Der „Flipped Classroom“ als Übergangsmodell?

Unter dem Titel des Beitrags gibt es drüben bei Christian Spannagel eine interesssante Diskussion. Ich habe dort gerade kommentiert und veröffentliche den Kommentar hier – leicht verändert – noch einmal:

Wenn man sich neuere Blogbeiträge aus den USA zum „flipped classroom“ (siehe z.B. hier) oder auch das Buch von Bergmann/Sams anschaut, dann wird dort eigentlich genau das beschrieben: der Flipped Classroom als “Übergangsmodell” zu anderen Formen von Lehre und Unterricht.

Unter dem Begriff des “flipped classroom” finden sich in der Praxis mittlerweile völlig unterschiedliche Arte gemeinsame Lernzeit zu gestalten. Wobei ich zwei unterschiedliche Ebenen sehe:

a) eine stark verkürzte Rezeption, vor allem in den Medien, aber auch bei vielen Kollegen, die die Videos fokussieren;

b) die Praktiker, die das Modell ausprobieren und es in ihrem Unterricht selbstständig weiterentwickeln.

Auch wenn der Ausgangspunkt das Vertauschen von “Unterrichts-” mit “Hausaufgabenaktivitäten” und das Lernen mit Videos war, ist dies gar nicht mehr der kleinste gemeinsame Nenner des Modells in der Praxis. Was allen Praxisbeschreibungen, soweit ich das überblicke, hingegen gemeinsam ist, ist die Aktivierung der Lernenden, die zunehmend individuell, kollaborativ und eigenverantwortlich ihre Lernprozesse organisieren. Damit verbunden natürlich eine gewandelte Rolle des Lehrers/Dozenten.

Welche Rolle spielt dann noch der eigentliche Ausgangspunkt des “flipped classrooms”?

Er ist Auslöser und Katalysator für weitergehende Veränderungen, regt an über grundlegende Fragen der Unterrichts- und Lernzeitgestaltung, der Rolle von Lehrkraft und Lernenden grundsätzlich nachzudenken und kann dadurch zu einer veränderten Haltung und Einstellung zur eigenen Rolle als „Lehrkraft“ (?) sowie zu Lernen und Unterricht führen. Das ursprüngliche Flipped Classroom-Modell bietet, genau Christian schreibt, einen guten Einstiegspunkt in solche Veränderungen für alle, die bisher stark lehrer- und inputzentriert arbeiten.

Ich habe meinen Unterricht nicht in Klassen umgestellt, aber da wo ich mit dem “flipped classroom” experimentiert habe, bin ich letztendlich bei Formen von Portfolio-Arbeit, LdL und Projektlernen gelandet – ganz ohne Videos, aber mit hoher Aktivierung und Verantwortlichkeit der Lernenden für Auswahl und Gestaltung von Lernprozessen und -inhalten.

Erstellen eines Geschichtslernvideos

Für alle, die vielleicht auch eigene Videos für den Unterricht erstellen wollen, hier eine kurze Zusammenfassung meiner bisherigen Erfahrungen, als kleine Schritt-für-Anleitung. Es würde mich freuen, wenn das für den einen oder die andere hilfreich ist.

Vorbemerkungen:

Die Produktion der Screencastvideos ist technisch einfach, aber wenn man nicht sich selbst einfach beim Vortrag filmt, sondern mit Materialien (Bildquellen, Karten usw.) arbeitet, ist die Produktion sehr zeitaufwendig. Für die Produktion des letzten Videos habe ich drei Stunden benötigt – das wird sich sicher mit mehr Routine noch reduzieren.

Ich denke dennoch, dass sich der Aufwand lohnt, sonst sind es oft nur mehr oder weniger gute Vorträge als Film (siehe z.B. hier).  Das bestätigen auch die Rückmeldungen der Schüler der Sekundarstufe I, die hervorgehoben haben, dass die Videos so anschaulich seien und sie durch die Kombination von gesprochenem Text und Material das Thema gut verstanden hätten.

Vor 10 Jahren wären solche OER-Projekte, wie auch z.B. Segu, undenkbar gewesen. Gerade für Geschichte steht online eine riesige Anzahl freier, also nicht (mehr) urheberechtlich geschützter Quellen, vor allem in den Wikimedia Commons, als Fundgrube zur Verfügung.

Der Flipped Classroom ist eine mögliche methodische Variante. Um mit eigener Videoproduktion anzufangen, würde ich empfehlen nur in einer Klasse oder einem Kurs zu starten; und auch da vielleicht nur eine Stunde pro Woche zu „flippen“.

Ein Video pro Woche zu produzieren ist aufwendig genug. Das Produzieren der Videos macht aber zugleich viel Spaß, weil es auch eine kreative, gestalterische Arbeit mit verschiedenen Medien ist, die ich sonst in meinem Berufsalltag als Lehrer selten finde.

Nach einigen Jahren hat man auf diese Weise Videos für komplette Unterrichtsreihen zur Verfügung, die dann ein komplett anderes, sehr viel mehr individualisiertes Arbeiten erlauben als beim Start mit dem Flipped Classroom, wo zunächst immer ein Video zeitgleich für alle auf dem Plan steht.

Letzte Empfehlung vorab:

Wer seinen Unterricht in der Oberstufe umdrehen möchte, braucht eigentlich keine Videos. Hier reicht ein weit gefasster Auftrag: „Informiert euch über das Thema, berücksichtigt dabei besonders folgende Aspekte: … Ihr könnt dazu folgende Seiten im Buch nutzen oder selbst im Internet einen Film oder andere Texte dazu rercherchieren.“ Die Videos sind sicherlich eine Hilfe und ein zusätzliches Angebot, das aber in der Sekundarstufe I viel eher notwendig ist als in der Sek II.

Hinzu kommt, dass mehrere Studien belegen, dass viele jüngere Schülerinnen und Schüler mit den Verfassertexten in den Geschichtsschulbüchern  Probleme haben. Auch hier können selbst produzierte, auf die Lerngruppe zugeschnittene Videos unterstützend helfen. In den ersten Stunden war es übrigens so, dass, für mich durchaus überraschend, einige Schüler sowohl das Video geschaut als auch den Verfassertext im Buch gelesen hatten, obwohl diese explizit als alternative Aufgaben benannt waren.

Schritt für Schritt zur Videoproduktion

1) Einen eigenen Text schreiben: Dazu habe ich mir die entsprechenden Kapitel mehrerer Schulbücher angeschaut sowie Details zusätzlich recherchiert und nachgelesen. Das war nötig, da ich normalerweise in meinem Unterricht keine Lehrervorträge halte. Aufbauend auf den Vorgaben des Lehrplans habe ich aus diesen Informationen einen eigenen Text verfasst. Beim Schreiben hilft es, sich an journalistischer Sprache zu orientieren, am Schreiben für Radio oder Fernsehen zu orientieren: Dazu gehört u.a. das Formulieren kurzer Sätze und die Verwendung von nicht zu vielen Zahlen.

2) Geeignete Quellen und Materialien suchen: Erste Anlaufstelle sind, wie oben bereits gesagt, die Wikimedia Commons. Zum Einstieg in die Suche eignen sich auch die Artikel in der Wikipedia, wo sich meist die besten Abbildungen finden. Neben Bildquellen sind das auch Karten und Schemata. Sinnvoll ist es auf jeden Fall einen Blick in die anderen Sprachversionen zu werfen. Je nach Thema können auch andere Commons-Sammlungen, wie z.B. bei Flickr, hilfreich sein.

Bisher nur wenig eingesetzt, aber für jüngere Schüler sicherlich empfehlenswert ist die Arbeit mit Zeichnungen und Cliparts. Wer diese wie ich nicht selbst zeichnen bzw. anfertigen kann, findet hier auch entsprechende Fundgruben unter Creative Commons-Lizenzen, wie z.B. bei Phillip Martin oder OpenClipArts.

3) Bilder und Text zusammenbringen: Das ausgewählte Material wird in einem kleinen Storyboard in Beziehung zum Text gesetzt. Vor allem die Übergänge zwischen den Materialien müssen durchdacht und markiert werden. Dabei habe ich den Text jeweils noch einmal überarbeitet und teilweise ergänzt, damit die Materialien nicht nur der Illustration dienen, sondern einbezogen werden und selbst Informationen vermitteln.

Erstellt habe ich die einzelnen Bildschirmbilder mit der Software für die interaktiven Whiteboards in meiner Schule (hier: ActivInspire). Das hat den Vorteil, dass die einzelnen Elemente während der Aufnahme bewegt und verändert werden können und, was ich bislang aber nicht genutzt habe, auch für vorbereitete Aktionen programmiert werden können (z.B. Ein-/Ausblenden, kleine Bewegungs-/Filmsequenzen). Dan Spencer gibt hierzu ebenso wie zu Material und Screencastsoftware hilfreiche Tipps in seinem Google Doc zu Flipped Classroom Resources.

Bisher habe ich darauf verzichtet, mich selbst auch aufzunehmen, weil ich mich als Lehrperson nicht in den Mittelpunkt stellen möchte. Es geht um die Sache und ich finde, die besten Dokumentationen kommen ohne Moderator aus. Aber sowohl auf der Konferenz in Marburg als auch in den Kommentaren von Martin Lindner hier im Blog wurde darauf hingewiesen, dass die Lernvideos so persönlicher würden und auch einen persönlichere Ansprache ermöglichten. Aaron Sams und Dan Spencer hatten gesagt, dass ihre Schüler explizit darum gebeten hatten, dass sie selbst in den Videos zu sehen sind. Mal schauen, mir behagt die Idee, ehrlich gesagt, nicht, aber ich werde sicher mal in einem der nächsten Videos damit experimentieren. Es dauert eine Weile und braucht mehr als magere fünf Videos, bis man „seinen“ Stil gefunden hat.

4) Das Video produzieren: Aufgenommen habe ich die Videos mit der Software Camtasia Studio. Nach kurzer Einarbeitung ist die Software gut und intuitiv zu bedienen. Auf der Seite von Techsmith lässt sich eine 30-Tage-Testversion herunterladen. Es gibt auch OpenSource Alternativen. Einen Überblick über verschiedene Screencastvideoprogramme findet sich z.B. in der englischsprachigen Wikipedia.

Zu achten ist bei der Aufnahme schon darauf, wie und wo das Video später veröffentlicht werden soll. Es bietet sich an, was ich bei den ersten Videos nicht gemacht habe, die Vorlage im selben Seitenverhältnis zu gestalten wie es für die Aufnahme bzw. Publikation benötigt wird. Tut man dies nicht, erscheinen schwarze Ränder und die Bildschirmfläche wird nicht optimal ausgenutzt.

Camtasia Studio hat mich mit seinen Funktionalitäten bisher sehr beeindruckt und ich weiß, dass ich diese bei weitem noch nicht ausgeschöpft habe. Da ist noch viel Entwicklungspotential, das sicher auch in die folgenden Videos einfließen wird. Sehr angenehm ist, dass der Text nicht beim ersten Lesen perfekt sein muss, sondern dass man bei Versprechern einfach noch einmal beim Satzanfang beginnen und mit drei Klicks sowohl die entsprechende Bild- als auch zugleich Tonspur kürzen kann. Das hilft auch, falls mal das Telefon klingelt oder jemand ins Arbeitszimmer kommt. Es ist also nicht nötig, das Video immer wieder komplett neu zu sprechen, was die Bearbeitungszeit bereits enorm verkürzt. Ebenso hilfreich ist, dass auch nach der Videoproduktion die einzelnen Teile (Videospur, Tonspur, Callouts etc.) als Projekt weiter gespeichert sind. So lassen sich sehr einfach auch nachträglich noch Fehler korrigieren oder für den Einsatz in einer anderen Lerngruppe Veränderungen vornehmen.

5) Das Video nachbearbeiten: Hilfreich finde ich das Einfügen von Zooms auf Bildausschnitte, die genau an den gesprochenen Text angepasst werden können (wobei dies in den bisherigen Videos teilweise die Auflösung der Bildmaterialien überfordert hat) sowie die bei Camtasia Studio so gennanten „Callouts“, mit denen ich in das Video Markierungen, Hervorhebungen und vor allem Textfenster einfügen, um z.B. Jahreszahlen, Namen, Fremdwörter und Fachbegriffe im Bild unterstützend zum gesprochenden Text einzublenden.

Abschließend muss das Video nur noch produziert und veröffentlicht werden. Natürlich kann man seine Videos den Schülern auch in einer geschlossenen Lernplattform zur Verfügung stellen. Ich denke aber, es lohnt sich, die Eigenproduktionen, auch wenn sie alles andere als perfekt sind, sofern man urheberrechtlich unbedenkliche Materialien verwendet hat, unter CC-Lizenzen öffentlich ins Netz zu stellen. Nur so kann ein Pool an freien Lernmaterialien, Open Educational Resources, entstehen. Und nur so entstehen für die Lerner Wahlmöglichkeiten, weil ihnen vielleicht Stil, Stimme oder Nase von Kollegin x oder Kollege y besser gefallen, können sie sich natürlich gerne auch deren Videos anschauen 😉

#ICM2012 Konferenz zum umgedrehten Unterricht

Zur Konferenz letzte Woche in Marburg ist bereits einiges geschrieben worden. So finden sich zusammenfassende Berichte und Eindrücke im Blog bei Christian Spannagel, dort mit einer sehr grundsätzlichen Diskussion, bei Karlheinz Pape, Alexander Sperl und Volkmar Langer, der gleich auch die Screencast-Software ausprobiert und in einem ersten Versuch ein schönes Video zum Flipped Classroom produziert und online gestellt hat. Die Vorträge der Konferenz wurden aufgezeichnet und stehen ebenso wie die Materialien bereits online.

Was in den genannten Blogs steht, braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. Ich war nur am Dienstagnachmittag beim „Lehrer-Workshop“ anwesend und kann den allgemeinen Eindruck bestätigen: Es war eine sehr anregende Konferenz in angenehmer Atmosphäre mit engagierten und interessanten Referenten wie Teilnehmern. Eine großes Dankeschön an die Organisatoren für die gelungene Veranstaltung!

Wo lässt sich das Modell nun im Geschichtsunterricht gewinnbringend einsetzen?

Längere Lehrervorträge oder ein Vorführen von Experimenten wie in den Naturwissenschaften gibt es im Geschichtsunterricht in der Regel nicht (mehr). Was es hingegen gibt, und laut einiger Studien wohl auch recht viel, ist das Lesen längerer „Verfassertexte“ im zuhause und Unterricht. Das ist letztendlich nichts anderes als „Instruktionslernen“. Die entsprechenden Fragevorschläge in den Lehrbüchern und auch vielen Unterrichtsvorschlägen zielen in der Regel reine Informationsentnahme. Diese Texte lassen sich punktuell durch kleine Videos ersetzen.

Solche Texte zur Vorbereitung zu Hause lesen zu lassen, ist sicher nicht Neues. Dieses zum methodischen Prinzip zu machen schon. Daran anschließend stellt sich nämlich die Frage, was genau mache ich dann im Unterricht? Und hier wird es spannend, weil plötzlich gemeinsame Lernzeit im schulischen Unterricht frei wird, in der Quellen analysiert und diskutiert, kollaborativ und kompetenz- und produktorientiert gearbeitet werden kann. Der Lehrer kann dann zum Moderator und Lernbegleiter werden, der den Schülerinnen und Schüler hilft, wo es nötig ist, sie anleitet, diese Dinge zunehmend selbstständig zu tun.

Aaron Sams hat dazu eine schöne Metapher auf der Konferenz gebraucht: Der Lehrer wird zum GPS-Gerät der Lernenden. Und wie reagiert ein GPS-Gerät, wenn der Fahrer eine falsche Richtgung wählt: Es gibt Hinweise, wie man zum Ziel gelangen  kann. Ausreden, dass für solche Ansätze und Verfahren im (Geschichts-) Unterricht keine Zeit wäre, werden damit außer Kraft gesetzt.

Was ist dabei die Rolle der Videos dabei?  Viele Verfassertexte der Lehrbücher lassen sich (von Zeit zu Zeit, dort, wo es  passt und sinnvoll erscheint) gut durch selbst produzierte kleine Screencastvideos ersetzen. Auf der Konferenz haben wir mit der kommerziellen Software Camtasia gearbeitet, dazu gibt es aber auch freie Alternativen (siehe auch hier).

Diese Videos können das Lernen unterstützen. Sie bieten eine Differenzierungsmöglichkeit für eine zunehmend heterogene Schülerschaft, da parallel oder alternativ ja weiterhin auch der Verfassertext im Schulbuch gelesen werden kann und natürlich auch gelesen werden darf. Vorteile der selbst produzierten Videos sind, dass diese gezielt auf die Lernenden der eigenen Schule zugeschnitten werden können. Sie können die Videos zuhause wiederholt anschauen, an Stellen stoppen, um z.B. Notizen zu machen, und auch zum Üben und Wiederholen vor Test oder Klausuren nutzen.  Die Videos lassen also genauso wie Texte eine individualisierte Rezeption zu. Das ist banal. Gegebenenfalls lassen sich solche Aufgaben für Zuhause durch eine Lernplattform mit einem Forum unterstützen, in dem Verständnisfragen gestellt und durch die Mitschüler oder den Lehrer beantworten werden können.

Speziell für den Geschichtsunterricht bieten die Videos aber einen weiteren Vorteil, wenn ich  im Bild nicht den Vortragenden und die Tafel zeige, sondern den gesprochenen Text mit geeigneten Materialien  unterstütze. Dann macht das Modell des Flipped Classroom meines Erachtens für den Geschichtsunterricht viel Sinn. Karten, Porträts, Grafiken, Statistiken, Fotos, Karikaturen usw. können hinzugezogen, Animationen, Audio- und Videoaufnahmen eingebunden werden und jedes Thema visualisieren und damit verständlicher machen. Sie bieten somit einen Mehrwert gegenüber den klassischen Verfassertexten der Lehrbücher, gerade auch für „schwächere“ Lernende. Daher birgt der Flipped Classroom meines Erachtens ein großes Potential, um geschichtliche Zusammenhänge  erständlicher und anschaulicher, den Lernenden zusätzlich (!) zu den Texten andere Zugänge zu bieten, differenzierte, materialgebundene Lernangebote zu machen und damit das Fach insgesamt vermutlich interessanter und attraktiver.

Der Aufwand ist zunächst relativ hoch und reduziert sich mit zunehmender Routine. Ist ein Screencastvideo einmal erstellt, ist es auch in den nachfolgenden Jahren verfügbar. Je nach benutzter Software auch im Detail noch im Nachhinein veränderbar. Wenn erstmal mehrere Lehrer anfangen solche Videos auf Deutsch zu produzieren und online zu stellen, spricht nichts dagegen, da würde ich Aaron Sams voll zustimmen, dass die Lernenden zur Vorbereitung lieber das Video eines anderen Lehrers im Netz anschauen, weil ihnen dieses aufgrund der Gestaltung oder des Stils mehr zusagt. Alles spricht dafür die Screencastsoftware auch in die Hände der Lernenden zu geben, die dann selbst solche kleinen Videos produzieren und gegenseitig anschauen oder daran anschließend im Sinne des LdL eine eigene Stunde gestalten können. Wichtig ist das dahinter stehende Prinzip: Die gemeinsame Unterrichtszeit für gemeinsame Arbeit stärker nutzen und damit die Lehrkraft frei setzen zur individuellen Beratung und Betreuung der Lernenden. Ein großer Schatz an verfügbaren Materalien, die für diese Zwecke auch frei lizenziert sind, liefern übrigens die Wikimedia Commons.

Bleibt die Frage: Was tun, wenn die Schüler sich nicht vorbereiten? Gegenfrage: Was machen Sie bisher, wenn die Schüler ihre Aufgaben nicht machen?

Sinnvoll können begleitend zum Anschauen des Videos schriftliche Aufgaben sein, die am Anfang der Folgestunde besprochen werden und helfen können, das Verständnis zu sichern. Alternativ sind auch kleine Tests, ein Quiz oder andere Aktivitäten zur Selbstüberprüfung des Verständnisses z.B. innerhalb einer Lernplattform wie Moodle.

Hingefahren bin ich ja mit einer eher kritischen Einstellung im Hinblick auf das Potential für den Geschichtsunterricht. Zurückgefahren bin ich quasi bekehrt, begeistert und habe Lust, selbst Screencastvideos zu produzieren und das Konzept im Unterricht auszuprobieren.

Wer auf dem Laufenden bleiben will, sollte auf jeden Fall den RSS-Feeds des Blogs zum Inverted Classroom in Deutschland abonnieren. Im englischsprachigen Ning-Netzwerk wurde nach der Konferenz auch eine deutschprachige Gruppe eingerichtet, die noch der Belebung harrt, sowie eine bereits länger etablierte englischsprachige Gruppe von Geschichtslehrern, deren bisherige Diskussionen zum Einstieg ganz hilfreich sein können. Auf Twitter gibt es zum Flipped Classroom unter #flipclass auch einen eigenen Hashtag.

Flipped Classroom oder LdL?

Der Flipped oder Inverted Classroom ist auf Twitter und in Edu-Blogs ein wahres Modethema. Nächste Woche findet dazu in Deutschland eine erste Tagung an der Uni Marburg statt. Beispiele findet man viele aus den Naturwissenschaft und der Mathematik, mittlerweile auch einige auf Deutsch, aber zum Geschichtsunterricht findet sich auch im englischsprachigen Raum nichts. Ich frage mich schon länger, warum das so ist. Liegt es daran, dass in Mathe oder Chemie doch mehr  zunächst frontal gezeigt und erklärt und dann nachvollzogen und geübt wird. Dann macht diese Idee des umgedrehten Unterrichts (Input zuhause, Diskussion und Übung im Unterricht) durchaus Sinn. Geschichtsunterricht  Historisches Lernen funktioniert aber, obwohl es durchaus solche Momente geben kann, selten so.

Über Twitter habe ich gerade den ersten Bericht zum Einsatz des Flipped Classroom-Konzept im Geschichtsunterricht gelesen. Interessanterweise wird auf Lehrvideos verzichtet und das Ganze liest sich für mich so wie die Neuerfindung, im Sinne  einer Neuerfindung des Rads, von Lernen durch Lehren…:

Die Schüler sollten zu einem durchaus anspruchsvollen Thema selbstständig recherchieren, bloggen, in anderen Blogs kommentieren und eine Diskussion in der Klasse zu ihrem Thema vorbereiten und durchführen. Das ist in meinem Verständnis guter Geschichtsunterricht, aber um diesen zu beschreiben und zu begründen, gibt es bereits eine ganze Reihe von Begriffen und Konzepten. Einen „flipped classroom“ brauche ich dazu nicht.

Interessant und wiederum vergleichbar zu Erfahrungsberichten bei der Einführung von LdL sind die berichteten Reaktionen von Schülern und Eltern:

„It has been amazing the pushback we have received both from students and from parents on this flipped idea. Students telling us they would rather listen to a lecture and powerpoint from the teacher then have to struggle through the mass of content out there to find the answer themselves. Parents calling into question the idea that the teacher isn’t ‚teaching my child‘ and the frustration their child is having to ‚find the right answer.'“

Ich bin weiterhin skeptisch, ob der flipped classroom ein richtiges und neues Konzept ist oder doch  nur ein Modebegriff  für eigentlich Altbekanntes, und ich bin gespannt auf die Tagung nächste Woche. Vielleicht fahre ich ja von Marburg zurück und erstelle darauf dann meine ersten Onlinevideos für meine Schüler zur Vorbereitung auf den Unterricht? Fänd ich ja gut. Wer weiß…

P.S. Gerade bei Gunter Dueck in seinem OpenEmpowerment überschriebenen Artikel (PDF) gelesen:

„Eine deutsche Khan-Academy (dort in den USA werden Lehrfilme gesammelt, mit großem Erfolg – die Schüler schauen lieber zehn mal ein Video an, als sich von einem gequält nachsichtig Lächelnden demütigen zu lassen; ist so, ob Sie das mögen oder nicht).“ (S. 610)

Sind es wirlich die Videos, die den Unterschied machen? Das scheint mir doch sehr zweifelhaft…

Konferenz und Workshop zum Konzept des Inverted Classroom

Gerade eben bin ich über Google+ auf die Ausschreibung einer ersten Tagung zum Inverted Classroom im deutschsprachigen Raum aufmerksam geworden. Über das Unterrichtskonzept hatte ich im Blog ja vor einem Monat bereits kurz berichtet (siehe hier).

Die Konferenz findet am 14. und 15. Februar 2012 an der Philipps-Universität MarburgClassroom“ im deutschsprachigen Raum statt. Die Veranstaltung ist zwei geteilt: Der Dienstag richtet sich an schulische, der Mittwoch an universitäre Lehrkräfte und Wissenschaftler. Weitere Informationen bietet das Blog zur Tagung im Netz.

Gedanken zum Konzept des „flipped classroom“

Engl. to flip sth. – etw. umdrehen. Es geht also um eine Art „umgedrehten Unterricht“. Klingt interessant. Aber was ist das?

Aufmerksam geworden auf das Konzept bin ich durch Beiträge von Christian Spannagel auf  Twitter und dann in einem längeren Beitrag auch in seinem Blog (mit weiterführenden Literaturangaben). Mittlerweile gibt es auch einen einführenden Beitrag im ZUM-Wiki mit weiterführenden Links. Auch auf Google+ gab es eine kurze Diskussion dazu (mein erster Eindruck bestätigt da übrigens andere Urteile, dass im Vergleich mit anderen sozialen Netzwerken und auch den Kommentaren in Blogs auf Google+ mehr und intensiver diskutiert wird).

Von der Einleitung im ZUM-Wiki, die auf Mathematik und Naturwissenschaften abhebt, fühle ich mich als Geschichtslehrer leider gleich etwas ausgegrenzt und diskriminiert, dabei geht es eigentlich um ein Konzept, das alle Fächer betrifft und sicher auch bereits Anwendung findet, ohne entsprechend benannt zu werden.

Im Kern geht es darum, Informationsrezeption aus dem Unterricht in die Vorbereitung zu lagern, um dann im Unterricht Zeit für Aktitiväten zu gewinnen, die die Vorteile der gemeinsamen Anwesenheit  oder der Ausstattung nutzen, wie z.B. Diskussionen, Rollenspiele, Experimente.

Vor- und Nachteile des Ansatzes sind im ZUM-Wiki schön auf gelistet. „Revolutionär“ scheint mir das Konzept vor allem für Schulen/Länder mit fortgeführter Tradition frontaler Belehrung im Unterricht. So dann auch für die Vorlesungen an deutschen Universitäten. Der Informationsinput wird  im „flipped“ oder „inverted classroom“ nach Hause verlagert und die Arbeitsaufträge, die bisher vor allem als Hausaufgaben  vergeben wurden, im Unterricht bearbeitet werden.

Nach Lesen der Beiträge ist mir aufgefallen, dass ich dieses „Konzept“ vor allem in der Oberstufe oft einsetze, um die Unterrichtszeit besser zu nutzen, da das Lesen von Texten zuhause erledigt werden kann, der Meinungsaustausch darüber aber am besten in Präsenz geschieht. Mit Hilfe der digitalen Medien bietet sich weitere Möglichkeiten an: So können vorhandene oder von der Lehrkraft selbst erstellte Audio-Podcasts  oder Filme individuell gehört bzw. angeschaut werden. Besonders die selbst erstellten Materialien werden in dem Ansatz fokussiert, die (Lehrer-) Vorträge im Unterricht ersetzen. Hier können dann auch webbasierte Lernplattformen sehr gut eingesetzt werden.  Dementsprechend gibt es eine gewisse Schnittmenge mit den Konzepten des Blended Learning.

Für den Geschichtsunterricht meine ich mich zu erinnern, einmal gelesen zu haben, dass Untersuchungen (von von Borries?) gezeigt hätten, dass in den Unterrichtsstunden sehr viel Zeit für das gemeinsame (oft laute, fachdidaktisch unreflektierte) Lesen von Texten verwendet wird. (Eigene Beobachtungen bestätigen das.)

Wenn es nicht gezielt, um das Lernen und Einüben von Methoden der Texterschließung und -bearbeitung oder speziell beim lauten Lesen um spezielle Textsorten wie z.B. Reden, von denen keine Tonaufnahmen vorliegen, geht, sollte meines Erachtens öfters der Input in die individuelle Arbeit außerhalb der Unterrichtstunden verlagert werden. Vorausetzung ist sicher die gute methodische Schulung der Lernenden in der eigenständigen Erschließung von Texten und audiovisuellen Medien. Im Unterricht kann dann nach Klärung möglicher Verständnisschwierigkeiten zu Beginn der Stunde (idealerweise durch die Mitschüler) mit den Informationen aus den Texten/Filmen gearbeitet und so die gemeinsame Unterrichtszeit effektiver genutzt werden.