„Kinder wollen lernen, Neues erfahren. Statt dessen werden sie in Gedankengefängnissen eingesperrt. Nationalismus, Patriotismus sind solche Gedankengefängnisse, die überwunden, niedergerissen werden müssen.“ (Yehudi Menuhin)

AJ-Books-2-800pxNation“ und „Nationalismus“ in Schulbüchern

Der Geschichtsunterricht trägt weiterhin zum Aufbau und Fortführen der „great myth of the nation1, also der nationalen Identitätsbildung bei. Im Blick dieses Kapitels stehen die Erklärungen der zentralen Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“ in Schulbüchern. Eine vollständige Analyse des Themas in Geschichtsbüchern, idealerweise in einer europäischen Vergleichsperspektive, kann in einem Blogbeitrag nicht geleistet werde. Daher werden nur einige Geschichtsbücher exemplarisch in den Blick genommen.2

Eine Definition der Begriffe ist – wie in den vorangehenden Beiträgen bereits dargelegt – alles andere als einfach, und zwar in dem Maße, dass auch viele wissenschaftliche Einführungen auf eine allgemeine Definition verzichten.3 Schulbücher haben es schwerer, da sie kaum – auch wenn sie, wie zu zeigen sein wird, das trotzdem des Öfteren tun – diese für den Geschichtsunterricht zentrale Begriffe in einem Glossar aussparen können.

Schulbuchdefinitionen des Begriffs „Nation”

Für die Sekundarstufe I heißt es in einem Werk:

Als Merkmale einer Nation gelten gemeinsame Abstammung, Sprache, Kultur und Geschichte sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl der in einem Gebiet zusammenlebenden Menschen. Während sich in den westeuropäischen Staaten (besonders England, Frankreich und Spanien) bereits seit dem Mittelalter ein Nationalgefühl entwickelte, bildete sich ein vergleichbares Nationalgefühl in Deutschland erst seit dem 18. Jahrhundert heraus, und erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Forderungen nach einem gemeinsamen Nationalstaat für alle Deutschen erhoben.“4

Die Definition verwendet ausschließlich „natürliche“ Merkmale zur Begriffsdefinition, hebt sehr stark auf das Nationalgefühl ab und datiert das Entstehen der Nation für Westeuropa ins Mittelalter. Dies wird von einer späteren, deutschen Entwicklung unterschieden, die aber dieselben Inhalte umfassen soll. Eine historische Veränderung des Begriffs wird nicht aufgezeigt.

Eine völlig andere Definition bietet ein zweites Schulbuch für die Mittelstufe:

(lat. natio: Herkunft, Abstammung): die im 18. Jahrhundert entwickelte Vorstellung, dass Menschen, die eine gemeinsame Kultur (Sprache, Religion, Literatur, Kunst) und Geschichte haben, ein Volk bilden. Seit der nordamerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) und der Französischen Revolution (1789) geht diese → Ideologie zusätzlich davon aus, dass alle Völker das Recht haben, in Freiheit und nach eigenem Recht in einem Nationalstaat zu leben. 1848/49 scheiterte der Versuch, einen deutschen Nationalstaat zu errichten. Das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich verstand sich als Nationalstaat; es bestand bis 1918.“5

Ausgegangen wird hier von der ursprünglichen, lateinischen Wortbedeutung. Die begriffliche Entwicklung wird aber nicht weiter verfolgt. Stattdessen wird die Entstehung von Nationen ins 18. Jahrhundert datiert, an kulturellen Kriterien festgemacht, um dann die Nation mit dem Begriff der Ideologie und der Forderung nach einem Nationalstaat zu verknüpfen.

Für die Oberstufe finden sich Definitionen häufiger in den Büchern. Diese sind aber nicht unbedingt komplexer:

Nation (lat. Abstammung): bez. große Gruppen von Menschen mit gewissen, ihnen bewussten Gemeinsamkeiten, z.B. gemeinsame Sprache, Geschichte, Verfassung sowie inneren Bindungen und Kontakten (wirtschaftlich, politisch, kulturell). Diese Bindungen werden von den Angehörigen der Nation positiv bewertet. Nationen haben oder wollen eine gemeinsame staatliche Organisation (Nationalstaat) und grenzen sich von anderen Nationen ab.“6

Diese Begriffserklärung bezieht sich vor allem auf die Forschungen von Hroch und beschreibt die Nation als Kommunikationsraum. Dagegen bietet die nachfolgende Definition als einzige einen Einblick in den historischen Wandel des Begriffs:

(lat. Abstammung): Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Bezeichnung für Großgruppen mit gemeinsamer Herkunft; seit dem 12. Jh. stimmten die Teilnehmer auf kirchlichen Konzilien nach Nationen ab; an vielen Universitäten organisierten sich die Studenten nach Nationen. Seit dem 18. Jahrhundert wird der Begriff auf ganze Völker übertragen. Er bezeichnet große Gruppen von Menschen mit gewissen, ihnen bewussten Gemeinsamkeiten, z.B. gemeinsame Sprache, Geschichte oder Verfassung, und vielen inneren Bindungen und Kontakten (wirtschaftlich, politisch, kulturell). Diese Gemeinsamkeiten und Bindungen werden den Angehörigen der Nation positiv bewertet und teilweise leidenschaftlich gewollt.“ Nationen haben oder wollen eine gemeinsame staatliche Organisation und grenzen sich von anderen Nationen ab. Staatsbürgernationen („subjektive“ Nation) haben sich in einem vorhandenen Staatsgebiet durch gemeinsames politisches Handeln entwickelt (z.B. Frankreich). Kulturnationen („objektive“ Nation, Volksnation) verfügen über sprachlich-kulturelle Gemeinsamkeiten (z.B. eine Nationalliteratur) und Nationalbewusstsein, nicht jedoch unbedingt über einen Nationalstaat (z.B. Deutschland vor 1871, Polen vor 1918).“7

Dies ist die mit Abstand komplexeste und umfassendste Definition, die ich gefunden habe. Es gibt einige Überschneidungen mit den vorher zitierten Erklärungen, aber als einzige geht diese auf den in der Forschungsgeschichte wichtigen Unterschied zwischen Staats- und Kulturnation ein. Die neueren Forschungen hinsichtlich des Imaginations- bzw. Konstruktionscharakters der Nation sind noch nicht aufgenommen, was auch mit dem frühen Veröffentlichungsdatum (1995) dieses Lehrwerks zusammenhängen könnte.

Schulbuchdefinitionen des Begriffs „Nationalismus“

Nicht in allen Büchern finden sich Definitionen für die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“. Teilweise begnügen sich die Schulbuchmacher mit der Definition eines Begriffs, der das gesamte Phänomen erklären soll. Insgesamt findet der Nationalismus häufiger Aufnahme in ein Glossar. Er wird gemäß den Zusammenhängen mit den anderen Schwerpunkthemen desselben Schuljahres wie z.B. Liberalismus und Marxismus vor allem als Ideologie charakterisiert:

Der Nationalismus ist eine Ideologie, die dem Nationalstaat eine beherrschende Stellung für die Gegenwart und Zukunft eines Gebietes oder Volkes zuweist. In seiner heutigen Prägung ist er während der französischen Revolution entstanden, als die Abgeordneten des dritten Standes sich zur französischen Nationalversammlung erklärten. In Deutschland bildete sich der Nationalismus durch die Erfahrungen der französischen Fremdherrschaft und in den Befreiungskriegen heraus, als die Freiwilligen von 1813 für ein noch gar nicht existierendes geeintes Deutschland kämpften.“8

Der Nationalismus wird als moderne Erscheinung gekennzeichnet, die in der französischen Revolution entsteht und sich dann in den Befreiungskriegen gegen Napoleon auch in Deutschland „bildet“. Es wird darauf verzichtet, die Träger dieser Bewegung zu benennen, und auch der Hinweis „in seiner heutigen Form“, der ja vermuten lässt, dass es Nationalismus auch schon früher gegeben habe, bleibt nur vage.

Ein Buch, das beide Begriffe definiert, kann natürlich auf die Nation verweisen. Demnach ist Nationalismus:

ursprünglich das Bekenntnis zur eigenen → Nation bzw. dem Staat, dem man angehört. Der Nationalismus enthielt von Anfang an zwei Richtungen: Auf der einen Seite stand die Überzeugung, dass alle Völker einen Anspruch auf nationale Selbstbestimmung haben, auf der anderen die besondere Hochschätzung des eigenen Volkes. Die Abwertung von Menschen anderer Religion und Herkunft trug zu einem übersteigerten Nationalbewusstsein bei.“9

Interessant ist die Gleichsetzung von Staat und Nation. Verzichtet wird auf eine zeitliche Einordnung, dafür versuchen die Autoren die Doppelgesichtigkeit des Nationalismus aufzunehmen, ohne allerdings die Verbindung zur demokratischen Bewegung zu benennen. Die „zwei Richtungen“ beziehen sich in der vorliegenden Definition nur auf die Aufwertung der eigenen und die daraus resultierende Abwertung anderer Gruppen.

Auch für den Begriff „Nationalismus“ sind die Begriffserklärungen nicht unbedingt komplexer, aber im Vergleich zum Nationsbegriff häufiger. Überraschen muss, wenn in einem ansonsten guten Lernrepetitorium für das Abitur zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts Definitionen der beiden Begriffe fehlen und nur der offensichtlich als einfacher empfundene Begriff „Patriotismus“ als „Liebe zum eigenen Vaterland ohne Abwertung anderer Völker oder Konkurrenzdenken („positiver Nationalismus“) gekennzeichnet wird.10 Darin enthalten ist der vermeintliche Gegensatz zum Nationalismus als negativem Begriff – ein vereinfachender Gegensatz, der so historisch nicht richtig ist.

Eine komplexere Definition sieht den Nationalismus als

politische Ideologie zur Integration von Großgruppen. Der demokratische Nationalismus entstand in der Französischen Revolution; er war verbunden mit den Ideen der Menschen- und Bürgerrechte, mit dem Selbstbestimmungsrecht und der Volkssouveränität. Der integrale Nationalismus entstand Ende des 19. Jh.s und lehnte die Gleichberechtigung der Nationen ab. Die Interessen der eigenen Nation wurden denen aller anderen Nationen übergeordnet. Dadurch erhielt diese Spielart eine aggressive Komponente nach außen.“11

Die Autoren nehmen die historische Begriffsentwicklung zum integralen Nationalismus auf und ordnen das Phänomen auch zeitlich ein. Sehr deutlich wird die Verbindung zur demokratischen Bewegung herausgestellt. Ähnliche Schwerpunkte setzt die folgende Erklärung:

Der Nationalismus ist eine politische Ideologie, in deren Mittelpunkt die Nation bzw. der souveräne Nationalstaat stehen. Er dient häufig zur Integration sozialer Großgruppen. Der Nationalismus kam zum ersten Mal in Frankreich zur Zeit der französischen Revolution (1789) auf und besaß hier demokratische Züge. In Deutschland (und auch in anderen europäischen Staaten) strebte im frühen 19. Jahrhundert die nationale Bewegung einen souveränen Nationalstaat an, dessen Verfassung bürgerliche Freiheiten, Wahlrecht, Gewaltenteilung und Rechtsgleichheit garantieren sollte. Im deutschen Kaiserreich steigerte sich der Nationalismus zu einem Gefühl der deutschen Überlegenheit gegenüber anderen Völkern oder Nationalitäten. Er schuf nach innen ein Zugehörigkeitsbewusstsein und zeigte sich in aggressiv vertretenen nationalen Machtansprüchen nach außen.“12

Begrifflich nicht so präzise wie die vorangehende Definition überraschen die Autoren mit der Reduzierung des integralen Nationalismus auf das deutsche Kaiserreich. Damit einhergehend – und ebenso problematisch – ist die Tatsache, dass in allen Definitionen der Nationalismus personifiziert wird: Es werden keine Träger der Bewegung benannt. Verkürzt gesagt entsteht der Nationalismus in der französischen Revolution und dann „macht er“…13

Wiederum findet sich die umfassendste Definition im Geschichtsbuch Oberstufe:

Als wissenschaftlicher Begriff meint er die auf die moderne Nation und den Nationalstaat bezogene politische Ideologie zur Integration von Großgruppen durch Abgrenzung von anderen Großgruppen. Der demokratische Nationalismus entstand in der Französischen Revolution und war verbunden mit den Ideen der Menschen- und Bürgerrechte, des Selbstbestimmungsrechts und der Volksouveränität. Der integrale Nationalismus entstand im letzten Drittel des 19. Jh. und setzte die Nation als absoluten, allem anderen übergeordneten Wert. Zur politischen Macht wurde er insbesondere in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Daraus hat sich die negative Besetzung des Begriffs in der politischen Öffentlichkeit ergeben, in der Nationalismus in der Regel als übersteigerte und aggressive Form des Nationalgefühls verstanden wird (frz. Chauvinismus, engl. Jingoismus).“14

Hervorzuheben ist in dieser Definition die deutliche Unterscheidung von wissenschaftlichem und öffentlichem Gebrauch des Begriffs, die sich so sonst nicht in den Geschichtsbüchern findet, aber im Hinblick auf die Besonderheiten historischer Begriffe ebenso notwendig wie sinnvoll erscheint.

Die Schulbuchautoren tun sich offenkundig mit beiden Begriffen schwer. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Definitionen in den Schulbüchern immer nur Teilaspekte und sehr unterschiedliche Ansätze enthalten, aber durchgängig ältere Forschungsstände wiedergeben.

Da die Beitragsserie auf Notizen zu meiner abgebrochenen Diss beruht, sind die jüngsten Schulbücher von 2006. Mit 10 Jahren Abstand stellt sich die Frage, ob sich etwas geändert hat. In Rheinland-Pfalz tritt mit Beginn des neuen Schuljahrs 2016/17 der neue Lehrplan im Fach Geschichte in der Mittelstufe in Kraft. Der Lehrplan setzt sowohl „Nation“ wie auch „Nationalismus“ im Lernfeld I.6.1 als Grundbegriffe. Sie müssen damit als in allen Schulbüchern aufgenommen werden. Zum Lehrplan wurden in den letzten Jahren von vier Verlagen (Buchner, Cornelsen, Klett und Westermann) Schulbücher entwickelt, die Ende 2015 bzw. Anfang 2016 erschienen sind. Aufgrund der neuen Lehrplansstruktur ist das vergleichsweise komplexe Thema „Nationalismus“ bereits in Klasse 8, also mit recht jungen Schülern zu behandeln. Bei Buchner hatte ich als Mitherausgeber die Gelegenheit in Teilen die Inhalte des Buchs mitzugestalten, insofern werde ich mich einer detaillierten Analyse und Bewertung enthalten.

In den vorangehenden Beiträge zu „Nation“ (Teil 1  und Teil 2) und „Nationalismus“ sind notwendige Bestandteile und zeitliche Einordnung der beiden Phänomene herausgearbeitet werden. Die Zusammenstellung aus den drei Büchern zeigt sehr deutlich, dass nicht nur Lehrplan, Forschungsstand und Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheidend sind, sondern dass bei Schulbüchern die inhaltliche Gestaltung (in Bezug auf das ganze Buch vergleichsweise kleinen Details) stark abhängig vom jeweiligen Verlag ist.

NATION

Buchner, Das waren Zeiten. Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, Rheinland-Pfalz Band 1 (2016), S. 374

„Nation: Als Nation wird seit dem 18. Jh. eine große Gruppe von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur oder mit gemeinsamer Regierung und Staatsordnung (→ Verfassung) in einem Staat bezeichnet (→ Nationalstaat). Nationen sind keine natürlichen Gebilde. Sie sind einerseits Konstruktionen der Politik und leben andererseits davon, dass sich Menschen zu ihr ihnen bekennen.“

Klett, Geschichte und Geschehen Rheinland-Pfalz, Band 2 (2015), S. 143

„Nation und Nationalstaat: Als Merkmale einer Nation gelten gemeinsame Abstammung, Sprache, Kultur und Geschichte sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen, die in einem Gebiet zusammenleben“.

Westermann, Horizonte 7/8. Rheinland-Pfalz Band 1 (2015), S. 355

„Nation: Abgegrenzte Großgruppe von Menschen, die durch eine hinreiche Anzahl von Merkmalen miteinander verbunden ist und zumeist in einem bestimmten Territorium zusammenlebt. Da Nationen ‚gedachte Ordnungen‘ darstellen, existieren unterschiedliche Auffassungen über die Zugehörigkeitskriterien, welche von ethnischer Abstammung, gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte bis hin zu einer politisch begründeten Staatsnation reichen, deren Zusammengehörigkeitsgefühl aus dem Bekenntnis zu gemeinsamen Grundwerten (Verfassung) resultiert.“

NATIONALISMUS

Buchner, Das waren Zeiten. Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, Rheinland-Pfalz Band 1 (2016), S. 374

„Nationalismus: weltanschauliches Bekenntnis zur eigenen → Nation und dem Staat, dem man angehört. Auf der einen Seite stand die Überzeugung, dass alle Völker einen Anspruch auf nationale Selbstbestimmung haben, auf der anderen die Hochschätzung des eigenen Volkes. Die Abwertung anderer Nationen trug seit Mitte des 19. Jh. zu einem übersteigerten Nationalbewusstsein (Chauvinismus) bei.“

Klett, Geschichte und Geschehen Rheinland-Pfalz, Band 2 (2015), S. 144

„nationale Frage und Nationalismus: Die Forderung nach einem deutschen Nationalstaat war eine Ausprägung des Nationalismus. Diese Weltanschauung weist der eigenen Nation eine beherrschende Stellung zu. Den Anfang machte die französische Nationalversammlung 1789. In Deutschland bildete sich dieser durch die Erfahrungen mit der französischen Fremdherrschaft [und in den Befreiungskriegen] hinaus.“

Westermann, Horizonte 7/8. Rheinland-Pfalz Band 1 (2015), S. 355

„Nationalismus: Überhöhung der eigenen Nation und Abwertung anderer Nationen. War der deutsche Nationalismus zum Zeitpunkt seiner Entstehung noch eng mit dem Liberalismus verknüpft und zielte hauptsächlich auf die Errichtung eines – innerhalb der europäischen Nationen gleichberechtigten – deutschen Nationalstaates ab, so wandelte sich dieser Nationalismus nach 1871 in einen konservativen Staatsnationalismus mit zunehmend aggressivem und chauvinistischem Charakter.“

1 Vgl. Leeuw-Roord (2000).

2 Siehe dazu z.B. Becher (2005), S. 45; Günther-Arndt (2007), S. 174.

3 Vgl. die fachliche Klärung dieser Arbeit. Die Schwierigkeit des Begriffs zeigt sich auch, wenn in wissenschaftlichen Veröffentlichungen schon Staats- bzw. Ethnogenese mit Nationsbildung begrifflich vermischt werden, so schreibt Assmann (1997), S. 299: „In Griechenland stoßen wir auf genau dieselbe Konstellation wie in Israel und – mutatis mutandis – auch in Ägypten: nationale [sic!] („panhellenische“) Idenitätsbildung im Zusammenhang der Perserkriege“. Sein Buch ist in dieser Hinsicht begrifflich unscharf, auch wenn in der zentralen Überschrift korrekterweise von „Ethnogenese als Steigerung der Grundstrukturen kollektiver Identität“ die Rede ist. Ebda., S. 144.

4 „Nation und Nationalstaat“ in: Geschichte und Geschehen 3. Sekundarstufe I (2006), S. 165.

5 Das waren Zeiten – Ausgabe C. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien und Gesamtschulen Sekundarstufe I (2004), S. 197.

6 Kursbuch Geschichte (2001), S. 569.

7 Geschichtsbuch Oberstufe Band I (1995), S. 352

8 „Nationalismus“ in: Geschichte und Geschehen 3. Sekundarstufe I (2006), S. 165.

9 Das waren Zeiten – Ausgabe C. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien und Gesamtschulen Sekundarstufe I (2004), S. 197.

10 Bemmerlein (2006), S. 154.

11 Kursbuch Geschichte (2001), S. 569.

12 Geschichte und Geschehen- Sekundarstufe II. Neuzeit (2005), S. 565. (Das Lehrwerk enthält keine Definition von Nation.)

13 Vergleiche dazu die Ausführungen zum historischen Denken von Jugendlichen im nachfolgenden Kapitel dieser Arbeit.

14 Geschichtsbuch Oberstufe Band I (1995), S. 353.

Buchners „Das waren Zeiten“ – neu für Rheinland-Pfalz

Zum neuen Teillehrplan Geschichte für die Sekundarstufe I in Rheinland-Pfalz, der zum nächsten Schuljahr zeitgleich in allen Jahrgangsstufen eingeführt wird, legt auch der Buchner Verlag eine eigene Ausgabe aus der Reihe „Das waren Zeiten“ vor. An den beiden Bänden habe ich als Autor und Herausgeber mitgearbeitet. In den letzten beiden Wochen haben wir das Konzept auf mehreren Veranstaltungen vorgestellt. Die Folien der Präsentation sind unten in diesem Beitrag zu sehen und können auch heruntergeladen und weitergegeben werden.

Der neue Lehrplan besteht aus zwei Elementen: dem gemeinsamen Vorwort für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (PDF), das auch das eigene, fächerübergreifende Kompetenzmodell erklärt, sowie den Teillehrplan für das Fach Geschichte (PDF). Aufbau und Konzeption des Buchs erschließen sich nur auf Grundlage der Lehrplanvorgaben. Wir haben versucht, den Lehrplan möglichst präzise in den Büchern umzusetzen.

Das auffälligste Merkmal des neuen Lehrplans ist die Gliederung der Epochalen Schwerpunkte (ESP) anhand von jeweils fünf „Kategorien“ (Orientierung, Herrschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Weltdeutungen), die einen sektoralen Zugriff auf Geschichte bieten. In jedem Lernfeld müssen für die Unterrichtsgestaltung vorgegebene Leitfragen, Kompetenzen, Grundbegriffe und Inhalte berücksichtigt und sinnvoll zueinander in Bezug gesetzt werden. Beide Punkte (Zugriff über Kategorien und die Einzelelemente der Lernfelder) bedingen eine sorgfältige und langfristige Unterrichtsplanung. Deren Komplexität zusätzlich die Integration von Längsschnitten und den Auswahlmöglichkeiten bei den Inhalten gesteigert wird.

Der Lehrplan schwankt dabei einerseits zwischen Festlegungen, die eine bestimmten Kombination von Kompetenz, Inhalt und Methode festschreibt und damit Vorgaben bis in die einzelnen Unterrichtsstunden hinein macht (Beispiele Methodenkompetenz in den Lernfeldern I.4.3 oder II.2.2 des Lehrplans – was mir persönlich als unnötige Gängelung der Lehrkräfte erscheint). Andererseits lässt der Lehrplan sehr viele Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf die Inhalte (Weglassen einer Kategorie pro ESP, große Auswahl von „Erweiterungs- und Vertiefungsthemen“ von denen jeweils nur 2 pro Doppeljahrgangsstufe verpflichtend sind).

Für mich ist kein roter Faden im Sinne einer didaktisch begründeten Auswahl der verpflichtenden Inhalte zu erkennen ist. So erschließt sich mir auch nicht, warum einige Themen, die mir zentral erscheinen nur in der freiwilligen Erweiterung oder Vertiefung auftauchen, an anderer Stelle aber in der Basis als verpflichtend gesetzt sind (vgl. z.B. Lernfeld I.2 oder Herrschaftslegitimation in Antike Basisinhalt, im Mittelalter Erweiterung usw.). Die genannten sowie weitere Punkte wurden übrigens mehrfach an die Lehrplankommission herangetragen, aber bei den Überarbeitungen des Lehrplanentwurfs nicht berücksichtigt.

Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen haben wir bei der Konzeption des Buchs versucht, die Auswahlmöglichkeiten zu erhalten und eine flexible Umsetzung des Lehrplans zu ermöglichen. Dies war ein Leitmotiv bei der Konzeption des Buchs. Die Präsentation unten zeigt auf, wie diese Wahlmöglichkeiten im Buch umgesetzt wurden. Auch die Doppelseiten sind nicht als fertige Unterrichtsstunden konzipiert, sondern bieten im Sinne eines Steinbruchs verschiedene Umsetzungsmöglichkeit und Schwerpunktsetzungen. Daher muss auch hier bei den Materialien und Aufgaben ausgewählt werden. Es ist nicht angedacht, dass alle Aufgaben und Materialien auf einer Doppelseite bearbeitet wird.

Aufgrund dieser zahlreichen Wahlmöglichkeiten haben wir überlegt, beispielhafte Stundenmodelle zu erarbeiten, von denen die ersten drei bereits verfügbar sind. Sie machen die enorme Arbeitserleicherung durch das Schulbuch deutlich, das die verschiedenen Elemente des Lehrplans zusammenführt und auf dieser Grundlage flexible Stundengestaltungen zulässt. Die Stundenentwürfe haben Modellcharakter und sollen eine möglichst hilfreiche Orientierung bieten, auch wenn sicher nicht jede/r die Unterichtsstunden genau so aufbauen wird:

Beispiele für Stundenmodelle zu einigen Doppelseiten (PDF)

Und noch eine abschließende Bemerkung: Vielleicht fragt sich der eine oder die andere LeserIn, warum ich an einem klassischen Schulbuch mitarbeite. Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Mitarbeit war für mich die Aussage der beiden Herausgeber von „Das waren Zeiten“, die die Reihe seit 20 Jahren betreuen, in unserem ersten Gepräch: Wir wollen Geschichtsschulbücher für Kinder und Jugendliche machen. Bücher, die so ansprechend gestaltet und interessant sind, dass sie nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause zum Lesen in die Hand genommen werden. Das finde ich einen ebenso hervorragenden wie schwer einzulösenden Anspruch. Ob dies bei der Rheinland-Pfalz-Ausgabe gelungen ist, können nur die Leserinnen und Leser berurteilen.Ob dies bei der Rheinland-Pfalz-Ausgabe gelungen ist, können nur die Leserinnen und Leser berurteilen.

Aber noch ein weiterer grundsätzlicher Punkt spielte eine Rolle: Was das alltägliche, selbstverständliche Lernen mit digitalen Medien im Unterricht angeht, stehen wir trotz aller bisherigen Ausstattungsinitiativen, Leuchtturmschulen und -projekten immer noch am Anfang. Den meisten Schulen fehlt weiterhin schlicht die Infrastruktur, um durchgängig mit digitalen Materialien, ob nun als e- oder m-Book oder in Form von freien Modulen, zu arbeiten. Das zeigt sich auch daran, dass für den Einsatz multimedialer Schulbücher ausgewählte Projektschulen erst entsprechend ausgerüstet werden. Das ist in Forschungsprojekten in Zusammenarbeit mit den Schulbehörden und Schulträgern möglich, aber nicht für den einzelnen Schulbuchverlag.

Digitale Medien sind in der Fläche auch 2015 immer noch die Ausnahme und nicht der Normalfall. Deshalb spielt das klassische Schulbuch weiterhin eine zentrale Rolle für die Umsetzung des Lehrplans und die Gestaltung des Geschichtsunterrichts. Und daher lohnt es sich meines Erachtens auch, sich einzubringen und dazu beizutragen, dass Lernenden wie Lehrkräften möglichst gute Bücher zur Verfügung stehen, die sie dann als Ausgangspunkt, Steinbruch, Leitfaden oder Lesebuch nutzen können.

 

Open Educational Resources – nur ein Buch 2.0?

johnny-automatic-bellows-fileAuf Einladung der Piraten durfte ich gestern das Thema mit Dorothea Mützel vom Cornelsen-Verlag, Simon Köhl von serlo sowie CaeVye und Wilk Spieker von der Tellerand AG der Piraten, die sich mit Bildungsthemen beschäftigt, diskutieren. Der zur Diskussion gleichfalls eingeladene und angekündigte David Klett hat es zeitlich nicht mehr geschafft. Die Diskussion kann bei den Podcasts der NRW Piraten runtergeladen und nachgehört werden.

Die Diskussion ist sehr schnell vom eigentlich gesetzten Thema „Zukunft des (Schul-) Buchs“ hin zu Fragen von u.a. OER, Lernkonzepten, Learning Analytics, Schulsystem, Bildung im 21. Jahrhundert. Mir ist in der Diskussion noch einmal klar geworden, wie eng diese eigentlich getrennten Themen miteinander zusammenhängen und wie wichtig gleichzeitig die analytische Trennung und vor allem explizite Klärung ist, über was man gerade eigentlich spricht.

Um das noch einmal an einem Beispiel deutlich zu machen: Open Educational Resources sind vereinfacht gesagt zunächst einmal nichts anderes als Lehr- oder Lernmaterialien, die durch entsprechende Lizensierung frei zugänglich und verändert sind. Ich könnte also hingehen und einen simplen Multiple-Choice-Test oder eine Liste von W-Fragen zu einer TV-Geschichtsdoku unter CC Lizenz als odt-Datei online stellen.

Guten Unterricht, eine Veränderung von Lernen und Schule bringt das nicht. Wenn ich über letzteres sprechen möchte, dann ist eine Qualitätsdebatte von OER der falsche Weg, sondern es muss über Lernkonzepte, Lehrpläne und Prüfungen gesprochen werden. Womit es zurückgeht zum Ausgangsthema: Die Zukunft des Schulbuchs. OER scheint mir dabei, obwohl es zur Zeit in der öffentlichen Debatte sehr stark fokussiert wird, doch eher ein randständiges Thema. Viel zentraler sind meines Erachtens die alt bekannten Fragen nach Didaktik und Methodik:

1) Was sollen Kinder und Jugendliche heute lernen? (Kerncurricula, Lehrpläne, Kompetenzmodelle – nach diesen Vorgaben müssen Verlage wie auch potentiell alle anderen Anbieter Schulbücher erstellen und die Vorgaben machen in Deutschland hier die Länder)

2) Wie sollen sie das lernen? (Methoden, Arbeitsweisen, Sozialformen, Aufgabenformate, Medien etc. – hier stehen dann die zentralen Elemente, die die Gestaltung der „Schulbücher“ der Zukunft ausmachen).

Ein Schulbuch ist nicht deshalb gut, weil es OER ist. Qualität von Lehr- und Lernmaterialien liegen anderen Kriterien zugrunde. Erst nach der Klärung des „Was“ und des „Wie“ können dann passende Lehr- und Lernmaterialien entwickelt werden. Die Debatte um OER und die entsprechenden Initiativen sind nichtsdestotrotz wichtig: Wer digital arbeitet, Lehrende wie Lernende, braucht freie Materialien, um sie verändern, anpassen, neu veröffentlichen und teilen zu können. Dahinter steckt bereits eine Annahme meinerseits, wie Lernen mit digitalen Medien aussehen sollte.

Stopp! Schlecht argumentiert, werden einige – zu Recht – denken, denn genau dies ein Beispiel für die problematische Vermischung von zwei Themen, die in der Debatte deutlicher getrennt werden müssen. OER ermöglichen zwar die oben genannten Aktivitäten, hier liegt die zentrale Schnittstelle beider Themen; OER definieren aber eben noch nicht, wie Lernen und Schule in Zukunft aussehen werden.

Wieviel „Buch“ im traditionellen Sinn in ein paar Jahren oder Jahrzehnten in den Schulen noch übrig bleibt oder inwiefern sich andere Formen eines zentralen medialen Leitfadens für das Lernen in der Schule oder eventuell sogar noch fundamentalere Wandlungsprozesse in Form von Individualisierung ohne gemeinsames „Leitmedium“ entwickeln und etablieren, bleibt abzuwarten, wäre aber auch auf bildungspolitischer Ebene interessant zu diskutieren, um zukünftige Bildung zu gestalten und nicht von der technischen Entwicklung überrannt zu werden.

Schulbuchentwicklung zum neuen Lehrplan Geschichte in RLP

DwZ RLP 1 CoverDer Lehrplanentwurf für Geschichte in der Sek I in RLP ist in der kombinierten Vorgabe von epochale Schwerpunkte, Leitfragen, Kategorien/Lernfeldern, Kompetenzen, Inhalten und Begriffen nicht einfach umzusetzen – weder für den Unterricht noch für Lernmaterialien. Der Entwurf des neuen Teillehrplans für Geschichte wurde bereits mehrfach hier im Blog thematisiert (zuletzt hier).

Zur Bewertung der Schulbücher scheint mir ein guter Überblick über die Vorgaben und die Strukturierung des Lehrplans unbedingt notwendig.

Geplant ist die Einführung des Lehrplans in allen Jahrgangsstufen gleichzeitig mit dem Schuljahr 2016/17. Ein aktueller Überblick über den Stand des Schulbuchangebots – soweit bekannt – findet sich beim Fachberaterkollegen Nieß auf der Homepage.

Trotz der vergleichsweise kurzen Zeit liegt vom Klett Verlag ein Vorabdruck des Mittelalter-Kapitels vor, den wir als Regionale Fachberater auch in der Beratung zum Lehrplan in den Fachkonferenzen einsetzen können. Darüber hinaus hat Klett auf seinen Internetseiten Informationen zur neuen Rheinland-Pfalz-Ausgabe sowie bereits Lehrermaterialien zum Mittelalter-Kapitel als PDF-Download zur Verfügung gestellt.

Der Buchner-Verlag, wo ich auch an dem Schulbuch mitarbeite, hat vorab einige Musterseiten zum epochen Schwerpunkt „Antike Hochkulturen“ im Lernfeld „Herrschaft“ als PDF herausgegeben. Der Verlag hat zudem die Freigabe erteilt, dass die Seiten als PDF zum Download angeboten werden können. Rückmeldungen zum Entwurf sind ausdrücklich willkommen, noch sind Überarbeitungen und Verbesserungen möglich.

Download PDF: CCBuchner Das waren Zeiten – Rheinland-Pfalz ESP Antike_Teil1

Download PDF: CCBuchner Das waren Zeiten – Rheinland-Pfalz ESP Antike_Teil2

[Update 7.5.2015]

Cornelsen hat zu seiner Ausgabe von „Forum Geschichte“ einen Überblick über Aufbau und Konzeption der Reihe sowie Preis und Erscheinungsdatum der Bände online gestellt. Dort findet sich auch eine „Leseprobe“ als PDF mit Beispielseiten aus verschiedenen Kapiteln und einem Inhaltsverzeichnis der Bände 1-3.

Erste, allerdings noch weniger umfangreiche Informationen zur „Horizonte“-Ausgabe von Westermann für Rheinland-Pfalz finden sich auch bereits auf den Seiten des Verlags.

[Update 20.11.2015]

Siehe auch die ausführliche Vorstellung der Konzeption von Buchners „Das waren Zeiten“ Band 1 für Rheinland-Pfalz unter folgendem Link:

https://geschichtsunterricht.wordpress.com/2015/11/20/buchners-das-waren-zeiten-neu-fuer-rheinland-pfalz/

Fundstück: Genau so …. nicht.

20141109_202225Es ist mir heute erst aufgefallen: Zur Illustration des Titels wurde die Abbildung einer mittelalterlichen Handschrift gewählt. Im Buch habe ich keinen Bildnachweis gefunden und meine Kenntnisse reichen nicht aus, um zu identifizieren, was auf genau dem Titelblatt abgebildet ist. Das ist letztlich weniger wichtig. Der Punkt ist: Genau so sehen Quellen in Geschichtschulbüchern eben nicht aus!

Die schönste mittelalterliche Handschrift verwandelt sich einen kleine Bleiwüste. Dabei sind Schulbücher heutzutage drumherum attraktiv und (für manche zu schon zu) bunt gestaltet. Die Quellen jedoch verlieren alle ihre äußeren Merkmale und gleichen in der Form einer der anderen: gedruckte Texte, die transkribiert, ggf. übersetzt, oft sprachlich vereinfacht und gekürzt sind.

Selbstverständlich können Schülerinnen und Schüler nicht das Original lesen. Es kann und wird auch nicht Ziel des schulischen Geschichtsunterrichts sein, paläographische Grundkenntnisse zu vermitteln. Was allerdings möglich wäre, ist neben dem gedruckten Quellenauszug auch noch eine Abbildung der Originalquelle zu zeigen.

Dem sind in Schulbüchern enge Grenzen gesetzt. Die Digitalisierung eröffnet hier aber bislang kaum genutzte Möglichkeiten; gerade auch in der Zusammenarbeit mit Archiven und der Nutzung von deren digitalisierten Beständen. Ein schönes Projekt in dieser Hinsicht, war im Landeshauptarchiv Rheinland-Pfalz begonnen worden, hat aber leider keine Fortsetzung gefunden.

Nicht nur, dass digitalisierte Quellen, wenn auch vermutlich nicht im gleichen Maße wie die Originale im Archiv, Schülerinnen und Schüler doch durch die ihnen eigene Ästhetik faszinieren können. Das Fremde der Handschrift, ggf. der Bebilderung, kann Interesse wecken und einen anderen Zugang zum Quellenmaterial bieten, den die gedruckten Quellenauszüge nicht leisten.

Darüber hinaus erwerben Schülerinnen und Schüler so auch einen Überblick über den Wandel der Schrift- und Kommunikationskultur: ein Brief auf dem frühen Mittelalter sieht anders aus als einer aus dem 19. Jahrhundert, eine Telegramm hat eine andere Form als eine E-Mail. Handelt es sich um einen Entwurf mit eingefügten Korrekturen oder um eine veröffentliche Rede? usw. Das gilt für alle schriftlichen Quellen.

Die äußere Form kann so auch im Unterricht neben den Inhalten Teil der Beobachtung, der Analyse und Bewertung werden. Der Geschichtsunterricht würde auf jeden Fall gewinnen und quasi nebenbei auch grundlegende Einblicke in die Geschichte von Kommunikation und Medien vermitteln.

Bringt die Schätze aus den Archiven als Digitalisate in die Schulen!

Mehr oder weniger?

In der Geschichtswissenschaft wird bei der Digitalisierung von Quellen auch immer über den damit einher-gehenden Informationsverlust diskutiert. Im Vergleich zum Archiv ist das richtig. Im Bereich des schulischen Geschichtsunterrichts sieht das anders aus.

Im Unterricht kommen Textquellen in der Regel nur als transkribierte, übersetzte, stark gekürzte, mit einer Einleitung versehene Materialblöcke vor. Alle gleich aufgebaut und äußerlich nicht zu unterscheiden. Im Druck des Schulbuchs begegnet Schülerinnen und Schüler eine „mittelalterliche Urkunde“ genauso wie ein „Brief“ aus dem 18. Jahrhundert oder ein „Zeitungsartikel“ aus dem 20.

Digitalisierte Quellen bieten für den Geschichtsunterricht, sofern sie denn im Klassenraum verfügbar gemacht werden können, keinen Verlust, sondern einen Mehrwert an Informationen. Natürlich ersetzt eine digitalisierte Quelle nicht den Archivbesuch. Natürlich müssen Quellen auch weiterhin für junge Lernende aufbereitet, d.h. ggf. transkribiert, übersetzt oder auch gekürzt werden. Nichtsdestotrotz liegen in der Arbeit mit digitalisierten Quellen Potentiale für historisches Lernen:

Ein Brief ist wieder als Brief zu erkennen, eine Handschrift im 12. Jahrhundert sieht anders aus als im 19., ein Zeitungsartikel steht im Umfeld der Titelseite, auf der er publiziert wurde usw. Die Schülerinnen und Schüler erhalten also wesentlich mehr für das Verständnis und die Interpretation der vorliegenden Quelle relevanten Informationen als bislang in den Schulbücher oder auf Fotokopien. In großen Teilen, insbesondere bei gedruckten Quellen des 19. und 20. Jahrhunderts, ist nicht mal eine Aufbereitung notwendig, sondern es kann direkt mit dem Digitalisat gearbeitet werden.

Technisch ist die Umsetzung eine Kleinigkeit. Daher muss man nicht immer zuerst an aufwändige und in der Erstellung oft teure Simulationen, 3D-Modelle, Filme oder Lernplattformen denken, wenn man überlegt, wie die Arbeit mit digitalen Materialien im Geschichtsunterricht aussehen könnte. Bereits die Arbeit mit digitalisierten Quellen ermöglicht eine bedeutende Erweiterung und Veränderung historischen Lernens in der Schule. Neben die inhaltliche Analyse können nun gattungspezifische, formale und vor allem medienhistorische Aspekte treten. Wer sich daran macht, ein „wirklich digitales Schulgeschichtsbuch“ zu entwickeln, darf das Potential, das die digitalisierte Quellen für den Unterricht bieten, nicht unberücksichtigt lassen.

In deutschen Schulbüchern steht lediglich…

In deutschen Schulbüchern steht lediglich, dass die Wehrmacht 1941 einmarschiert ist, gelegentlich, dass sie Ende 1944 wieder abzog. Was die Deutschen dazwischen machten, bleibt der Fantasie überlassen. Vielleicht haben sie nur in der Ägäis gebadet…

Zitat: http://taz.de/Historiker-ueber-Wehrmachtsmassaker/!121894/

Die Aussage von Hagen Fleischer ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Eine ähnliche Beobachtung habe ich während eines Norwegen-Urlaubs gemacht. Norwegen war bis dato für mich im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg kaum relevant gewesen. Dazu fielen mir vor dem Urlaub Schlagwörter wie „Lebensborn“ oder das Exil von Brandt ein, aber ansonsten hatte ich im Kopf eher das Bild einer „friedlichen“ Besetzung.

Bei der Fahrt gen Norden, die norwegische Küste hoch, belehrte mich aber dann der Reiseführer und die Stadtbilder eines besseren: Spätestens ab dem Polarkreis finden sich kaum noch alte Häuser und es hieß fast überall: Die Stadt wurde von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs weitgehend zerstört. In jeder zweiten Stadt finden sich Erinnerungsorte an den norwegischen Widerstand. Auch von dem Zwangsevakuierungs- und Vernichtungsbefehl für Nordnorwegen von Ende Oktober 1944 hatte ich bis dato nichts gehört:

Am 28. Oktober 1944 kam direkt von Adolf Hitler der Befehl zur Evakuierung der Zivilbevölkerung und Anwendung der Taktik der verbrannten Erde: „Die Vernichtung“. Das sollte durchgeführt werden „….rücksichtslos. Mitleid mit der Bevölkerung ist nicht am Platz“. Im Winter 1944/45 entstand die Todeszone von Tana bis zur Lyngenlinie. In einer versengten Landschaft standen nur noch Ruinen. Als der Frieden kam, waren 75000 Menschen Flüchtlinge im eigenen Land. (Zitat PDF aus der deutschsprachigen Info des „Wiederaufbaumuseums“ (!) in Hammerfest)

Die Konsequenzen des Evakuierungsbefehls waren fatal. An den meisten Orten wurde er mit der befohlenen Härte und Gründlichkeit durchgeführt und bewirkte die größte Wanderbewegung und die umfassendsten Zerstörungen auf norwegischem Boden. Militärische Abteilungen zogen von Ort zu Ort, von Gehöft zu Gehöft und trieben die Menschen aus ihren Häusern, die Kranken aus den Hospitälern, das Vieh aus den Ställen. […] Die Gebäude wurden in der Regel nach kurzer Frist in Brand gesetzt, das Vieh zum Teil an Ort und Stelle geschlachtet, zum Teil auch mitverbrannt, zum Teil auf die Reise mitgenommen. (Zitat)

Was steht davon in den Schulgeschichtsbüchern? Alle nachfolgenden Zitate sind den jeweiligen Ausgaben für Rheinland-Pfalz entnommen:

„Bevor das Deutsche Reich seine Offensive im Westen eröffnete, besetzte die Wehrmacht Dänemark und Norwegen, um die Nordflanke sowie die für die Kriegführung notwendige Versorgung mit Erzen abzusichern.“ (Kursbuch Geschichte. Neue Ausgabe, Cornelsen, S. 449)

„Nach der Eroberung Polens verlagerte sich der Krieg nach Nord- und Westeuropa. Um die Versorgung mit Erz aus Schwerden und Nickel aus Finnland zu sichern, besetzten deutsche Truppen Dänemark und unter hohen Verlusten Norwegen.“ (Geschichte und Geschehen 4, Klett, S. 94)

„Auf den raschen Sieg über Polen folgte die kampflose Besetzung Dänemarks (April 1940) und die Eroberung Norwegens (April bis Juni 1940). Hitler und die Generalität sicherten sich damit im Wettlauf mit Großbritannien den Weg zum schwedischen Erz, das für die Rüstungsindustrie wichtig war.“ (Das waren Zeiten 4, Buchner, S. 84)

Ich habe keine Kürzungen vorgenommen, sondern alles zitiert, was sich in den jeweiligen Büchern zum Krieg in Norwegen fand. Angesichts des beschränkten Umfangs eines Schulbuchs sind die Informationen notwendigerweise knapp. Die Darstellungen sind nichtsdestotrotz sehr unterschiedlich. Alle betonen die „Kriegsnotwendigkeit“ der Besetzung und reproduzieren damit argumentativ die Kriegs-„Logik“ des NS-Regimes, nur das Klett-Buch weist auf die „hohen Verluste“ der deutschen (!) Truppen bei der Einnahme Norwegens hin. Trotz der Kürze stellt sich die Frage, ob die Darstellungen nicht anders aussehen könnten, ja sogar müssten.

Fleischer macht in dem taz-Interview ein Deutungsangebot für die offenkundig unterschiedliche Präsenz der deutschen Verbrechen in der Geschichts- und Erinnerungskultur:

Die Massaker im tschechischen Lidice und im französischen Oradour haben einen Platz im kollektiven Gedächtnis, weil sie zum mittel- und westeuropäischen Kulturkreis zählen. Ganz Griechenland, die 100 griechischen Lidices, ist jedoch ein weißer Fleck auf der Europakarte des NS-Terrors. (taz-Interview)

Das trifft sicher einen zentralen Punkt, was sich auch in der Darstellung dieser Verbrechen in Geschichts- oder auch Französischbüchern (für die Oberstufe) widerspiegelt. Aber noch einmal zurück zum Ausgangspunkt: Wie sieht es mit der Darstellung des griechischen Kriegsschauplatzes in aktuellen Schulgeschichtsbüchern aus? Ein schneller, exemplarischer Durchblick weniger Bücher mit Hilfe des Registers:

Fehlanzeige (Buchners Kompendium Geschichte, 2008)

„Um die italienischen Kriegsziele in Nordafrika und im Mittelmeer zu unterstützen, besetzten deutschen Truppen Jugoslawien und Griechenland; ein „Afrikakorps“ setzte nach Tunesien und Libyen über.“ (Kursbuch Geschichte. Neue Ausgabe Rheinland-Pfalz, Cornelsen 2009, S. 450).

Fehlanzeige (Geschichte und Geschehen. Neuzeit. Sekundarstufe II, Klett 2005)

„Italien griff im September 1940 Ägypten und Griechenland an. Die italienischen Misserfolge zwangen Deutschland, auf dem Balkan einzugreifen. Im April 1941 wurden Jugoslawien und Griechenland besetzt.“ (Histoire/Geschichte. Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945, Nathan/Klett, S. 306).

Es sieht also zumindest bei einem Teil der Schulgeschichtsbücher für die Oberstufe (!) noch dürftiger aus, als von Fleischer im taz-Interview angenommen. Angesichts von bereits umfangreichen Schulbüchern und weniger werdenden Geschichtsstunden ist es klar, dass die Forderung nicht sein kann, die Schulbuchtexte ausführlicher zu machen und die entsprechenden Informationen zu ergänzen. Eine Lösung habe ich auch nicht. Ich denke aber, wir brauchen eine Diskussion darüber, wie die entsprechenden Kapitel neu formuliert werden können und wie die entsprechenden Vorgaben in den Lehrplänen aussehen müssen, um die europäische Dimension der deutschen Kriegsverbrechen in angemessener Weise darzustellen und zu reflektieren und damit über den Geschichtsunterricht einen zentralen Beitrag zu leisten, die Gegenwart besser zu verstehen.

Ein Schulbuch analysieren ohne die Lehrpläne zu kennen – geht das?

Bei der Durchsicht des Sammelbandes Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung (hg. von Saskia Handro / Bernd Schönemann, 2. Auflage Berlin 2011) ist mir aufgefallen, dass einige der an Schulgeschichtsbüchern kritisierten Punkte eigentlich auf das Konto der zugrundliegenden Lehrpläne und nicht der Schulbücher gehen. Soweit ich das sehe, wird das aber in keinem der verschiedenen Aufsätze thematisiert.

Schulbücher müssen sich, um zugelassen und von den Lehrkräften ausgewählt zu werden, an den Vorgaben der Lehrpläne orientieren. Sie können nicht versuchen, besser zu sein als der Lehrplan. Das betrifft vor allem die Inhaltsauswahl. Für gerechtfertigte Kritik an Schulbüchern müssten also auch die Lehrpläne berücksichtigt werden und es scheint mir erstaunlich, dass dies nicht passiert, trotzdem aber nicht mit Kritik gespart wird.

Um das an konkreten Beispielen festzumachen:

Von Borries (S. 46f.) fordert die Berücksichtigung außereuropäischer Kulturen im Vergleich. Das ist sicher wünschenswert. Wenn diese aber im Lehrplan nicht vorgesehen sind, haben sie im Schulbuch nicht zu suchen. Das Gleiche gilt für seinen Vorschlag eines Längsschitts zur „Entwicklung der ‚Kommunikationsmedien'“ (S. 48f.). Ja, das wäre spannend und ließe sich gut umsetzen.

Katja Gorbahn kritisiert zu Recht (S. 191ff.), dass bei der Behandlung der antiken griechischen Stadtstaaten die hellenistische Perspektive dominiert, Griechen und Perser in einer platten Dichotomie von Freiheit vs. Despotismus präsentiert werden, wo eigentlich eine ausführliche, differenziertere Darstellung des Herrschaftssystems und der Gesellschaft des Perserreichs notwendig wäre.

Aber für alle genannten Beispiele gilt: In welchem Lehrplan steht das? Umgekehrt wird es keine Schulbücher geben, die eine entsprechende Vorgabe der Lehrpläne missachten würden. Oder kennt da jemand Beispiele?

Überlegungen zu Verfassertexten in Schulgeschichtsbüchern

Wie in der Diskussion zum vorangehenden Beitrag deutlich wurde, lassen sich Schulbücher in unterschiedlicher Art und Weise begreifen: Als Lesebücher und Nachschlagewerke oder als Arbeitsmittel. Schulgeschichtsbücher sind in der Regel als Mischform gedacht: Auf der einen Seite Verfassertexte in einem „Darstellungsteil“ oft mit einer Art kleinem Lexikon am Ende, auf der anderen Seite die „Material“-Seiten als „Arbeitsteil“ mit unterschiedlichen Darstellungstexten, Quellen und Aufgaben.

Der Verfassertext des Schulgeschichtsbuchs ist der „Kernbaustein des Darstellungsteils“ (Schönemann/Thünemann, Schulbucharbeit, 84). Verfassertexte sind aber nichts anderes als Darstellungen. Sie werden allerdings nicht so behandelt. In vielen Schulbüchern lassen sich die Autoren der einzelnen Seiten nicht nachvollziehen oder werden allenfalls im Einband genannt. Arbeitsaufträge beziehen sich oft nur auf die Auszüge aus Quellen und wissenschaftlichen Darstellungen, oder dienen, sofern vorhanden, für die Verfassertexte nur der „Informationsentnahme“.

Was ich mich frage: Ist das eine unhinterfragte Tradition oder verbirgt sich darin ein tieferer Sinn?

Mein sehr subjektiver Eindruck ist, dass es gerade auch diese Art der Geschichtspräsentation ist, die die Vorstellung vieler Schülerinnen und Schüler von der „einen“ Geschichte, einer zeit- und kontextunabhängigen Meistererzählung, unterstützt. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Quellen und übrigen Darstellungen die Erzählung der Verfasser belegt, im schlimmsten Fall die Lösungen zu den Aufgaben am „Material“ bereits dem Verfassertext zu entnehmen ist.

Was ließe sich anders machen:

– Gemäß Beutelsbacher Konsens sollte das, was in Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird, aber auch wozu es in der Forschung unterschiedliche Positionen gibt, offen und kontrovers dargestellt werden. Das ermöglicht historisches Lernen und eine eigene Meinungsbildung durch die Lernenden. In vielen Schulgeschichtsbüchern wird zugunsten einer scheinbar sicheren Aussage reduziert. Das ist meines Erachtens falsch verstandene didaktische Reduktion. (vgl. ebd., S. 85)

– Verfassertexte sollten durch Angaben der Autoren als Darstellungen kenntlich gemacht werden. Ergänzend sind altersgemäße Aufgaben zur De-Konstruktion ihrer Perspektivität und Erzählstruktur sinnvoll. Voraussetzung ist die offene Reflektion des eigenen Standpunkts durch die Schulbuchautoren, die Integration verschiedener Perspektiven sowie die Orientierung am aktuellen Stand der Wissenschaft.

– Quellen und andere Darstellungen sind nicht dazu da, um die Erzählung des Verfassertextes zu belegen. Sie dürfen und sollten entweder in einem Spannungsverhältnis stehen, wo dies inhaltlich gegeben ist, um zu Fragen, Nachdenken und eigenen Urteilen anzuregen oder sich gegenseitig inhaltlich ergänzen und aufeinander aufbauen, so dass mit beiden gearbeitet werden kann, ohne dass die Darstellungen die Inhalte der sonstigen Materialien vorwegnehmen noch umgekehrt. (vgl. ebd.)

Abschließend stellt sich die Frage, ob angesichts der vorgetragenen Überlegungen eine Trennung von „Darstellungs-“ und „Arbeitsteil“ überhaupt sinnvoll ist oder ob moderne, i.S. an kompetenzorientierten Lehrplänen entwickelte Geschichtsschulbücher nicht sowohl in der Gewichtung der verschiedenen „Material“-Anteile wie auch in der graphischen Gestaltung grundlegend überdacht werden müssen. Beat Döbeli sieht unter den Bedingungen der digitalen Welt einen Wandel des Schulbuchs vom Endprodukt zum Ausgangsmaterial (siehe dazu seine Präsentation hier).

Zentral ist die Frage, ob und ggf. wie dies addressatengerecht, also für Kinder und Jugendliche, umsetzbar ist. Angesichts der auch in der eigenen Unterrichtspraxis beobachteten erheblichen Verständnisprobleme, die auch Gymnasialschülerinnen und -schüler mit den Verfassertexten haben, sei in diesem Zusammenhang an den Ausruf Bodo von Borries erinnert:

„Benutzt die Hauptschulbücher in den Gymnasien und
schreibt neue, einfachere Hauptschulbücher!“

M, D oder Q?

Gestern habe ich auf den Schulbuchrezensionen auf edumeres gestöbert. Dabei bin ich über eine Kritik gestolpert, die ich so auch schon in Fachkonferenzen gehört habe: Das betreffende Schulbuch wurde Quellen und Darstellungen „undifferenziert“ als „Materialien“ darbieten. Dabei sei es aber eigentlich wichtig, dass Schülerinnen und Schüler auch schon in der Sekundarstufe I diesen grundlegenden Unterschied begreifen und erlernen.

Ist das nun wirklich ein Fehler, dass viele Schulbücher „M“ statt „D“ und „Q“ schreiben? Eigentlich ist doch der Zugang zu Texten und Bildern stark abhängig von der Fragestellung. Die Zuordnung als Quelle oder Darstellung ist in vielen Fällen alles andere als eindeutig. Und selbst, wenn man sich für die Eindeutigkeit einer entsprechenden Kennzeichnung entscheidet: „Lernen“ Schülerinnen und Schüler diese Unterscheidung selbst vorzunehmen?

Das scheint mir viel eher gegeben, wenn ich das, ohne dass es durch das Buch markiert und vorgegeben ist, im Unterricht thematisieren, diskutieren und begründen lassen kann, ob es sich bei dem vorliegenden Material um eine Quelle oder eine Darstellung handelt. Das ist sicher nicht in jeder Stunde notwendig, aber wenn man dies an verschiedenen Materialien im Lauf des Schuljahrs immer wieder diskutiert, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass hierfür ein tiefergehendes Verständnis wächst. Nur das Lesen einer vorgegebenen Einordnung wird das nicht leisten.

Insofern könnte man im Sinne der Arbeit mit dem Schulbuch eher davon sprechen, dass die Kennzeichnung aller Materialien mit einem „M“ positiv zu bewerten ist. Offen bleibt allerdings noch die Frage nach den Verfassertexten: Das sind von den Schulbuchautoren verfasste Darstellungen. Eigentlich sollten sie im Unterricht auch methodisch als solche behandelt werden. Arbeitsanregungen für einen derartigen Umgang mit den Verfassertexten fehlen – soweit ich das sehe – noch in den aktuellen Schulgeschichtsbüchern. Man findet sie aber z.B. im Buch Schulbucharbeit von Bernd Schönemann und Holger Thünemann.