Zum Medienbegriff der Geschichtsdidaktik

Der Ausgangspunkt war der Versuch eine Arbeitsdefinition von „digitaler Geschichtsdidaktik“ zu wagen. Herausgekommen ist allerdings mehr: Im Lauf der Arbeit haben wir uns intensiv und auch grundlegend mit dem Medienbegriff der Geschichtsdidaktik auseinandergesetzt.

In der gemeinsamen Arbeit mit Alexander König und Thomas Spahn ist dabei ein Beitrag entstanden, der nun endlich auch online zugänglich ist. Zentraler Punkt des Artikels ist die Verhältnisbestimmung von Medien zum Lernenden im Prozess des historischen Lernens.

Der Beitrag erscheitnt in der ersten Ausgabe der neuen Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften. Die Zeitschrift ist ein Projekt des Netzwerks digitale Geschichtswissenschaften. Die Beiträge werden sowohl online als auch in einer Printfassung verfügbar sein.

Offizieller Start der Zeitschrift ist kommenden Dienstag, der 18. September. Damit soll dann auch das Open Peer Review Verfahren starten. Die Beiträge der ersten Ausgabe sind bereits jetzt als PDFs einsehbar und beschäftigen sich u.a. mit der Wikipedia, Internetdaten als historischer Quelle, computergestützter qualitativer Inhaltsanalyse und Barrierefreiheit virtueller Museen.

Die Entstehungszeit unseres Beitrag reicht nun fast ein ganzes Jahr zurück. Daher kann ich sagen, dass mir der entwickelte Ansatz in den letzten Monaten bereits hilfreich bei der Unterrichtsplanung war. (Glücklicherweise bin ich nicht zu einem umgekehrten Schluss gekommen ;)) Es würde mich freuen, dass auch andere davon profitieren werden.

Wir freuen uns auf eine angeregende Diskussion der Thesen und hoffen der sich belebenden fachdidaktischen Debatte über die Arbeit mit digitalen Medien im Geschichtsunterricht (siehe auch den CfP zur Tagung im Mai in Salzburg) mit dem vorliegenden Beitrag einen Impuls geben zu können.

Podcastreihe zu Veränderungen der Erinnerungskultur

In der Hörsaal-Sendereihe von DRadio Wissen läuft diese Woche eine sehr interessante Reihe über die Veränderungen der Erinnerungskultur.

Der erste Vortrag lief bereits am Montag und stammt von Frank van Vree. Unter dem Titel „Die Ästhetik des Schreckens – Aspekte und Probleme einer Visualisierungsgeschichte“ beschäftigt er sich mit der Geschichte der Darstellung des Holocausts in Literatur, Film und Fernsehen. Der Vortrag ist eine Aufzeichnung von einer Konferenz des Goethe-Instituts Paris zum Thema „Mediale Transformationen des Holocaust“ vom 29. Juni 2011.

Der zweite Vortrag beschäftigt sich speziell mit dem Einfluss der „neuen“ Medien auf die Erinnerungskultur. Thomas Weber referiert unter de Fragestellung „Wie werden wir uns erinnern? – Zum fortgesetzten Wandel von Erinnerung an den Holocaust in Film, Fernsehen und im WWW“. Der Vortrag ist gleichfalls eine Aufzeichnung von der oben genannten Tagung in Paris vom 30. Juni 2011.

Alle gelaufenen sowie die noch folgenden Beiträge lassen sich auf den Seiten von DRadio Wissen direkt anhören oder herunterladen.

Medien in der römischen Antike

Einen interessanten Hörbeitrag zu Formen und Funktionen von Medien im Römischen Reich findet man im Podcastarchiv von DRadio Wissen. Der Beitrag ist bereits von Anfang Januar 2011, ich habe ihn allerdings jetzt erst entdeckt. Der Beitrag ist nur etwas länger als 8 Minuten, gut verständlich, anschaulich und enthält viele Beispiele, so dass er sich auch gut im Unterricht sowohl zur römischen Geschichte als auch in einem Längsschnitt zur Mediengeschichte einsetzen lässt. Sehr schön ist auch der Einstieg über die Alltagsvorstellungen, die sich auch für den Unterrichtseinsatz, z.B. für eine Umfrage in der Klasse/im Kurs, aufgreifen lassen.

„Medien“-Revolutionen?

In den letzten Tagen und Wochen haben viele Berichte die Bedeutung von Facebook, Twitter und co. für die Unruhen und Proteste in Tunesien und Ägypten hervorgehoben. In historischer Perspektive ist der Einsatz neuester Medien für die Organisation einer politischen Bewegung und die Verbreitung der eigenen Positionen weit weniger spektakulär als vielmehr selbstverständlich.

Natürlich ist es spannend zu sehen, wie hier das „Social Web“ politisch genutzt und damit Geschichte geschrieben wird, aber im selben Maß gab es auch in der Geschichte jeweils neue Formen der Kommunikation vom Buchdruck und Flugschriften über die Salons der Aufklärung zu den Karikaturen und Zeitungen, später dann Radio und Fernsehen, heute zusätzlich eben Facebook und Twitter. Niemand würde in Bezug auf die politischen Revolutionen der Vergangenheit von „Medien“-Revolutionen sprechen. Kern sind die politischen-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und/oder religiösen Veränderungen. Dabei geht es natürlich auch immer um einen Kampf um den Zugriff auf die Medien, die jeweils aktuell schnellsten mit der größten Reichweite, und die damit verbundene Verbreitung der eigenen Perspektive. Während sich natürlich im 16. Jahrhundert zugleich auch eine (der heutigen vergleichbaren?) mediale Revolution abgespielt hat, sind die Medien für politische Bewegungen im Wesentlichen immer Mittel zum Zweck. Das ist heute auch nicht anders. Oft scheint sich bei den Kommentatoren bei der Begeisterung über die Rolle der „neuen“ Medien die Perspektive weg von den eigentlichen Beweggründen der Aufstände wegzubewegen.

Der ägyptische Staat reagierte zunächst mit dem Versuch, die mediale Kommunikation der Protestierenden zu zensieren bzw. völlig auszuhebeln. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, aber die Aktualität der Geschehnisse in Nordafrika und dem Nahen Osten könnten im Geschichtsunterricht durchaus dazu genutzt werden, bei den Schülerinnen und Schülern Interesse für Geschichte durch einen historischen Vergleich zu wecken. Was mir als erstes in den Sinn kommt (Update: Und da bin ich wohl nicht allein, siehe hier), ohne sicher zu sein, wie weit der Vergleich wirklich trägt, sind die europäischen 1848/49er Revolutionen mit der vorhergehenden Zeit der Zensur-Regime des „Systems Metternich“.  Der Vergleich mit 1848/49 scheint mir auf jeden Fall ertragreicher, aufgrund der zunehmenden Gewalt aber auch der häufig in diesem Zusammenhang verwendeten Metaphern, als ähnliche Versuche im Hinblick auf das Ende der Sowjetunion (das eher als ein „Auseinanderfallen“, „Bröckeln“ denn als eine „Welle“ beschrieben wird). Als Schüler habe ich nie verstanden bzw. mir nicht vorstellen können, wie eine „Welle“ von Revolutionen durch eine ganze Reihe von Ländern „schwappt“. Genau das erleben wir aber heute.

In der Wikipedia heißt es dazu:

Revolutionen von 1848/49 – werden die Aufstände und bürgerlich-revolutionären Erhebungen gegen die zu dieser Zeit herrschenden Mächte der  Restauration und deren politische und soziale Strukturen in mehreren Ländern Mitteleuropas bezeichnet.

Die Welle der revolutionären Unruhen wurde zunächst − nach ersten Aufständen in Sizilien […] in der Lombardei […] – wesentlich mit der französischen Februarrevolution von 1848 und der Ausrufung der Zweiten französischen Republik als „Initialzündung“ ausgelöst.

In einzelnen Regionen eskalierte das Geschehen bis hin zu zwischenstaatlichen Kriegen […] oder nahm bürgerkriegsähnliche Ausmaße an […].

Die Erhebungen waren in den jeweiligen Staaten und Regionen von unterschiedlicher Intensität und Dauer. Spätestens im Oktober 1849 endeten die letzten revolutionären Kämpfe mit der endgültigen Kapitulation der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung dieser Zeit.“

Während mein Eindruck bisher war, dass Schülerinnen und Schüler diese Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft als langweilig und weit weg (wie vieles im Geschichtsunterricht) empfinden, lässt sich durch den Bezug auf die aktuellen Ereignisse die Bedeutung von Pressefreiheit und Zensur, der Versuch politische Mitbestimmung zu erkämpfen anschaulich vor Augen führen.

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Es wäre wünschenswert, wenn die Ereignisse in Tunesien, Ägypten und den anderen Ländern auch zu einem veränderten deutschen/europäischen Blick auf „die“ Muslime beitragen würden, die in den letzten Jahren viel zu oft falsch und pauschalisierend als religiöse Eiferer und antidemokratisch wahrgenommen und dargestellt wurden. Oft war dies verbunden mit dem Verweis auf die Diktaturen der arabischen Welt, die, wie nun spätestens klar wird, einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Stärke aus europäischer und US-amerikanischer Unterstützung gezogen haben.

Eine Art Teufelskreis: Unterstützung der Diktaturen, um zu behaupten Muslime wären demokratieunwillig oder -unfähig, was wiederum die Unterstützung von Diktaturen rechtfertigt, um potentiell islamistische und antiwestliche  Regime zu verhindern, die als einzige Alternative gesehen  und präsentiert werden… von wegen „alternativlos“.

Es wäre schön, wenn durch die intensive Berichterstattung in möglichst vielen europäischen Köpfen ein Konzeptwechsel gefördert  würde, der vorhandene Vorurteile als offensichtlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend verwirft und durch differenzierte Sichtweisen ersetzt.

Medien im Geschichtsunterricht (Handbuch)

Der Titel meines Blogs ist unbewusst dem bekannten Handbuch entliehen, das gerade in 6. (erweiterter) Auflage beim Wochenschau-Verlag erschienen ist; genau 25 Jahre nach der ersten Auflage, ein Standardwerk für Studierende, Referendare, Geschichtslehrer und -didaktiker. Letzte Woche noch im „Geschäftsgang“ war es heute in der hiesigen Landesbibliothek ausleihbar. Da ich zuhause noch die 3. Auflage von 2005 stehen habe, ein guter Grund mal in die Neuauflage  reinzuschauen und zu prüfen, ob sich eine Anschaffung lohnt. Noch ist vielleicht auch ein Plätzchen frei auf dem Wunschzettel für Weihnachten.

Was kann man von einer Neuauflage erwarten? Natürlich hat sich besonders im Bereich der „neuen“ oder digitalen Medien eine Menge getan in den letzten Jahren, die allerdings im Inhaltsverzeichnis des Buchs explizit allenfalls unter dem Punkt „Computereinsatz“ auftauchen. Zunächt seien die beiden Herausgeber zitiert, was sie mit der Neuauflage verbinden:

Der Band wurde um zwei Beiträge erweitert. Es gibt nun einen Artikel zu „Fachtexten“ sowie einen zu „Graffiti“. Gerhard Schneider und Hans-Jürgen Pandel monieren in der Einleitung, dass trotz vieler empirischer Arbeiten in der Geschichtsdidaktik, bisher kaum Erkenntnisse zu „Wahrnehmung und Nutzung von Medien“ gewonnen wären. Daher bleibe eine „Überarbeitung aller Artikel des Handbuchs […] einer späteren Neuauflage vorbehalten.“ (S. 7) Trotzdem handele es sich um eine wirkliche Neubearbeitung“ (S. 12), bei der heute Entbehrliches weggelassen worden, neue Autoren und Artikel hinzugekommen und Überarbeitungen der Ursprungsartikel vorgenommen worden seien. Allein der Beitrag zur „Tafelarbeit“ sei weitgehend unverändert, weil auf diesem Gebiet seit 1985 „nichts Relevantes mehr erschienen“ (S. 12) sei.

Nun könnte man sich darüber streiten, ob das massive Aufkommen interaktiver Tafeln sich zu einem dauerhaften Phänomen in den Schulen werden wird (wofür einiges spricht) und inwiefern damit Veränderungen in der  Tafelarbeit einhergehen (was die Technik nahelegt und sich in der Praxis andeutet). Es stimmt, dass es dazu allgemein und für den Geschichtsunterricht speziell bisher wenig Veröffentlichungen gibt. Interaktive Whiteboards deshalb aber in einer erweiterten Neuauflage im Jahr 2010 gänzlich zu ignorieren, halte ich für falsch.

Aus naheliegenden Gründen wollte ich mir vor allem den Artikel zum „Computereinsatz“ von Josef Rave anschauen, zumal ich vermutete, dass es hier aufgrund der rasanten Entwicklung viele Änderungen gegeben haben müsste. Ich will das hier kurz halten:

Auf der Liste mit empfehlenswerten CD-Roms (S. 648) stammt die neueste von 1999(!). Es wird darauf hingewiesen, dass man den „Zugang zum Internet […] über die großen Online-Dienste“ bekomme. In der Fußnote dazu erfährt der Leser, dass der Zugang über AOL im Grundtarif 9.90 DM (sic!) koste und pro Stunde weitere 6 Mark fällig wären. Bei der Telekom betrug der Tarif damals wohl 8 DM Grundgebühr und dann 5 Pfennig pro Minute. Das ist kein Versehen, sondern ebenso werden auch die übrigen Preise, z.B. für die CD-Roms, in D-Mark angegeben. Das gleiche gilt für die zitierte Literatur und die Inhalte: Stand zweite Hälfte der 1990er Jahre. Der Artikel selbst ist schon ein historisches Zeugnis. Es fehlen entsprechend alle weiteren Entwicklungen zu Computern und Internet im Unterricht. Das Schlagwort vom Web 2.0 war zur Entstehungszeit des Artikels nicht einmal erfunden.

Das ist natürlich nur ein Schlaglicht und sagt nichts über die Qualität der übrigen Artikel. Ein „Handbuch“ muss auch nicht jeder Mode hinterlaufen, jedes aktuelle Geschehen aufnehmen und reflektieren. Es muss grundlegende Orientierung und Informationen bieten. Gelingt dies?  Nein, was den „Computereinsatz“ angeht, trifft das nicht zu, die Darstellung ist völlig überholt. Und, wie ich finde, auch ziemlich peinlich.