Bei der Arbeit an der Handreichung zur Welterbebildung am Beispiel Oberes Mittelrheintal ist mir aufgefallen, dass es keine deutschsprachige Literatur zum Thema Welterbebildung im Geschichtsunterricht bzw. zum gegenseitigen Verhältnis von Welterbebildung und historischem Lernen, auch außerhalb von Schule gibt. Zumindest habe ich nichts gefunden, für Hinweise auf existierende Veröffentlichungen, die ich übersehen habe, bin ich dankbar.
In der aktuellen Diskussion (Burgenbloggerin, FAZ) über das Welterbe Oberes Mittelrheintal taucht immer wieder die Frage der Jugend auf, von Vergreisung ist die Rede. Ein Baustein für die Zukunft lautet mehr Welterbe in die Schule! Die Ziele der Welterbeerziehung der UNESCO sind:
- Welterbestätten kennen und achten und als gemeinsames Erbe der Menschheit verstehen.
- Das Welterbe in seiner Vielfalt schätzen: Naturerbe, Kulturerbe, Erinnerungsstätten, Immaterielles Erbe.
- Aktiv am Erhalt und der Pflege bestehender Natur- und Kulturerbestätten mitarbeiten.
- Das UNESCO-Welterbe in Unterricht und Schulleben verankern und nutzen.
- Die Welterbestätten als außerschulische Lernorte erleben.
Inwieweit findet das in den Schulen statt? In den UNESCO-Projektschulen, aber auch darüber hinaus. Für viele Fächer, besonders Kunst und Erdkunde, findet einiges, was vermutlich mit der Zusammensetzung des Arbeitskreises „World Heritage Education“ und den entsprechenden Lehrstühlen in Deutschland zusammenhängt. Für das kommende Jahr bereite ich deshalb gerade eine Tagung/Fortbildung zum Thema „Welterbebildung im Geschichtsunterricht“ vor gemeinsam mit dem Pädagogischen Landesinstitut RLP und unterstützt durch den Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal. Geplant ist die Fortbildungstagung für den 4. Mai 2016, muss aber noch durch die entsprechenden Gremien im Land genehmigt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen interessanten Twitterchat hinweisen, der unter #OurUNESCO an jedem dritten Montag im Monat um 17 Uhr läuft und von Studenten des Ironbridge International Institute for Cultural Heritage der Universität Birmingham organisiert wird. Für die dazugehörige Zeitschrift gibt es auch aktuell einen interessanten Call for Papers zum Thema „Cultural Heritage in a Digital Age“ mit Deadline zum 14. August.
Die bisherigen Diskussionen auf Twitter sind unter dem Hashtag auch nachzulesen und gleichfalls auch in Form von Storify zusammengefasst. Dies sind die kommenden Termine und Themen:
15. Juni:- World Heritage and Industrial Heritage
20. Juli: 39th Session of the World Heritage Committee
17. August: World Heritage and Communities
21. September: Open Discussion
Bei der letzten Mal ging es um das Thema der Welterbebildung. Leider konnte ich daran nicht teilnehmen, die Tweets sind hier zusammengestellt. Einige der Fragen aus dem Twitterchat zur Welterbebildung möchte ich an dieser Stelle auf Deutsch noch einmal aufnehmen und zur Blogparade aufrufen. Die Fragen geben mehr her als man in 140 Zeichen sagen kann. Eine Blogparade zu Welterbe und Welterbebildung im Unterricht, nicht nur im Fach Geschichte, könnte einen interessanten Einblick über deren Stand in Deutschland aus unterschiedlichen Perspektiven bieten.
Hier als Auftakt also meine Antworten auf die Fragen:
1) Who was taken to a World Heritage Site (WHS) as a school pupil?
Ja. Wir waren sowohl im Kölner Dom wie auch einmal auf einem Zugausflug mit der ganzen Schule in Trier. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass uns Schülern damals jemand erklärt hätte, dass es sich um Welterbestätten handelt. Die römischen Überreste in Trier waren schon irgendwie beeindruckend, vor allem die Porta Nigra und die Kaiserthermen sind haften geblieben. Das Beste am Ausflugstag waren jedoch die zwei Stunden Freizeit, in denen ich auf einem Grabbeltisch beim Kaufhof meine erste Cure-Platte gekauft habe.
2) Who was taught about World Heritage in school?
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das irgendwann einmal in der Schule thematisiert worden wäre. Gibt es heute Lehr- und Rahmenpläne, in denen es verbindlich vorgeschrieben ist und nicht nur als Anregung drinsteht?
3) How important is teaching children about World Heritage in comparison with other narratives?
Das ist eine schwierige Frage. Durch den globalen Bezugsrahmen und die Einzigartigkeit der jeweiligen Welterbestätte haben diese natürlich einen herausgehobenen Platz. Da der Zeitrahmen des schulischen Geschichtsunterrichts jedoch begrenzt ist, steht die Welterbe-Bildung in Konkurrenz zu vorhanden Schwerpunktsetzungen und Erzählsträngen. Angesichts der Tatsache, dass eine globalgeschichtlicher Zugang kaum eine Rolle, wäre es eine Möglichkeit diesen über die Integration von Welterbebildung in den Geschichtsunterricht aufzubauen bzw. zu stärken. Dies kann besonders dann gelingen, wenn in vergleichender Weise über regionale vorhandene Welterbestätten hinaus weitere Beispiele herangezogen werden, um an diesen gegenseitige Abhängigkeit und Verflechtung von Kulturen zu erarbeiten. Die Integration von Welterbebildung in den Geschichtsunterricht könnte also einen wichtigen Beitrag leisten zum Aufbrechen nationaler und eurozentristischer Fokussierungen in den curricularen Vorgaben.
4) How does World Heritage fit into your curriculum?
Es passt (eigentlich) hervorragend in den Geschichtsunterricht. Wenn ich mal von meinem Arbeitsalltag ausgehe, dann haben wir gerade die regionalen Welterbestätten nicht nur vergleichsweise nah vor der Tür für Exkursionen, sondern an ihnen werden oft auch exemplarisch in den Schulbüchern einige Lehrplanthemen abgehandelt, z.B.:
- Römische Geschichte: Trier und der Limes
- Burgen im Mittelalter am Beispiel der Marksburg im Oberen Mittelrheintal
- Kirchen(bau) im Mittelalter am Beispiel des Doms in Köln und/oder Speyer
Was fehlt? Eine Thematisierung des Welterbestatus und der damit verbundenen Ideen. Ich kann mich nicht erinnern, dass in Lehrplänen gefordert oder Schulbüchern angbeoten wird, zu thematisieren, warum es sich um Welterbestätten handelt, was sie so einzigartig macht und warum sie besonders erhaltenswürdig sind. Im Sinne der UNESCO auch die Ermutigung sich für den Erhalt dieser Stätten als Menschheitserbe einzusetzen. Angesprochen sind auf individueller Ebene Geschichtsbewusstsein ebenso wie auf gesellschaftlicher Geschichtskultur. Welterbebildung passt also bestens in den Geschichtsunterricht. Warum hat sie dort bislang keinen festen Platz gefunden?
5) What are the issues surrounding inclusion of world heritage into current lessons? How can Heritage help?
Einige Probleme habe ich oben bereits genannt: Es fehlt die Verbindlichkeit in den Vorgaben für den Unterricht sowie das Angebot in den Leitmedien des Unterrichts. Die Thematisierung ist zusätzlich und freiwillig und liegt damit im Ermessen der Lehrkraft, ist also abhängig von deren Interesse. Es gibt reichlich Anknüpfungsmöglichkeiten, aber keine explizite Festschreibung. Diese forderten die deutschen Welterbestätten auf ihrer Jahrestagung: Welterbe in die Lehrpläne (siehe hier). Ich sehe bei den mir bekannten neuen Lehrplänen in Geschichte nicht, dass dieser Appel eine Berücksichtigung gefunden hätte.
Die Implementierung von freiwilligen, zusätzlichen Themen ist immer schwierig. Helfen kann eine Zusammenarbeit der Welterbestätten mit den entsprechenden Instituten der Bundesländer im Schulbereich. Wichtig ist es aufzuzeigen, wie an regulären, verpflichtenden Lehrplan- und Prüfungsthemen exemplarisch mit Beispielen aus dem Welterbe gearbeitet werden kann und wie hierbei Aspekte der Welterbebildung einfließen können. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Schulinstituten deshalb, weil so die Chance steigt, dass die Ideen auch in den Schulen ankommen. Bei Vorschlägen und Materialien, die von einer Welterbestätte produziert werden, stellt sich immer die Frage, wie diese an die Lehrenden und Lernenden gelangt. Nur weil man etwas veröffentlicht, egal wie gut es ist, ob nun im Print oder digital, gelangt es noch nicht zu der gewünschten Zielgruppe.
Daher ist die (besonders regionale) Vernetzung und Zusammenarbeit ein zentraler Punkt. Diese sollte die UNESCO-Projektschulen einbinden, vielleicht sogar im besonderen Maße als Innovatoren und Multiplikatoren nutzen, aber zugleich über diese hinausgehen, da die Beschäftigung mit dem Welterbe nicht auf einige Projektschulen bleiben darf. Ist eine regionale Vernetzung mehrere Akteure gelungen, können gemeinsam Materialien erstellt und verbreitet und Fortbildungen für Lehrkräfte angeboten werden. Idealerweise werden die Materialien im Sinne der UNESCO als OER angeboten. Dies erhöht ihre Zugänglich- und Nutzbarkeit unabhängig vom Verfügen über ein gedrucktes Exemplar einer Handreichung, das vielleicht in der Schulbibliothek vorhanden ist, und frei anpassbar an die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der jeweiligen Lerngruppe bzw. der einzelnen Lernenden.
Ein erfolgreiches Beispiel für so eine Kooperation ist die oben bereits erwähnte, im April diesen Jahres veröffentlichte Handreichung zur Welterbe-Bildung im Oberen Mittelrheintal, deren Beiträge und Unterrichtsmaterialien auch online als OER verfügbar sind und die die Möglichkeit der Veröffentlichung weiterer Beiträge bietet.
Um beispielhaft verschiedene methodische Zugänge zum Welterbe im Geschichtsunterricht aufzuzeigen, wäre auch ein Themenheft bei „Geschichte lernen“ oder „Praxis Geschichte“ eine gute Sache, um viele Lehrkräfte zu erreichen, die auf der Suche nach gelungenen Unterrichtsanregungen sind.
6) World Heritage Sites are multidisciplinary learning resources- any examples?
Welterbestätten bieten fantastische Möglichkeiten für fächerübergreifenden Unterricht. So kann man am Beispiel der Welterbestätte Oberes Mittelrheintal in herausragender Weise Mittelalter und/oder Romantik zugleich z.B. in Geschichte, Deutsch und Kunst thematisieren. Diese Herangehensweise eignet sich dann auch in besonderem Maße für individuelle Zugänge der einzelnen Lernenden in Form von Projektarbeit. In der Handreichung haben wir für das Obere Mittelrheintal weitere Ideen zusammengetragen:
- Der Rhein als Verbindungsweg und Grenze aus historischer Perspektive (Deutsch, Kunst, Geschichte)
- Nationaldenkmale am Rhein (Deutsch, Fremdsprachen, Kunst, Geschichte)
- Mystik am Rhein: Hildegard von Bingen (Religion, Geschichte, Biologie)
- Die Wiederentdeckung der Natur: Der Osteinsche Park in Rüdesheim (Deutsch, Kunst, Geschichte)
- „Das ist doch Asbach“ – Die Entwicklung von Markennamen (Sozialkunde, Erdkunde, Deutsch, Geschichte)