Zur Sektion: Archivische Ressourcen – didaktische Chancen auf dem Historikertag 2012

Über zwei Wochen liegt der Historikertag nun schon zurück. Wie an anderer Stelle angekündigt, will ich nun eine kurze Einschätzung der anregenden Sektion zu archivpädagogischen Ressourcen, vor allem des Einführungsvortrags von Sakia Handro, liefern. Im discretio-Blog findet sich bereits ein guter stichwortartiger Überblick zu den Inhalten der Sektion.

Trotz der Terminierung am späten Freitagnachmittag hatten sich gut 50 Zuhörer im Hörsaal eingefunden. Nach Abfrage per Handzeichen durch den Moderator zeigte ich, dass die Teilnehmer recht breit gestreut waren: Es hatten sich schulische Lehrkräfte, Archivare, Studenten und Uni-Dozenten zusammengefunden. Die eine Handmeldung für Schulbehörde und Ministerium war eine Mitarbeiterin der NRW-Bildungspartnerschaft. Man kann also zusammenfassend sagen: viele Praktiker, keine Entscheidungsträger.

Damit ist man auch direkt beim Kernthema der Sektion, ging es doch um Ressourcen und über einen Großteil der Ressourcen (Mitarbeiter, Zeit, Geld usw.) in den beteiligten Institutionen (Archiv, Schule, Universität) entscheiden eben nicht die Praktiker.

Aus diesem Grund versuchte Saskia Handro dann auch in ihrem Einführungsvortrag die thematische Vorgabe der ‚Ressourcen‘ auf Archivalien zu beziehen. Sie fokussierte dabei auf die Kompetenzorientierung beim Lernen in Archiven als als außerschulische Lernorte.

Handro stellte Schülerperspektiven auf das Arbeiten in Archiven vor, die auf Arbeitsberichten des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten sowie auf Schülerinterviews beruhten. Daran zeigte sie ausführlich auf, wie gewinnbringend und motivierend die Jugendlichen selbst die Arbeit im Archiv einschätzten.

Allerdings gilt es hinzuzufügen, dass der Geschichtswettbewerb nur kleinen Teil von Schülern anspricht und die Beobachtungen so nicht verallgemeinerbar sind. Für einen Großteil der Schüler – auch am Gymnasium – dürfte diese Form des forschenden Lernens eine krasse Überforderung darstellen.

Immer wieder argumentierte  Handro gegen vermeintliche Hemmschwellen und mangelnde Attraktivität von Archiven als Lernorten. Das geht meines Erachtens aber an dem Problem vorbei, wobei die Debatte aus der Archivpädagogik bekannt ist. Archive sind fantastische Orte für historisches Lernen, ich vermute, dass das auch den meisten Kollegen an den Schulen längst klar geworden ist. Selbstverständlich war das nicht immer so.

Handro präsentierte innovative Ideen und gelungene Vorschläge, wie im Archiv mit Schülern gearbeitet werden kann. Sie wies zurecht daraufhin, dass sich die Differenz von Vergangenheit und Geschichte sowie das Entdecken der Erkenntnisgrenzen in Archiven anschaulich lernen lässt.

Das Hautproblem aus schulischer Sicht, das ich sehe, besteht jedoch darin, dass selbst wenn ich an einer Schule in einer Stadt mit einem ausgesprochen guten Archivangebot wie in Koblenz bin – von Schulen in ländlichen Regionen mit ensprechenden Anfahrtswegen zum nächsten Archiv gar nicht zu sprechen, in einem vom 45 Minuten -Takt diktierten Arbeitsrhyhtmus nicht umsetzen kann. Aufgrund des entstehenden Unterrichtsausfalls werden Exkursionen und längere Unterrichtsgänge leider an vielen Schulen mittlerweile kritisch gesehen und zunehmend restriktiv gehandhabt. Die Arbeit mit Schülern im Archiv muss also die Ausnahme bleiben, die sich mal an einem Wandertag oder in einer Projektwoche umsetzen lässt.

An methodische Anregungen zum Lernen im Archiv mangelt es nicht, aber nicht nur auf Seite der Schule fehlen andere Ressourcen, das ist auch in vielen Archiven so, die, selbst wenn sie es als Aufgabe begreifen, ein archivpädgogisches Angebot kaum oder gar nicht leisten können. So gibt es in Rheinland-Pfalz z.B. gar keine Archivpädagogen: Das ist für diese Arbeit eine zentrale, aber fehlende Ressourcen. Wenn mit und für Schulen gearbeitet wird, dann müssen das die Archive quasi noch „nebenher“ leisten.

Insgesamt hat sich bei mir der Eindruck gefestigt, dass sich die archivpädagogische Arbeit in einem Dilemma aus großen Potentialen für das historische Lernen und massiv fehlenden Ressourcen befindet.

Es nicht so, dass Handro diese Probleme nicht sehen würde. Sie hat sie sogar im Vortrag im Anschluss an die ausführliche Darlegung von Chancen und Anregungen eingeräumt. Eine Diskussion möglicher Lösungsansätze ging aber über ein: „Wenn man das will, dann muss/kann man sich dafür Zeit nehmen“ nicht hinaus…

Gleichfalls schade fand ich, dass Handro gleich zu Beginn Archiv und Internet als alternative Lernorte gegenübergestellt hat. Zitat: „Schulen gehen ins Netz, aber nicht ins Archiv.“  Da hätte ich mir mehr Differenzierung gewünscht und von ihr auch erwartet. Immer wieder bemühte sie die klischeehafte und letztlich auch falsche Opposition von Googeln vs. Archivrecherche statt die eigene Wertigkeit beider Recherchen zu erkennen. Genau dieses: die Chancen, Probleme und Reichweite der jeweiligen Recherche, die Angemessenheit in Bezug auf die eigene Fragestellung gilt es meines Erachtens Schülern zu vermitteln. Es dürfte wohl klar sein, dass kein Archiv möchte, dass bei jeder Hausaufgabe im Geschichtsunterricht mehrere Dutzend Schüler nachmittags vor der Tür stehen.

Daran anschließend verwundert es wenig, dass die Chancen der Nutzung digitaler Medien an außerschulischen Lernorten, in der gesamten Sektion nicht vorkamen. Sie waren weder vorgesehen, noch wurden sie angesprochen. Auch nicht in den vorgestellten Praxisbeispielen, die sich alle durch einen enormen Zeit- und Arbeitsaufwand der beteiligten Lehrer und Archivpädagogen/Archivare auszeichneten und daher kaum verallgemeinerbar sind.

Beispielhaft für die Arbeit mit digitalen Medien in der Archivpädagogik wären hier Kooperationen von Archiven zur Erstellung von virtuellen Stadtrundgängen oder Geocaches zu nennen. Ein großes Potential sehe ich darüber hinaus für die Zukunft im Nutzen der Web 2.0-Angebote von Archiven durch Schulen, weil diese sowohl in der Schule als auch Zuhause bereitstehen und damit viel einfacher genutzt werden können. Ein Thema, das hoffentlich auf der Tagung „Offene Archive“ Ende November in Speyer breit diskutiert werden wird.

„Vergangenheit, wir kommen. Spurensuche im Archiv“ und „Wie Geschichte entsteht“

Anbei der Hinweis auf zwei gut gemachte Filme für den Geschichtsunterricht, die beide online verfügbar sind:

Der erste Film findet sich auf dem Internetportal Westfälische Geschichte gibt einen Überblick darüber, was Archive eigentlich sind und wie man sie (speziell auch als Schüler) nutzen kann. Der Film ist professionell erstellt, inhaltlich überzeugend und eignet sich auf jeden Fall zur Vorbereitung auf einen Besuch in einem Archiv mit einer Klasse. Nachteil ist – und hier scheint zu wenig von der Zielgruppe her gedacht worden zu sein -, dass der Film über 60 Minuten dauert und damit inklusive Besprechung im regulären Unterricht schwer unterzubringen ist. Allerdings sind die Hauptsequenzen („Was ist ein Archiv?“, „Suche nach Quellen“ etc.)  auch als Einzelepisoden abrufbar mit einer Länge zwischen 3 und 9 Minuten.

Im Unterrichtseinsatz getestet habe ich den Film noch nicht, könnte mir aber gut vorstellen, dass er gut in die Einführungsphase der Oberstufe passt oder zum Einstieg in einer Arbeitsgemeinschaft oder Klasse für den anstehenden Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Die Geschichte der Rahmenhandlung und die „Witze“ zur Auflockerung sind nett gemeint, wirken für mich aber eher aufgesetzt und bemüht. Ich könnte mir vorstellen, dass es Schülern auch so geht.

Der zweite Film stammt gleichfalls aus NRW  und trägt den Titel „Wie ensteht Geschichte?“. Entstanden ist der Film im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster. Auch hier ist die professionelle Produktion  hervorzuheben. Westfälisch trocken wird eine Einführung in die historische Methode gegeben und zunächst an einem konkreten Beispiel aus der Frühen Neuzeit gezeigt, wie eine Forscherin von einer Ausgangsfrage über Archivrecherche zu ihren Ergebnissen kommt. Anschließend steht die Arbeit des Kirchenhistorikers Wolf  in den Vatikanischen Archiven im Mittelpunkt, da wird es etwas anekdotischer, nichtsdestotrotz: Bilder und Beispiele sind gut gewählt. Insgesamt gibt der Film einen guten Einblick, eignet aber gleichfalls eher für die Oberstufe, auch hier wieder besonders für den Einstieg ins Fach.

Beide Filme können gut im Unterricht eingesetzt werden und ergänzen die oft etwas faden Einführungen in das Fach in den Schulbüchern. Für welchen der beiden Filme man sich im Unterricht entscheidet, ist letztlich egal. Das hängt jeweils von Lerngruppe und Intention ab.Denkbar wäre auch arbeitsteilig in Partner- oder Gruppenarbeit Einzelepisoden des ersten und den zweiten Film schauen zu lassen und anschließend die Inhalte in einem Gruppenpuzzle gegenseitig ezählen und zusammenfassen zu lassen. Der abschließenden Forderungen auch mit Schülern zumindest einmal im Archiv zu arbeiten, ist auf jeden Fall zuzustimmen.

Archive & Computer-/Internetspiele

Gestern bin ich durch einen Tweet von EiserfeldWolf auf zwei Spiele aufmerksam geworden, die Geschichte vermitteln wollen und bei denen Archive bei der Konzeption der Spiele mitgewirkt haben.

Zum einen ist es das runterladbare Spiel Lambert & Laurin, mit dem 2008 auch ein Gewinnspiel verbunden war, für dessen Lösung das Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein sowie das Stadtarchiv in Siegen aufgesucht werden mussten.

Zum anderen Het geheim van Rotterdam (Das Geheimnis von Rotterdam), in dem sich ein Schüler und sein Großvater auf Spurensuche in Rotterdam begeben.

Ehrlich gesagt, stehe ich etwas ratlos vor diesen Spielen. Ich weiß wie schwierig die Öffnung von Archiven für ein weiteres Publikum ist, weil dies von vielen Archiven weiterhin nicht als „Kerngeschäft“ angesehen wird. Insofern begeistern mich solche Initiativen, weil in Archiven ungeheure Schätze für die Vermittlung von Geschichte, gerade auch für die Schule, liegen. Deshalb ist mir die Zusammenarbeit von Schule und Archiv ein wichtiges Anliegen.

Fraglich ist, ob dies durch solche Spiele geleistet werden kann und ob der Aufwand für die Erstellung eines solchen Spiels gerechtfertigt ist. Die Idee, das Computerspiel mit dem Archivbesuch zu verknüpfen, finde ich sehr gelungen, aber nach Ablauf des Wettbewerbs, fürchte ich, wird das Spiel heute kaum noch genutzt werden.

Dem niederländischen Spiel liegt die schöne Idee, eines Vergleichs von Rotterdam vor und nach der Bombardierung 1940 durch die Deutschen zugrunde. Allerdings besteht das Spiel vor allem aus Suchbildern, in denen Münzen und Gegenstände gefunden werden müssen, was ich persönlich schon beim zweiten Level als ermüdend und langweilig empfand (zusätzlich dazu die schlechte, nervtötende Musik, die aber zum Glück ausschaltbar ist). Mit den Gegenständen werden keine weiteren Informationen verknüpft und auch der Großvater hält sich sehr zurück und erzählt (zumindest bis zum Puzzle im vierten Level, nach dem ich dann ausgestiegen bin) außer dem langwierigen Rahmenhandlung kaum historisch Interessantes. Wobei das in der Umsetzung z.B. durch weitere Informationen zu den Gegenständen bei Anklicken sehr schön und leicht umsetzbar gewesen wäre.

Insofern frage ich mich, gibt es weitere Beispiele mit computer- oder internetbasierten Spielen historischen Lernen in oder mit Archiven zu fördern? Was kannst sonst das Ziel von solchen Spielen sein? Nur eine andere Art von Werbung für die eigene Einrichtung, wie hier im Blog De digitale Archivaris angedeutet?

Irgendwie denke ich, dass in der Verbindung von Internet, Spiel und historischem Lernen durchaus ein Potential  für die Öffnung von Archiven für eine breitere (und junge) Öffentlichkeit schlummert, das aber bisher noch nicht geweckt scheint.

Neues aus dem Landeshauptarchiv

Am Sonntag, den 7. März 2010, findet zum 5. Mal der Tag der Archive in Koblenz statt. Bundes-, Landeshaupt- und Stadtarchiv laden von 14-17 Uhr zum Besuch ein. Unter dem Motto „Dem Verborgenen auf der Spur“ bieten die Archive einen Blick hinter die Kulissen.

Am 19. März 2010 wird die neue Archivkiste (Infos dazu unnötig verschämt ganz unten auf der Seite), die von Schulen ausgeliehen werden kann, auf einem Pressetermin öffentlich vorgestellt.

Der Arbeitskreis „Archiv & Schule“ trifft sich in diesem Halbjahr, am 12. April, um 15 Uhr im Landeshauptarchiv in Koblenz. Interessierte Geschichtslehrer aus RLP sin.d herzlich willkommen. Für weitere Informationen gibt es bei den Ansprechpartnern der Landesarchive.

Passend dazu erschien gestern eine Rezension des Buchs „Schüler ins Archiv! Archivführungen für Schulklasse“ auf H-Soz-u-Kult. Laut Rezension ein anregendes Buch für Archivare und Lehrer mit zahlreichen Ideen und fertigen, laut Reszensent „praxisnahen“ Modulvorschlägen für die archivpädagogische Arbeit.