Geschichtsunterricht 2030

3_monkeys_001-800pxEigentlich wollte ich hier einen kurzen Beitrag zur gemeinsamen Session mit Anja Neubert und Christian Bunnenberg auf dem histocamp schreiben. Der Beitrag ist jetzt allerdings erst einmal verschoben, um kurz über das zu schreiben, was NACH der Session passierte.

Wir haben eine Session angeboten, um über den Geschichtsunterricht der Zukunft zu sprechen. Welche Rolle spielt Geschichtsunterricht in Schulen? Muss ich der Geschichtsunterricht verändern? Wenn ja, wie? Usw. Eine Kurzbeschreibung der Idee lässt sich hier in der Sessionplanung nachlesen. Es waren auf dem histocamp erfreulich viele an dem Thema interessiert und die interessante Diskussion musste leider trotz vieler ausstehender Wortmeldungen aufgrund der engen Taktung und Struktur des Barcamps nach 45 Minuten abgebrochen werden.

Alle Sessions hatten einen eigenen Hashtag, um auch auf Twitter die jeweils parallel stattfindenen Veranstaltungen verfolgen zu können. Wir hatten in der Vorbereitung die Perspektive des Geschichtsunterrichts im Jahr 2030 gewählt (nicht zu nah, aber auch weit genug, so dass Veränderungen, die aktuell als Tendenz vorhanden sind, vielleicht schon umgesetzt sind) und deshalb den naheliegenden Hashtag #Geschichtsunterricht2030 gewählt.

Zu der Session haben so viele Leute unter dem Hashtag getwittert, dass dieser noch während der Session in den „Trends“ von Twitter auftauchte. Dann passierte, was immer mit trendenden Themen auf Twitter passiert, es kamenTweets von anderen Leute, die ihre Themen versuchen in dem populären Hashtag unterzubringen – zumindest sah es (für mich) zunächst so aus. Was aber tatsächlich passierte, war eine Übernahme des Hashtags durch Rechtspopulisten und Rechtsradikale, die ihre wirren Fieberphantasien einer vermeintlich durch „Islamisierung“ gefährdeten Zukunft Deutschlands durchspülten. Der Hashtag trendete weit über die Session hinaus und hatte eine Flut von rechten Tweets ausgelöst, die auch am Abend noch nicht verstummt waren.

Irgendwann tauchte dann in Ableitung mit „Deutschland2030“ ein weiterer Hashtag  auf, auf den sich die rechten Parolen verlagerten. Dieser war die ganze Nacht von Samstag auf Sonntag unter den ersten 10 Trends auf Twitter. Obwohl bis jetzt (Sonntagmittag) weiterhin viele Tweets mit dem Hashtag abgesetzt werden, hat Twitter offenkundig zwischenzeitlich reagiert: Es darf weiter gehetzt werden, der Hashtag erscheint aber nicht mehr in den Trends (und erhält so weniger Aufmerksamkeit, immerhin…).

Auf dem histocamp gab es sowohl eine Session zu Geschichtsrevisionismus wie auch zu „engaged history“. Der Verein OpenHistory, der das histocamp organisiert, trägt auch das Projekt Geschichtscheck. Historiker*innen gegen Hassrede. Es zeigt sich aber: Im konkreten Fall zu reagieren, ist gar nicht so einfach. Wer mag, kann sich die Diskussionen und Reaktionen von letzter Nacht und heute morgen über meinen Twitteraccount oder den von Nico Nolden oder Rebekka Friedrich mal anschauen. Es ist wichtig, öffentlich Gegenrede zu leisten, zu irritieren und rechten Parolen keinen Raum, auch keinen virtuellen, zu überlassen. Denn auch dort bekommen sie Aufmerksamkeit und ohne Widerspruch begeben sich die Teilnehmenden in eine Selbstbestätigungsspirale.

Deshalb sind Projekte wie Geschichtscheck so wichtig. Die Strategien, Argumentationsschemata und Fehlinformationen der Rechtspopulisten gehören offengelegt und in der Schule thematisiert. Jede/r sollte Handlungsstrategien kennen, wie sich auf solche Äußerungen im Familien- und Freundkreis oder in sozialen Netzwerken reagiert werden kann. Es ist wichtig, öffentlich und klar Position zu beziehen. Wegschauen, Mund halten, Ohren zumachen sind keine Option. Rechtspopulistische Positionen ist kein Nischenphänomen mehr, sondern durchziehen und verpesten die ganze Gesellschaft.

Klar, werden jetzt viele sagen, das ist wichtig und gut. Umso überraschter war ich, auf dem histocamp zu hören, dass Geschichtscheck für die kostenlosen Workshops immer noch nicht genug Schulen gefunden hat. Das Projekt fänden alle gut, aber bei der Anfrage, ob man einen Workshop an der Schule durchführen könne, kämen dann nur ausweichende Antworten.

Liebe mitlesenden Kolleg*innen, das kann ja wohl nicht sein! Hier gibts die Infos zu den Workshops, unter dieser Adresse info@geschichtscheck.de könnt ihr Termine anfragen. Rennt denen die Bude ein! Holt euch das Projekt in die Schule! Das war nie so wichtig wie heute und eure Schülerinnen und Schüler werden es euch danken, wenn ihr mit Hilfe von externen Experten so ein aktuelles und wichtiges Thema aufgreift.

Geschichte in Brettspielen

Beim histocamp in Mainz möchte ich gerne eine Session zu „Geschichte“ in Brettspielen anbieten. Die Spielebranche verzeichnet seit Jahren hohe Zuwächse, mit über 170.000 Besuchern und über 1000 Ausstellern ist die jährliche Messe SPIEL in Essen 2016 noch einmal größer geworden und Indikator für die weltweit weiterhin wachsende Beliebtheit von Karten- und Brettspielen. Mit der immer wieder aufflammenden Diskussion um das (mittlerweile mehrfach ausgezeichnete) Spiel „Mombasa“ hat speziell das Thema von Geschichte in Brettspielen zudem eine hohe Aktualität erhalten:

Die Debatte um Mombasa möchte ich an dieser Stelle nicht führen, sondern zunächst fragen, wo und wie Brettspiele Geschichte überhaupt darstellen können. Karten- und Brettspiele mit historischem Thema sind dabei geschichtskulturelle Produkte und damit ebenso eine Darstellungsform von Geschichte wie auch historische Romane, Filme oder Computerspiele. Vergleichbar der Debatte um Geschichte in Computerspielen werden Brettspiele, gerade wegen ihrer notwendigerweise kontrafaktischen Erzählweise, als Untersuchungsgegenstand interessanter, wenn man nicht nur nach der historischen Korrektheit der Darstellung prüft, sondern sie in ihre Entstehungszeit einordnet und nach den Bildern, Vorstellungen und Emotionen fragt, die ein Brettspiel zu einem historischen Thema vermittelt.gentsplaycards-800px

Auf der SPIEL in Essen hatte ich dieses Jahr die Gelegenheit „Barcelona – the rose of fire“ mit einem der beiden Autoren zu spielen. Ich  möchte es als Beispiel in der folgenden Auflistung nutzen, um daran die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Brettspiele ein (historisches) Thema aufnehmen und abbilden (wenn ich dabei etwas übersehen haben sollte, bin ich dankbar für ergänzende oder korrigierende Hinweise). Brettspiele können Geschichte vermitteln über:

  • Texte: Das naheliegendste Mittel sind Texte: z.B. auf den Spielkarten, in der Anleitung, zusätzliche erklärende Texte zum „historischen Hintergrund“. So werden bei „Barcelona“ u.a. bei den Karten zu einzelnen Personen, Familien, Kolonien kurze Informationen gegeben, die allerdings für das Spiel selbst keine Rolle spielen und daher nur „flavour“ sind.
  • Bilder: Auch durch die grafische Gestaltung werden Bilder und Vorstellungen von Geschichte transportiert. Dazu zählen Darstellungen von Orten, Personen, Gegenständen, Gebäuden usw. Dies geschieht mehr oder weniger realistisch, teilweise in karikaturesker Überzeichnung oder mit Hilfe von Fotos. In „Barcelona“ finden sich im Spiel die berühmten Gebäude, die zwischen 1860 und 1930 in der Stadt gebaut wurden, wie z.B. der Palau de la Música oder das Café de l’Opera auf Karten mit kurzem Infotext abgebildet und können von den Spielern in den neuen Stadtteilen „errichtet“ werden. Die Zeichnungen im Spiel imitieren in einem comichaften Stil, den für die Epoche und Barcelona bedeutsamen katalanischen Modernisme.
  • Raum: Der Spielplan kann eine räumliche Vorstellung eines bestimmten Ortes, eines Gebäudes, einer Stadt oder Region, vermitteln. So kann z.B. eine in der Regel auf wenige Elemente reduzierte Landkarte als Spielplan dienen. In „Barcelona“ ist es kein präziser Stadplan, aber die in der 2. Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Stadtviertel außerhalb der innerhalb der ehemaligen Stadtmauern gelegenen Altstadt sind namentlich lokalisiert und werden im Lauf des Spiels auf- und ausgebaut. Diese sind unterlegt mit schachbrettartigen Straßenzügen.
  • Zeit: Brettspiele können durch die Spieldauer, über den Ablauf von Runden, über Leisten, Anzeiger, Uhren oder Karten mehr oder weniger präzise Zeitabläufe darstellen. Dies geschieht in Barcelona in zweifacher Form: Es gibt mehrere Phasen, die in Runden zusammengefasst werden, außerdem gibt es noch eine Leiste unten am Spielfeldrand, die bei fortschreitender Spieldauer und Eintreten von bestimmten Ereignissen weiterwandert und dann wiederum historische Veränderungen markiert: So fallen zu einem Zeitpunkt im Spiel die spanischen Kolonien weg (im Spielverlauf ist das variabel und an mehrere Bedingungen gekoppelt, ohne dass die Jahreszahl 1898 eine Rolle spielte) und können nicht mehr genutzt werden.
  • Mechanismen: Diese machen den Kern von Spielen aus und unterscheiden sie von anderen Darstellungsformen. Die Spielerinnen und Spieler haben Entscheidungsmöglichkeiten, die den weiteren Spielverlauf und die dabei entstehende Erzählung verändern und die ihnen – wenn das Spiel gut gemacht ist – Abhängigkeiten und Zusammenhänge aufzeigen. Dies kann in mehr oder weniger genauer Form passieren. Simulationen sind hier sehr präzise, sind in der Regel ziemlich komplex und verlangen eine entsprechend hohe Spielzeit, so dass sie nur wenige Menschen erreichen. Ein Eindruck von Entscheidungsmöglichkeiten und Interdependenzen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Militär innerhalb eines begrenzten Rahmens kann jedes Spiel leisten. „Barcelona“ nutzt dafür keine präzisen historischen Daten, aber im Spiel findet ein ständiger Zuzug von Menschen in die Stadt statt, verbunden mit der Wahlmöglichkeit der Spielerinnen und Spieler, die reiche Familie der Bourgeoisie spielen (sie schlüpfen in die Rolle der „bad guys“, wie der Autor zwischendurch erklärte), für diese zugezogenen Arbeiter Wohnraum zu schaffen, was aber wenig Prestige bringt, oder eher prestigeträchtige Einzelgebäude oder Villen errichten zu lassen. Im Spiel ist ein ausgewogenes Agieren notwendig, sonst erhält der Anarchismus Zulauf und es kommt zum Aufstand in der Stadt.

Wer „Barcelona – the rose of fire“ spielt, bekommt – auch ohne das Lesen der reichlich vorhandenen, aber für das Spiel nicht notwendigen Informationstexte – einen grundlegenden Eindruck a) vom Wachstum der Stadt, b) von den städtebaulichen Veränderungen, c) einem Ausschnitt der sozialen Konflikte der Zeit sowie d) einen groben Überblick über die katalanische bzw. spanische Geschichte zwischen 1860 und 1930 (Kolonien, Monarchie, Bourgeoisie etc.). Dabei haben die Autoren nur einzelne Aspekte herausgegriffen und machen über die Gestaltung des Spiels auch ein Deutungsangebot (u.a. Bourgeoisie finanziert Kunst und Architektur, schafft Arbeit und Wohnraum und erhält durch ausgewogenes Handeln den sozialen Frieden in der Stadt). Dieses Geschichtsbild wird vor allem durch die Spielmechanismen abgebildet, aber durch das Zusammenspiel aller anderen der oben genannte Punkte gestützt. Das Geschichtsbild ist sicherlich zu hinterfragen und offenkundig ziemlich holzschnittartig. Als populäre Darstellungsform von Geschichte ist das Spiel aber dennoch – wie ich finde – nicht schlecht gemacht.