Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Deutschland und Frankreich – Teil 5: 50 Jahre Erster Weltkrieg 1964-1968

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Denkmal am Ortseingang von Koblenz-Arzheim

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Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkt sich der Vergleich auf Frankreich und Westdeutschland. Eine Einbeziehung der DDR wäre sehr spannend, ist aber im zeitlichen Rahmen dieses Vortrags nicht zu leisten.

In Deutschland waren zunächst waren in der Regel wie in Frankreich die Kriegerdenkmäler zum Ersten Weltkrieg um Platten und Inschriften ergänzt worden, die in ungebrochenem Heldengedenken die Namen der Gefallenen des Ortes aus dem Zweiten Weltkrieg auflisten. In Deutschland gedachte man nun den Toten beider Weltkriege. Kirchengemeinden, Vereine und Nachbarschaften versammelten sich am Volkstrauertag oder anderen Feiertagen und Jubiläen zum Gottesdienst mit anschließendem Gedenken am Kriegerdenkmal. Auszug aus der Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Koblenz Arzheim:

„[…] Nach Kriegsende bekam die Wehr neue Ausrüstung: eine neue Spritze und viele Meter Schlauchleitung. Oberführer Johann Staudt berief am 31. Mai 1947 eine Versammlung ein; er gedachte der Gefallenen des 2. Weltkrieges und dankte den Aktiven für die in den letzten harten Jahren geleistete Arbeit. […]  Ihr 50jähriges Bestehen feierte die Freiwillige Feuerwehr Arzheim vom 10. bis 11. Mai 1958. Das Fest begann mit einem Commers im Vereinslokal Ufer unter Mitwirkung der Arzheimer Ortsvereine. […] Der Sonntag begann mit einem gemeinsamen Kirchgang der Wehr mit anschließender Gefallenenehrung am Kriegerdenkmal […]“ (Zitat).

Messe in der Kathedrale von Reims mit de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer

Messe in der Kathedrale von Reims mit de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer am 8. Juli 1962

Die 1960er Jahre brachten dann zunächst auf staatlicher Ebene die freundschaftliche Annäherung von Deutschland und Frankreich: „Beim Empfang von Konrad Adenauer in Reims im Juli 1962 wurde der Erste Weltkrieg zwar nicht ausdrücklich erwähnt, die Erinnerung daran war dennoch gegenwärtig. Insbesondere die Kathedrale von Reims, in der die Freundschaftsmesse gefeiert wurde, ließ ihrer Zerstörung durch deutsche Kanonen im Jahr 1914 gedenken. Auch die nahen Schlachtfelder in der Champagne erinnerten an den blutigen Konflikt“. (Zitat) So wurde zunächst Reims zu einem Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung (siehe auch diese Karikatur).

1964 stand für Deutschland wie 2014 ein doppelter Jahrestag an: der 50. Jahrestag des Beginns und der 25. des Zweiten Weltkriegs. Im Oktober des Jahres fand der Historikertag in Berlin statt, der medial stark rezipiert wurde. Ein zentrales Thema war die Fischer-Kontroverse. Diese war zwar 1963 bereits nach heftigen Debatten in den beiden Jahren zuvor wissenschaftlich wieder abgeebbt, wurde jetzt aber durch die Medien wiederbelebt, vor allem im Rundfunk und in Wochenzeitungen. Dabei ist besonders die Rolle des Spiegel herovrzuheben, der die ersten Kapitel aus Fischers Buch „Griff nach der Weltmacht“, das bereits 1961 erschienen war, 1964 nachdruckte und die Debatte in einer Vielzahl von Artikeln aufgriff (siehe z.B. die Ausgaben 11/1964 oder 43/1964; zur Fischer-Kontroverse in den Medien siehe PDF).

Bei der Diskussion über Fischers Thesen lässt sich in den 1960er Jahren eine klare Spaltung in rechte und linke Positionen feststellen. Fischer wurde vor allem von Linken verteidigt, während er von der Rechten in Presse und Wissenschaft scharf angegangen wurde. Wie schon unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg lag der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit wiederum auf dem Kriegsbeginn und Kriegsschuldfrage, die sich zum Fixpunkt der Debatte in der deutschen Öffentlichkeit entwickelt – im Gegensatz z.B. zu Frankreich. Die unterschiedliche Aufnahme und Reaktion zu Clarks „Schlafwandler“ in diesem Jahr ist also wenig überraschend, wenn man die Vorgeschichte betrachtet.

Eine Spaltung gab es allerdings nicht nur zwischen links und rechts, sondern auch zwischen den Generationen. Massiv abgelehnt wurden Fischers Thesen durch “Frontgeneration”, die den 1. Weltkrieg als aktive Soldaten erlebt hatten, während die Nachgeborenen Fischer eher unterstützten. Diese generationelle Spaltung richtet den Blick auch auf eine weitere in diesem Zusammenhang interessante Frage, nämlich der nach Kontinuitäten in der deutschen Geschichte, wobei anzumerken ist, dass eine Kritik an der traditierten nationalen Geschichtserzählung nicht erst 1968 begann, sondern schon einige Jahre früher. Die Fischer-Kontroverse spielte dabei eine zentrale Rolle.

Bundeskanzler Erhard empfängt den französischen Präsidenten de Gaulle in Bonn, 3.7.1964

Bundeskanzler Erhard empfängt den französischen Präsidenten de Gaulle in Bonn, 3.7.1964

1964 gab es in Berlin ein großes Deutsch-Französisches Jugend-Zeltlager mit je 250 Deutschen undFranzosen über die Tage des Kriegsbeginns hinweg. Verständigung und Freundschaft im Vordergrund. Die UfA-Wochenschau berichtete darüber. Bereits am 31.7. hatte Bundeskanzler Erhard eine Rede zum 50. Jahrestags des Kriegsbeginns gehalten: Auch er betonte die Schaffung von Frieden, dass Krieg kein Mittel zur Lösung von Konflikten, sondern dies nur durch die Beseitigung von Ursachen bestehender Konflikte geschehen könne (der vollständige Redetext als PDF).

Zwar gab es in diesem Jahr auch Treffen des Bundeskanzlers Ludwig Erhard mit dem französischem Staatspräsidenten Charles de Gaulle, beide übrigens selbst Veteranen des Ersten Weltkriegs, aber keine gemeinsame Erinnerungsveranstaltung an den Ersten Weltkrieg.

In Frankreich lagen die Akzente der nationalen Erinnerung 1964 ein wenig anders als heute: Das Gedenken an den Ersten Weltkrieg hatte seinen festen, ritualisierten Platz im Jahreszyklus und so wurde neben dem Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs vor allem dem 20. Jahrestag der “Libération” 1944 gedacht. Die Gedenkfeiern wurden zentral koordiniert, der Ton war ernst und würdevoll. Speziell zum Ersten Weltkrieg gab es auf nationaler Ebene aber nur zwei größere Ereignisse: De Gaulle hielt am 2. August eine Rede, die an die Mobilmachung der Franzosen erinnerte und begab sich im September für einen Tag auf die ehemaligen Schlachtfelder an der Marne. Das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vier Jahre später war – gerade im Vergleich zu heute – gleichfalls wenig umfangreich.

Aus den Fehlern der Weimarer Verfassung gelernt?

„Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben schließlich aus den Fehlern von Weimar gelernt.“ (Planet Wissen, Geschichte der Verfassung in Deutschland) Damit ist ein mittlerweile klassisches Lernziel des deutschen Geschichtsunterrichts formuliert. Im Vergleich der Verfassungen sollen die Schülerinnen und Schüler erarbeiten, wie weise die Verfasser das Grundgesetz angelegt haben. Das deutsche Grundgesetz erscheint im Unterricht  quasi als  Endpunkt der Entwicklung, als Krone der Verfassungsschöpfungen. Überspitzt formuliert. Dass das problematisch ist, zeigt schon ein Blick in Länder wie Frankreich oder die USA, deren Verfassungen zeigen, dass ein starker Präsident nicht zwingend gegen eine funktionierende Demokratie spricht, sondern dass das Argument nur im spezifischen Kontext der Weimarer Republik valabel ist.

Hinzu kommt: Gemäß des zweiten Punkts des Beutelsbacher Konsenses muss, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Natürlich haben die die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ versucht, Lehren aus der Weimarer Verfassung zu ziehen. Das zu verstehen und aufzeigen zu können, ist ein Punkt. Zumindest müsste allerdings eine Differenzierung zwischen den von den Verfassern des Grundgesetzes als Probleme erkannten Ursachen und dem heutigen Forschungsstand differenziert werden, z.B. in Bezug auf die „Zersplitterung“ des Parteiensystems.

Das leisten schon die meisten Schulgeschichtsbücher nicht. Eigentlich müsste der Unterricht aber auch noch darüber hinausgehen, zumindest in der Oberstufe am Gymnasium, weil es genau einige dieser „Lehren“ sind, die heute diskutiert und in Frage gestellt werden. Zu nennen wäre hier u.a. die 5%-Hürde oder die Diskussion über Formen der direkten Demokratie.

Die Gegenwartsbezüge liegen auf der Hand. Daher darf der Unterricht nicht bei der Frage nach den Lehren des Grundgesetzes aus der Weimarer Republik stehenbleiben, sondern muss heute mit den Lernenden diskutieren, ob nach über 60 Jahren noch dieselben Grundsätze gelten, an denen sich die Verfasser orientiert haben oder eine Revision sinnvoll sein könnte. Das versetzt die Lernenden erst in die Lage die aktuelle politische Lage zu analysieren und ihre Interessen zu artikulieren (Beutelsbacher Konsens Punkt 3), statt nur einen auswendig gelernten Vergleich ohne Bezug zu ihrer Lebenswirklichkeit zitieren zu können.