Vortrag bei der Landesarbeitgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in RLP am 15.11. in Laufersweiler
Allgemein wird unter M-Learning bzw. mobilem Lernen, abgeleitet vom Begriff des E-Learning, das Lernen mit mobilen Endgeräten wie Tablets oder Smartphones verstanden. Diese Geräte erlauben über einen Internetzugang potentiell überall und zu jeder Zeit Informationen, digitalisieret Artefakte und Dokumente abzurufen (Kulturzugang) sowie eigene Inhalte zu produzieren, zu veröffentlichen und mit anderen zu teilen bzw. zu kommunizieren (Partizipation).
Was bedeutet das für historisches Lernen speziell an Gedenkstätten?
Aus schulischer Sicht unterscheidet sich Lernen an Gedenkstätten in zwei wesentlichen Punkten vom Unterrichtsgeschehen im Klassenraum: Gedenkstätten befinden sich an historischen Orten, zunächst einmal unabhängig davon, wieviel dort noch zu sehen bzw. erhalten ist. Damit einhergeht, dass es in irgendeiner Form ein Gebäude oder zumeist sogar ein größeres Gelände gibt, das es zu erkunden und dessen Geschichte es zu vermitteln gibt. Im Gegensatz zum Klassenraum gehört also Mobilität, im Sinne von der Bewegung im Raum, als inhärentes Merkmal zum Lernen an Gedenkstätten.
Die Geländeerschließung und -erkundung kann folglich auch mit mobilen Endgeräten erfolgen, die eine orts- und zeitunabhängige Bereitstellung von Informationen ermöglichen. Das ist per se nichts Neues für Museen und Gedenkstätten: Informationstafeln und/oder Audio-Guides, die den Besuchern das selbstständige Erschließen des Geländes erlauben, werden schon lange verwendet. Der Einsatz von mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets als Lernwerkzeuge vor Ort unterscheidet sich aber grundlegend von den bisherigen Angeboten.
Was ist jetzt neu mit digitalen Endgeräten bzw. beim mobilen Lernen?
An dieser Stelle seien fünf Punkte herausgegriffen:
1) Es lassen sich mit geringem Kostenaufwand differenzierte Angebote machen. Während besonders auf Infotafeln aber auch auf Audioguides der Raum der Darstellung begrenzt ist, können digital mehrere Versionen, die in Länge, Schwierigkeitsgrad, inhaltlichem Fokus, Unterstützung durch Bilder, Videos etc. variieren, angeboten werden ebenso wie unterschiedliche Sprachversionen. Der Besucher wählt dann jeweils über sein Gerät die gewünschte Darstellung aus. Erhöht ist damit natürlich der Produktionsaufwand zum Erstellen der Texte und Präsentationen. Allerdings ist digitales Arbeiten auch immer work in progress. Nicht alles muss zu einem Termin fertig sein. Einzelne Elemente können bereits veröffentlicht, andere je nach Zeit und Möglichkeiten nach und nach ergänzt werden. Das ist besonders für kleine, ehrenamtlich arbeitende Einrichtungen und Vereine eine gute Botschaft: Dort ist oft viel Engagement oft vorhanden, aber was häufig fehlt ist das Geld und oft auch Zeit. Das Kreieren digitaler Angebote kommt dieser Arbeitssituation entgegen.
Differenzierte Angebote können über digitale Medien auch im pädagogischen Bereich gemacht werden. Produkt-orientiertes Lernen wird vereinfacht und kann individualisiert werden. So können den einzelnen Besuchern, wie auch Schul- oder Jugendgruppen, unterschiedliche Zugänge zum Thema angeboten werden. Nicht mehr alle Teilnehmenden lernen dasselbe mit denselben Mitteln, sondern der eine nutzt eine digitale Kamera oder die Fotofunktion des Handys, um sich den Ort auf diese Weise zu nähern, eine andere Gruppe befragt andere Besucher und wertet die mit dem Handy aufgezeichneten Gespräche aus, wieder andere erstellen einen Geocache oder eine Hör- oder Videobeitrag zu einer selbst gewählten Fragestellung. Rezipiert werden diese Produkte durch die anderen Mitglieder der Gruppe oder sie werden dauerhaft zugänglich gemacht, z.B. über die Homepage des Vereins, für alle Interessierten.
2) Gleichfalls im Gegensatz zu Infotafeln und Audioguides sind digitale Angebote leicht und einfach veränderbar und auch noch nachträglich korrigierbar, z.B. um Fehler oder missverständliche Darstellungen zu berichtigen oder neuere Forschungsergebnisse aufzunehmen. Insgesamt sinken zudem die Kosten, weil nicht mehr so viele Tafeln oder Audioguides angeschafft werden müssen, sondern nur noch eine kleinere Anzahl von Geräten für diejenigen Besucher, die selbst kein Smartphone oder Tablet dabei haben.
Digitale erstellte Elemente können darüber hinaus auch immer wieder neu verwendet, in andere Zusammenhänge gesetzt oder einfach überarbeitet werden. Langfristig spart die Arbeit durch Remix und Teilen knappe Ressourcen. Die Nutzung von Public Domain– und Creative Commons-Lizenzen für die verwendeten und erstellten Materialien können diesen Prozess unterstützen und vereinfachen.
3) An zahlreichen historischen Orten sind keine oder kaum noch Spuren vorhanden. Uwe Bader, Leiter des Referats Gedenkarbeit der LpB RLP, hat es vor kurzem so formuliert: Es geht darum „etwas sichtbar machen, was nicht sichtbar ist“. Hier bietet augmented reality interessante Gestaltungs- und Zugangsmöglichkeiten. Digitale Endgeräte können durch historische Fotos, Zeichnungen oder Videos Eindrücke von dem Zustand des Ortes zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt vermitteln. Anders als bisher ist man dabei nicht mehr auf ggf. sichtversperrende, aber zumindest das Gelände verändernde Informationstafeln angewiesen oder auf die Wiedergabe innerhalb einer Ausstellung, sondern kann im Gelände die Position des Fotografen bzw. Zeichners versuchen einzunehmen (sofern heute zugänglich und möglich). Auch Orte, z.B. Häuser in Privatbesitz, an denen keine Informationstafel angebracht werden kann, können so mit dem Blick durch die Linse des Smartphones oder Tablets in der Wirklichkeit angereichert werden, so dass man auf dem Gerät Informationen zu dem Ort erhält oder alte Aufnahmen sehen kann
Bei dieser Anschauung und der platten Erkenntnis „Ach, so sah das damals aus!“ sollte man aber nicht stehenbleiben, sondern, wie Christian Bunnenberg auf einer Tagung letzte Woche zu Recht anmerkte, auch das didaktische Potential Möglichkeit darüber hinaus zu fragen: „Welchen Blick nehme ich hier am Ort mit diesem Foto oder dieser Zeichnung ein?“ „Warum hat der Autor das Bild in dieser Weise aufgenommen?“ usw. Dies ermöglicht den Vergleich von Täter- und Opferperspektive auf denselben Ort und führt zu weiterführenden Fragen und einer vertieften Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes.
4) Für die Besucher besteht mit ihren eigenen digitalen Endgeräten immer auch die Möglichkeit auf dem Gelände mit anderen Personen wie auch über dessen Grenzen hinweg zu kommunizieren. Ein dialogisches Verfahren ist bei persönlichen Führungen nichts Neues. Bei Infotafeln oder Audioguides ist die Vermittlung allerdings als Einbahnstraße angelegt. Nun können die Besucher Fotos machen, Kommentare hinterlassen, ihre Erfahrungen, Einsichten aber auch Missverständnisse oder Unzufriedenheit direkt nach außen kommunizieren: Das passiert gegenwärtig bereits immer, unabhängig davon ob eine Institution das möchte oder nicht. (Negativ-Beispiel: „Auschwitz-Selfies“).
Kommunikation im digitalen Raum zuzulassen bedeutet natürlich auch Öffnung, verbunden mit der Frage: Ob hier für Gedenkstätten ein Potential liegt, dass man nutzen könnte? Oder überwiegt die Angst vor einem Kontrollverlust? Will man doch in der Regel eine historisch korrekte Darstellung, Einbettung und Deutung des Geschehens am Ort vermitteln. Vielleicht ist es aber auch nicht verkehrt mit eigenen Angeboten im Web 2.0 präsent zu sein, zum einen um die veränderten Möglichkeiten von Kommunikation, Auseinandersetzung und Aneignung zu nutzen, zum anderen aber auch um vorhandenen revisionistischen und rechtsextremen Darstellungen aktiv etwas entgegenzusetzen.
5) Fügt man beide oben genannten Punkte zusammen: das Erstellen und Veröffentlichen eigener Produkte und das Angebot differenzierter Zugänge so ergibt sich über die Nutzung digitaler Medien eine erweiterter Palette aktivierender Gestaltungs- und kreativer Auseinandersetzungsmöglichkeiten für die pädagogische Arbeit gerade mit Kindern und Jugendlichen (eigene Rundgänge zusammenstellen, für andere Schülergruppen, jüngere Klassen Materialien, Angebote erarbeiten). Auch Rätsel und spielerische Elemente, sofern je nach Ort und Thema gewünscht, sind leichter erstellbar.
Zuletzt ein Blick nach Laufersweiler: Hier ist es nicht nur der erhaltene Synagogenbau mit Ausstellung und Studienzentrum, sondern im gesamten Dorf finden sich Teile eines Erinnerungsensembles. Es handelt sich also um ein weitläufiges Gelände mit auseinanderliegenden Orten und wie man am Weg der Erinnerung sehen kann mit Infotafeln nicht immer am historischen Ort, wo sich dieser in Privatbesitz befindet. In den letzten beiden Jahren wurden hier vom Förderverein einige Projekte begonnen bzw. teilweise bereits umgesetzt, die pädagogische Gedenkstättenarbeit mit Jugendlichen und digitale Medien auf beispielhafte Weise verbinden.
Aus schulischer Sicht besonders hervorzuheben ist, dass hier mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet wird, die selbst Produkte erstellen, die im Anschluss allen Besuchern vor Ort oder über die Homepage zugänglich gemacht werden. Es sind also nicht die Mitglieder des Fördervereins die Angebote mit „neuen Medien“ für Jugendliche erstellen – was oft nicht gut funktionier -, sondern dass Schülerinnen und Schüler aus Schulen der Umgebung werden begleitet, selbst Angebote für ihre Altersgenossen zu erstellen. Man sollte auf keinen Fall der Illusion erliegen, „mal etwas im Internet oder mit den neuen Medien zu machen“ und damit Begeisterung oder Interesse zu wecken. Nur weil etwas „im Internet“ steht, wird es noch lange nicht gefunden, das heißt Interesse ist hier in der Regel Voraussetzung und nicht Folge, und zudem sind Medien in diesem Fall Mittel und kein Selbstzweck, es kommt also entscheidend auf Gestaltung und Nutzungsmöglichkeiten an.
In der kreativen und gestalterischen Arbeit mit Jugendlichen liegt ein großes Potential für die Zusammenarbeit mit Schulen wie auch außerschulischen Einrichtungen, das viele Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen bereits erkannt haben und in unterschiedlichen Workshops und Projekten nutzen. Digitale Medien erweitern die Ausdrucks-, Kommunikations- und Gestaltungsmöglichkeiten der Teilnehmenden. In einigen Fällen kann die eigenständige Arbeit mit digitalen Medien ein Mittel sein, um einzelne Jugendliche durch Differenzierung und Individualisierung von Zugängen, Lernwegen und Lernprodukten mit einem inhaltlichen Thema zu erreichen, mit dem sie sich sonst gar nicht oder ungern auseinandergesetzt hätten.
Folgende Angebote der Ortserkundung mit digitalen Medien gibt es zur Zeit in Laufersweiler:
- QR-Codes (Was ist das?)
QR-Codes am Erinnerungsort hinter der Synagoge. Weitere QR-Codes zum Weg der Erinnerung, zum jüdischen Lyrikpfad und Friedhof sind geplant: Sie geben an verschiedenen Orten jeweils zusätzliche Informationen, die über ein Smartphone oder Tablet aufrufbar sind. Bislang handelt es sich um Texte. Es können auch Bilder oder Videos integriert werden.
- Geocaching (Was ist das?)
Eine Art „Rätsel“-Rundweg durch das Dorf anhand von GPS-Daten: Notwendig ist ein GPS-Gerät oder Smartphone sowie die Informationen zum Rundgang mit den GPS-Daten für den Ausgangpunkt. Über Rätsel entdecken die Nutzer einzelnen Stationen zu jüdischem Leben im Dorf und erhalten dann jeweils vor Ort noch Informationen zur jeweiligen Station.
- Virtueller Rundgang (Was ist das?)
Geplant ist ein virtueller Rundgang, mit Hilfe von auf einer Karte verorteten Fotos die Geschichte der Wohnhäuser und erzwungenen Wohnsitzen der jüdischen Bevölkerung sowie damit verbundenen Enteignungen auf Grundlage der Unterlagen der französischen Besatzungsbehörden dokumentiert.