Warum die Revolution des Lernens mit digitalen Medien ein offener Prozess ist

Jöran wollte mit seinem Beitrag provozieren. Das ist ihm auch gelungen. Mit der bewusst einseitigen Darstellung hat er eine hohe Aufmerksamkeit erreicht. Das Video des Vortrags dreht entsprechende virale Runden in den sozialen Netzwerken.

Der Vortrag ist hörenswert. Grundsätzlich stimme ich ihm in den wesentlichen Punkten zu. Die Arbeit mit digitalen Medien wird immer wieder in Schulen und Universitäten genutzt, um das bisherige Lernen in anderer Form abzubilden und vermeintlich „effektiver“ zu machen; oft wird es dadurch aber keineswegs besser, oft ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Die Berichte sind Legende von Lernplattformen voller PDF Dokumente, die niemand lesen kann und auch niemand in diesem Umfang in analoger Kopie zur Verfügung gestellt hätte.

Die positiven Tendenzen lässt Jören (absichtlich) weg. Das kann man machen. Damit erreicht er eine Fokussierung auf problematische Entwicklungen, die hoffentlich breiter diskutiert werden. Aus Sicht eines Geschichtslehrers würde ich aber gerne noch ein paar Gedanken zum verwendeten Revolutionsbegriff verlieren.

Zum Revolutionsbegriff äußert Jöran sich nicht weiter. Dieser ist letztlich nur ein Schlagwort, das er widerlegt bzw. an dem er versucht das Scheitern von grundlegenden Veränderungen aufzuzeigen. Aus historischer Sicht, würde ich sagen, hat er eben nur einen unklaren Revolutionsbegriff (ein Schlagwort eben), was wir erleben, ist nicht vergleichbar mit einer politischen Revolution (schnell, gewaltsam, wie z.B. der Französischen), sondern gesellschaftlichen Prozessen, die sich in Analogie auch als Revolution bezeichnen lassen, wie z.B. die Industrielle. Wenn man sich die Entwicklung unter diesem Blickwinkel anschaut, dann kann von „Scheitern“ kaum gesprochen werden. Vielmehr findet sich dieselbe Uneindeutigkeit einer vergleichweise schnellen Entwicklung mit tiefgreifenden Veränderungen heute wie in der Industriellen Revolution. Historisch basiert unser Wohlstand wesentlich auf den Prozessen und Veränderungen der Industrialisierung, die aber mit zahlreichen negativen Erfahrungen vor allem in der Frühzeit wie hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Ausbeutung, neue Abhängigkeiten usw. einherging.

In eine ähnliche Richtung geht auch die Diskussion rund um den Beitrag von „Deutschlands bekanntestem Internet-Experten“ Sascha Lobo, dessen Kernbotschaft „Das Internet ist kaputt.“ auch von der überregionalen Presse (u.a. FAZ, Focus, Welt) aufgegriffen und verbreitet wurde und mittlerweile einige Erwiderungen (u.a. netzwertig, taz, mspro, schmalenstroer.net) erfahren hat.

Ehrlich gesagt wundert mich die geäußerte Naivität, der offensichtlich zerbrochene Traum, dass eine – mal abstrakt formuliert – technische Entwicklung die Welt quasi automatisch besser machen soll. Das hat doch nicht wirklich jemand geglaubt, dass das von alleine passiert? Nur weil ich Wahlurne aufstelle und Stimmzettel verteile, habe ich doch auch noch keine Demokratie. Genauso wie es angesichts der Veränderungen im Laufe der Industrialisierung gesellschaftliche Aushandlungen und regulierende Eingriffe gegeben hat, sind diese heute nötig. Dafür ist Politik da (nicht nur die Politiker!), um gesellschaftliche Entwicklung zu gestalten.

Es geht also um Gestaltung, das Erkennen der Chancen, das Nutzen der Möglichkeiten, wie auch das Reduzieren und Bannen von Gefahren und Fehlentwicklungen. Und da sind wir auch wieder im Bildungsbereich. Auch hier entstehen Veränderungen auf Ebene von Unterricht und Institution nicht von alleine. Es gibt sogar gute Gründe anzunehmen, dass Schule als System besonders veränderungsresistent ist. Nur weil es neue Technik gibt, wird dadurch weder das Lernen noch die Schule besser. Auch ein paar gelungene Beispiele und überzeugende Ideen machen noch keine Bildungsrevolution. Revolutionen in diesem Sinne sind lange Prozesse, mit Vor- und Rückschritten, die meist nur rückblickend als solche erkannt werden, mit gelungenen, steckengebliebenen und ganz gescheiterten Initiativen. Die Frage des Erfolgs oder Scheiterns hängt in der Regel weniger mit der Qualität der dahinterstehenden Ideen oder der Leistung der Personen zusammen als schlicht mit den jeweils momentan wirksamen Rahmenbedingungen. Es gibt keinen Automatismus der Weltverbesserung. Wir sind mitten in einer Entwicklung, die man als Digitalisierung, digitalen Wandel oder digitale Revolution bezeichnen kann, ohne dass wir den Ausgang vorhersehen könnten.

Unsere Enkel werden entscheiden, ob das was wir gerade erleben, eine Revolution war und ob diese gelungen oder gescheitert ist.

Online-Publikation: Writing History in the Digital Age

„Has the digital revolution transformed how we write about the past — or not? Have new technologies changed our essential work-craft as scholars, and the ways in which we think, teach, author, and publish? Does the digital age have broader implications for individual writing processes, or for the historical profession at large? Explore these questions in Writing History in the Digital Age, a born-digital“ volume edited by Jack Dougherty and Kristen Nawrotzki.

Wer in das spannende Projekt mal reinschauen will, hier geht’s zum Buch: Writing History in the Digital Age

Unterrichtsprojekt: Von den historischen Revolutionen zur digitalen?

Kann oder sollte man sogar die Frage nach der „digitalen Revolution“ im (Geschichts-) Unterricht thematisieren? Ein Bezug zur Lebenswelt der Lernenden und eine Orientierungsfunktion von Geschichte für die Gegenwart sind auf jeden Fall gegeben. Wir haben das mal versucht und ich stelle unser Vorgehen sowie mögliche Alternativen für den Unterricht hier kurz vor.

Vor einigen Wochen kam eine Kollegin, die als Diplom-Pädagogin auch im Pädagogischen Landesinstitut arbeitet, mit einer schönen Idee auf mich zu: Ihr Freund würde gerade eine berufsbegleitendes Studium zum Fotografen machen und müsste dafür als nächste Arbeit ein Tableau vivant erstellen. Sie würden gerne mit dem berühmtem Bild von Delacroix „Die Freiheit führt das Volk“ arbeiten und fragten an, ob ich nicht Lust hätte, da einzusteigen, um das gemeinsam mit einer Klasse rund um das Thema Revolution zu erarbeiten.

Das Bild bietet sich deshalb an, weil es sich zwar auf eine konkrete historische Revolution (die Juli-Revolution 1830) bezieht, aber zu einer ikonenhaften Darstellung der Revolution allgemein geworden ist. Daher wird das Gemälde ja auch gerne in Schulbüchern zur Auftaktillustration des Revolutionszeitalters gewählt.

Wir haben uns aus verschiedenen Gründen (Zeit, Stundenplan, Gruppengröße etc.) für den 12er Lk entschieden. Das Projekt lässt sich in der duchgeführten Form 1 zu 1 sicher nicht wiederholen, aber  mit leichten Verändertungen würde ich es sowohl in der Ober- als auch in der Mittelstufe wieder im eigenen Unterricht durchführen.

Zunächst haben wir in einem spezifisch historischen Teil einen eigenen Revolutionsbegriff erarbeitet. Dazu haben die Schüler zunächst in Kurzreferaten historische Revolutionen vorgestellt, wir haben mehrere Definitionsansätze gelesen, verglichen und auf die Beispiele angewendet, um schließlich in Form eines Tafel-Wikis zu einer eigenen Begriffsdefinition zu gelangen.

Alternativ lässt sich die Unterrichtsreihe auch an die Besprechung der Französischen oder besser Industriellen Revolution anschließen, um dann diese konkreten Beispiele zur eigenen Definition des Revolutionsbegriffs heranzuziehen und mit der heutigen Entwicklung zu vergleichen.

In einem zweiten Schritt haben wir mit den Schülerinnen und Schüler ihre persönliche Nutzung des Internets  thematisiert (im Gespräch ergab sich dann auch automatisch das Verhalten der Großeltern als Vergleichfolie) und durch die Digitalisierung verursachten gesellschaftlichen Wandel besprochen. Dazu haben wir über eine Lernplattform (Diigo) auch mehrere aktuelle Texte zur Verfügung gestellt, von denen einige die Entwicklungen eher positiv, andere eher negativ bewerten. Die Lernenden konnten zudem auch selbst Darstellungen recherchieren und ergänzend dort posten.

Die Diskussion erfolgte dann vor der Folie, ob es sich bei der aktuellen Entwicklung um eine „Revolution“ handelt oder nicht. Es war schnell klar, dass sich hier die für politische Revolutionen gültige Definition nicht anwenden lässt, sich die Veränderungen aber mit der Neolithischen oder Industriellen Revolution vergleichen lassen, wobei ein Schüler bereits bei seiner Kurzpräsentation darauf hingewiesen hat, dass hier die Anwendung des Revolutionsbegriffs problematisch ist.

Insgesamt kam der Kurs zu dem Schluss, dass wir uns schon in einem Zeitalter grundlegender struktureller Veränderungen befinden. Hiervon ausgehend haben wir dann versucht, das Bild von Delacroix auf die aktuelle Situation zu übertragen. Im Bild führt „die Freiheit“, führt heute jemand? Wenn ja, wer? Und wohin? Was sind die „Waffen“? Wer stellt sich dem Wandel in den Weg? Welche Barrikaden werden errichtet? Trotz des schwierigen Übertrags von einem Bild, das zu der zentralen Ikone für politische Revolution geworden ist, zu einer Darstellung struktureller Veränderungen, war die Sammlung durchaus ergebnisreich und wird in den kommenden Tagen durch den Fotografen in ein Tableau Vivant umgesetzt werden.

Bei der Arbeit erfolgte ein permanenter Abgleich mit den historischen Vorbildern, also eine ständige Reaktivierung des vorher Erarbeiteten. Den Lernenden wurde an ihren eigenen Personen klar, dass nie alle an gesellschaftlichen und technischen Änderungen partizipieren. Das nicht immer einfache Prinzip der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wurden allen durch den Bezug  zu ihrer Lebenswelt sehr plastisch und verständlich. Außerdem bot das Thema Anlass, auch immer wieder Mediengeschichte, vor allem die Geschichte ihrer Nutzung zu thematisieren (Veränderungen durch den Buchdruck, Radio, Fernsehen usw.).

Natürlich arbeitet man als Lehrkraft normalerweise nicht mit einem Medienpädagogen und einem professionellen Fotografen zusammen. Ohne die beiden wäre ich nie auf die Idee gekommen und hätte mich vermutlich auch nicht an so ein Projekt getraut. Aber die beschriebene Unterrichtseinheit lässt sich aber auch ohne externe Hilfe umsetzen: Die Diskussion zur eigenen Mediennutzung der Schülerinnen und Schüler und deren Bewertung lief weitgehend selbstständig und brauchte nur einen geeigneten methodischen Gesprächsrahmen sowie entsprechende Impulse.

Wenn auch nicht professionell, so können natürlich auch die Schülerinnen und Schüler selbst ein Tableau Vivant als  Foto machen. Statt des Fotos lässt sich auch denken, dass ebenso in jüngeren wie älteren Klassen entweder das Bild von Delacroix neu gezeichnet oder zumindest skizziert oder alternativ digital mit einem Bildbearbeitungsprogramm verändert und überarbeitet wird. Dieses handlungsorientierte Vorgehen am Ende zwingt zum Konkrektisieren. Das ist nicht einfach, aber löste zumindest bei der jetzigen Durchführung noch einmal wichtige Diskussionen und Denkprozesse aus.

Übrigens ein interessantes Ergebnis der Debatte zur Umsetzung ist, dass sich die Gruppe der Revolutionäre auflöst und mit verschiedenen „Fahnen“ in nur teilweise und lose miteinander verbundenen Gruppen in dieselbe Richtung laufen, was zugleich die zentrale Rolle digitaler Medien im Alltag der meisten (nicht aller!) Lernenden der Gruppe wie deren völlig unterschiedliche, individualisierte (auch bewusste Nicht-) Nutzung  (Mp3, WoW, Facebook, Wikipedia etc.) widerspiegelt.

Die Schülerinnen und Schüler haben in dem Projekt nicht nur einen sehr differenzierten und reflektierten Revolutionsbegriff erworben, sondern auch auch ihr Blick auf idealisierende Darstellungen von historischen Revolutionen hat sich verändert. Auf jeden Fall bin ich sehr gespannt auf die fotografische Umsetzung dieser Ideen….

Update: Unten auf der Seite der Fachschaft Geschichte unserer Schule findet sich das Foto sowie ein kurzer Bericht aus Schülersicht.

„Will you join me in this revolution?“

Gestern habe ich ein paar Auszüge aus der Rede der EU-Kommissarin Neelie Kroes auf der Online Educa vom 1. Dezember als Kommentar unter die Diskussion zum #speedlab2 gepostet. Da geht der Text meines Erachtens aber etwas verloren und ich finde die Rede so klasse, dass ich einige Auszüge in einem eigenen Artikel nochmal aufnehmen möchte. Den Volltext gibt es übrigens hier und den kann man auf der Website von Neelie Kroes auch kommentieren und disktutieren. Die Aufzeichnung der Rede als Video habe ich leider noch nicht gefunden.

Ladies and Gentlemen,

[…] In the last 20 years, the information and communications revolution has really taken off. The Internet, smart-phones and tablets are a world of opportunity. And they are as readily available, as readily usable for today’s generation as the home telephone, radio and the television once were. These days people can enjoy access to information and expect it anytime, any place, anywhere. […]

Elsewhere in the world, people have realised this potential. In South Korea, all classrooms will go fully digital by 2015, ending the paper and textbook era. I recently visited a primary school in the slums of Nairobi, Kenya – and even there they’ve realised the potential of ICT, they are teaching kids computers. Even there it’s having an impact on the children, broadening their skills, expanding their horizons, and opening up new hope for the future.

So, why, here in Europe, do most of our classrooms still feel like they did when I was at school? When digital media can be combined to create interactive rich content to help teaching: why are we still based on blackboards, textbooks and a uniform approach for everybody? In today’s digital world, are we really doing all we can to ensure we use the digital revolution to educate, to enrich, to enlighten?

My goal in the EU is clear: to get Every European Digital. That has to include education and training. We need every teacher digital, and every student digital. Right from the very start of formal education, and as part of lifelong learning.

[…] If these solutions can transform our relationship to knowledge – how we find it, access it, acquire it – then it is our duty to make sure everyone has that opportunity. They should not have to wait until they are locked onto a career path – they should have these opportunities from the earliest age, including at school.

No two people learn alike. There are as many ways to learn as there are learners. Some people need time to approach an idea from new angles; but those who get it straight away will get bored if they can’t move on. Some people want to hear an explanation, others to see a demonstration. Some learn best by themselves, others in a group. Some in a formal learning environment; others at home over morning coffee. And so on.

Technology can respond to this: it can tailor learning. It can help people learn at their own pace, in their own way, wherever they are, and throughout their lives. Let’s embrace that fact. And let’s change the way we learn.

Because if we don’t provide these opportunities we will be guilty of a grand failure: a failure to give our children the best chance in life.

Of course, the words are the easy part. I know you share a desire to fulfil this potential. The hard part, of course, is changing things. […]

To really make this case, we need to join forces. Because to transform education, we will need not just education experts; not just technology experts; not just funding experts. We need all three: we need people from all those areas to sit down, work together, and understand each other’s needs. That is the only way to get products which are useful to teachers, trainers and students. Products which are reliable, user-friendly, and which make a difference on the frontline.

I propose to get everyone together: in a common, multi-stakeholder platform. So those making technology can learn the needs of those in education. So educators can learn, support and champion the benefits of new technology. And, overall, so we can mainstream new technology into the European education and training systems. […]

Changing learning through technology might not be an overnight process – but it will be a revolutionary one.

At the moment, we are on the right road, but we are moving too slowly. So let’s speed up – let’s work together to put this right at the centre of our public policy agenda. Information and communications technology has already transformed how we connect, interact and transact. With the right ingredients and the right approach, we can also give learning and education their rightful place in this revolution. […]

We have to think not of „what is“; but „what could be“. Not simply to repeat the comfortable habits of the past; but to capture the massive opportunities of the digital future. Learning new things is not just for pupils and trainees: it is for everybody in our education and training system. Teachers, too, can learn to do things differently.

If we do this, we can build a system where teachers have the technological tools to reach out to students of all needs, backgrounds, and abilities. We can stimulate an economy that produces wild, exciting innovations to support the education sector. And we can build a society where education is an endless adventure for everybody.

Ladies and gentlemen: will you join me in this revolution?

Ich habe vor, den gekürzten Text der Rede morgen zur Grundlage für eine Seminarsitzung mit Geschichtsreferendaren zu machen. Im Mittelpunkt der Diskussion sollen dann die folgenden drei Fragen stehe

– Wie wirkt sich der durch die Digitalisierung bedingte gesellschaftliche und technologische Wandel auf den Geschichtsunterricht aus?
– Wie kann der Geschichtsunterricht auf diese Herausforderungen reagieren?
– Wie können die Möglichkeiten der digitalen Medien für historisches Lernen genutzt werden?
 

Natürlich könnte man einwenden, dass aufgrund des Wandels sich vielleicht in Zukunft auch die bestehende Struktur von Schule und vor allem die Unterteilung in Fächer auflösen wird, hier geht es jedoch um einen pragmatischen Ansatz zu notwendigen und möglichen Veränderungen auf Ebene des Unterrichts.

P.S. Nachdem es im Seminar eben so viel Kritik als Reaktion auf den Text gegeben hat, habe ich einige Stellen im Text noch einmal markiert und damit hervorgehoben. Im Volltext findet sich die Idee dann auch noch ausführlicher.