Welterbe-Erkundung mit digitalen Medien

Als wesentliche Ziele der World Heritage Education (WHE) benennt die UNESCO, dass Kinder und Jugendliche ermutigt werden sollen, sich für die Erhaltung des Welterbes einzusetzen, sowohl auf lokaler wie auf globaler Ebene. Dafür ist es notwendig, dass sie die Bedeutung der Welterbekonvention von 1972 kennen und ein besseres Verständnis für die gegenseitige Abhängigkeit und Verflechtung von Kulturen entwickeln. Es sollen zudem neue und effektive Lehr- und Lernmethoden und -materialien erarbeitet werden, um das Welterbe in die schulischen Lehrpläne der Mitgliederstaaten der UNESCO zu integrieren.

Die WHE hat immer einen globalen Bezugsrahmen, in dem das lokale und regionale WelterbeAnonymous-Flag-of-the-Unesco durch Bezüge zu den Auswahlkriterien und zu anderen (Welterbe-) Stätten eingebettet ist. Das heißt für die Unterrichtspraxis, dass eine Thematisierung des regionalen Welterbes immer die Möglichkeit, eigentlich die Notwendigkeit, beinhaltet, die eigene Region zu verlassen, um sie mit anderen zu vergleichen, um so die Besonderheiten herausarbeiten und die Einzigartigkeit der jeweiligen Welterbestätte erkennen zu können.

Zugleich fordert die UNESCO innovative Zugänge, die Kinder und Jugendliche an die Beschäftigung mit dem Welterbe und seinen Grundlagen heranführen. Während die UNESCO im Bereich ICT (Information and Communication Technology) in Education (http://www.unesco.org/new/en/unesco/themes/icts/) wegweisende neue Ansätze wie mobile learning, BYOD (Bring your own device)1 und OER (Open Educational Resources)2 aufgenommen und zum Teil wesentlich geprägt hat, scheint der Transfer dieser Konzepte in die WHE bislang kaum geleistet. Zwar gibt es zahlreiche digitale Informationsangebote wie Internetseiten3 und Apps mit Informationen zu einzelnen Welterbestätten wie auch zum gesamten Welterbe4, konzeptionelle Entwürfe für die Integration digitaler Medien in die pädagogische Praxis der WHE stehen bisher allerdings noch am Anfang5. Zuletzt hat der deutsche „Arbeitskreis World Heritage Education“ in Corvey 2013 eine Resolution verabschiedet, die mehr partizipative Methoden in der WHE sowie die stärkere Nutzung der Möglichkeiten von Online-Kommunikationsformen fordert.6

Im Folgenden geht es weniger allgemein um die Veränderungen des Lernens in einer digital durchdrungenen Lebenswelt, das grundsätzlich immer auch ohne die Nutzung digitaler Medien möglich ist und sich z. B. in der Forderung nach partizipativen Elementen in der Vermittlung der Resolution zeigt, sondern speziell um die Fokussierung auf Einsatzmöglichkeiten von digitalen Medien als Werkzeuge zum Lernen im und über das Welterbe7. Die beiden Präpositionen machen deutlich, dass es notwendig ist, zunächst die Räume des Lernens zu unterscheiden. Während man prinzipiell überall etwas über das Welterbe lernen kann und dies somit ortsungebunden ist, erfolgt das Lernen im Welterbe notwendigerweise vor Ort an den Welterbestätten. Für WHE mit digitalen Medien im schulischen Rahmen ergeben sich daher drei Lernorte:

  1. In der Schule und zu Hause

Es besteht die Möglichkeit, die Welterbe-Stätten mit digitalen Medien in den Klassenraum und in das eigene Zimmer zu holen. Videos, virtuelle Rundgänge, die Internetseiten der Welterbestätten können angesehen, gelesen, als Ausgangspunkte für die Entwicklung von Fragestellungen z. B. in Vorbereitung auf eine Exkursion oder zur Beantwortung von Unterrichtsfragen herangezogen und in der Schule Computer, Beamer und interaktive Whiteboards zur Präsentation von Arbeitsergebnissen genutzt werden.

  1. Im Welterbe

Welterbebildung verstanden als „Aktivitäten von Lernenden im Welterbe“ macht über die einfache Formulierung deutlich, dass es vor allem darum geht, dass Menschen das Welterbe vor Ort erkunden. Für Schülerinnen und Schüler bedeutet das, den Klassenraum zu verlassen und als Lerngruppe einen „außerschulischen Lernort“ aufzusuchen. Die Möglichkeiten, diesen zu entdecken, zu analysieren und die Ergebnisse zu dokumentieren, erweitern sich durch die Nutzung digitaler Endgeräte wie Smartphones oder Tablets. Diese bieten mit ihren Funktionen und Apps Schnittstellen der Medienkonvergenz und Lernwerkzeuge. Mobiles Lernen entkoppelt das Lernen von der Gebundenheit an räumliche Lernumgebungen wie Klassenzimmer, Bibliotheken, Museen oder Gedenkstätten und macht jeden Ort zu einem Lernort. Direkt im Welterbe werden Videos angeschaut, Podcasts angehört oder Texte gelesen. Über den Internetzugang der digitalen Geräte trägt jeder eine multimediale Mediathek mit sich. Die digitalen Endgeräte sind zugleich multifunktionale Werkzeuge, um u.a. die eigene Position zu bestimmen (GPS) oder Foto-, Audio- und Videoaufnahmen zu machen.

Dies ermöglicht auch vor Ort eine Individualisierung des Lernens im Welterbe, die ausgeht von den eigenen Fragen der einzelnen Lernenden und eine selbstständige lernende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Welterbestätte vereinfacht. An die Stelle einer stark gelenkten Vermittlung mit erwarteten Ergebnissen treten sinnstiftende Ansätze entdeckenden und forschenden Lernens in Projektform.8

3. Im Internet

Social Media wie Facebook oder Twitter, aber auch E-Mails oder Blogs können genutzt werden, um Welterbe-Bildung global zu vernetzen9: Im Blick sollten dabei nicht nur die Welterbe-Manager, Dozenten, Pädagogen und Lehrkräfte stehen, sondern im Besonderen die Lernenden, und zwar nicht als Empfänger von Wissensvermittlung, sondern als Handelnde. Mitschüler, Lehrkräfte und Experten können kontaktiert und befragt, eigene Lernprodukte veröffentlicht und ausgetauscht, Fragen und Arbeitsergebnisse zusammengefasst und in öffentliche Debatten eingebracht werden.10

Auf schulischer Ebene besteht darüber hinaus die Möglichkeit zu internationaler Kooperation. So kann man mit einer oder mehreren Partnerschulen zusammenarbeiten, um Welterbestätten in der jeweiligen Region zu erkunden, ihre Merkmale herauszuarbeiten und international zu vergleichen. Hierbei lassen sowohl ähnliche, wie z. B. Burgenlandschaften, wie auch unterschiedliche, wie z. B. ein Kulturerbe mit einem Naturerbe, vergleichen. Die leitenden Fragen zur Untersuchung hängen von den beteiligten Schulen, Fächern, Lehrkräften und Lernenden ab. Genutzt werden können einzelne Kommunikations- und Dokumentationswerkzeuge wie E-Mails, Chat, Videokonferenz, Wiki, Blog, Fotogalerie oder Forum, die sich in Online-Lernplattformen, wie sie viele Schulen mit Moodle, lo-net2 oder eTwinning nutzen, auch gebündelt in einer geschlossenen Lernumgebung finden.

Eine zweite Unterscheidung lässt sich nach Art der Lernaktivitäten bzw. Kompetenzbereichen treffen. Im Lehrplan für den gesellschaftswissenschaftlichen Lernbereich (Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde) der Sekundarstufe I in Rheinland-Pfalz werden die Operatoren als handlungsinitiierende Verben drei Kompetenzbereichen zugeordnet: Methodenkompetenz, Kommunikationskompetenz und Urteilskompetenz. Im Fach Gesellschaftslehre werden folgende Kompetenzen definiert: Wissen erwerben, mit Wissen handeln, (mit) Wissen bewerten/beurteilen/reflektieren.

Die Arbeit mit Medien spielt in Bezug auf letztere eine untergeordnete Rolle, weswegen sie an dieser Stelle vernachlässigt werden kann. Methoden- und Kommunikationskompetenz hingegen sind medial gebunden und abhängig von den verwendeten medialen Werkzeugen. Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen: Eine Diskussion in Präsenz aller Teilnehmer verläuft anders und folgt anderen Regeln als eine Diskussion mit denselben Teilnehmern, die über einen Chat, ein Online-Forum oder als Videokonferenz geführt wird.

Die Lernaktivitäten innerhalb der Kompetenzbereiche können zudem nach ihrer Funktion im Lern- und Arbeitsprozess in Gruppen zusammengefasst und strukturiert werden. Im Sinne der Kompetenzorientierung des Unterrichts seien beispielhaft einige Operatoren für mögliche Aufgabenstellungen zum Lernen in dem und über das Welterbe genannt und mit digitalen Werkzeugen verknüpft, die für ihre Bearbeitung genutzt werden können (beispielhafte Operatorenliste als PDF).

Digitale Medien werden als Werkzeuge genutzt, um sich in das Welterbe zu begeben, sich in diesem zu orientieren, es zu erkunden, Aufgaben zu lösen und damit etwas über das Welterbe zu lernen. Ausgehend von den Prinzipien der Handlungs- und Produktorientierung bieten die Aufgaben einen hohen Grad von Aktivierung aller Lernenden mit der Chance, die Vermittlung des Welterbes durch eine selbstständige Erkundung zu ergänzen und dadurch das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und die Lernmotivation zu erhöhen. Es geht dabei nicht um ein „Lost in cyberspace“, sondern um eine Nutzung digitaler Endgeräte zur Erschließung und Dokumentation der erlebten Natur- und Kulturlandschaft. Technik, eigenständiges Handeln und Produzieren, Spiel- und Rätsel-Elemente können dabei wichtige Brücken sein, um Kindern und Jugendliche alters- und zeitgemäße Zugänge zu Kenntnis, Bedeutung und Erhaltung des UNESCO-Welterbes zu ermöglichen.

1 Zu mobile learning und BYOD siehe: http://www.unesco.org/new/en/unesco/themes/icts/m4ed/

3 Siehe z. B. Seite: Welterbe Mittelrheintal-Kids on tour http://www.welterbe-mittelrheintal.de/index.php?id=382

4 Siehe z. B. die Internetseiten auf Englisch und Französisch: http://whc.unesco.org/en/ und World Heritage Education Program http://whc.unesco.org/en/wheducation/

5 Vgl. Hinrichs (2012).

8 Vgl. Rosa (2013).

9 Bereits bestehend siehe z. B. das Netzwerk von UNESCO-Projektschulen: UNESCO Associated Schools Project Network (ASPnet) https://en.unesco.org/aspnet/. Für die deutschen UPS-Schulen siehe: http://www.ups-schulen.de/index.php.

10 Zur Partizipation durch Medienhandeln im Social Web siehe den einführenden Beitrag auf pb21: http://pb21.de/2012/01/partizipation-im-und-mit-dem-social-web/.

Text ursprünglich veröffentlicht unter CC BY-NC-SA 3.0 in der Handreichung: UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal, http://bildung.welterbe-mittelrhein.de/fileadmin/user_upload/ZVM/Material/4_Didaktisch-methodische_Anmerkungen.pdf

Zum Medienbegriff der Geschichtsdidaktik

Der Ausgangspunkt war der Versuch eine Arbeitsdefinition von „digitaler Geschichtsdidaktik“ zu wagen. Herausgekommen ist allerdings mehr: Im Lauf der Arbeit haben wir uns intensiv und auch grundlegend mit dem Medienbegriff der Geschichtsdidaktik auseinandergesetzt.

In der gemeinsamen Arbeit mit Alexander König und Thomas Spahn ist dabei ein Beitrag entstanden, der nun endlich auch online zugänglich ist. Zentraler Punkt des Artikels ist die Verhältnisbestimmung von Medien zum Lernenden im Prozess des historischen Lernens.

Der Beitrag erscheitnt in der ersten Ausgabe der neuen Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaften. Die Zeitschrift ist ein Projekt des Netzwerks digitale Geschichtswissenschaften. Die Beiträge werden sowohl online als auch in einer Printfassung verfügbar sein.

Offizieller Start der Zeitschrift ist kommenden Dienstag, der 18. September. Damit soll dann auch das Open Peer Review Verfahren starten. Die Beiträge der ersten Ausgabe sind bereits jetzt als PDFs einsehbar und beschäftigen sich u.a. mit der Wikipedia, Internetdaten als historischer Quelle, computergestützter qualitativer Inhaltsanalyse und Barrierefreiheit virtueller Museen.

Die Entstehungszeit unseres Beitrag reicht nun fast ein ganzes Jahr zurück. Daher kann ich sagen, dass mir der entwickelte Ansatz in den letzten Monaten bereits hilfreich bei der Unterrichtsplanung war. (Glücklicherweise bin ich nicht zu einem umgekehrten Schluss gekommen ;)) Es würde mich freuen, dass auch andere davon profitieren werden.

Wir freuen uns auf eine angeregende Diskussion der Thesen und hoffen der sich belebenden fachdidaktischen Debatte über die Arbeit mit digitalen Medien im Geschichtsunterricht (siehe auch den CfP zur Tagung im Mai in Salzburg) mit dem vorliegenden Beitrag einen Impuls geben zu können.