschichten, die erzählt werden (wollen? sollen?). Die TV-Filme haben hier dieselbe Funktion wie der schulische Geschichtsunterricht des 19. Jahrhunderts: Sie sind affirmatorisch legitimierend und zielen auf diesem Weg auf eine (regionale) Identitätsbildung.

Fazit: Trotz der vorgetragenen Kritikpunkte darf man auf die aufwändig produzierte und präsentierte Filmreihe und das mit ihr einhergehende Begleitprogramm im Januar 2010 gespannt sein.  Sendetermin für die erste Folge ist der 11. Januar 2010 um 18.15 Uhr.

Archivale des Monats: September 1939

Hinter der schlichten Fassade verstecken sich wahre Juwelen: Das Geschichtsportal des Landes Rheinland-Pfalzes bietet in Zusammenarbeit mit dem Landeshauptarchiv Koblenz und dem Landesarchiv Speyer jeden Monat ein in exzellenter Auflösung digitalisiertes und kommentiertes Fundstück aus den Archiven an. Die Dokumente werden zum Download im pdf-Format zur Verfügung gestellt. Bei älteren handschriftlichen Quellen sind auch Transkripte beigefügt.

Die Quellen sind für den Unterricht aufbereitet und können sowohl in einer Vertretungsstunde als auch im regulären Unterricht eingesetzt werden und den regionalen Bezug stärken. Die älteren Fundstücke bleiben alle online, so dass bereits ein kleine Sammlung zu verschiedenen Themen wie den Hexenprozessen, dem Pfälzischen Aufstand von 1849 oder einer Schulspeisung in Koblenz 1949 bereit stehen. Langfristig soll hier eine Datenbank mit für den Unterricht aufbereiteten Quellen zur regionalen Geschichte des heutigen Rheinland-Pfalz entstehen.

Für diesen Monat ist nun ein Werbe-Plakat für die SS vom September 1939 online gestellt worden. Die Unterlagen aus dem Landesarchiv Speyer zeigen das Bemühen, bei Kriegsbeginn Freiwillige für die SS-Verfügungstruppen, – Totenkopfverbände und die Polizei anzuwerben. Interessant sind die ersten Rückmeldungen der Bürgermeister aus dem Bezirk Kusel zu dieser Werbeaktion, die nicht einen einzigen Freiwilligen melden konnten.