Über zwei Wochen liegt der Historikertag nun schon zurück. Wie an anderer Stelle angekündigt, will ich nun eine kurze Einschätzung der anregenden Sektion zu archivpädagogischen Ressourcen, vor allem des Einführungsvortrags von Sakia Handro, liefern. Im discretio-Blog findet sich bereits ein guter stichwortartiger Überblick zu den Inhalten der Sektion.
Trotz der Terminierung am späten Freitagnachmittag hatten sich gut 50 Zuhörer im Hörsaal eingefunden. Nach Abfrage per Handzeichen durch den Moderator zeigte ich, dass die Teilnehmer recht breit gestreut waren: Es hatten sich schulische Lehrkräfte, Archivare, Studenten und Uni-Dozenten zusammengefunden. Die eine Handmeldung für Schulbehörde und Ministerium war eine Mitarbeiterin der NRW-Bildungspartnerschaft. Man kann also zusammenfassend sagen: viele Praktiker, keine Entscheidungsträger.
Damit ist man auch direkt beim Kernthema der Sektion, ging es doch um Ressourcen und über einen Großteil der Ressourcen (Mitarbeiter, Zeit, Geld usw.) in den beteiligten Institutionen (Archiv, Schule, Universität) entscheiden eben nicht die Praktiker.
Aus diesem Grund versuchte Saskia Handro dann auch in ihrem Einführungsvortrag die thematische Vorgabe der ‚Ressourcen‘ auf Archivalien zu beziehen. Sie fokussierte dabei auf die Kompetenzorientierung beim Lernen in Archiven als als außerschulische Lernorte.
Handro stellte Schülerperspektiven auf das Arbeiten in Archiven vor, die auf Arbeitsberichten des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten sowie auf Schülerinterviews beruhten. Daran zeigte sie ausführlich auf, wie gewinnbringend und motivierend die Jugendlichen selbst die Arbeit im Archiv einschätzten.
Allerdings gilt es hinzuzufügen, dass der Geschichtswettbewerb nur kleinen Teil von Schülern anspricht und die Beobachtungen so nicht verallgemeinerbar sind. Für einen Großteil der Schüler – auch am Gymnasium – dürfte diese Form des forschenden Lernens eine krasse Überforderung darstellen.
Immer wieder argumentierte Handro gegen vermeintliche Hemmschwellen und mangelnde Attraktivität von Archiven als Lernorten. Das geht meines Erachtens aber an dem Problem vorbei, wobei die Debatte aus der Archivpädagogik bekannt ist. Archive sind fantastische Orte für historisches Lernen, ich vermute, dass das auch den meisten Kollegen an den Schulen längst klar geworden ist. Selbstverständlich war das nicht immer so.
Handro präsentierte innovative Ideen und gelungene Vorschläge, wie im Archiv mit Schülern gearbeitet werden kann. Sie wies zurecht daraufhin, dass sich die Differenz von Vergangenheit und Geschichte sowie das Entdecken der Erkenntnisgrenzen in Archiven anschaulich lernen lässt.
Das Hautproblem aus schulischer Sicht, das ich sehe, besteht jedoch darin, dass selbst wenn ich an einer Schule in einer Stadt mit einem ausgesprochen guten Archivangebot wie in Koblenz bin – von Schulen in ländlichen Regionen mit ensprechenden Anfahrtswegen zum nächsten Archiv gar nicht zu sprechen, in einem vom 45 Minuten -Takt diktierten Arbeitsrhyhtmus nicht umsetzen kann. Aufgrund des entstehenden Unterrichtsausfalls werden Exkursionen und längere Unterrichtsgänge leider an vielen Schulen mittlerweile kritisch gesehen und zunehmend restriktiv gehandhabt. Die Arbeit mit Schülern im Archiv muss also die Ausnahme bleiben, die sich mal an einem Wandertag oder in einer Projektwoche umsetzen lässt.
An methodische Anregungen zum Lernen im Archiv mangelt es nicht, aber nicht nur auf Seite der Schule fehlen andere Ressourcen, das ist auch in vielen Archiven so, die, selbst wenn sie es als Aufgabe begreifen, ein archivpädgogisches Angebot kaum oder gar nicht leisten können. So gibt es in Rheinland-Pfalz z.B. gar keine Archivpädagogen: Das ist für diese Arbeit eine zentrale, aber fehlende Ressourcen. Wenn mit und für Schulen gearbeitet wird, dann müssen das die Archive quasi noch „nebenher“ leisten.
Insgesamt hat sich bei mir der Eindruck gefestigt, dass sich die archivpädagogische Arbeit in einem Dilemma aus großen Potentialen für das historische Lernen und massiv fehlenden Ressourcen befindet.
Es nicht so, dass Handro diese Probleme nicht sehen würde. Sie hat sie sogar im Vortrag im Anschluss an die ausführliche Darlegung von Chancen und Anregungen eingeräumt. Eine Diskussion möglicher Lösungsansätze ging aber über ein: „Wenn man das will, dann muss/kann man sich dafür Zeit nehmen“ nicht hinaus…
Gleichfalls schade fand ich, dass Handro gleich zu Beginn Archiv und Internet als alternative Lernorte gegenübergestellt hat. Zitat: „Schulen gehen ins Netz, aber nicht ins Archiv.“ Da hätte ich mir mehr Differenzierung gewünscht und von ihr auch erwartet. Immer wieder bemühte sie die klischeehafte und letztlich auch falsche Opposition von Googeln vs. Archivrecherche statt die eigene Wertigkeit beider Recherchen zu erkennen. Genau dieses: die Chancen, Probleme und Reichweite der jeweiligen Recherche, die Angemessenheit in Bezug auf die eigene Fragestellung gilt es meines Erachtens Schülern zu vermitteln. Es dürfte wohl klar sein, dass kein Archiv möchte, dass bei jeder Hausaufgabe im Geschichtsunterricht mehrere Dutzend Schüler nachmittags vor der Tür stehen.
Daran anschließend verwundert es wenig, dass die Chancen der Nutzung digitaler Medien an außerschulischen Lernorten, in der gesamten Sektion nicht vorkamen. Sie waren weder vorgesehen, noch wurden sie angesprochen. Auch nicht in den vorgestellten Praxisbeispielen, die sich alle durch einen enormen Zeit- und Arbeitsaufwand der beteiligten Lehrer und Archivpädagogen/Archivare auszeichneten und daher kaum verallgemeinerbar sind.
Beispielhaft für die Arbeit mit digitalen Medien in der Archivpädagogik wären hier Kooperationen von Archiven zur Erstellung von virtuellen Stadtrundgängen oder Geocaches zu nennen. Ein großes Potential sehe ich darüber hinaus für die Zukunft im Nutzen der Web 2.0-Angebote von Archiven durch Schulen, weil diese sowohl in der Schule als auch Zuhause bereitstehen und damit viel einfacher genutzt werden können. Ein Thema, das hoffentlich auf der Tagung „Offene Archive“ Ende November in Speyer breit diskutiert werden wird.