Zur Debatte um Kompetenzorientierung

Ein interessant zu lesender Beitrag findet sich hierzu unter dem Titel „Thesen zur Debatte um kompetenzorientierte Bildungsstandards“ auf edumeres. Die Kritik, die in 10 Thesen von Peter Euler von der TU Darmstadt formuliert wird, bezieht sich  nicht speziell auf die „Kompetenzdebatte“ des Geschichtsunterrichts, lohnt aber das Lesen und Nachdenken nicht nur, aber auch in Bezug auf die fachdidaktische Diskussion über Kompetenzorientierung. Die Kritik an der Kompetenzorientierung schließt übrigens in einigen Punkten an das an, was hier im Blog im vorangehenden Beitrag unter dem Stichwort der Veränderungen durch die Digitalisierung diskutiert wurde. Die bestehenden Überschneidungen bzw. Schnittmengen der beiden Debatten (über Kompetenzorientierung und digitale Medien in der Schule) scheinten mir übrigens bisher auch noch nicht so richtig ausgeleuchtet und durchdacht zu sein, sondern vielmehr beide Debatten eher nebeneinander herzulaufen.

Schulgeschichtsbücher in der Welt

In der Welt Online vom 30.04. findet sich ein sehr kritischer Artikel zu Schulgeschichtsbüchern mit dem Titel „Wer war das nochmal? Schulbücher werden üblicherweise nicht rezensiert. Dabei haben sie Kritik bitter nötig. Eine Probe aufs Exempel“. Der Autor kritisiert vor allem den Bildungsföderalismus, die in den Büchern gestellten, oft suggestiven Aufgabenstellungen (wo er Recht hat!) und quer durch den Salat inhaltlich verzerrende oder falsche Darstellungen, um abschließend zu dem Fazit zu kommen: „In der Regel lernen Kinder nicht in, sondern trotz der Schule.“

So ein Quatsch! Der ganzen Kritik liegt u.a. die Gleichsetzung von Schulbuch und Unterricht und damit der Fehlannahme zugrunde, dass wir (Geschichts-) Lehrer zu doof seien, inhaltliche Fehler von Schulbüchern nicht ebenso wie der Autor erkennen zu können und Aufbau und Aufgaben der Bücher eins zu eins im Unterricht zu übernehmen. Auch an anderen Stellen verkürzt der Autor unzulässig oder hat schlecht recherchiert. Wer das nachlesen mag, sei auf den aktuellen Beitrag auf edumeres.net hingewiesen, über den ich erst auf den Welt-Artikel aufmerksam geworden bin. Die Lektüre allerdings hätte ich mir auch sparen können.

Für und Wider der Chronologie im Unterricht

Auf den polemischen Einwurf von Peter Haber zu der Meldung aus Brandenburg möchte ich zumindest kurz reagieren. Ich denke, es sollte erlaubt sein, über den Sinn und Unsinn des Festhaltens am chronologischen Durchgang nachzudenken. Und ich denke, Peter Haber vergleicht in seinem Beitrag Äpfel mit Birnen. Ich will das an einigen Beispielen erläutern:

Aus der Sicht vieler Schülerinnen und Schüler präsentiert sich Geschichte als ein Fach, in dem man sich gut über längere Zeiträume „ausklinken“ kann, um dann später wieder einzusteigen, wenn einen z.B. das nachfolgende Thema  mehr interessiert. Das liegt im Wesentlich daran, dass der Geschichtsunterricht chronologisch fortschreitet, aber kaum methodische oder inhaltliche Progression kennt. Ganz anders im Fremdsprachenunterricht: Wenn ich dort als Schüler die Vokabeln und Grammatik über einen längeren Zeitraum nicht lerne, bin ich „raus“ und es ist ganz schwer, dann wieder den Anschluss zu finden und das Verpasste aufzuarbeiten. Ähnliches gilt für die Naturwissenschaften.

Gerade weil im Geschichtsunterricht ein rein chronologischer Durchgang erfolgt, werden viele Schüler stark überfordert. In Rheinland-Pfalz beginnt der Geschichtsunterricht in Jahrgangsstufe 7. Nach wenigen Wochen steht dann u.a. die attische Demokratie und der römische Staat auf dem Programm. Beides sind für viele Schüler wirkliche Hürden, kaum zu verstehen und bestenfalls erinnern sie sich nach Jahren daran, dass es schon im alten Griechenland auch Demokratie gab oder zitieren das Schlagwort von der „Wiege der Demokratie“.

Ich fände es durchaus angemessen, das Themenfeld „Geschichte der Demokratie“ z.B. in die Klassenstufe 9 zu verschieben (Alter der Schüler ca. 15 Jahre). In diesem Alter ist politische Teilhabe den Schülern wesentlich näher, weil eine gewisse Reife und ein Interesse an gesellschaftspolitischen Zusammenhängen wächst. Nicht umsonst wird seit Jahren über eine Einführung des Wahlrechts mit 16 diskutiert. Dort wäre dann auch ein eigener chronologischer Durchgang möglich, der strukturelle Unterschiede und einen Begriffswandel in der Zeit aufzeigt, also wirkliches historisches Lernen ermöglicht, das an diesem Thema in den Klassen 6 oder 7 schlicht vefrüht ist und an der Mehrzahl der Schüler vorbeigeht.

Natürlich erfordert ein solches Vorgehen ein verstärktes Zurückgreifen auf Hilfsmittel wie z.B. Zeitleisten. Durch die thematische Einbettung der Chronologie ist eine gute Orientierung gewährleistet und zudem noch ein regelmäßiger Wiederholungseffekt gegeben.

Ich muss zugeben so auch noch nicht unterrichtet zu haben, weil die Lehrpläne in Rheinland-Pfalz anders aussehen, aber ich würde es gerne einmal versuchen. Aus eigener Erfahrung der Projektarbeit kann ich sagen, dass  auch Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse das Thema Nationalsozialismus in der Familie oder in der Schule hevorragend und gewinnbringend historisch bearbeiten können, weil sie hier selbst Fragen haben, diese auch stellen und grundlegende Arbeitsweisen und Methoden lernen können.

Diese Methoden historischen Arbeitens könnten dann aufeinander aufbauend Teil eines historischen  kompetenzorientierten Curriculums werden, das in themenzentrierten Kreisen ausgeht vom Individuum über den nahen Erfahrungsraum von Familie und Schule über die Stadt und Region hingeht zu Nationsbildung und Staatsaufbau. Die Themenkreise sollten natürlich in sich chronologisch gegliedert sein. Sie böten damit die notwendige Orientierungshilfe in der Zeit und würden nicht zu einer befürchteten Aufhebung der Historizität führen, sondern im Gegenteil gerade das Verständnis von historischen Entwicklungen und ihren Vergleich fördern und erleichtern.