Es war einmal der Mensch…

Die Serie habe ich als Kind geliebt… interessant das jetzt nochmal anzuschauen, welche historischen Inhalte hier wie vermittelt werden.

Aus einer Diskussion mit @BGrafenstein auf Twitter hat sich ergeben, dass wir die Idee, dass die gleichen Figuren durch verschiedene Zeiten führen, eigentlich ganz gelungen finden. Fand ich persönlich als Kind auch toll. In Schulbüchern auch noch für die Mittelstufe, zumindest in den Fremdsprachen, gibt es fiktive Charaktere, die durch die Inhalte der Bücher führen. Es ist also nicht nur eine Frage des Alters, wenn das Konzept auch in der Grundschule natürlich viel verbreiteter ist. Aber warum gibt es das nicht für Geschichte? Oder kennt jemand ein entsprechendes Beispiel?

Spontan fallen mir mehrere Vorteile ein, die Einführung solcher Charaktere in Schulgeschichtsbüchern mit sich bringen könnte:

– Orientierungshilfe, „roter Faden“ für Schülerinnen und Schüler

– kindgerechte Darstellung

– Identifikationsangebot(e), Empathiefähigkeit (letztlich gilt hier vieles, was in den letzten Jahren zum Einsatz von Kinder- und Jugendbüchern im Geschichtsunterricht geschrieben wurde)

– damit einhergehend stärkere Berücksichtigung durch Integration von Kindheits- und Alltagsgeschichte

– wie in der TV-Serie auch über die fiktiven Charaktere Einbindung humorvoller Elemente (Schulgeschichtsbücher sind ansonsten gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Humor), was die Darstellung auflockern und Kinder motivieren kann.

Fällt jemanden noch etwas ein?

Die Rolle der Fiktion in der historischen Sinnbildung

Gestern habe ich einen Artikel von Wulf Kansteiner („Alternative Welten und erfundene Gemeinschaften: Geschichtsbewusstsein im Zeitalter interaktiver Medien“, in: Erik Meyer (Hg.), Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien, Ffm/N.Y. 2009, S. 29-54.) gelesen, der mich im positiven Sinn verunsichert, also zum Nachdenken angeregt hat. Folgt man der Argumentation von Kansteiner, so müsste das geschichtsdidaktische Konzept „Geschichtsbewusstsein“ grundlegend in Frage gestellt werden.

Das Geschichtsbewusstsein hat sich zu einer der zentralen Kategorien der Geschichtsdidaktik entwickelt. In der Darlegung der verschiedenen Dimensionen des Geschichtsbewusstsein geht Pandel von einem „Wirklichkeitsbewusstsein“ aus, das das Individuum dazu befähigt zwischem Real/Historischem und Fiktionalem/Imaginären zu unterscheiden. Die Möglichkeit dieser Unterscheidung ist grundlegend für das Konzept von Geschichtsbewusstsein. So wird eben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass jüngere Kinder diese Unterscheidung eben noch nicht treffen können.

Quasi selbstverständlich wird man den meisten Erwachsenen diese Fähigkeit zubilligen. Sie können  (in der Regel) einen Roman von einem Sachbuch, einen Fantasyfilm von einer Dokumentation usw. unterscheiden und werden diese jeweils anders verarbeiten. Aus einigen Untersuchungen zur Oral History ist allerdings bekannt, dass Zeitzeugen in ihre Erzählungen Elemente fiktionaler Literatur und Filme einbauen, die sie als eigene Erfahrungen erinnern. Im Rückblick werden Fiktion und Realität offensichtlich nicht unterschieden, sondern werden zumindest teilweise in einer Erzählung miteinander verflochten. Mir ist nicht bekannt, dass dieses Phänomen in der Empirie oder Theorie zum Geschichtsbewusstsein bisher berücksichtigt worden wäre (Falls doch, wäre ich für entsprechende Literaturhinweise dankbar!).

Kansteiner geht von eben dieser Grundannahme aus, dass in der Erinnerung nicht mehr zwischen Real und Fiktiv unterschieden werden kann. Er argumentiert, dass die Verwischung sich durch die digitalen und interaktiven Medien, vor allem was Videospiele und virtuelle Welten angeht, in Zukunft verstärken wird. Erinnert wird in Abhängigkeit  von der Intensität ausgelöster Emotionen. Die Immersion in immer realistischer anmutende digitale (Alternativ-)Welten fördert emotionales Erleben bzw. zielt direkt darauf ab. Besonders trifft dies natürlich auf die Übernahme von Rollen als Handelnder in Spielen zu, in denen das einfache Nachspielen vorgegebener Handlungsstränge zugunsten interaktiver Möglichkeiten der Kreation eigener Erzählungen abnimmt.

Kansteiner geht nur kurz darauf ein, aber ich würde stärker betonen, dass die Übernahme von fiktionalen Elemente als Eigenes in die Erinnerung bei allen fiktionalen Werken, die ein Individuum berühren/ihm oder ihr nahe gehen, schon immer der Fall ist; und dies bei jedem, nicht nur bei Zeitzeugen. Diese erinnerten „Erfahrungen“ tragen natürlich auch zur historischen Sinnbildung bei, die damit also keineswegs so rational wäre, wie die geschichtsdidaktische Theorie bisher vorgibt (wenn ich das denn richtig verstanden habe).

Was aber bedeutet es für die Theorie des Geschichtsbewusstsein, für historisches Lernen allgemein und den schulischen Geschichtsunterricht speziell,

– wenn der Einzelne zwar beim Anschauen, Lesen oder Spielen bewusst zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann (oder diese Unterscheidung z.B. im Geschichtsunterricht erlernt),

aber in der Erinnerung diese Grenze aufgehoben wird,

– fiktionale, kontrafaktische Geschichtserzählungen und Vergangenheitsdeutungen in Teilen als eigene Erfahrungen und Erkenntnisse erinnert werden

– und sich daraus Vorstellungen und Konzepte von Geschichte generieren?