Aufstände und Widerstand im 2. Weltkrieg in Schulbüchern

Zur Unterrichtsvorbereitung habe ich gestern, da im eingeführten Geschichtsbuch nichts enthalten war, in verschiedenen anderen Lehrwerken nach Darstellungen und Material zum Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 und zum Warschauer Aufstand 1944 gesucht.

Vielleicht habe ich zufällig die falschen Bücher zuhause, aber zu meinem Erschrecken habe ich fast nichts gefunden: Eine Seite in einem Mittelstufenbuch zum Ghetto-Aufstand mit Bild und zwei Quellen stach bei der Suche positiv hervor und war zugleich die umfangreichste Darstellung. Wenn überhaupt fanden sich in den anderen Lehrwerken einzelne Sätze zum europäischen Widerstand. In einem Buch war zwar in der Nachkriegsgeschichte der Kniefall Brandts ausführlich thematisiert, das Ghetto und der Aufstand zuvor jedoch nicht. Mir persönlich ist völlig unverständlich, wie hier Zusammenhänge verstanden werden sollen.

Aufgefallen ist mir beim Durchblättern der Werke, dass gerade die Bilder der Kapitel zum Holocaust weiterhin die Vorstellung von wehrlosen (jüdischen) Opfern „wie Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank“ unterstützen. Handlungsoptionen und jüdischer Widerstand werden (fast) nirgendwo thematisiert (siehe hingegen die anregenden Beiträge im Magazin von Lernen aus der Geschichte vom 20. Januar 2010). Fündig geworden bin ich dann in einem Heft von Praxis Geschichte aus dem Jahr 1995 (!), dem übrigens auch die beiden Quellenauszüge aus dem erwähnten Mittelstufenbuch entnommen sind. (Wobei mir natürlich bekannt ist, dass es einige jüngere Veröffentlichungen von Materialien für den Geschichtsunterricht gibt, ich habe aber leider eben nicht alles griffbereit am heimischen Schreibtisch. Außerdem handelt es sich eben um Zusatzmaterialien und nicht um Schulgeschichtsbücher.)

Es betrifft im übrigen nicht nur den Holocaust, sondern die unterschiedlichen Widerstandsbewegungen in ganz Europa: Was sich durchgängig in den Schulgeschichtsbüchern findet, sind vergleichsweise umfangreiche, mehrseitige  Kapitel zum deutschen Widerstand (vor allem Scholl, Kirche und Stauffenberg). Was ich mich frage: Wie  soll Europa zusammenwachsen, wie sollen deutsche Jugendlichen ihre Nachbarn verstehen, wenn sie nie (zumindest im Geschichtsunterricht nicht) etwas von der Armia Krajowa, der Résistance oder dem Verzet gehört haben? Die Mythen und die Diskussion um diese Bewegungen spielen in unseren Nachbarländern bis heute eine wichtige Rolle für das Selbstverständnis und in der politischen Debatte.

Ist mein beschriebener Eindruck nicht völlig verkehrt und sind Schulgeschichtsbücher tatsächlich, wie so oft behauptet, weiterhin Leitmedium des Unterrichts, scheint mir hier – wiederum – eine höchst problematische Akzentuierung auf einen nationalstaatlichem Fokus vorzuliegen.

Gestern sind ja die Empfehlungen für ein deutsch-polnisches Geschichtsbuch vorgestellt worden. Man darf gespannt sein, inwiefern dies Anregungen zu einer notwendigen Perspektivverschiebung gibt und vielleicht zudem zu eingeführten Lehrwerken einen sinnvoll ergänzenden Materialfundus liefert.

Hinweise auf gute Materialien online oder auf Papier sind übrigens herzlich willkommen!

Herrscher, Stadt und Privilegien 2

Zur Vertiefung aber auch losgelöst vom vorangehenden Eintrag lässt sich folgender Text zum Thema der symbolischen Kommunikation und der Bedeutung von und Umgang mit Schrift (Urkunden) zu Beginn der Neuzeit im Unterricht einsetzen: Genter Aufstand 1539-1540

An dem frühen Beispiel der Stadt Gent lässt sich der Übergang vieler Städte von ihrer mittelalterlichen (Teil-)Autonomie zur Integration in das Landesterritorium in der Neuzeit exemplarisch studieren. Vor oder während der Arbeit mit dem Text können die Kenntnisse zur mittelalterlichen, städtischen Ratsverfassung aus vorangehenden Stunden reaktiviert werden.

Die Maßnahmen, wie z.B. der Zitadellenbau, die die alten Freiheiten der Stadt einschränken bzw. aufheben, finden sich in ähnlicher Form auch in anderen Städten: so z.B. in Münster nach der Rückeroberung der Stadt durch den Fürstbischof. An der Stelle der alten Zitadelle zur Kontrolle der Stadt steht heute das Schloss als Hauptgebäude der Universität. In Trier wird der Konflikt um den Status der Stadt am Ende vor dem Reichsgericht entschieden. Auch hier inszeniert der Fürstbischof seine Macht anschließend durch einen sehr wohl überlegten, der seine bestätigte Herrschaft über die Stadt sichtbar macht. Auf diese Weise kann vertiefend z.B. durch eine Recherche und einen Vergleich als Hausaufgabe auch ein regionaler Bezug hergestellt werden.

Zentrale Arbeitsaufträge und Fragen in der Auseinandersetzung mit dem Text zur Genter Geschichte können sein:

  • Arbeite die Ursachen und den Anlass für den Konflikt heraus.
  • Nenne die Maßnahmen der Concessio Carolina und erkläre, was ihr Ziel war.
  • Liste die einzelnen Elemente der öffentlichen Abbitte vom 3. Mai 1540 auf und analysiere ihre Aussage/Bedeutung im Gesamtzusammenhang (z.B. das Niederknieen als Geste der Unterwerfung, aber auch die Kleidung, Gegenstände, Personengruppen etc.).
  • Weise nach, dass es sich hierbei um eine Inszenierung handelt.
  • Überlege, ob Karl im Anschluss an die öffentliche Abbitte der Stadt Gnade gewährt hat.

Es gibt verschiedene, zeitgenössische Darstellungen der Deditio einer Stadt, so auch der Genter von 1540 durch Vermeyen bzw. die Kopie von Pinchart, die zur Veranschaulichung hinzugezogen werden können. Das genannte Gemälde zeigt den Kniefall der Genter und die Verlesung der Concessio Carolina. Für jüngere Schüler, für die der Text sicher gekürzt und in Teilen umformuliert werden muss, könnte es auch interessant sein, ausgehend von dem Text das Bild in den Verlauf des Konflikts einzuordnen.

Für einen kreativeren Zugang wären z.B. folgende Arbeitsaufträge aus unterschiedlicher Perspektive der Konfliktparteien denkbar:

  • Verfasse für die Stadtgemeinschaft einen Brief an Maria, die Vertreterin Karls in dessen Abwesenheit, indem du eure Beschwerden und Forderungen darstellst.
  • Versetze dich in die Rolle des kaiserlichen Gesandten und formuliere aus seiner Sicht eine Rede an die Genter Bürger.

Zur Vertiefung kann folgendes Zitat aus einem Buch zur Geschichte der Stadt Gent an die Wand projiziert werden: „Einer der grotesk volkstümlichen Tiefpunkte dieser Revolution war die Zerschneidung des Calfvel.“ In einer Transferleistung aus der vorangehenden Besprechung der Deditio als inszenierter Abbitte können die Schüler nun auch den Höhepunkt der Revolution als Inszenierung deuten und damit selbstständig eine wichtige Umbewertung der Ereignisse vornehmen, die keineswegs „grotesk“ oder „volkstümlich“ sind, sondern in höchstem Maße koordiniert und aussagekräftig. Das lässt sich an der wohl bedachten, repräsentativen Beteiligung der Räte und Zünfte aufzeigen. Man überlege zudem einmal, was auf ganz natürliche Weise mit den verspeisten Urkundenteilen anschließend passiert.

Weitere Aspekte, die an dem Text beispielhaft behandelt werden können, sind die Bedeutung der geschriebenen Urkunde in einer Zeit weitgehender Illiteralität und der städtischen Forderung nach Übersetzung und Druck der alten Privilegien in der Landessprache. Je nach Vorkenntnissen kann hier ein Bezug zur Entwicklung des Buchdrucks, zu Renaissance, Reformation und/oder den Forderungen der Bauern von 1525 hergestellt werden und damit das Geschehen in einen weiten historischen Kontext eingebettet werden.