Von wegen langweilig! Zum Einsatz offener Bildungsmaterialien im Geschichtsunterricht

Im Rahmen der 2. OER-Konferenz dieses Wochenende in Berlin ist auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung ein Dossier zum Thema online gegangen. Im Vorfeld durfte ich für das Dossier in einem Interview ein wenig über meine Erfahrungen berichten. Das Interview steht unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz und kann deshalb auch hier im Blog eingestellt werden. Meine Eindrücke von der für mich sehr anregenden Tagung folgen die nächsten Tage.

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Jaana Müller: Sie bloggen schon seit fünf Jahren über Ihre Arbeit als Lehrer und den Einsatz neuer Medien im Geschichtsunterricht, von Apps über Unterrichtseinheiten für Interaktive Whiteboards bis hin zu freien Bildungsmaterialien. Was lässt Sie so eifrig daran arbeiten, die Möglichkeiten neuer Medien zu testen und zu verbreiten?

Daniel Bernsen: Ausgangspunkt war meine Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschichtsunterricht. Einige Schüler, die mich sowohl in meinem zweiten Fach Französisch wie in Geschichte ertragen mussten, sagten mir irgendwann, dass Französisch viel mehr Spaß mache, Geschichte hingegen langweilig sei… Das läge aber nicht an mir als Lehrer, sondern das sei einfach so.

Geschichte langweilig? Das saß und machte mich wirklich nachdenklich, weil Geschichte für mich immer schon eine spannende Angelegenheit und aus meiner Perspektive auch mein „Haupt“-Fach war. In der Folge begann die Suche nach alternativen Formen des Geschichtsunterrichts, im Vergleich zu dem, was ich im Referendariat gelernt hatte.

Um diese Suche und das Ausprobieren von Neuem zu dokumentieren, aber auch um Anregungen und Feedback von außerhalb des Klassenraums zu bekommen, habe ich angefangen, darüber zu bloggen. Natürlich ist die Arbeitsbelastung als Lehrer sehr hoch. Die eigene Arbeit zu reflektieren, ist dennoch zentral. Zu bloggen ist für mich eine Form, genau dies zu tun. Letztendlich funktioniert der Austausch über den Unterricht in Blogs oder über soziale Netzwerke wie Twitter ähnlich wie im Lehrerzimmer, nur dass man den Kreis der Austauschpartner deutlich erweitert und damit auch für vielleicht ungewöhnliche und neue Themen weitere Gesprächspartner und Experten findet.

Warum sind freie Bildungsmaterialien in diesem Kontext ein wichtiges Thema?

Zum einen sehe ich die Arbeitserleichterungen für die Kollegen, die mit bearbeitbaren Dokumenten schneller eigene Materialien erstellen oder die vorhandenen besser an ihren Unterricht anpassen können. Darüber hinaus finde ich OER in einer globalen Perspektive im Sinne der UNESCO wichtig, da durch OER Bildung gerechter werden kann und neue Chancen eröffnet werden können. Das geschieht durch den einfachen und günstigen oder gar kostenfreien Zugang, weitgehend unabhängig von Geburts- oder Wohnort.

Die Projekte der UNESCO in diesem Bereich, die freie Bildungsmateralien mit mobilen Endgeräten koppeln, finde ich beeindruckend und wegweisend. An Orten, an denen bisher keine Bibliotheken aufgebaut werden konnten, haben die Menschen nun über ein Smartphone Zugang zur ganzen Welt; ein Zugang, der weit mehr ist als die oft zitierte „Bibliothek in der Hosentasche“.

Gilt das auch für Deutschland?

Ja, OER können helfen, infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Bereichen auszugleichen, etwa in Bezug auf die Ausstattung und Versorgung mit Bibliotheken oder anderen Einrichtungen. Sind die Materialien zudem kostenlos verfügbar, gilt dies potentiell auch für den Ausgleich sozialer Unterschiede, was die Lernvoraussetzungen und Zugänge zu Materialien und Informationen angeht.

Für das deutsche Schulwesen haben OER für mich zunächst ihre Berechtigung neben den Angeboten der Schulbuchverlage. Ich sehe das Verhältnis von beiden auch weniger konfrontativ als vielmehr komplementär. Für das Verhältnis von OER und Schulbuchverlagen könnte ich mir eine ähnliche Entwicklung wie bei Open Source- und proprietärer Software vorstellen: Beide werden sich weiterentwickeln und verändern, aber ihre Berechtigung mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen dennoch behalten und in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinander stehen.

Sie haben auf Ihrem Blog und weiteren Portalen über ihre Erfahrungen mit freien Bildungsmaterialien im Geschichtsunterricht berichtet. Warum haben Sie sich diesem Thema angenommen?

Um sich die Bedeutung und das Potential von OER für die einzelne Lehrkraft klarzumachen, muss man sich nur die Entwicklung der letzten zehn Jahre anschauen: Als ich als Referendar in der Schule angefangen habe, gab es in den Lehrerzimmern der Schulen manchmal Aktenordner einzelner Fachschaften, in die einige Kollegen ihre selbst erstellen Unterrichtsmaterialien, vor allem Arbeitsblätter, zum Nutzen für alle eingestellt hatten. Ich habe mehrfach erlebt, dass solche Initiativen schnell im Sand verlaufen sind, weil die Beteiligung gering war.

Nun sieht das anders aus: Wenn ich als Lehrkraft Materialien erstelle, kann ich sie selbst einer viel größeren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und habe zugleich auch Zugriff auf die Angebote von viel mehr Kollegen. OER mit den PD- oder CC-Lizenzen bieten mir dabei eine Orientierung, was Formate und Rechtsrahmen angeht. Außerdem helfen entsprechende Netzwerke oder Plattformen wie z.B. das ZUM-Wiki bei der Verbreitung wie beim Auffinden in den „unendlichen Weiten“ des Internets.

Ein Problem ist allerdings, dass viele Kollegen gute Materialien herstellen, dafür allerdings urheberrechtlich geschützte Elemente (z.B. Fotos) verwenden. Deswegen können sie diese nicht öffentlich teilen. Oder sie sind sich nicht sicher, ob ihre Materialien „sauber“ sind und verzichten dann aus rechtlicher Unsicherheit auf eine Weitergabe und Veröffentlichung.

Kann jeder einfach so freie Bildungsmaterialien im Schulkontext einsetzen? Wann ist das sinnvoll und was müssen Lehrende dafür wissen?

Ja, klar. Jeder kann die Materialien einsetzen, die didaktisch und methodisch sinnvoll erscheinen. Ebenso wie freie Bildungsmaterialien dürfen Lehrkräfte ja auch in begrenztem Maß Kopien aus anderen Schulbüchern ergänzend im Unterricht einsetzen.

Ergänzende Materialien machen jederzeit Sinn, zum Beispiel als methodische Alternativen, Aktualisierungen oder Anregungen sowie insbesondere für die Öffnung des Unterrichts und eine Individualisierung des schulischen Lernens. OER bilden hier einen Teil der notwendigen Infrastruktur, verbunden mit der Möglichkeit, diese Materialien als Lehrender selbst zu bearbeiten und anpassen zu können, ohne jeweils das Rad neu erfinden zu müssen. Auch Lernende können die Materialien zur Erstellung von Lernprodukten nutzen.

Speziell für Geschichte bieten die Wikimedia Commons, die Europeana-Sammlungen u.a. sowie die seit einigen Jahren entstehenden Videoportale riesige Mengen von Quellen und Darstellungen, mit denen eigene Lernmaterialien von Lehrenden wie von Lernenden produziert werden können. Die Formen können dabei ganz unterschiedlich sein (von einer kompletten Unterrichtsreihe zum Alten Ägypten, entstanden im Rahmen eines Landesprojekts zum Thema Heterogenität und Differenzierung im Fachunterricht am Gymnasium bis hin zu Videos auf Youtube).

Diese Materialien können benutzt, verändert, neu zusammengestellt und weitergegeben werden. So werden sehr vielfältige Zugänge angeboten und die Resonanz der Lernenden auf diese Angebote ist trotz der z.T. wenig professionellen Umsetzung, sehr gut. Und das weit über den eigenen Klassenraum hinaus.

Es wirkt so, als müsse man erst einmal im Thema sein, um zu wissen, wo man freie Bildungsmaterialien finden kann. Wie könnte eine Lösung dieses Problems aussehen?

Tatsächlich erscheint mir die Auffindbarkeit der vielen dezentralen Angebote als ein zentrales Problemfeld. Landeslösungen sind sinnvoll in Bezug auf den Erwerb von Lizenzen für geschütztes Material; für das Sammeln und Bereitstellen von freien Materialien weniger, weil diese nicht landesspezifisch sind und zudem einen hohen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordern.

Ein OER-Portal könnte ähnlich aufgebaut sein wie z.B. chefkoch.de: Die Nutzer stellen ihre Materialien zur Verfügung, gesucht wird nach Bewertung, einzelnen Zutaten, redaktionellen Beiträgen oder gezielt nach Rezepten. Auch wenn es natürlich kein „Rezept für guten Unterricht“ gibt und die Metapher keineswegs neu ist, kann sie dennoch als Denkkonzept hilfreich sein, um ein OER-Portalangebot für Lehrende und Lernende (!) möglichst benutzerfreundlich und nicht zu komplex werden zu lassen.

Da die Nutzer aber bei OER nicht nur eigene Rezepte hochladen, sondern auch noch die Zutaten mitliefern, müssen Lehrkräfte einen grundlegenden Überblick über Lizenzmodelle und Nutzungsbedingungen haben. Es ist allerdings ebenso realistisch wie wenig dramatisch, von einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Material-„Produzenten“ auszugehen und einer Mehrheit, die die Angebote nur als Rezipienten nutzt. Das ist bei Kochrezepten nicht anders.

Und was ist mit den Schülern? Sie betonen, dass Portalangebote auch für Lernende ausgelegt sein sollten. Wie können sie davon profitieren, dass so etwas wie eine OER-Bewegung entsteht?

Schüler können von OER in mehrfacher Hinsicht profitieren, z.B. für ihr eigenes, selbst organisiertes Lernen, ob nun im Rahmen von Schule oder darüber hinaus. Mit der Verbreitung von OER sind mehr geeignete Materialien auf einfache Weise und kostenfrei zugänglich. Die Kostenfreiheit ist im Übrigens ein kontrovers diskutiertes Merkmal von OER, aber zutreffend für die große Mehrheit der. Die Schüler können außerdem selbst Lernmaterialien für Mitschüler erstellen und diese publizieren. Eine schöne Möglichkeit dazu bieten z.B. die learningapps. Im Unterricht habe ich diese bisher fast ausschließlich dazu verwendet, dass Schüler zum Abschluss eines Themas oder wiederholend eigene Übungen für den Rest der Klasse erstellen, die aber zugleich auch darüber hinaus online für andere Lerngruppen zur Verfügung stehen. Das Erstellen von konkreten Produkten, die zudem genutzt und veröffentlicht werden, kann sehr motivierend sein und ist für die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Gegenstand auf jeden Fall gewinnbringend.

Wie sähe Ihre Wunschvision zur Zukunft freier Bildungsmaterialien aus? Was müssen Entscheider, Materialproduzenten, Berichterstatter und Co. ändern, um das Thema mit den Lehrern und nicht an ihnen vorbei zu diskutieren?

Statt einer vagen Vision möchte ich ein konkretes Beispiel aufzeigen, in dem ich ein hohes Potential für OER sehe: In den Bundesländern gibt es verschiedene Institute der Lehrerfort- und weiterbildung. Dort werden regelmäßig Handreichungen von Unterrichtsmaterialien erarbeitet. Diese entstehen in der Dienstzeit durch Mitarbeiter der Institute sowie durch Lehrkräfte in entsprechenden Arbeitsgruppen. Sehr lange wurden diese Publikationen ausschließlich gedruckt an die Schulen verteilt. Mittlerweile werden sie teilweise auch als PDF online zur Verfügung gestellt.

Selbst das geschieht nur teilweise: Das Problem dabei ist, dass auch hier mit geschützten Materialien gearbeitet wird und die Institute die entsprechenden Lizenzen für die eigenen Veröffentlichungen erwerben muss. Im Printbereich ist das möglich. Die Rechte für eine Online-Veröffentlichung sind aber oft zu teuer.

Wie wäre es nun, wenn zunächst einmal für solche Handreichungen das Ziel gesetzt wird, dass diese als OER online veröffentlicht werden und damit vor allem ubiquitär in einem veränderbaren Format verfügbar sind? Wäre die Erstellung von Materialien als OER in den Ländern die Regel, müsste dort nicht mehr bei der einzelnen Handreichung eine gesonderte Klärung stattfinden, sondern OER wäre der Normalfall und die Abweichung davon müsste begründet werden. Dazu ist allerdings ein Umdenken notwendig, sowohl bei den Enscheidern in den Instituten und Ministerien als auch bei den Erstellern der Materialien.

Würden die vielen Handreichungen, die in den Ländern entstehen, den Kollegen nicht nur in gedruckter Form oder als PDF, sondern als bearbeitbare Dateien zur Verfügung stehen, wäre deren Nutzen um ein Vielfaches höher, da die Materialien und Aufgaben sehr einfach an die eigene Schulart, Altersstufe und Lerngruppe angepasst werden könnten. Es sollte nicht unbedingt Ziel, könnte aber ein positiver Nebeneffekt sein, dass auch die Produktion für die Länder kostengünstiger werden könnte, weil man auf die Printversion vielleicht ganz verzichtet und keine Rechte für einzelne Materialien mehr erwerben muss. Die Landesinstitute besitzen seit Jahrzehnten viel Erfahrung darin, professionell Unterrichtsmaterialien zu produzieren. Kommerzielles Interesse verfolgen die Länder mit ihren Angeboten sowieso nicht. Insofern besteht hier ein hohes Potential für den OER-Ansatz.

Interview zu TwHistory-Projekten

Im Rahmen eines Didaktikseminars an der Universität zu Köln war auch „Twitter im Geschichtsunterricht“ Thema. Für die Ausarbeitung im Rahmen einer Hausarbeit hatte der Student, Malte Knapp, mir einige Fragen zu den durchgeführten TwHistory-Projekten geschickt, die ich gerne beantwortet habe. Da es offenkundig zugleich ein vergleichsweise großes Interesse an diesen Projekten und einige unklare Vorstellungen über Aufbau, Ablauf und Ziele dieser Projekte gibt, entstand die Idee, das Interview auch hier im Blog zu veröffentlichen. Herr Knapp war dann so nett, das im Rahmen seiner Seminararbeit entstandene Interview auch für die Veröffentlichung hier im Blog freizugeben.


1) Wie war die Mitarbeit von Schülerinnen und Schülern beim „Paulskirchenprojekt“? Waren die Schülerinnen und Schüler motiviert und gab es Ablenkung durch die Arbeit mit Twitter?

Das Paulskirchenprojekt war das erste TwHistory-Projekt, das ich durchgeführt habe. Das war 2009, da war Twitter noch vergleichweise unbekannt, tauchte aber zunehmend in den Fernseh- und Zeitungsnachrichten auf im Zusammenhang mit der „grünen Revolution“ im Iran.

Die Planung des Projekts war sehr lehrerzentriert mit wenig Wahlmöglichkeiten oder kreativen Spielräumen für die Schülerinnen und Schüler. Nichtsdestotrotz ist das Projekt gut angenommen worden. Wichtig war die gemeinsame Reflexion am Ende, die dann in die Planung und Durchführung eines zweiten TwHistory-Projekts mit einer anderen Lerngruppe eingeflossen ist.

Positiv beim Paulskirchenprojekt war für die Schülerinnen und Schüler das Arbeiten mit Computer und Internet, das Kennenlernen von Twitter und die Projektform selbstständigen Arbeitens. Kritisiert wurden vor allem die Länge der Rede-Texte (die dann in Tweets übersetzt werden mussten) sowie die in der Dauer des Projekts Gleichförmigkeit der Arbeit (Reden lesen, verstehen, in Tweets zusammenfassen). Bemängelt wurde auch, dass aufgrund des personalisierten Zugangs über historische Personen am Ende ein Gesamtüberblick über das Thema fehlte.

Beim zweiten TwHistory-Projekt (http://kulturcrash.wordpress.com/) war die Herangehensweise eine andere. Das Projekt fand in der Einführungsphase eines Geschichtsleistungskurses statt und diente der Heranführung an die Denk- und Arbeitsweisen des Fachs. Die Schülerinnen und Schüler haben dabei zunächst das historische Thema selbst gewählt. Zeitgeschichtliche Themen lassen sich auf Twitter besser umsetzen, aber ausschlaggebend war das Interesse der Lerngruppe. Meine Rolle war als Lehrkraft war die eines Lernberaters. Entsprechend habe ich vor der Themenauswahl auch darauf hingewiesen, dass es bei der Umsetzung Probleme mit der Quellengrundlage geben könnte.

Die Motivation im Projekt war sehr hoch. Die Rückmeldungen positiv. Eingebunden in die Projektarbeit war u.a. auch die Nutzung der Schulbibliothek, einer wissenschaftlichen Bibliothek vor Ort sowie eine Einführung in das Bibliographieren und richtige Zitieren.

Ablenkung durch Twitter gab es übrigens weder im ersten noch im zweiten Projekt. Wie ein Schulheft oder Plakat diente Twitter zur Darstellung und Sicherung der Arbeitsergebnisse.

2) Wie lassen sich Ihre Projekte zeitlich mit dem Schulalltag vereinbaren?

Der Lehrplan lässt ausreichend Zeit, Schwerpunkte zu setzen. Dies ist inhaltlich wie methodisch möglich. Zu Beginn des Leistungskurses ist in Rheinland-Pfalz im Lehrplan zudem ein Projekt als Einstieg explizit vorgeschlagen. Projekte lassen sich grundsätzlich natürlich in vier Stunden pro Woche im Leistungskurs besser umsetzen als bei zwei Stunden Unterricht pro Woche im Grundkurs oder in der Mittelstufe, da sich dann ein Projekt oft über sehr lange Zeiträume hinzieht, die in der Regel immer irgendwann das Interesse und die Motivation erlahmen lassen. Entsprechend ist es wichtig bei der Vorbereitung eines Projekts die Rahmenbedingungen mit zu berücksichtigen und ggf. in angemessen kleinerem Umfang zu planen.

3) Im Didaktik Seminar an der Universität zu Köln diskutierten wir im Anschluss an mein Referat Vor – und Nachteile von TwHistory Projekten. Vereinzelt hörte ich den Satz von Kommilitonen „ schon wieder ein Versuch von Lehrern, irgendwas mit Medien zu machen“. Wenn Sie sich kritisch über TwHistory Projekten äußern müssten, wo sähen sie Schwierigkeiten und Probleme dieser Projekte?

Es geht nicht um Twitter und auch nicht darum „irgendwas mit Medien“ zu machen. Der Medieneinsatz muss didaktisch und methodisch sinnvoll und zielführend sein. Ich denke, das leisten TwHistory-Projekte. In anderen Projekten und in anderen Lerngruppen haben wir auch mit Blogs, Social Bookmarking, Videos usw. gearbeitet. Schulhefte, Tafel, Plakate, Schulbücher sind etablierte „Medien“ des Geschichtsunterrichts. Sie können aber erweitert werden.

Twitter diente bei beiden Projekten zur Darstellung von Geschichte. Dabei bedingt Twitter als Medium eigene Darstellungsbedingungen – wie andere Formen wie z.B. Film, Dialog im Heft schreiben, Essay, Plakat übrigens auch. Diese Bedingungen des Mediums gilt es zu reflektieren und eine medienadäquate eigene Darstellung zu produzieren. Dies gilt grundsätzlich. Twitter bietet eine mögliche Alternative eine historische Narration zu erstellen, die besonders geeignet scheint für personalisierte Zugänge zur Geschichte sowie um Interaktionen historischer Personen deutlich zu machen. Dies lässt sich z.B. auf einem Plakat in dieser Weise nicht so gut abbilden.

Auf diese Weise, über die Integration digitaler Medien, kann der Geschichtsunterricht über das Fachliche hinaus einen wichtigen Beitrag innerhalb des schulischen Fächerkanons zur allgemeinen Medienbildung und zur Ausbildung einer kritischen Medienkompetenz leisten.

Nach dem Paulskirchenprojekt war den Schülerinnen und Schülern Twitter und dessen Funktionsweise bekannt. Sie waren damit in der Lage die damals aktuellen Nachrichten über den Iran mit den Hinweisen auf die Nutzung und Vernetzung über „dieses Twitter“ besser zu verstehen.

4) Wenn Schülerinnen und Schüler von Geschichte sprechen, meinen Sie häufig das, was in der Vergangenheit passiert ist. Wie im Didaktik Seminar kritisch hervorgehoben wurde, ist Geschichte jedoch nicht gleich Vergangenheit. Sie ist nur ein Teil davon, an den wir zurückdenken oder erinnert werden. Wie sehen Sie diesen Einwand in Bezug auf TwHistory Projekte?

In den Projekten mussten die Schülerinnen und Schüler an die Quellen zum jeweiligen Thema und eine eigenständige Darstellung erarbeiten (neben den Tweets auch die Biographie ihrer Person auf den begleitenden Blogs). Dass Geschichte nicht Vergangenheit ist, sondern nur eine entsprechende Auswahl, dessen was bis heute überliefert und erinnert wird, lernen die Schülerinnen und Schüler in meinen Kursen explizit spätestens zu Beginn der Oberstufe.

Gerade das Projekt zur Eroberung Mexikos war in dieser Hinsicht hilfreich, weil hier für zentrale Fragen der Schülerinnen und Schüler, für das, was sie teilweise erzählen wollten, gar keine Quellen überliefert sind. Das war durchaus frustrierend, weil sie auch um so gründlicher recherchieren mussten. Die Reflexion in der Gruppe darüber und die daraus gewonnene Erkenntnis über „Geschichte“ war jedoch grundlegend und wertvoll für die weitere Arbeit im Leistungskurs wie auch darüber hinaus. Das ist sicher etwas, was den Schülerinnen und Schüler aus dem Projekt langfristig „hängengeblieben“ ist. Daraus lässt sich aus Lehrersicht auch die Erkenntnis formulieren, dass in diesen Projekten der Arbeits- und Lernprozess wichtiger ist als das (öffentlich einsehbare) Endprodukt.

Für den Unterricht darüber hinaus übrigens überaus interessant und gewinnbringend ist die notwendig im Rahmen eines solchen Projekts zu führende Diskussion, inwieweit die Tweets quellengetreu (Was bedeutet das genau für die Arbeit? Nur Zitate? Sind Kürzungen erlaubt? Ist eine Zusammenfassung mit eigenen Worten noch in Ordnung?) oder auch nachempfunden fiktiv (i.S. einer Perspektivübernahme wie beim Schreiben eines Tagebucheintrags oder eines Briefs aus der Sicht einer historischen Person im Unterricht) sein können, dürfen oder sogar müssen. Es geht also um Grundfragen von Geschichtsdarstellungen, die dann auch z.B. auf historische Spielfilme oder Romane übertragen werden können.

5) Wie sehen Sie die Zukunft von TwHistory Projekten in deutschen Klassenzimmern? Sind TwHistory-Projekte eine Modeerscheinung oder wird mit ihnen auch noch in 10 Jahren im Geschichtsunterricht gearbeitet werden?

Das hängt sicher von der weiteren Entwicklung von Twitter ab. Wobei Twitter selbst meines Erachtens, wie oben dargelegt, nebensächlich ist. Für meinen Unterricht habe ich mit dem Kulturcrash-Projekt ein Modell für Projektarbeit mit Twitter im Oberstufenunterricht gefunden, das ich als methodische Alternative immer wieder einmal einsetzen werde.

Interessanterweise haben die Twhistory-Projekte ein vergleichsweise großes mediales Interesse gefunden (siehe z.B. Zeit, DRadio Wissen, Hyperland/ZDF), die Reaktionen von Geschichtslehrkräften tendieren hingegen gegen Null. Mir sind auch keine weiteren Twhistory-Projekte an anderen Schulen im deutschsprachigen Raum bekannt.

Es scheint also kein für die Kolleginnen und Kollegen interessantes oder umsetzbares Unterrichtsmodell zu sein. Das ist schade, weil ich durchaus ein Potential für den Geschichtsunterricht sehe. Es ist aber nicht dramatisch, letztlich sind TwHistory-Projekte nur eine mögliche methodische Alternative mit einem vielleicht zur Zeit noch etwas ungewöhnlichen Lernprodukt.

6) In Ihrem Blog verweisen Sie im Artikel „Twitter-Geschichtsprojekte“, der am 24. November 2011 veröffentlicht wurde, auf Jan Hodel, der sich kritisch über das Projekt RealTimeWWII äußerte. Wie stehen Sie zu dem Projekt des englischen Historikers?

Im Gegensatz zu den Twhistory-Projekten gibt es hier nur einen Account, der vermischt „Informationen“ an den jeweiligen Jahrestagen veröffentlicht, ohne dass Perspektive oder Quellengrundlage klar wäre. Ich kann verstehen, dass der Account viele Follower hat, ähnlich wie die zahlreichen Accounts mit dekontextualisierten historischen Bildern; aus geschichtsdidaktischer und geschichtswissenschaftlicher Sicht sind diese Angebote jedoch überaus kritisch zu sehen. Das Potential, das Twitter bietet, z.B. für eine multiperspektivische Darstellung, wird zudem nicht genutzt.

7) Das Projekt „Heute vor 75 Jahren – @9Nov38“ erhielt in deutschen Medien viele positive Bewertungen. Der Münchener Geschichtsprofessor Wessel sagte jedoch: „Wenn mit dem Projekt ein Bildungsanspruch verbunden ist, müssen die Tweets auch in den Kontext eingeordnet werden. Dafür seien 140 Zeichen in einem Tweet meist zu wenig. Für ein Geschichtsverständnis, das den Kontext umfassen und einordnen soll, sind andere Formen wie Aufsätze und Bücher sicherlich geeigneter.“ Wie sehen Sie das Projekt und die Aussage von Herrn Wessel?

Wer nur die Tweets wahrnimmt, hat das Projekt nicht richtig erfasst. In einem begleitenden Blog wurden die Tweets kontextualisiert, die Quellengrundlage offengelegt und die Projektarbeit reflektiert. Das hat für mich auch die besondere Qualität des Projekts ausgemacht.

Gleiches gilt meines Erachtens auch für Schulprojekte. Nur ein paar Tweets mit historischem Bezug zu schreiben und zu veröffentlichen, macht noch kein Twhistory-Projekt. Bei den durchgeführten Projekten ist das zum Teil durch die begleitenden Blogs erfolgt, wobei ein Teil der Dokumentation, z.B. über Literaturangaben zu verwendeten Internetseiten und Büchern, nur von mir eingefordert und gesichtet, nicht aber veröffentlicht worden ist.

8) Gibt es Ihrer Meinung nach ein Buch oder einen Aufsatz, der unverzichtbar ist, wenn man über TwHistory-Projekte schreiben möchte?

Zu Twhistory-Projekten gibt es bislang nicht viel. Bester Ausgangspunkt ist vermutlich weiterhin die Seite http://twhistory.org/, von deren Macher die Idee und der Name stand. Dazu gibt es die Darstellungen und Diskussionen in den bereits referierten Blogs. Soweit ich das überblicke wird es nächstes Jahr dazu wissenschaftliche Publikationen geben, u.a. die Ausarbeitung eines Vortrags von Sandra Aßmann und Bardo Herzig auf der Tagung #gld14 (http://dwgd.hypotheses.org/gld14), die sich aus mediendidaktischer Sicht mit dem Ansatz beschäftigt haben.