Stille Post mit Bildern: eine praktische Übung – für den Geschichtsunterricht

Geprägt ist der Geschichtsunterricht von unserer Buchkultur: lesen, schreiben, diskutieren – darüber hinausgehende praktische Tätigkeiten sind eher selten. In der vergangenen Woche hatten wir ein Nachbereitungsseminar zu unserem Schüler-Austausch mit Bosnien. Der Teamer von Schüler helfen Leben, der den eintägigen Workshop geleitet hat, hat dabei eine Übung eingesetzt, die sich auch super für den Geschichtsunterricht nutzen lässt:

Es handelt sich dabei – vereinfacht gesagt – um eine Variante desselben Prinzipt wie bei „Stille Post“. Eine Erzählung wird mündlich weitergegeben und dadurch verändert.

Ausgangspunkt und Grundlage ist ein Bild – denkbar sind z.B. Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren oder dem Jüngeren aus dem 16. und 17. Jahrhundert – sie finden sich als Illustrationen im Beitrag: Es eignen sich jedoch alle Bilder, in denen vergleichweise viel passiert, mehrere Menschengruppen zu sehen sind, deren Verhalten, Gesten und Aktivitäten im Idealfall nicht ganz eindeutig zu bestimmen sind (Streit / lautes Singen / Zuprosten z.B. bei zwei Männern an einer Bar, das in einer Zeichnung mit ähnlichen Gesichtszügen und Gesten dargestellt werden kann).

Ein Teil der Lernenden, 5-6, wird gebeten kurz vor die Tür zu gehen. Sie dürfen nicht an der Tür lauschen. Die übrigen erhalten Beobachtungsaufträge zu den einzelnen Schülerinnen und Schüler, die nacheinander wieder in den Raum kommen bzw. dazu, wie sich die Erzählung insgesamt verändert. Wichtig ist auch der Hinweis, dass sie während der folgenden Übung keine Reaktionen, weder verbal noch non-verbal, zeigen dürfen.

Die erste Person wird in das Klassenzimmer gebeten und sieht ein Bild. Sie hat ausreichend Zeit, sich das Bild einzuprägen und soll es – das Bild wird nun weggepackt – aus dem Gedächtnis nun der zweiten Person, die dann hereinkommt, beschreiben. Die zweite Person gibt für die dritte die Erzählung der ersten wieder und so weiter … bis die letzte Person hereinkommt, die die Beschreibung noch 0000.GRO1606.Ieinmal vor allen Anwesenden vortragen kann.

Zentral bei der Übung ist die anschließende Reflektion: Wo hat sich die Beschreibung – die oft auch eine Geschichte ist, weil die Handlungen der Menschen gedeutet und beim Erzählen in einen Sinnzusammenhang gesetzt werden – geändert? Wer hat was geändert? Lässt sich nachvollziehen, warum? Usw. Am Ende der kurzen, vielleicht 20-30 Minunten dauernden Übung stehen grundlegende Einsichten in die Zuverlässigkeit bzw. Schwierigkeiten im Umgang mit historischen Quellen – das betrifft nicht nur wie vielleicht naheliegenderweise zu denken mündliche Aussagen von Zeitzeugen, sondern auch Briefe, Tagebucheinträge, Presseartikel, weil in dieser Übung neben der Veränderung durch die Weitergabe des Erzählten, auch die Überformung der Beschreibung des Gesehenen durch eigenen Deutungen und Interpretation deutlich wird.

 

Methodische Einführung in die Zeitzeugenarbeit

Die nachfolgend dokumentierte Unterrichtsreihe ist inspiriert und in Teilen übernommen von dem im Blog bereits kurz vorgestellten Sem@s-Projekt. Durchgeführt wurde die Unterrichtsreihe in einem Leistungkurs 11. Sie ist aber sicherlich bereits ab Klasse 9 einsetzbar. Das jeweilige Schwerpunkt-Thema ist frei wählbar. Es ist sinnvoll ein Thema zu wählen, dass vor der Geburt der Schüler liegt, so dass ausreichend Abstand gegeben ist, andererseits sollte es nach 1945 liegen, so dass die Lernenden selbst auf einfache Weise „Zeitzeugen“ finden und befragen können.

Im vorgestellten Projekt wurde mit einer spanischen Partnerschule zusammengearbeitet. Das ist auf der Ebene der Koordination aufwendig und hat in diesem Projekt leider auch nicht immer so geklappt, wie wir uns das vorgestellt hatten. Es ist aber auf jeden Fall eine Bereicherung der Projektarbeit und erweitert den lokalgeschichtlichen Ansatz um eine komparative europäische Perspektive. Partnerklassen lassen sich z.B. über die europäische Lernplattform eTwinning finden.

Um den Vergleich der beiden Stadtentwicklungen leisten zu können, haben wir die Zeitzeugenbefragungen auf Personen aus Koblenz beschränkt. Auch hier lässt das Projekt mit anderer Frage-/Themenstellung öffnen und so lassen sich potentiell auch die verschiedenen familiären Migrationsbezüge der Lernenden integrieren.

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Migrationsgeschichte

Der Blogeintrag bietet zunächst einen Überblick über gute Materialien und Informationsseiten zur Behandlung des Thema Migration im Geschichts- und Sozialkundeunterricht:

Einfamilienalbum zeigt die Fotoalben einer deutsch-kurdischen Familie. Die Bilder reichen zurück bis ins späte 19. Jahrhundert und sind sowohl über einen Familien-Stammbaum als auch thematisch abrufbar.

angekommen.com ist eine Überblicksseite zu verschiedenen Webprojekten zur Migration in Rheinland und Westfalen. Besonders hervorzuheben sind sicher der lange, vom Kaiserreich bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts reichende Blick auf die italienische Einwanderung sowie das beeindruckende „migration-audio-archiv“ mit einer Datenbank erzählter Migrationsgeschichte.

Top-Tipp ist The Unwanted: eine Online-Dokumentation über Umsiedlung, Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts. Durch erzählte Lebensgeschichten wird das Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen nachgezeichnet und verstehbar gemacht. Leider selbst noch nicht ausgetestet, aber auf den ersten Blick sehr vielversprechend wirkt die  angebotene didaktische Aufbereitung in einem eigenen Lernportal.

Auf die aktuelle Situation gerichtet ist das Informationsportal des Netzwerkes Migration in Europa.

Außerschulische Lernorte:

Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DoMiD) in Köln. Ausstellungen, Vorträge und eine umfangreiche Sammlung von Zeugnissen (Filme, Fotos, Alltagsgestände usw.) zur Einwanderung, aber leider nur vor Ort und nicht digitalisiert: http://migrationsmuseum.de/

Das Luxemburger Migrationsmuseum in Dudelange (Centre de Documentation sur les Migrations Humaines): http://www.cdmh.lu/

Unter umgekehrten Vorzeichen betrachtet schließlich das Deutsche Auswanderhaus Bremerhaven das Thema Migration. Das Museum wurde 2007 als  „European Museum of the Year“ ausgezeichnet.

Buch für den Unterricht

Lernen aus der Geschichte weist heute auf ein Methodenbuch für Lehrer zum Thema Migration hin. Das Buch enthältMaterialien zu  sieben Lebensgeschichten, die sich von Anfang bis Ende des 20. Jahrhunderts erstrecken und exemplarisch verschiedene Aspekte von Immigration und Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten in der deutschen Geschichte aufzeigen.