Geschichte im Brettspiel – am Beispiel „Colony“

pict0019Gastbeitrag von Till Meyer, spieltrieb

Wenn man sich den Markt der normalen Gesellschaftsspiele anschaut – der Mainstreamspiele – dann fällt auf, dass es überaus viele Spiele gibt, die historisch orientiert sind. Es gibt wohl kaum ein Thema aus der menschlichen Geschichte, das der interessierte Spieler nicht spielen könnte.
Begonnen mit dem Leben in der Steinzeit, über den Bau der Pyramiden, die griechischen Stadtstaaten und das römische Reich, Völkerwanderung, Barockgärten, Aufbau des Seehandels, Mittelalter, Kathedralenbau, und vieles mehr. In jedem Jahr erscheinen neue Spiele, die das Spektrum der Geschichte im Spiel um einige Facetten mehr bereichern.

Einige dieser Spiele sind hervorragend recherchiert und man fühlt sich praktisch in der Zeit zurück versetzt. Bei anderen merkt man sehr schnell, dass das Thema im Grunde austauschbar ist – anstelle der Renaissance hätte das Spiel auch durchaus die Hochkulturen im Südamerika des 13. Jahrhunderts zum Mittelpunkt haben, oder auf den Mars verlegt werden können. Aber diese Unterschiede sind erstmal nicht von Belang; die Spieler und Spielerinnen wollen eine gute Geschichte erzählt bekommen – und selbst daran beteiligt sein – ob ein Historiker wegen des betreffenden Spiels eine existenzielle Verzweiflung entwickelt, interessiert sie nicht.

Anders ist es aber, wenn ein Spiel zur Unterstützung des Geschichtsunterrichts eingesetzt werden soll. Spiele sind zweifellos prädestiniert für diese Aufgabe – schon allein aufgrund des Umstandes, dass Spiele Abläufe, Prozesse, Entwicklungen und Wechselwirkungen wiedergeben können, und die Faktoren, die in diesen Prozessen eine Rolle spielen. Geschichte kann damit unmittelbar erfahrbar gemacht werden. Vorausgesetzt, die Geschichte war bei der Spielentwicklung der Leitfaden.

Spielablauf

Bei der Entwicklung unseres Spiels „Colony“ wurde dieser Weg gewählt: die Geschichte des Kolonialismus so realitätsnah wie möglich darzustellen und daraus ein gutes Spiel zu machen. Denn neben dem Anspruch, ein Spiel für die Unterstützung des Geschichtsunterrichts zu entwickeln, muss ein Spiel immer spannend sein – 20161102_171719ansonsten steht der Lernerfolg infrage.

„Colony“ beginnt 1492 mit der Landung der spanischen Schiffe auf einem fiktiven neuen Kontinent. Drei bis sechs Spieler übernehmen die Rolle europäischer Kolonialmächte und versuchen, am Ende des Spiels die Reichsten zu sein. Dies gelingt durch Eroberung und möglichst umfassende Ausbeutung von Agrarprodukten und Bodenschätzen.

Gespielt wird in sechs Spielphasen, von denen jede einer Zeit von 80 bis 120 Jahren entspricht. Jede Spielphase wird vier Runden lang gespielt – nach 24 Runden ist „Colony“ also beendet. Jede Spielphase besitzt einen anderen Schwerpunkt: in der ersten Phase geht es nur darum, möglichst viele Länder zu besetzen und das eigene Kolonialreich zu vergrößern. In der zweiten Phase wird der Handel intensiviert; es werden Kontore errichtet und die Missionarstätigkeit begonnen. In der dritten Phase können die Kolonien militärisch gesichert werden und es kommt auch zu den ersten Aufständen der Ureinwohner. In dieser Phase können auch Kolonialkriege geführt werden, um wertvolle Kolonien der konkurrierenden Mächte zu erobern. In der vierten Phase wird mit dem Bau von Städten die Kolonialverwaltung konsolidiert, was wirtschaftliche und militärische Vorteile zur Folge hat. In der fünften Phase, in der in der alten Welt die Industrialisierung voranschreitet, können Eisenbahnen gebaut werden, wodurch ebenfalls der Export erleichtert wird und Kolonialkriege schneller und weiträumiger geführt werden. In der sechsten Phase – der De-Kolonisierung – schließlich stellen die Spieler fest, dass die notwendige Aufstellung von Kolonialheeren immense Summen verschlingt – nicht zuletzt bedingt durch die besser organisierten und bewaffneten Aufstände. Was liegt also näher, als den kritischen Kolonien die Unabhängigkeit zu gewähren? Die ehemalige Kolonialmacht möchte die nun unabhängige Nation natürlich gerne weiterhin als Rohstofflieferant und Absatzmarkt behalten, aber auch die anderen europäischen Mächte versuchen, die neue Nation zu kontrollieren.

20161102_173120Zu jeder Phase gehören neue Ereigniskarten, neue Aktionsmöglichkeiten und neue Rohstoffe – so sind Kaffee und Erdöl erst in der fünften Phase, der Industrialisierung, im Spiel. Ebenso verändert sich der Zufallsfaktor des Spiels dramatisch: In den ersten beiden Spielphase sind die Spieler dem Kartenzufall ziemlich ausgeliefert – was bei Spielern „normaler“ Gesellschaftsspiele oft zu erheblichem Unmut führt. Ab der dritten Phase allerdings bekommt die Interaktion zwischen Spielern mehr und mehr Gewicht, bis in der Phase der De-Kolonisierung praktisch alles verhandelt werden kann. Trotz der Komplexität und der unterschiedlichen Spielebenen lässt sich „Colony“ unproblematisch lernen – und einsetzen. Das Spiel ist modular aufgebaut, und beginnt mit einigen einfachen Regeln, die innerhalb von Minuten erklärt sind. In jeder Spielphase kommen einige neue Regeln hinzu. Man muss also vor dem ersten Spiel nicht das gesamte Regelwerk durchlesen; es reicht vollkommen, von Spielphase zu Spielphase jeweils den neuen Abschnitt zu lesen.

Geschichtsvermittlung durch das Spiel

Bei vielen Aspekten musste die historische Realität im Hinblick auf einen spannenden Spielablauf gebeugt werden, so tauchen zum Beispiel alle europäischen Mächte zum selben Zeitpunkt auf den neuen Kontinent auf, und der unterschiedliche Ablauf der Kolonisierung in den Amerikas, in Asien, Afrika und Australien wurde vereinheitlicht. Daraus ergab sich ein Spiel, das sich zweifellos wie ein übliches Aufbau- und Eroberungsspiel spielen lässt.

Für den Einsatz in der Bildungsarbeit bietet „Colony“ allerdings noch erheblich mehr. Eine wesentliche Komponente sind die Ereigniskarten, die nicht nur phasenrelevant realistische Ereignisse in Spiel bringen. Ab 20161102_172407etwa der dritten Phase – und danach in immer stärkerem Maß – kommen Entscheidungskarten ins Spiel, die den Spielern die Möglichkeit geben etwa pockenverseuchte Decken zu verschenken, Sprache, Kultur und Religion der Ureinwohner zu verbieten, ganze Dörfer einzuebnen oder öffentliche Hinrichtungen der Aufständischen einzuführen.

Je nach Entscheidung winkt entweder das Steigen des Einkommens, oder die Möglichkeit, einen Aufstand zu entfernen, ohne gegen die Aufständischen kämpfen zu müssen – gewissermaßen entsteht er aufgrund der Brutalität der Kolonialherren gar nicht erst. Was letztlich auch wieder ein wirtschaftlicher Vorteil ist, da das Geld, das für Soldaten ausgegeben werden müsste, anderweitig zur Verfügung steht.

Im anderen Fall – d.h., wenn sich ein Spieler gegen ein rücksichtsloses Vorgehen entscheidet, – erhält er politisches Ansehen hinzu. Eine Kolonialmacht die 500 Jahre lang ihre Kolonien rücksichtslos und brutal verwaltet hat, besitzt in der Phase der De-Kolonisierung ein derart schlechtes Image, dass es ihr schwerfällt, die Kontrolle über eine neue unabhängige Nation zu übernehmen.

Diese Auswirkung können die Spieler während der ersten Spielphasen noch nicht abschätzen. Viel wichtiger ist aber, dass es anhand dieser Entscheidungskarten zur Erkenntnis kommt, dass man hier eigentlich Realität spielt. Es ist vollkommen normal, dass ein Spieler sich gegen die Einführung öffentlicher Hinrichtungen entscheidet, obwohl überall in seinen Kolonien die Aufstände Landwirtschaft und Bergbau bedrohen. Oder ein Spieler entscheidet sich eben dafür und die anderen Spieler merken an, dass er dann jetzt auch mit seinem Gewissen klarkommen müsste.

Wohl gemerkt: Man kann „Colony“ nicht „politisch korrekt“ spielen. In gewissem Rahmen kann die Geschichte der Kolonisierung umgeschrieben werden, aber letztlich sind die Spieler in der Rolle der Kolonialmächte und versuchen, durch die Ausbeutung möglichst viel Geld einzunehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die dem Spiel beiliegende CD-Rom. Wie oben schon angemerkt, brillieren Spiele durch das Potential, Prozesse nachvollziehbar darzustellen. In dieser Hinsicht sind sie meiner Ansicht nach jedem anderen Medium überlegen.

Wofür Spiele allerdings denkbar schlecht geeignet sind, ist die Vermittlung von Fakten-Informationen; Daten, Jahreszahlen, Namen etc. Diese gehören – allgemein gesprochen – nicht zum Spielablauf und stören daher nur beim Spielen. Die Texte der Ereigniskarten sind zwar größtenteils realitätsnah, vermitteln aber nur wenige Fakteninformationen. Es wird zum Beispiel nur „von der Verbindung zweier Königshäuser durch Heirat“ – und der Übertragung einer Kolonie als Mitgift – gesprochen, nicht aber die realen Königshäuser oder das Jahr der Heirat genannt. Diese Informationen können bei Interesse in den etwa 240 deutschen Texten der CD-Rom nachgelesen werden.

Es empfiehlt sich also, beim Einsatz des Spiels Ereigniskarten, die in irgendeiner Form zu Nachfragen geführt haben, zu notieren und mithilfe der CD-Rom in der Nachbereitung darauf einzugehen. Zum Beispiel besteht eine Erfahrung, die wir in zahlreichen Spielen gemacht haben, darin, dass Jugendliche die oben erwähnte Karte, dass „Sprache, Kultur und Religion“ der Ureinwohner verboten werden können, mit Verblüffung vorlesen. Es ist ihnen nicht klar, welchen Sinn das Verbot von Sprache haben könnte. Auf den – zu dieser Karte – drei Texten der CD-Rom wird erläutert, warum in Westafrika Englisch und französisch Verkehrssprache ist, weshalb in ganz Lateinamerika Spanisch oder Portugiesisch gesprochen werden, und was mit der Kultur der Inuit passieren würde, wenn es keine zwanzig Begriffe für „Schnee“ mehr in der Sprache gäbe.
Wir haben also mit der zum Spiel gehörenden CD-Rom versucht, das Defizit von Spielen betreffs Fakten-Informationsvermittlung aufzufangen. Auf der CD-Rom befindet sich ebenfalls ein historischer Abriss des Kolonialismus. Für das Spiel selbst wird diese CD-Rom nicht benötigt.

Zwischen Spielspaß und Darstellung historischer Zusammenhänge

Die aktuell am Beispiel „Mombasa“ wieder intensiv geführte Auseinandersetzung, was ein historisch orientiertes Spiel zeigen darf, zeigen soll oder auch zeigen muss, spielte auch bei der Entstehung von „Colony“ eine gewisse Rolle. Bei der gut zweieinhalb Jahre dauernden Entwicklung des Spiels kam es immer wieder zu Erfahrungen mit den Testgruppen, die die Gesamtkonzeption des Spiels erheblich veränderten, und die – von einer anderen Seite aus – dasselbe Problem beleuchteten: Wie viel Realitätsnähe kann ein Spiel vertragen?
In der ursprünglichen Fassung von „Colony“ waren noch die realen Kontinente dargestellt und praktisch ab Beginn des 16. Jahrhunderts war der Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und den Amerikas Teil des Spiels.
Allerdings kamen viele Tests überhaupt nicht zustande, weil sich sowohl Fachkräfte als auch Jugendliche weigerten, ein Spiel zu spielen, bei dem man Geld mit Sklaverei verdienen konnte.
Als wir dann einen fiktiven Kontinent einführten, der symbolisch für weltweit alle kolonisierten Länder stand, hatte niemand mehr Probleme damit. Bei einigem Nachdenken hätte man vermutlich darauf kommen können, dass es nicht die Europäer sind, die auf den Plantagen und in den Bergwerken schuften, aber dieser Aspekt war nicht mehr explizit Teils des Spielablaufs und damit unproblematisch.
Aber auch in der jetzigen Form ist „Colony“ vielen Spielern zu realistisch. Eine komplette Bevölkerungsgruppe zu massakrieren, die gegen die europäische Eroberung aufbegehrt, ist mehr, als einige Spieler vertragen können – selbst dann, wenn man sich im Spiel gegen das Massaker entscheiden kann.

Die eingangs genannte Faszination von Spielen mit historischem Thema ist also ambivalent zu sehen. Die am Beispiel „Mombasa“ wieder in Gang gebrachte Diskussion darüber, welche Grenzen der Darstellung der Realität Spielen gesetzt werden können oder sollten, ist wertvoll und wichtig.

Und wenn bei „Mombasa“ Sklaverei und Ausbeutung Teil des Spiels gewesen, wären, hätten es vermutlich nur sehr wenige Menschen gespielt. Auf der anderen Seite sind wir mit „Colony“ in Gruppen „normaler“ Spieler immer wieder verblüfft, dass diese die Kartentexte überhaupt nicht lesen, sondern nur die Folgewirkungen: „Du erhältst eine Plantage dazu“. Es wird mit Begeisterung ein Spiel gewählt, das „historisch“ ist, die Bezüge zur Geschichte sind aber im Spiel komplett uninteressant.

Die Diskussion um die Verbindung Spiel und Realität wird sicherlich in Zukunft spannend bleiben.

„Colony“ wurde von Spieltrieb entwickelt und als von der Europäischen Kommission gefördertes Projekt von drei Nichtregierungsorganisationen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland, Spanien und England herausgebracht. Entsprechend gibt es Spielanleitung und Spielkarten auch in Spanisch und Englisch. Zusätzlich wurde eine Handreichung erstellt, die Hinweise für den Einsatz des Spiels in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit gibt sowie für Möglichkeiten der inhaltlichen Weiterarbeit.

„Colony“ wurde gezielt für den Einsatz in der Schule entwickelt, allerdings macht es die lange Spieldauer von mehreren Stunden – abhängig von der Kommunikationsbereitschaft der Spieler – am Besten geeignet für Projekttage oder – wochen. Im Regelunterricht selbst lässt sich „Colony“ ebenfalls gut einsetzen, da die verschiedenen Spielphasen in mehreren Schulstunden gespielt werden können.

„Colony“ kostet für Einrichtungen der Bildungsarbeit derzeit 15,- € anstelle von 30,- € zzgl. Versand. Die CD-Rom liegt jedem Spiel bei. Für das Begleitheft wird eine Schutzgebühr von 5,- € berechnet, als PDF wird bei Bestellung des Spiels keine Schutzgebühr erhoben. „Colony“ kann bestellt werden auf den Seiten von Spieltrieb: http://www.spiele-entwickler-spieltrieb.de

Mombasa – fiktional und „nur“ ein Spiel?

pic2611318Mombasa ist ein überaus erfolgreiches Brettspiel von Alexander Pfister. Es wurde in diesem Jahr mit dem Deutschen Spielepreis ausgezeichnet und hat daneben noch zahlreiche weitere Auszeichnungen erhalten, u.a. war es auf der Empfehlungsliste für das Kennerspiel des Jahres und hat den portugiesischen Spielepreis gewonnen.

Es ist aber auch ein umstrittenes Spiel. Bereits vor seinem Erscheinen im Oktober 2015 wurde über die Wahl und Umsetzung des Themas diskutiert. Beispielhaft sei hier auf die Diskussion im Forum von spielen.de verwiesen. Bereits 2011 hatte das Spiel damals noch als Prototyp und unter anderem Titel („Afrika 1830“) den renommierten Hippodice-Spielautorenwettbewerb gewonnen und auch da gab es bereits Diskussionen.

Die Diskussion über das Spiel wurde das ganze Jahr über geführt. In Brettspielkreisen allerdings mit dem Grundtenor gegenüber den Kritikern: Entspannt euch mal, das ist „nur ein Spiel“, seid nicht politisch überkorrekt, der Vorwurf der Verherrlichung des Kolonialismus sei schlicht absurd. Auch der Autor Alexander Pfister hat sich in mehreren Interviews und auch in seinem Blog dazu geäußert:

„Mombasa tut dies jedoch nicht, denn es handelt sich hierbei NICHT um eine historische Simulation, sondern um ein fiktionales Spiel mit fiktionalen Handelskompanien. Das einzige was nicht fiktional ist, ist der Ort des Geschehens: Afrika. Wir haben tatsächlich mal mit dem Verlag überlegt das Spiel woanders anzusiedeln, aber es wäre doch schade, wenn man kein fiktionales Wirtschaftsspiel in Afrika machen kann, weil jeder gleich an Kolonialzeit denkt. […] Hier liegt das Missverständnis: Nein, die Länder werden defintiv nicht geplündert, sondern es werden Handelsposten errichtet. Das bestimme ich so als Autor 🙂

Zunächst vorne weg: Das Spiel steht bei mir zu Hause und spielerisch finde ich es klasse. Es hat zu Recht Auszeichnungen erhalten, weil es ein sehr gutes Spiel ist. Die Wahl des Themas ist allerdings und offenkundig wenig glücklich und meines Erachtens auch unnötig, da es in der gleichen Weise auch Mond, Mars oder ein fiktiver Planet getan hätte, der von „Handelgesellschaften“ ausgebeutet wird. Das Argument hingegen, das von einigen Brettspielern angeführt wurde, es sei ja nur ein Spiel, finde ich problematisch. Eine ähnliche Diskussion gab und gibt es immer wieder auch im Bereich der Videospiele. Da hat Rainer Sigl mit seinem Beitrag auf videogametourism meines Erachtens den Nagel auf den Kopf getroffen, als er vor ein paar Monaten auf folgenden Zusammenhang hinwies:

„Nur wer Spiele als komplexen Mechanismus aus Handwerk, künstlerischem Wollen und darunterliegender Ideologie – sprich: als stinknormales Kulturprodukt – versteht, kann beginnen, darüber auf einem Niveau zu sprechen, das über ‚macht Spaß: ja/nein‘ hinausgeht. Nur wer Spielen selbstverständlich zuspricht, als Ausdrücke spezifischer kultureller und gesellschaftlicher Umstände – sprich: als stinknormale Kulturprodukte – gelten zu dürfen, kann diese Umstände analysieren und sie in den Reigen anderer Medien und somit in jenes Gespräch der Welt mit sich selbst, das letztlich Kultur ist, einordnen. Nur wer das Medium so respektiert, dass er es als mehr als reinen Zeitvertreib, sondern überhaupt als Kulturprodukt begreift, noch dazu als stinknormales, und es dann auch so behandelt, sprich: ohne die gönnerhaften Stützräder des dauernden Verweises auf seine Belanglosigkeit, kann letztlich auch seine Qualitäten schätzen. Wer Spiele ernst nimmt, muss sie kritisieren, nicht nur feiern und verteidigen.“
Wer also einfordert, dass Spiele als Kulturgut zu betrachten (siehe z.B. Spiel des Jahres e.V. oder die Spieleautorenzunft), dass sie auf einer Stufe mit Buch und Film nicht „getestet“, sondern „rezensiert“ werden, für den kann „Es ist doch nur Spiel!“ kein Argument sein. Auch der Grad der Fiktionalität ist für die Analyse der vermittelten Vorstellungen von Geschichte in geschichtskulturellen Produkten nicht relevant.
Kolonialismus und Imperialismus wurden und werden immer wieder als Thema in Brett- und Videospielen aufgegriffen. Dabei reicht die thematisch Umsetzung von naiv über apologetisch (siehe z.B. Namibia oder Imperialism: Road to Domination) bis hin zur Anregung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Letzteres ist aber die Ausnahme (als Beispiel wäre hier das weniger bekannte Brettspiel „Colony“ zu nennen). Oft dienen die Kolonien als vermeintlich attraktives, exotisches Setting, das sich für Spiele „anbietet“, in denen es entweder um Eroberung oder Güterhandel geht.
So breite inhaltliche Diskussionen um ein Brettspiel sind eher selten. Auch wenn es sehr viele Brettspiele mit historischen Themen gibt, sind die wenigsten davon so erfolgreich und noch weniger so kontrovers. Mombasa wurde als „rassistisches Machwerk“ und „fast Blauplause zur Einübung von Neo-Imperialismus“ bezeichnet. Nicht nur deshalb lohnt es sich meines Erachtens, einen genaueren Blick aus geschichtsdidaktischer Sicht auf Mombasa zu werfen. Entlang der in einem vorangehenden Beitrag zusammengestellten Bereiche (Texte, Bilder, Raum, Zeit, Mechanismen) möchte ich kurz einen Blick auf die thematische Umsetzung von Mombasa werfen.
  • Texte: Das Spielmaterial ist sprachneutral. Nur bei den Standorten der nach Städten benannten Handelskompanien sind deren Namen mit einem Zusatz (z.B. „Cape Town. Trans-African Company“ auf dem Spielplan abgedruckt. Texte finden sich daher nur in der Anleitung. Für den Zusammenhang hier sind insbesondere die vorangestellten Abschnitte zu „Spiel und Geschichte“ interessant (hier auch als PDF herunterladbar):

„In Mombasa erwerben die Spieler Anteile an vier großen Handelskompanien, die in Mombasa, Cape Town, Saint-Louis und Cairo ansässig sind. Gleichzeitig müssen die Spieler Einfluss nehmen, damit sich die Kompanien mit ihren Handelsposten in ganz Afrika ausbreiten und der Wert ihrer Anteile steigt. Wer am Ende das meiste Geld verdient hat, gewinnt.

Historisch gesehen waren Handelskompanien Gesellschaften, die zum Zweck der Erforschung, des Warenhandels und der Kolonisation gegründet wurden. Damit sind sie untrennbar mit einem dunklen Kapitel der Geschichte verbunden: dem Kolonialismus. Dieses Zeitalter dauerte in etwa vom 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und stand für Ausbeutung und Sklaverei.
Auch wenn Mombasa lose in diesem Zeitraum angesiedelt ist, so handelt es sich dabei jedoch in keiner Weise um eine historische Simulation. Mombasa ist ein Strategiespiel mit einem wirtschaftlichen Fokus, das sich nur sehr grob historischer Kategorien bedient und diese in ein fiktionales und oberflächliches Handlungsgeflecht einbettet. Die Ausbeutungen des afrikanischen Kontinents und seiner Einwohner wurden nicht ins Spielgeschehen eingebunden.
Wenn ihr Näheres über die Kolonialismus-Geschichte erfahren wollt, empfehlen wir für eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema folgende Lektüre: Kolonialismus – Geschichte, Formen, Folgen
von Jürgen Osterhammel und Jan C. Jansen. Verlag C. H. Beck, München.“
1906Die Diskussion um das Spielthema indirekt aufgreifend lautet die Botschaft: Ausbeutung komme gar nicht vor, als Geschichtsdarstellung sei das Spiel nur sehr oberflächlich und mehr Fiktion, auf keinen Fall eine Simulation. Eine verständliche Reaktion des Verlags, die aber meines Erachtens in zwei Punkten am Wesentlichen vorbeigeht:
1) Die Handelskompanien stehen am Beginn der europäischen Herrschaft über Afrika mit weitreichenden Folgen bis heute:
Europäische Herrschaft über die Welt entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert punktuell und regional sehr unterschiedlich. Bürokratisch-absolutistische Institutionen, regierungsamtlich protegierte Handelskompanien und schließlich nationalstaatliche Behörden bildeten den Rahmen für Kolonialismus und Imperialismus formeller und informeller Gestalt. Militär, Wirtschaft, Kultur und Ökologie lieferten Techniken und Strukturen zur Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen.  […]

Im Zuge der europäischen Herrschaft über die Welt bildeten sich zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse heraus. Das weltumspannende, auf Europa hin orientierte Handelssystem verursachte im Süden Dependenzen und strukturelle Defizite, die eigenständige Entfaltungsmöglichkeiten zumindest erschwerten und spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Auseinanderentwicklung der beiden Weltteile führten. Der Süden produzierte – häufig auf monokulturelle Weise – Rohstoffe für den Norden und bezog von dort Produktionsmittel und Konsumgüter. Ein Entwicklungsgefälle bildete sich heraus, das durch interne Faktoren im Süden vergrößert oder verfestigt worden sein mag. Dennoch muss man feststellen, dass europäische Herrschaft Entwicklungschancen grundlegend beschnitt. Je weiter die Industrialisierung der Ökonomien des Nordens voranschritt, desto mehr waren diese in der Lage, die Länder des Südens wirtschaftlich, politisch, aber auch kulturell an sich zu binden.

Diese Abhängigkeiten wurden auf mentaler Ebene verstärkt. Europa sah sich seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert an der Spitze des Fortschritts und der Moderne. Die anderen Kulturen wurden im besten Fall als Kinder verstanden, die an den europäischen Status heranzuführen waren. Vertreter sozialdarwinistischer Positionen dagegen gingen von unabänderlichen, rassisch begründeten Sachverhalten aus. Da Europa mit seiner globalen Dominanz auch die interpretatorische und definitorische Macht erwarb, festzuschreiben, worin das Wesen anderer Kulturen lag und welcher zivilisatorische Rang ihnen zukam, wurde seine Sicht der Welt zur allgemein verbindlichen. Der Zivilisation, der Moderne und dem Fortschritt Europas standen in dieser Perspektive die Barbarei, die Despotie und die Entwicklungsunfähigkeit der überseeischen Welten gegenüber.“ (aus: Reinhard Wendt, Herrschaft, 2010).

2) Es geht bei der Diskussion über das Thema des Spiels nicht um historische Exaktheit der Darstellung, also der Frage, ob es sich um eine historische Simulation handelt oder nicht. Bei dem Spiel als geschichtskulturelles Produkt interessiert vielmehr die Frage: Welches Bild, welche Vorstellungen der Geschichte Afrikas und des Kolonialismus werden durch dieses Spiel transportiert?
  • Bilder: Die Illustrationen des Spiels finden sich auf dem Cover (siehe oben), dessen einzelne Teile an verschiedenen Stellen im Spielmaterial wieder aufgenommen werden. Das Coverbild zeigt die übergroße weiße Hand eines anonymen Manns, der mit einer weißen Feder Buchhaltungseinträge vornimmt. Auf dem Tisch im Vordergrund befinden sich ein Tropenhut, ein Kompass, Diamanten, eine Landkarte mit zwei Reitern, die Kolonialtruppen nachempfunden sind sowie eine „Aktie“ und eine Tintenfass. Vom Schreibtisch aus öffnet sich eine Art Vorhang, der den Blick freigibt auf eine weite afrikanische Landschaft, in der bunt gekleidete Frauen sowie halbnackte schwarze Männer verschiedene Waren (im Spiel: Baumwolle, Kaffeebohnen und Bananen) zum Betrachter hin transportieren. Es gibt weitere Details, die ich an dieser Stelle aber weglasse. Die Coverzeichnung einer kolonialen Idylle stellt eine romantisierende Verharmlosung der Ausbeutung dar. Die einzelnen Elemente finden sich auch in den Spielmaterialien wieder: so u.a. der Hut und die Reiter auf den „Ausbreitungskarten“, die Träger bei den entsprechenden „Rohstoffen“. Präsentiert wird hier das Bild friedlichen Handelns in einer asymmetrischen 20161023_153318Beziehung von weißer Herrschaft und schwarzer Unterlegenheit: Die Schwarzen arbeiten für den Weißen, steigern sein Einkommen und seinen Wohlstand, sie sind einfach gekleidet, barfuß, die Männer halbnackt, auch dies steht im Gegensatz zur Ausstattung und den Uniformen der weißen Europäer. Es werden alte Kolonialklischees reproduziert, wie sie auch Literatur, Comics, Werbung und Sammelbilder in der Zeit des Imperialismus selbst vermittelten. Es sind Grafik von Cover und Spielmaterial, die das Spiel eindeutig der Bilderwelt der Kolonialzeit zuordnen.
  • Raum: Als Spielplan dient eine Karte Afrikas südlich der Sahara. Afrika wird als „leerer“ Kontinent dargestellt, der von den Handelskompanien aus allen vier Himmelsrichtungen in Besitz genommen wird und ausgebeutet werden kann. Die Afrika-Karte ist cremefarben, wie ein „weißer Fleck“, der mit Grenzen in Einflusszonen unterteilt ist, in denen unterschiedliche „Belohnungen“ für die Eroberung in Form u.a. in Form von Geld oder Diamanten liegen. Als spielerisch nicht relevante Elemente enthält die Karte nur Andeutungen der afrikanischen Gebirgszüge.20161023_154533
  • Zeit: Während beim Hippodice-Wettbewerb 2011 der Titel mit dem Verweis auf 1830 eine zeitliche Einordnung erlaubte, ist diese bei der Veröffentlichung des Spiels weggefallen. Im Spiel selbst ist Zeit nur abstrakt in Form von sieben Runden wiedergegeben, die in Form von aufgedeckten Uhrsymbolen und Buchhaltungsbüchern „abgearbeitet“ werden. Es wird also keine chronologische Einordnung vorgenommen und auch die Spielzeit ist mit den Runden rein abstrakt und versucht nicht eine historischen Zeitraum abzubilden. 
  • Mechanismen: Das Spiel ist vergleichsweise komplex und bietet zahlreiche Möglichkeiten für Strategien und Entscheidungen. Diese im Einzelnen wiederzugeben, würde den Rahmen des Beitrags sprengen, deshalb sei noch einmal auf die vollständigen Spielregeln als PDF auf den bismarckSeiten des Verlags verwiesen. Im Kern zusammengefasst können verschiedene Rohstoffe und Nahrungsmittel gewonnen und verkauft, Territorien in Besitz genommen und Anteile an den vier Handelskompanien erworben werden. Auch wenn die Inbesitznahme durch „Ausbreiten“, quasi den Wettlauf um Afrika ins Spiel integriert, ist Mombasa vor allem ein Wirtschafts- und Optimierungsspiel, das – wie oben bereits gesagt – auch ohne den historischen Bezug funktioniert hätte. Es enthält verschiedene, bekannte Mechanismen darunter u.a. Area Control, Drafting und Deckbuilding, die aber neu und geschickt miteinander kombiniert werden. Dies macht es zu einem spielerisch zu einem interessanten und sehr guten Brettspiel. Ziel des Spiels ist es – vergleichsweise klassisch – das meiste Gesamtvermögen zu erlangen, das sich aus Bargeld, Kompanieanteilen, Diamanten und guter Buchhaltung zusammensetzt.
Die Dissonanz zwischen der historischen Ausbeutung von Land und Menschen mit Hilfe von Gewalt und Sklaverei und dem durch die Mechanismen vermittelten spielerischen Wirtschaften ist neben dem Cover das, was die Hauptkritik an dem Spiel hervorgerufen hat. Auch wenn auf eine genaue chronologische Verortung verzichtet wurde, fügen sich die übrigen Teile des Spiels zu einem stimmigen Bild zusammen. Die Darstellung des Verhältnisses von „Europa“ und „Afrika“ im Spiel reproduziert Vorstellungen, die – gerade bei Cover und Spielplan wird das deutlich – selbst aus der Zeit des Kolonialismus stammen.
Entgegen in den Hinweisen von Autor und Verlag geht es in Mombasa um die Ausbeutung des Kontinents und seiner Menschen. Es wird nur ausgeblendet, woher die Rohstoffe kommen und wie die Eroberung abgelaufen ist. Es wird ausschließlich die Seite des europäischen Profits dargestellt. Die übrigen Aspekte werden ausgeblendet. Natürlich ist ein Spiel keine wissenschaftliche Arbeit. Natürlich soll ein Gesellschaftsspiel Spaß machen und kann nur ausgewählte Aspekte eines Themas aufnehmen. Natürlich ist und wird niemand Rassist, nur weil er Mombasa spielt. Das Spiel stellt auch keine Verherrlichung des Imperialismus dar. Trotzdem: Mombasa transportiert offenkundig koloniale Klischees. So bleibt die Frage, warum Verlag und Autor bei einem sehr guten Spiel auf diesem Thema bestanden und es nicht unter Beibehaltung aller Spielmechaniken – wie es bei vielen anderen Spielen im Lauf der Spielentwicklung gemacht wird – gegen ein anderes Thema ausgetauscht haben.

Viele Wege führen nach Rom…

Alle regionalen Fachberater in Rheinland-Pfalz waren vom Ministerium beauftragt worden sich mit dem Thema Heterogenität in ihren Fächern zu beschäftigen und konkrete Unterrichtsmaterialien zur Binnendifferenzierung in der Sekundarstufe I am Gymnasium auszuarbeiten. Das Projekt firmiert im Land unter dem Schlagwort „Heko – Heterogenität konkret“. In diesem und im nächsten Schuljahr ist das Thema auch Beratungsschwerpunkt. Zahlreiche Gymnasien haben das aufgenommen und führen eigene Studientage zum Thema durch. Das ist sehr erfreulich. Wer im gymnasialen Bereich arbeitet weiß, dass Heterogenität dort sehr lange kein Thema war. Andere Schularten sind da schon lange viel weiter.

Die Fachberater Geschichte haben mehrere exemplarische Unterrichtsreihen ausgearbeitet. Gestern kam nun das grüne Licht von Seiten des Ministeriums, dass wir das Papier online zur Verfügung stellen dürfen. Zu Heterogenität und Differenzierung gibt es für den Geschichtsunterricht bisher wenig Publikationen. Für eine Einführung und einen Überblick sei der Beitrag von Birgit Wenzel im Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts empfohlen (2012, Band 2, S. 238-254). Für weitere Praxisanregungen der Band von Christoph Kühberger und Elfriede Windischbauer (Individualisierung und Differenzierung im Geschichtsunterricht. Offenes Lernen in Theorie und Praxis, 2012) sowie das Heft Nr. 131 (Differenzierung) der Zeitschrift Geschichte lernen aus dem Jahr 2009.

Wir hoffen mit unserer Handreichung Ideen und Impulse für die Praxis geben zu können. Jeder Fachberater hat dabei ein oder zwei Ansätze gewählt, diese im Unterricht erprobt und seine Erfahrungen als Praxistipps mit den den Materialien in Form eines kurzen Beitrags aufbereitet. Hierin liegt vielleicht eine Stärke der Handreichung: Auf Grundlage einer bewusst sehr kurz gehaltenen, gemeinsamen Situationsanalyse hat jeder je nach Schwerpunkt und Lehrerpersönlichkeit einen unterschiedlichen Zugang zur Differenzierung gewählt.

Alle Ansätze bieten auf ihre Weise Möglichkeiten zur Differenzierung im Geschichtsunterricht mit unterschiedlichen Öffnungsgraden, ohne dass diese explizit genannt oder herausgearbeitet werden. Die Unterrichtseinheiten stehen gleichberechtigt nebenbeinander und sind in aufsteigender Reihenfolge angeordnet nach den jeweiligen Jahrgangsstufen, für die sie erstellt und in denen sie erprobt wurden. Wir haben uns dabei bemüht ein möglichst breites Alters- und lehrplanrelevantes Themenspektrum abzubilden. Die Unterrichtsreihen haben allerdings exemplarischen Charakter, so dass die Differenzierungsmöglichkeiten auch auf andere Themen und Klassenstufen übertragen werden können.

Die Handreichung lässt sich den Seiten der Fachberatung Geschichte in Rheinland-Pfalz als PDF-Dokument herunterladen. Alle Materialien der Handreichung können und sollen im Unterricht verwendet werden. Da die Ausarbeitungen vielleicht nicht immer passgenau zum eigenen Unterricht sind, ein PDF aber keine Veränderungen zulässt, stelle ich den Reader hier auch noch als DOC und ODT Datei zum Download zur Verfügung. Wir hoffen mit dem Papier eine anregenden und praxisnahe Hilfe für den Unterricht zu geben und freuen uns über konstruktive Rückmeldungen!

Afrika im Geschichtsunterricht

Andreas Körber weist in seinem Blog auf eine Veranstaltung am 25. Juni in Hamburg, die sich mit der Frage „Afrika – (kein) Thema im hiesigen Geschichtsunterricht?“ auseinandersetzt. Meiner Erfahrung nach spielt Afrika in deutschen Schulen vor allem dann eine Rolle, wenn Aktionstage oder Projetkwochen für „Afrika“ organisiert, Geld gesammelt und den bedürftigen Afrikanern geschickt wird. Selbst in Schulen, die eine Partnerschule in einem afrikanischen Land haben, kommt es selten zu einem Dialog.

Für den Geschichtsunterricht ist weiterhin dem Resümee von Dennis Röder zuzustimmen:

Afrika taucht in heutigen Lehrplänen und Schulbüchern kaum auf. Wir verbinden mit der ägyptischen Geschichte weniger Afrika als eher eine frühe Etappe zur „europäischen Erfolgsgeschichte“.

Erwähnung findet die Geschichte des Kontinents sonst nur in Kontakt mit Europa (Kolonialismus, Sklavenhandel, Imperalismus, Dekolonisation) und leider weitgehend auch weiterhin ohne afrikanische Perspektiven, sondern nur mit (kontroversen) europäischen Quellen. Wie Material aussehen könnte, das auch afrikanische Stimmen berücksichtigt und diese als handelnde Akteure gleichberechtigt neben die Europäer stellt habe ich versucht in einem Arbeitsblatt zum Beginn der deutschen Kolonialherrschaft in Ruanda aufzuzeigen.

Die WM bietet natürlich Gelegenheit, Afrika zu thematisieren. Das Interesse, das durch die „erste Fußball-Weltmeisterschaft in Afrika“ (worauf die Moderatoren der Fernsehsender in jedem zweiten Satz drauf hinzuweisen scheinen) geweckt wird, kann natürlich auch im Geschichtsunterricht aufgegriffen werden. Hier bietet sich die Chance neben Tierfilm und Fußball einen anderen Blick auf Afrika zu werfen. Gerade die notenfreie Zeit jetzt kurz vor den Sommerferien bietet sich an, extracurriculare Themen aufzugreifen und projektartig zu bearbeiten.

Wer Afrika im Unterricht thematisieren möchte, dem bietet eine Liste mit Links, die in der diigo-Gruppe Geschichtsunterricht unter „Afrika“ verschlagwortet sind, einen ersten Anlaufpunkt für Materialien.

DW-World Dossier: 50 Jahre Unabhängigkeit – Afrika und das koloniale Erbe

„17 afrikanische Kolonien erreichten vor 50 Jahren ihre Unabhängigkeit. Die europäischen Kolonialherren übergaben die Macht an Afrikaner. Das große Jubiläum – ein Grund zum Feiern?“ Das Online-Dossier der Deutschen Welle nähert sich mit zahlreichen Artikeln und Hörbeiträgen der  politischen Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents aus verschiedenen Perspektiven.