Praxishandbuch, Medienbildung & KMK

Praxishandbuch_Historisches-Lernen.inddManchmal fügen sich Dinge auf wundersame Weise zusammen, die gar nicht so geplant waren. Das Praxishandbuch sollte eigentlich schon im letzten Jahr erscheinen. Es gab auf dem Weg zum fertigen Buch doch noch einige Hürden zu überwinden, die die Veröffentlichung deutlich verzörgert haben. Nun endlich ist die Ankündigung raus: Der Sammelband erscheint im Budrich-Verlag Anfang 2017, spätestens zur Didacta sollte das Buch vorliegen.

Nun hat sich ergeben, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) morgen am 8.12. tagt, um u.a. ihr Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ zu verabschieden und im Anschluss öffentlich vorzustellen. Der Entwurf war bereits seit Mitte Mai öffentlich einsehbar und zahlreiche Verbände, Gruppen und Einrichtungen haben Stellungnahmen dazu abgegeben.

Die endgültige Fassung liegt mir noch nicht vor, der Entwurf enthält aber drei  Punkte, die auch den Geschichtsunterricht betreffen und von denen ich ausgehe, dass sie in der Beschlussfassung bestehen bleiben werden:

  • Wenn der schulische Bildungsauftrag sich in der ‚digitalen Welt‘ nachhaltig verändert, dann wird perspektivisch Medienbildung keine schulische Querschnittsaufgabe mehr sein, sondern integraler Bestandteil aller Unterrichtsfächer.“ (S. 14)
  • „Das alltäglich gewordene Leben in einer digitalisierten und mediatisierten Welt macht es für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer zwingend notwendig, die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen, dem Prozess und den Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung auf das Individuum und die Gesellschaft zu führen. Der Zugang kann aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven der gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen erfolgen. So können ihr historisches Werden, ihre räumlichen, politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und Strukturen beleuchtet, diskutiert und beurteilt werden.“ (S. 34)
  • „Die Vermittlung und Anwendung gesellschaftswissenschaftlicher Methodik wird maßgeblich durch die allgemeine Verbreitung und Bedienerfreundlichkeit modernerdigitaler Medien vereinfacht und unterstützt. Die Entwicklung prozessualer Kompetenzen im Bereich der Gesellschaftswissenschaften wird somit durch Verwendung digitaler Medien gefördert, z.B. bei der Strukturierung, Darstellung und Bewertung von Daten, Erstellung von interaktiven Bildern, Klimatabellen sowie topografischen und historischen Karten, Durchführung und Auswertung von Erhebungen und Umfragen.“ (S. 35)

Genau das ist der Ansatz, den wir auch mit dem Praxishandbuch verfolgen. Das theoretische Fundament liefert Ulf Kerber mit seinem Ansatz einer „historischen Medienbildung“, den er im Rahmen seiner Dissertation an der PH Karlsruhe ausgearbeitet hat. Dieser umfasst die Bereiche

  • Medienwirkungs- und Medienanalyse
  • Medienkritik
  • Mediale Narration und Mediendidaktik
  • Mediengattung und historische Wirklichkeitskonstruktion
  • Medien(geschichts-)kultur
  • Medienhistoriographie
  • Recherche und Heuristik

Innerhalb des schulischen Fächerkanons gehört der Geschichtsunterricht nach unserem Verständnis zu den Kernfächern von „Medienbildung“, weil die Auseinandersetzung mit Quellen und Darstellungen, also mit „Medien“, den Kern historischen Lernens und Arbeiten bilden. Der Sammelband liefert damit – zufällig zeitlich passend und unabhängig voneinander entwickelt – sowohl auf der Theorieebene wie in den Praxisbeispielen die fachdidaktische Umsetzung dessen, was durch den KMK-Beschluss voraussichtlich morgen für den Unterricht aller Bundesländer verpflichtende Vorgabe wird.

Der Band gliedert sich in vier Teile:

  1. Grundlagen historischen Lernen mit digitalen Medien
  2. Digitaler Wandel in Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur und Geschichtslernen
  3. Digitale Quellen, Darstellungen und Unterrrichtsmaterialien für historisches Lernen und Lehren
  4. Kompetenzen, Methoden & Werkzeuge historischen Lernens mit digitalen Medien

Die Artikel sind alle durch zahlreiche Querverweise miteinander verbunden. Wer einen ersten Eindruck von den Inhalten haben möchte, findet hier schon mal vorab das Inhaltsverzeichnis. Das Praxishandbuch ist bereits beim Budrich-Verlag vorbestellbar.

 

 

Der Klang der Geschichte

Was ist eine Quelle? Wie erfahren wir etwas über die Vergangenheit? Wo sind Grenzen historischer Erkenntnis? Das sind Fragen, die in einfacher Form im Anfangsunterricht Geschichte aufgenommen und diskutiert werden. Eine alternative Möglichkeit, um in das neue Fach Geschichte einzusteigen, bietet die nun von der NASA auf Soundcloud veröffentlichte „Golden Record“:

Die Voyager Golden Records (Wikipedia-Artikel) enthalten Ton- und Bildmaterialien, die 1977 mit zwei Raumsonden ins All geschossen wurden (neben den Tönen oben auch Grüße in verschiedenen Sprachen). Sie sollen möglichen außerirdischen Lebensweisen eine Vorstellung des Lebens auf der Erde vermitteln.

Für den Geschichtsunterricht bieten sich die Tondokumente für ein kurzes Projekt zum Einstieg ins Fach sowohl im Anfangsunterricht wie auch zu Beginn der Oberstufe an. Sie können als Quellen auch in eine Unterrichtseinheit zu Gesellschaft und Alltag für die Zeit nach 1945 integriert werden. Die „Golden Record“ ist dabei jeweils in dreifacher Hinsicht interessant.

1) Die Tondokumente der Golden Record sind selbst Quelle und können untersucht werden: Was waren typische Geräusche 1977 von der Erde? Was für Töne und Geräusche, die auch „typisch“ für die Menschheit sind, fehlen? Welches Bild wollte die NASA von The_Sounds_of_Earth_Record_Cover_-_GPN-2000-001978den Menschen und der Erde vermitteln? Gegenstand der Untersuchung sind also weniger die einzelnen Klänge als einzelne Quellen, sondern vielmehr ihre Auswahl und Zusammenstellung.

2) Platten und Plattenspieler dürften einigen Schülerinnen und Schüler mittlerweile fremd, wenn nicht sogar unbekannt sein. So kann auch der Träger der Tonquellen und das notwendige Abspielgerät selbst thematisiert werden. Wer kann die „Anleitung“ zum Abspielen der Platte auf dem Cover (rechts im Bild) entschlüsseln? Was benötigt man, um so diese Schall-Platte abzuspielen? Warum hat die NASA eine goldene Platte als Träger gewählt und war das medienhistorisch betrachtet eine gute Wahl? Was wären 1977 mögliche Alternativen gewesen?

3) Daran knüpfen sich Fragen des Gegenwartsbezugs an. Die meisten Eltern der aktuellen Schülerinnen und Schüler waren 1977 selbst Kinder. Das Jahr liegt historisch betrachtet und für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar noch nicht weit zurück. Trotzdem hat sich die Welt seitdem verändert. Eine mögliche Aufgabe könnte  sein: in Kleingruppen 3 oder 5 Töne zu wählen und mit dem Smartphone aufzuzeichnen, um im aktuellen Jahr eine neue „Golden Record“ aufzunehmen. Die Schülerinnen und Schüler präsentieren die gewählten Töne und erklären, warum diese ihrer Meinung nach für die Menschheit und Welt repräsentativ sind und was spätere Generationen oder auch „Außerirdische“ aus diesen Klängen für Informationen entnehmen könnten.

Ergänzend kann auch überlegt werden, welchen Träger man heute wählen würde: wieder eine Platte oder doch lieber einen USB-Stick mit MP3-Dateien? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um die Klänge in Zukunft damit hören zu können? Damit können Schülerinnen und Schüler an einem konkreten Beispiel an Probleme der Langzeitarchivierung sensibilisiert werden, die im übrigen nicht nur Archive betreffen, sondern angesichts der Medienbrüche biographisch jede/r im privaten und familiären Bereich (von Dia-Fotos über Super 8-Filme von Familienfeiern bis hin zu Floppy-Disketten und MiniDiscs) selbst erlebt und vermutlich in den nächsten Jahrzehnten auch weiterhin erleben wird.

Sound History oder Klang(geschichts)forschung ist für die Geschichtswissenschaft neu und spielt dort eine völlig randständige Rolle. In Geschichtsdidaktik und -unterricht gibt es dazu bislang auch kaum (keine?) Überlegungen. Klänge als Quellen bieten eine interessante Abwechslung mit einem anderen Zugang zu Geschichte, gerade auch im Sinne differenzierter Lernangebote in Ergänzung zu Text und Bild im Schulbuch, und bereichern das verwendete Quellenrepertoire im Unterricht.

Fundstück: Genau so …. nicht.

20141109_202225Es ist mir heute erst aufgefallen: Zur Illustration des Titels wurde die Abbildung einer mittelalterlichen Handschrift gewählt. Im Buch habe ich keinen Bildnachweis gefunden und meine Kenntnisse reichen nicht aus, um zu identifizieren, was auf genau dem Titelblatt abgebildet ist. Das ist letztlich weniger wichtig. Der Punkt ist: Genau so sehen Quellen in Geschichtschulbüchern eben nicht aus!

Die schönste mittelalterliche Handschrift verwandelt sich einen kleine Bleiwüste. Dabei sind Schulbücher heutzutage drumherum attraktiv und (für manche zu schon zu) bunt gestaltet. Die Quellen jedoch verlieren alle ihre äußeren Merkmale und gleichen in der Form einer der anderen: gedruckte Texte, die transkribiert, ggf. übersetzt, oft sprachlich vereinfacht und gekürzt sind.

Selbstverständlich können Schülerinnen und Schüler nicht das Original lesen. Es kann und wird auch nicht Ziel des schulischen Geschichtsunterrichts sein, paläographische Grundkenntnisse zu vermitteln. Was allerdings möglich wäre, ist neben dem gedruckten Quellenauszug auch noch eine Abbildung der Originalquelle zu zeigen.

Dem sind in Schulbüchern enge Grenzen gesetzt. Die Digitalisierung eröffnet hier aber bislang kaum genutzte Möglichkeiten; gerade auch in der Zusammenarbeit mit Archiven und der Nutzung von deren digitalisierten Beständen. Ein schönes Projekt in dieser Hinsicht, war im Landeshauptarchiv Rheinland-Pfalz begonnen worden, hat aber leider keine Fortsetzung gefunden.

Nicht nur, dass digitalisierte Quellen, wenn auch vermutlich nicht im gleichen Maße wie die Originale im Archiv, Schülerinnen und Schüler doch durch die ihnen eigene Ästhetik faszinieren können. Das Fremde der Handschrift, ggf. der Bebilderung, kann Interesse wecken und einen anderen Zugang zum Quellenmaterial bieten, den die gedruckten Quellenauszüge nicht leisten.

Darüber hinaus erwerben Schülerinnen und Schüler so auch einen Überblick über den Wandel der Schrift- und Kommunikationskultur: ein Brief auf dem frühen Mittelalter sieht anders aus als einer aus dem 19. Jahrhundert, eine Telegramm hat eine andere Form als eine E-Mail. Handelt es sich um einen Entwurf mit eingefügten Korrekturen oder um eine veröffentliche Rede? usw. Das gilt für alle schriftlichen Quellen.

Die äußere Form kann so auch im Unterricht neben den Inhalten Teil der Beobachtung, der Analyse und Bewertung werden. Der Geschichtsunterricht würde auf jeden Fall gewinnen und quasi nebenbei auch grundlegende Einblicke in die Geschichte von Kommunikation und Medien vermitteln.

Bringt die Schätze aus den Archiven als Digitalisate in die Schulen!

Fundstück: „History lesson“ zur Mediengeschichte auf Twitter

Und ergänzend:

Die Tweets bieten eine schöne Möglichkeit für den Unterrichtseinstieg und einen Ausgangspunkt für eigene Recherchen der Schülerinnen und Schüler zur Mediengeschichte.

Lesenotizen: Mediengeschichte

Konrad Becker/Felix Stader (Hg.), Deep search. Politik des Suchens jenseits von Google, Lizenzausgabe der BpB, Bonn 2010.

Vom Titel her ist es nicht unbedingt zu erwarten, aber es finden sich auch sehr lesenswerte Beiträge mit historischem Fokus in dem Sammelband. Hervorheben möchte ich: Paul Duguid, „Die Suche vor grep. Eine Entwicklung von Geschlossenheit zu Offenheit?“ (S. 15-36), der ausführt, dass die

„tatsächlichen Muster des menschlichen Verhaltens […] komplexer als deren Darstellungen in evolutionären oder emanzipatorischen Erzählungen.“ (S. 18) sind. „Selbst heute wird Papier noch gerne als Trägermaterial verwendet […], obwohl es vielleicht das instabilste aller genannten Materialien [u.a. Papyrus, Pergament, Stein, Ton] außer Wachs ist, was darauf schließen lässt, dass die Mobilität in Latours Begriffspaar wohltriumphiert. […] Das Papier, das leichter als die meisten Alternativen markiert, verändert, geklebt, genäht und geheftet werden konnte, eröffnete neue Möglichkeiten der Speicherung, Ordnung und Indizierung.“ (S. 21)

Den „Weg zur Offenheit“ sieht „eher zyklisch als linear. Versuche, im Namen der Freiheit auszubrechen, führen zu anderen Versuchen, Einschränkungen im Namen der Qualität einzuführen, was in der Folge zu neuerlichen Ausbruchsversuchen führt.“ (S. 28)

Gleichfalls mit Gewinn zu lesen ist: Robert Darnton, „Die Bibliothek im Informationszeitalter. 6000 Jahre Schrift“ (S. 37-52). Die Inhalte des Beitrags sind auch für Geschichtsunterricht interessant, harren aber noch der beispielhaften Didaktisierung. Das Nachdenken über Medien und ihre historische Einordnung sind eine wichtige Orientierung in der Gegenwart. Mediengeschichte kommt mit wenigen Ausnahmen im Geschichtsunterricht aber bislang nicht vor. Aus der Erfahrung der Arbeit mit digitalen Medien lassen sich Bedingungen, Chance aber auch Grenzen der Handschrift- und Buchkulturebenso wie durch die historische Perspektive die Veränderungen der Digitalisierung besser beschreiben und verstehen.

„Wozu soll das denn gut sein?“

Das Zitat der Überschrift stammt aus der (übrigens großartig unterhaltsamen) Fernsehserie Dowton Abbey, deren erste Staffel in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg spielt. Eines der Highlights einer Folge ist die Installation eines neumodischen Geräts namens Telefon im Haus.

Es mag nur Zufall sein durch die zuletzt geschauten Filme und Serien, aber ich habe den Eindruck, dass mediale Brüche der Vergangenheit bedingt durch die Einführung neuer Medien zunehmend Thema in Geschichtsserien und -filmen werden.

Verwunderlich ist das nicht, da bekanntermaßen immer das Interesse der Gegenwart die Fragen an die Vergangenheit bestimmt. Insofern ist es nachvollziehbar, dass in einer Zeit, in der viele von einem Leitmedienwechsel und einer digitalen Revolution sprechen, die Frage entsteht, wie Menschen in früheren Zeiten auf die Einführung jeweils „neuer „Medien reagiert haben und welche Veränderungen  damit einhergingen.

Es ist nur logisch, dass sich diese Fragen auch in aktuellen Produkten der Geschichtskultur, wie z.B. Filmen, widerspiegelt. Dabei dürfte das auch ein Thema sein, das Jugendliche sehr interessiert.

Entsprechende Filmausschnitte eignen sich gut als Einstieg in das Thema im Unterricht. Daran anschließend lassen sich Quellen, z.B. über digitalisierte Zeitungen, zum Thema recherchieren und besprechen. In Geschichtsschulbüchern findet sich dazu bisher meines Wissens nichts. Auch eine mediengeschichtliche Quellensammlung für den Unterricht ist mir nicht bekannt, obwohl das sicher mal eine sinnvolle Online- oder Printpublikation wäre.

Geplant ist allerdings ein Heft von Geschichte lernen zur Mediengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, der Aufruf zur Mitarbeit steht nun auch online (PDF).

Hier einige, der zuletzt auch mit Oscars ausgezeichneten Filme, die mediale Neuerungen thematisieren:

– The King’s Speech (Einführung des Radios)

– The Artist (Einführung des Tonfilms)

– Hugo Cabret (Kino)

Wem weitere Filme und TV-Serien einfallen, kann sie ja als Kommentar ergänzen.

Ebenso beschäftigen sich auch Fernsehgeschichtsdokus mit Medieninnovation, zuletzt Terra X mit einer Sendung über einen „Pionier der drahtlosen Kommunikation“: Guglielmo Marconi.

Update 2 zur (Nicht-)Veröffentlichung von Auszügen aus „Mein Kampf“

Die Debatte um die Veröffentlichung der Buchauszüge wird zunehmend absurder. Eine bessere Werbung hätte sich Mc Gee für sein Zeitungszeugenprojekt allerdings nicht wünschen können. Nachdem der Freistaat Bayern eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung angekündigt hatte, soll nun die in den beiden ersten Ausgaben von Zeitungszeugen breit beworbene Beilage mit Auszügen aus „Mein Kampf“ zur dritten Ausgabe nun nur mit unleserlich gemachten Originalpassagen verkauft werden. Angeblich um einer Beschlagnahmung der gedruckten Ausgabe zuvorzukommen.

Die Bild-Zeitung springt auf den Zug auf und nennt es Selbstzensur. Ich würde es Vermarktung nennen, die erstmal zu einer weiteren Mystifizierung des Buches beiträgt. Die Veröffentlichung von kommentierten Auszügen nämlich müsste hinreichend durch das Zitatrecht gewährleistet sein, ansonsten wären wissenschaftliche Publikationen ja kaum denkbar (so auch die Argumentation McGees in einem Brief an die Leser). Wie die Ausgabe aussehen sollte, lässt sich auf der Webseite von Zeitungszeugen noch sehen.

Wobei es, das sei hinzugefügt, einen ähnlichen Fall mit der Vorgängerpublikation bereits gegeben hat, die wohl an den Kiosken beschlagnahmt wurde und der Verleger erst vor Gericht Recht bekommen hat. Dadurch ist dem Verlag ein finanzieller Schaden enstanden (ausführlich dazu die Wiener Zeitung). Das Vorgehen des bayrischen Finanzministeriums ist mir allerdings völlig uneinsichtig. Was genau wollen die da schützen? Und warum?

Nochmal zur Erinnerung: Es geht um eine kommentierte Ausgabe von Auszügen eines Buchs, dessen Urheberrecht 2015 ausläuft, das im Ausland (und damit auch im Internet) frei verkäuflich und zugänglich ist, von dem auch kommentierte Auszüge und Ausgaben vorliegen und das als „Erbstück“ in vielen Wohnungen im Bücherregal steht.

Update zur Debatte um Veröffentlichung von „Mein Kampf“

Der Focus meldet heute:

Das bayerische Finanzministerium will gerichtlich gegen eine Veröffentlichung von Hitlers „Mein Kampf“ vorgehen. Es wird beim Landgericht München noch heute Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, um die Rechtspositionen des Freistaats Bayern zu wahren“, sagte Ministeriumssprecher Thomas Neumann am Dienstag. „Durch die mögliche Veröffentlichung von Auszügen aus „Mein Kampf“ sehen wir unser Urheberrecht verletzt.“

Der ganze Artikel ist hier zu lesen.

Zu den Hintergründen siehe auch den Blogbeitrag von gestern.

Debatte um Hitlers „Mein Kampf“

Hitler hat es mit seinem Buch „Mein Kampf“ aktuell wieder in die Schlagzeilen der Presse geschafft. Hitler fasziniert: So viel Hitler war selten. Diskutiert wird gerade die kommentierte Teilveröffentlichung in einer Zeitungssammeledition an den Kiosken in einem Projekt namens Zeitungszeugen des Verlegers Peter McGee. Wer für sein Produkt Aufmerksamkeit haben möchte, der bekommt sie auf diese Weise. Sorgen um „Aufklärung“ der Bevölkerung scheinen nur vorgeschoben. Die erwartete Empörung ist völlig abstrus, wird aber dennoch produziert. Ministerin Schröder war eine der ersten, die prominent protestiert haben.

Die Aufregung um Hitler funktioniert immer. Interessant ist der Blick von außen auf Deutschland. Sehr lesenswert dazu der Artikel: Germany’s outdated, wrongheaded ban on nazi books like Mein Kampf. Der Titel des Beitrags gibt den Grundtenor bereits wieder.

Nun ist es ja so, dass das bayrische Finanzministerium die Urheberrechte an dem Buch hält, die aber nun 2015 auslaufen. Das Buch ist in Deutschland für Kauf und Verkauf in der unkommentierten Vollversion verboten. Der Besitz, so man es denn z.B. erbt, und das Lesen sind keineswegs verboten. Auch außerhalb Deutschlands ist das Buch im Original und Überetzung frei verkäuflich und wurde sogar im britischen Weihnachtsgeschäft von Teilen des Buchhandels als Lese- und Geschenkempfehlung angepriesen, bis es aufgrund massiver Proteste von den Weihnachtsauslagetischen genommen wurde.

Durch das Verbot in Deutschland hat das Buch eine besondere Aura erhalten, die es gar nicht verdient. Eine Geschichtslehrerin, bei der ich im Referendariat hospitiert habe, brachte das Buch in einer alten, geerbten Ausgabe mit den Unterricht. Die Schülerinnen und Schülern waren extrem neugierig, aufmerksam und behandelten das Exemplar mit Interesse, Vorsicht und einem gewissen Staunen. In Auszügen gelesen oder besprochen wurde der Text nicht. Andere Texte zur NS-Ideologie sehr wohl. In meinem ersten Jahr als Lehrer habe ich das dann genauso gemacht. Fand das aber irgendwie verkehrt, weil dieses Vorgehen die Aura des Buchs bewahrt, wenn nicht sogar verstärkt.

Etwas später hat mich jemand auf die Lesung von Serdar Somuncu aufmerksam gemacht (siehe unten). Für alle, die es nicht kennen: Die Art der Auseinandersetzung ist sicher nicht jedermanns Sache. Ich würde das Reinhören trotzdem auf jeden Fall empfehlen. Es mag nicht sehr wissenschaftlich sein, doch die Informationen sind sehr gut recherchiert, informativ und vor allem befreit das Lachen über die Inhalte den Text von der Aura des Verbotenen und dadurch Interessanten.  Das scheint mir ob der aktuellen Debatte nötiger denn je. Ich habe sehr gute Erfahrungen im Unterricht mit Auszügen aus dem Programm von Somuncu gemacht. Ich halte die Auseinandersetzung mit dem Text, seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte für wichtig und kann dem einleitenden Statement des oben referierten Artikels nur beipflichten:

Letting people read and dismiss Hitler freely would do more to combat fascism than the de facto prohibition on Nazi literature.

CfA Themenheft „Mediengeschichte“ bei Geschichte lernen

In der aktuellen Ausgabe von Geschichte lernen findet sich ein Einladung zur Mitarbeit für ein Heft zur Mediengeschichte. Schwerpunkt soll das 19. und 20. Jahrhundert sein. Zur Zeit ist die Heftbeschreibung nur in der Printausgabe zu lesen, wird aber sicher in den nächsten Tagen auch auf die Webseite der Zeitschrift gestellt.

Mediengeschichte kommt nach meiner Erfahrung im Unterricht kaum, allenfalls schlagschlichtartig vor. Vermutlich  wird die Erfindung des Buchdrucks angesprochen und zusammen mit einer Reihe weiterer „Erfindungen“ als Aufzählung von Daten aufgeführt und auswendig gelernt. Der rasante Wandel und die Bedeutung von Telegraf, Telefon, Radio, Film, Fernsehen gerät kaum in den Blick, eventuell noch die Entstehung der „neuen“ Massenmedien in der Weimarer Republik und ihre Verwendung durch die Nationalsozialisten besprochen.

Auch hier im Blog findet sich zur Mediengeschichte bislang nicht viel. Publizierte Materialsammlungen und Unterrichtsentwürfe zu dem Bereich sind mir auch nicht bekannt (Hinweise sind immer willkommen). Das Heft könnte helfen die Lücke ein wenig zu schließen. Mehr Mediengeschichte im Unterricht, also ein Lernen über Medien aus historischer Perspektive macht Sinn: Die Einordnung und Erklärungen der „neuen“, hier im Sinne von aktuell digitalen, Medien erfolgt stark geschichtsbezogen. Die Vergleiche und Diskurse im Geschichtsunterricht aufzugreifen, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, ist originär historisches Lernen mit starkem Gegenwarts- und Lebensweltbezug.

Publizierte Vorschläge helfen solche Themen in den Unterricht zu tragen. Anknüpfungspunkte an die Lehrpläne gibt es viele,, so dass es sich nicht um zusätzlichen „Stoff“ geht, das funktioniert als Forderung für den Geschichtsunterricht schon lange nicht mehr, sondern um exemplarisches Lernen: Die Nutzung und Bedeutung einzelner Medien ist jeweils eng gebunden an die konkreten historischen, gesellschaftlichen Bedingungen. Anders formuliert: Der Bedeutung  z.B. des Buchdrucks liegt in seiner gesellschaftlichen Nutzung und nicht in der technischen Erfindung (bekannte Beispiele sind China und Korea mit viel älteren Erfindungen von Druckverfahren). In Schulbüchern und Unterricht wird in der Regel die Erfindung thematisiert, aber nicht die Nutzung, Verbreitung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen.

Die Auseinandersetzung mit früheren Diskursen über die jeweils „neuen“ Medien ihrer Zeit, vor allem der Geschichte der Medienkritik, von Platons Kritik am Geschriebenen bis zur Comic-Schmutz- und Schundkampagne der 1950er Jahre (PDF), kann helfen, die heutigen Diskussionen und Argumente historisch einzuordnen und den immer wieder, gerade auch in Lehrerzimmern, zu hörenden Aufschrei mit der Warnung vor dem Untergang des Abendlandes durch den befürchteten Verlust grundlegender Kulturtechniken in seiner geschichtlichen Wiederholung am jeweils neuen Medium gelassen zur Kenntnis zu nehmen.