Karikatur-Datierung durch Digitalisierung – zwei Beispiele

Die Projektarbeit in zwei Klassen zu Karikaturen 1848 bzw. in der Weimarer Republik bringt interessante Zwischenergebnisse. Vorab hatte ich für beide Themen mehr Karikaturen zusammengesucht als Schülerinnen und Schüler in der jeweiligen Klasse sind, so dass die Lernende allein oder in Kleingruppen aus den unterschiedlichen Themenschwerpunkten eine Karikatur zur Bearbeitung auswählen konnten.

Auf eine Einlesephase folgt die Recherche zum historischen Kontext und den einzelnen Elementen der gewählten Karikatur (Wer sich für den Ablauf des Projekts interessiert, findet ihr die Übersicht für die Lernenden als ODT-Datei). Für die Recherche müssen dabei verschiedene Suchstrategien, u.a. Phrasen- und Bildersuche, kombiniert werden, um die notwendigen Informationen zu finden. Dabei zeigt sich, dass viele Schülerinnen und Schüler auch noch in den Klassen 9 und 10 keine systematischen Suchstrategien anwenden, sondern einfach Begriffe bei Google eingeben. Durch Betreuung, Beratung und Vormachen besteht in dieser Phase die Möglichkeit, den Lernenden Suchstrategien aufzuzeigen und zu erklären, gerade dann wenn sie nicht selbst weiterkommen und die Hilfe der Lehrkraft anfragen. Zusätzlich hatte ich als Hilfestellung die Doppelseite „Internetrecherche“ aus dem neuen Band 1 von „Das waren Zeiten“ des Buchner-Verlags für Rheinland-Pfalz (S. 24/25) zur Verfügung gestellt, die in schülergerechter Form Recherchetipps aus dem gemeinsamen Artikel mit Christoph Pallaske im Praxisbuch „Spurensucher“ zusammenfasst.

Die Karikaturen hatte ich verschiedenen Internetseiten entnommen. Die Angaben zu Autor, Veröffentlichungsort und -zeitpunkt sind im Netz, übrigens wie auch in Schulbüchern, unterschiedlich vollständig. Die Schülerinnen und Schüler haben die Aufgabe die vorhandenen Angaben zu prüfen und ggf. zu ergänzen. Dadurch dass zahlreiche Zeitschriften mittlerweile vollständig digitalisiert und frei verfügbar sind, wie z.B. der Simplicissimus oder Kladderadatsch, ergeben sich für das Lernen an, mit und über Karikaturen im schulischen Geschichtsunterricht neue Möglichkeiten, auch als Teil einer digitalen und historischen Medienbildung, die ich an zwei Beispielen aus der aktuellen Projektarbeit aufzeigen möchte.

Die erste Karikatur ist von Thomas Theodor Heine aus dem Jahr 1923. Sie  ist teilweise auch in Schulgeschichtsbüchern abgedruckt. Im Netz findet sich die Karikatur über die Google Suche überraschenderweise nur auf einer Seite, jedoch in eher kleiner Auflösung (siehe z.B. hier). Offenkundig ist der Bezug zur (Hyper-) Inflation. Die Frage, wann genau im Jahr 1923 die Karikatur erschienen ist, ist durchaus relevant für die Interpretation. Aufgrund der Selbstbezeichnung als „Millionär“ liegt die Vermutung einer Datierung im September oder Oktober 1923 nahe. In der Tat ist die Karikatur interessanterweise Heine Von Stufe zu Stufe 1923bereits in Heft 18 des Simplicissimus vom 30.07.1923 erschienen. Eine Interpretation, die das zentral abgebildete Brot mit einem Preis in Millionenhöhe zusammenbrächte, würde also zeitlich vorgreifen. Die großartige Seite simplicissimus.info macht die Überprüfung von in dieser Zeitschrift erschienener Karikaturen sehr einfach, da sowohl eine Suche über Begriffe, Phrasen (z.B. den Titel oder einen Teil der Bildunterschrift in Anführungszeichen) wie Autoren möglich ist und nicht alle möglicherweise in Frage kommenden Ausgaben durchgesehen werden müssen. Das Angebot bietet die Seiten der Zeitschrift in guter Auflösung an: Sie können vergrößert, mit einer Lupe im Detail betrachtet und als PDF heruntergeladen werden. Im Vergleich mit der eingescannten Abbildung des erstgenannten Fundes wird deutlich, wieviel mehr Details die Karikatur eigentlich umfasst – Voraussetzung dafür, diese erkennen und deuten zu können, ist, dass sie den Schülerinnen und Schülern in guter Qualität vorliegt.

Das zweite Beispiel ist eine Karikatur, die sich im Artikel „Deutsche Revolution 1848/1849“ in der Wikipedia findet. Dort wird sie ins Jahr 1848 datiert und inhaltlich der „Frage des Scheiterns“ zugeordnet bzw. bei dem entsprechenden Abschnitt zur Forschungsdiskussion zur Illustration der Unentschlossenheit der Revolution als eine Ursache für das Scheitern der Revolution genutzt. Die Metadaten in der Wikimedia zu der Karikatur sind erstaunlich unpräzise und helfen nicht weiter. Es wird weder der Autor noch das genaue Datum oder der Ort der Veröffentlichung genannt. Der Nutzer, der die Karikatur hochgeladen hat, hat sich selbst („Ws-KuLa“) als Autor, das Hochladedatum als Veröffentlichungstag und die Karikatur als „eigenes Werk“ angegeben. Dies zudem noch als Copyfraud unter CC BY SA-Lizenz. Ob diese Angaben so beabsichtigt waren oder aus Unwissenheit resultieren, lässt sich aus der Ferne leider nicht entscheiden.Fliegende Blätter 1847

Auch über die Google Bildersuche findet sich die Karikatur tatsächlich nur in den Wikimedia Commons bzw. in Kopien davon. Es sind also erstmal keine weiteren Informationen zu erhalten. Die beiden Schüler, die diese Karikatur bearbeiten, haben sie jedoch auch in der digitalisierten Zeitschrift ausfindig gemacht – allerdings ohne, dass ihnen klar war, wie hilfreich der Fund für die Beantwortung der Fragen zur Karikatur war. Die Karikatur stammt aus der humoristischen Wochenschrift „Fliegende Blätter“, die seit 1844 erschien und gleichfalls von UB Heidelberg vollständig digitalisiert im Netz steht. Die Karikatur findet sich in der Ausgabe Fliegende Blätter, 6.1847, Nr. 139, S. 152. Damit ist auch klar, wer die Karikatur gezeichnet hat: Kaspar Braun war nicht nur Verleger und Herausgeber, sondern auch für die Illustrationen zuständig. Nur Beiträge von anderen Autoren wurden in der Zeitschrift zunächst namentlich gekennzeichnet.

Pro Jahr erscheinen 48 Ausgaben, mit also einem fast wöchentlichen Rhythmus. Die Nummern 97-144 sind im Jahr 1847 erschienen. Die Karikatur stammt aus dem Heft Nr. 139, ist also gegen Ende des Jahres 1847 veröffentlicht worden. Aufgrund der Datierung kann sich die Karikatur daher weder auf das Vorparlament noch auf die Nationalversammlung 1848 beziehen, auch ein Bezug zu den Treffen der Liberalen und Demokraten im September bzw. Oktober 1847 ist – zudem durch die Nennung von Frankfurt – gleichfalls auszuschließen. Die Karikatur bezieht sich vermutlich auf den ersten Germanistentag, der Ende September 1846 in Frankfurt stattgefunden hatte. Die wissenschaftliche Zusammenkunft war in mehrfacher Hinsicht auch eine politische Demonstration u.a. über die Wahl des Ortes sowie der verhandelten Themen. Diese Zuordnung erlaubt schließlich übrigens auch eine Erklärung und Deutung der am Boden vor der geöffneten Tür liegenden Gegenstände. Die inhaltliche Zuordnung in der Wikipedia beruht ist also falsch, da sie auf einer fehlerhaften Datierung und Interpretation der Karikatur beruht.

Update: In dem Zusammenhang ist uns übrigens noch eine weitere Karikatur aufgefallen, die sich auch in einigen Schulgeschichtsbüchern und auf einigen Websiten (u.a. in der Wikipedia) findet und, soweit ich das gesehen habe, gleichfalls auf 1848 datiert wird. Diese Karikatur stammt gleichfalls aus der Zeitschrift „Fliegende Blätter“ aus einer Ausgabe früher als die obige (6.1847, Nr. 138, S. 142):

Elend Schlesien 1847Sie ist damit auch anders als üblich nicht auf 1848, sondern auf 1847 zu datieren. Was wäre der relativ aktuelle Anlass, um das Thema der Armut und in Schlesien wieder aufzugreifen? „Die schlesischen Weber“ von Heine und diethronverbrennung Verhaftung eines Vortragenden 1846?

Eine weitere Beobachtung ist auch noch Allerdings sind auf derselben Seite unten zwei weitere Bilder, von denen das rechte auf ein Ereignis der Februarrevolution 1848 anspielt (die erwähnte Thronverbrennung soll am 24.2.1848 in Paris stattgefunden haben) – wie kann das sein? Ist die Datierung der digitalisierten Ausgaben auf den Seiten der Heidelberger Universitätsbiblithek wie auch auf anderen Seiten eventuell nicht korrekt? Das würde wiederum die Ausführungen zur Datierungsfrage hinfällig machen…

Einer Karikatur auf der Spur 2: über die Online-Suche zur Entschlüsselung unbekannter Bilder

Der Wahre Jakob, 20.2.1906, Karikatur: Aus unseren Kolonien.

Karikatur: Aus unseren Kolonien, aus: Der Wahre Jacob, 20.2.1906 .

Eine Karikatur. Noch eine. Ein spannendes Thema. Mit Begeisterung entdecke ich, welche großartigen Bestände bereits online verfügbar sind. Neu entdeckt habe ich den „Wahren Jacob“, der gleichfalls von der Universitätsbibliothek Heidelberg digitalisiert wurde. Schülerinnen aus dem Leistungskurs haben für ihre Stunde im Rahmen einer LdL-Reihe, diese Karikatur gefunden, konnten aber die beiden abgebildeten Männer nicht identifizieren und hatten deshalb um Unterstützung gebeten.

Das war der Startschuss einer etwas umfangreicheren Suchaktion, die ich mit diesem Beitrag dokumentieren möchte. Was wir hier in wenigen Stunden am Computer recherchiert haben, hätte vor zehn Jahren noch Tage mit ausführlichen Bibliotheksbesuchen benötigt. Bevor ich die Rechercheschritte beschreibe, vorab noch zwei Bemerkungen:

Zum einen der Hinweis, wie spannend Lernen durch Lehren (LdL) sein kann, wenn Schülerinnen und Schüler selbst Material online für ihre Stunden zusammenstellen. Das fällt nicht selten raus aus dem Kanon der üblicherweise genutzten und oft reproduzierten Quellen und Darstellungen und hat mich um einige tolle und spannende Funde bereichert, die ich bislang nicht kannte und sicher bei anderer Gelegenheit auch selbst im Unterricht mal einsetzen werde.

Zum anderen: ganz herzlichen Dank an @frandevol und @kaiserkath, die gestern auf meine Bitte via Twitter um Hilfe bei der Suche reagiert und fieberhaft mit gesucht haben. Das war super und sehr hilfreich!

Ausgangspunkt war ein qualitativ eher schlechter Scan der Karikatur aus einem Buch, der sich auch in der englischsprachigen Wikipedia findet. Die Datierung ist mit 1906 noch recht ungenau. Die Bildersuche von Google oder Bing hilft nicht weiter. Wohl aber die Suche nach einem Digitalisat des „Wahren Jacob“, bei dessen Durchsicht der Voranschau des Jahrgangs 1906 man schnell auf die Karikatur stößt. Die Volltextsuche wäre eine hilfreiche Alternative, hat allerdings leider nicht funktioniert.

Der Vorteil der digitalisierten Zeitung ist, dass die Karikatur im Kontext ihrer Publikation betrachtet werden kann. Das hilft in diesem Fall auch nicht weiter. Weil das Heft keine weiteren Informationen zu dem Thema enthält.

Die erste Vermutung war nun, da keine Namen oder weiteren Hinweise angegeben sind, dass es sich um bekannte Personen handeln muss, die sich für die Leser der Zeitung keiner weiteren Erläuterung mehr bedurften. Da der Titel „Aus unseren Kolonien“ lautet, war anzunehmen, dass es sich um Personen handelt, die nicht nur weithin bekannt waren, sondern sich 1906 auch in einer der deutschen Kolonien in Afrika aufgehalten haben.

Dass es sich um eine der deutschen Kolonien in Afrika handeln muss, ist aus dem Possessivbegleiter „unseren“ sowie dem historischen Kontext abzuleiten. In das Jahr 1906 fallen sowohl der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika sowie der Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika. Die genaue Lokalisierung bleibt also zunächst unklar, ist vielleicht aber auch intendiert.

Da wir von optischen Ähnlichkeiten mit historischen Personen ausgingen, haben wir über online verfügbare Listen und Porträts das Führungspersonal der Kolonialverwaltung in beiden Kolonien sowie der Kolonialabteilung bzw. des späteren Reichskolonialamtes überprüft.

Dabei fanden sich gewisse Ähnlichkeiten, aber keine die letztendlich eindeutig oder überzeugend gewesen wäre. Nach der Ausweitung der Suche auf „Industrielle“ entstand die Idee, die wir letztlich auch für schlüssig zur Interpretation der Karikatur halten, dass es sich nämlich nicht um zwei konkrete Personen, sondern vielmehr um Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen, des Adels/Koloniallobby und der Industriellen, handelt.

Das passt insofern ins Bild, als es sich bei Wahren Jacob um die zentrale Zeitung der SPD handelt, die auf Grundlage des Marxismus nicht einzelne Personen, sondern „Klassen“ für den Gang der Geschichte, und damit auch für die Kolonialverbrechen, verantwortlich macht. Gekennzeichnet sind sie durch entsprechende Attribute (dicker Bauch, Zigarre, Zylinder, Monokel etc.).

Irritierend bleibt die in schwarz-weiß angedeutete Farbenfolge der Flagge: Man vermutet „schwarz-rot-gold“, was so gar nicht passen mag, weil die Farben des Deutschen Reiches ja „schwarz-weiß-rot“ waren, die aber hier offenkundig nicht abgebildet sind. Ganz klären ließ sich die Frage nach dem Warum nicht. Hinweise sind herzlich willkommen, auch falls sich an anderer Stelle ein Fehler eingeschlichen haben sollte.

Bekanntermaßen steht „Schwarz-Rot-Gold“ eigentlich für die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte. Deshalb irritiert die Fahne in dieser Karikatur. Zunächst haben wir überprüft, ob es im Bereich der deutschen Kolonialflaggen vielleicht eine besondere Farbkombination gab, die im Bild wiedergegeben sein könnte. Dem ist aber nicht so. Alle deutschen Kolonialflaggen basierten auf den Farben der Reichsfahne (siehe die umfangreiche Übersicht in der Wikipedia).

Ein Hinweis zur Deutung der vermutlich „schwarz-rot-goldenen“ Flagge fand sich dann doch, gleichfalls in der Wikipedia:

„Interessant ist die Tatsache, dass einige rechtsextreme Gruppierungen und Parteien die Farben Schwarz-Rot-Gold als Ausdruck ihrer „nationalen Opposition“ wählten. So hieß es in den „Leitzielen“ der im Jahr 1900 aus der Spaltung der Deutsch-Sozialen Reformpartei hervorgegangenen antisemitischen Gruppierung gleichen Namens: „Wir brauchen ein deutsches Zentrum, eine deutsch-soziale Reformpartei. Ihr Banner sei schwarz-gold-rot, die Fahne des geeinten Großdeutschlands (österreichisch schwarz-gold und deutsch schwarz-weiß-rot vereinigt)“.

[…]  Insgesamt sah das gesamte „großdeutsche Lager“ in Schwarz-Rot-Gold den Ausdruck der eigenen politischen Zielsetzung. Neben den antisemitischen Parteien gehörten dazu vor allem auch die Linksliberalen in Bayern, Baden und Württemberg.

Die Farben Schwarz-Rot-Gold spielten auch eine nicht unbedeutende Rolle in der Völkischen Bewegung. Grundsätzlich bestand dort die Tendenz, die Farben der alten Nationalbewegung zu übernehmen und für die eigenen Zwecke anzupassen.“

Ich muss zugeben, das war mir bislang völlig unbekannt, aber die Erklärung für das Nutzen der Farben scheint schlüssig und sie liefert einen Hinweis für das Verständnis der Karikatur: Bringt man nämlich völkische Bewegung und Imperialismus zusammen, landet man schnell beim Alldeutschen Verband (ADV), dessen Position in der Karikatur vermutlich kritisiert werden soll. Und tatsächlich finden sich auch für das Jahr 1906, wenn zeitlich etwas später belegt, Aussagen des damaligen Vorsitzenden, die sehr gut zur Bildunterschrift der Karikatur passen (vgl. PDF, S. 3).

Für eine abschließende Klärung müssten noch weitere Informationen hinzugezogen werden. Eine kursorische Durchsicht des Wahren Jacob, ob z.B. die schwarz-rot-goldene Flagge in anderem Zusammenhang eindeutig mit dem Alldeutschen Verband in Verbindung gebracht wird, blieb erfolglos. Ggf. wären auch optische Ähnlichkeiten mit zwischen dem Führungspersonal des ADV und den abgebildeten Personen zu prüfen.

Auch wenn wir die Karikatur nicht zweifelsfrei entschlüsseln konnten, stehen für mich am Ende der Recherche drei Erkenntnisse:

1) Die schnellen und vergleichsweise effektiven Möglichkeiten im Internet eigene Hypothesen zu prüfen, indem man gemeinsam arbeitet und unterschiedliche Suchstrategien miteinander verbindet. Auch wenn keine Einordnung oder Darstellung vorliegt, lassen sich auf diese Weise unbekannte historische Bilder entschlüsseln, vielleicht nicht immer eindeutig, aber zumindest weitgehend.

2) Vor 20 Jahren, im ausgehenden Zeitalter der Zettelkästen, hätte es viel Erfahrung und Wissen benötigt, um diese Operationen zum Entschlüsseln einer unbekannten Karikatur durchzuführen. Wo hätte man die Biographien und ggf. Porträts von Kolonialbeamten nachschlagen können, deren Namen man nicht einmal kennt, sondern nur deren Funktionen? Wo wäre eine Übersicht der Kolonialflaggen verfügbar gewesen? Damals eher eine Arbeit für ausgebildete Historiker, für Studierende schon schwierig, für Schüler unmöglich.

Die beschriebene Vorgehensweise zeigt, wie wichtig es ist, angesichts der vielen und schnell verfügbaren Informationen, selbst Fragen formulieren und Hypothesen aufstellen zu können, um diese dann zu prüfen. Diese „detektivische“ Spurensuche kann Spaß machen, muss aber systematisch angeleitet und gelernt werden. Einfach mal im Internet suchen als Auftrag im Unterricht reicht nicht aus.

3) Die Erfahrung, die vermutlich viele Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht machen, wenn sie vor einer Karikatur sitzen und weder die Personen noch die Symbole (er)kennen. Wir Geschichtslehrer „lesen“ und deuten die Karikaturen, weil wir Symbole und Personen wiedererkennen. Es ist für angehende und im Beruf stehende Lehrkräfte eine hilfreiche Erfahrung, mindestens einmal vor einer Karikatur gesessen zu haben, die sie auch nach ihrem Studium nicht verstehen. Das ist vergleichbar mit der Vorgabe, dass wer Deutsch als Fremdsprache lernt, in seinem Studium auch eine Sprache mit nicht-lateinischen Schriftzeichen erlernen muss, um die Schwierigkeiten der Lernenden besser nachvollziehen zu können.

Zum Verstehen von Karikaturen braucht es letztlich eine große „Bilderdatenbank“ im Kopf, die zum Vergleich mit den Elementen, Symbolen und Personen einer Zeichnung abgerufen werden kann. Ähnliches gilt für Anspielungen auf Religion, Mythologie und Redewendungen, die vielen Schülerinnen und Schülern völlig unbekannt sind. Das ist ein Grund, warum Karikaturen im Unterricht für Lernende so unglaublich schwierig sind. Was spräche dagegen statt nur sehr einfache Karikaturen auszuwählen oder Frustrationen aufzubauen, den Schwerpunkt ein wenig zu verschieben und mit den Schülerinnen und Schüler das Internet zu nutzen, um Recherche- und Vergleichsstrategien zur Entschlüsselung historischer Bilder zu entwickeln und einzuüben?

Einer Karikatur auf der Spur: die Online-Suche Schritt für Schritt

Bismarck-Karikatur

Auf den Seiten von LSG Musin eine interessante, aber weniger bekannte Karikatur zu Bismarck auf das Jahr 1873 datiert und mit dem Drei-Kaiser-Bündnis in Bezug gebracht. Weitere Informationen fehlen. Wenn man bei der Google Bildersuche schaut, sieht man schnell, dass es sich um eine englische Karikatur handelt und dass bei der Widergabe der Abbildung auf den LSG-Seiten etwas abgeschnitten wurde. Vergleiche:

1) http://www.tomatobubble.com/fh2.html: Der Text leider verpixelt und daher unleserlich. Die Karikatur wird aber gleichfalls auf 1873 datiert.

2) http://www.heritage-images.com/Preview/PreviewPage.aspx?id=1150942&pricing=true&licenseType=RM Hier ist eine etwas ausführlichere Einordnung dabei, die die Karikatur aber auf 1884 (!) datiert, das sogar taggenau mit Angabe des Publikationsorts. Außerdem ist die Bildunterschrift lesbar: Der „The Three Emperors ; or, the Ventriloquist of Varzin!“, damit haben wir einen Titel für die Karikatur und vielleicht eine zusätzliche Einordnungshilfe über den angegebenen Ort „Varzin“. Wobei das erste Bild noch einen längeren Text zeigt, der aber offensichtlich weggelassen ist. Entscheidend ist der Hinweis auf den Original-Publikationsort mit Datum: „Punch, or the London Charivari, September 20, 1884“

Check 1: Was war in Varzin?
Wikipedia hilft schnell weiter: http://de.wikipedia.org/wiki/Warcino Mit dem Bild hat es nichts zu tun, außer dass wir bestätigt bekommen, dass das Bild später als 1867 (Kaufjahr des Schlosses) zu datieren ist. Das wussten wir aber schon.

Check 2: Gibt es den Punch oder Charivari digitalisiert online?
Erster Blick in den Wikipedia-Artikel zur Zeitschrift: http://de.wikipedia.org/wiki/Punch_%28Zeitschrift%29

Erkenntnisse
a) Es handelt sich nur um eine Zeitschrift: Punch or The London Charivari.
b) Es gibt mehrere Links zu Digitalisaten.

Fundstelle 1: Die Seite ist aber seltsam, weil sie die Bilder aus der Zeitschrift löst und damit Zusammenhang wie auch Veröffentlichungsdatum fehlen, aber die Karikatur findet sich: http://punch.photoshelter.com/image/I0000798l5UMAXnk Allerdings auch nur mit dem Kurztext, ohne genaue Veröffentlichungsangabe, datiert auf 1884. Das ist als Nachweis noch zu dünn.

Fundstelle 2: Die Heidelberger Uni-Bibliothek hat (fast) alle Ausgaben des Punch digitalisiert:
http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digilit/punch.html Nur just die Ausgaben von 1884 fehlen. Die übrigen Links aus dem Wikipedia-Artikel helfen nicht weiter. Um 100% korrekt zu arbeiten, wäre jetzt der Punkt gekommen, in eine Bibliothek zu gehen und einen Originalband einzusehen, um die Karikatur nachzuweisen und in ihrem Entstehungszusammenhang zu sehen.

Wenn man online mit der Karikatur über die Bildersuche von Google oder Bing nach ähnlichen Bildern sucht oder mit dem genauen Titel der Karikatur recherchiert, findet man in verschiedenen Publikationen präzise Quellenangaben mit denselben Informationen zu Titel, Veröffentlichungsort und -datum, so z.B. hier:

http://www.academia.edu/313015/The_Other_Kaiser_Wilhelm_I_and_British_Cartoonists_1861-1914

„The Three Emperors ; or, the Ventriloquist of Varzin!“ Punch (20 September 1884).

Es ist also davon auszugehen, dass die Angaben bei LSG Musin falsch sind.

Das passiert gerade bei Karikaturen immer wieder, dass ihre Ausage gut zu einem bestimmten historischen Ereignis zu passen scheint (hier: das Drei-Kaiser-Bündnis von 1873) und ihre Datierung dann daran zu pädagogischen oder illustrativen Zwecken irgendwie „angepasst“ wird.

Ein anderes Beispiel ist die in Schulbüchern beliebte Karikatur „Deutschlands Zukunft“, die öfters falsch auf 1866 datiert wird, allerdings erst am 22. August 1870 in der österreichischen Kikeriki erschienen ist, und damit also nach Beginn des deutsch-französischen Krieges, was für die Einordnungn und Interpretation der Karikatur nicht unerheblich ist. Interessanterweise wird das Tagesdatum bei allen eingesehenen Fundstellen in Schulbüchern wie auf Internetseiten weggelassen. Genannt wird stets nur eine Jahreszahl.

Es gibt übrigens auch einen zeitlich-historischen Kontext für die wahrscheinlich korrekte Datierung der Karikatur von Bismarck mit den drei Kaisern: Vom 15.-17. September 1884 trafen sich die drei Kaiser in Skierniewice (http://wwwg.uni-klu.ac.at/kultdoku/kataloge/03/html/294.htm), wo sie trotz Spannungen den Dreikaiserbund von 1881 erneuerten. Bismarck war auch anwesend und in diesen Zusammenhang ist die Karikatur einzuordnen.

P.S. Die Autorenzuschreibung zu John Tenniel oder Joseph Swain ließ sich online ebenso übrigens nicht eindeutig klären: „SWAIN S.c. on an engraving does not necessarily indicate the hand of the master“.