Thomas Rau und Birgit Lachner haben in ihren Kommentaren zum letzten Artikel darauf hingewiesen: Lehrer nutzen und suchen Materialien im Internet, um das Schulbuch zu ergänzen oder in Teilen zu ersetzen. Das ist im einzelnen sicher abhängig von Fach und Bundesland, aber auch empirisch belegt: Lehrkräfte nutzen den Computer in beruflichen Zusammenhängen mittlerweile zu 100% selbstverständlich – wenige im Unterricht, aber fast alle zur Unterrichtsvorbereitung. Das umfasst neben der Suche nach Materialien auch die Produktion. Jeden Tag erstellen Lehrkräfte tonnenweise Lehr- und Lernmaterialien. Was nur wenige tun ist, diese Materialien mit anderen zu teilen, sie zu veröffentlichen und als OER mit Möglichkeit der Weiterverarbeitung und Veränderung anderen zur Verfügung zu stellen.
Die Ursachen dafür sind sicherlich vielfältig. Aus meiner Beobachtung habe ich versucht, einige Gründe zusammenzustellen ohne Priorisierung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Dabei spielen sicher oft Kombinationen der verschiedenen Punkte eine Rolle; auch ist die Auflistung nicht trennscharf, sondern enthält nagturgemäß Überschneidungen.
- Berufliche Sozialisation als Einzelkämpfer
- Offenlegen der eigenen Arbeit nur in Prüfungssituationen (Unterrichtsbesuch, Lehrprobe usw.), daher verbunden mit Prüfungs-/Kontrolldruck
- Idee, dass eigenes Alltagsmaterial nicht gut genug für Veröffentlichung – da man ja eine Idee von idealen Stunden und Materialien aus den Lehrproben im Kopf hat
- Veröffentlichung von selbst erstellten Materialien lieber in (vermeintlich/immer noch?) prestigeträchtigeren Printpublikation – Geld spielt sicher weniger eine Rolle
- Keine Zeit für zusätzliche Arbeit, die Aufbereitung für Weitergabe und Veröffentlichung mit sich bringen
- Rechtliche Unsicherheit (vor allem, was das verwendete Bildmaterial angeht)
- Bewusstes Ignorieren des Urheberrechts und Wissen, dass die erstellten Materialien daher nicht veröffentlicht werden kann
- Angst vor Kritik durch Fachleute, Kollegen und Trolle
- Unterricht als Hauptaufgabe, Ablehnung der Auseinandersetzung mit Lizenzmodellen und ‚theoretischen‘ Fragen von Unterrichts- und Schulentwicklung
- Bekannte Online-Austauschplattformen werden als ausreichendes Angebot wahrgenommen und genutzt
Martin Lindner hat gestern in einem Tweet die Ansicht geäußert, dass man OER nicht „entwickelt“, sondern dass sie aus dem Flow raus entstehen. Das sehe ich anders. Wenn OER eine Rolle spielen sollen, dann muss an den oben genannten Punkte angesetzt werden. Dazu kann es meines Erachtens sinnvoll sein, in zentralen Initiativen gemeinsam OER-Materialien zu entwickeln und zu veröffentlichen. Das hat den Vorteil, dass sich diesen Initiativen auch Kollegen anschließen können, die allein erstmal nichts veröffentlichen würden, aber durch die Gruppe gemeinsam entwickelte und geprüfte Materialien schon. Dadurch entstehen zentrale Anlaufstellen für die Materialsuche im Netz. Die Nutzung verbreitet die die Idee und Funktionsweise von OER und ermutigt den ein oder die anderen sicherlich auch, die im Abgleich als gut befundenen eigenen Produkte, bereitzustellen. Ein Blick in andere Länder, wie die USA oder Polen, zeigt, dass öffentliche Initiativen und Stiftungen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Etablierung von OER spielen.
Vor allzu viel Optimismus würde ich aber dennoch warnen. Das kennt jeder Lehrer, der schon etwas länger in der Schule ist. Irgendwann gab es irgendwo in einer Fachschaft, im Kollegium die Idee, die erstellen Materialien zu teilen. Dazu wurde dann ein Ordner im Lehrerzimmer oder in den letzten Jahren vielleicht auch auf einer Lernplattform erstellt. Es hängt natürlich von jeweiliger Fachschaft und Schule ab, es gibt immer wieder Beispiele dafür, dass das gut funktioniert hat, aber die meisten Lehrkräfte dürften die Erfahrung gemacht haben, dass nur wenige eigene Materialien einstellen und der Ordner irgendwann weitgehend ungenutzt bleibt und schließlich ganz verschwindet…