Russel Tarr ist Geschichtslehrer an der internationalen Schule in Toulouse. Seit 1998 betreibt er das Webportal ActiveHistory, auf Twitter hat er 25.000 Follower. 2013 wurde er in Großbritannien bekannt als der Bildungsminister eine seiner Unterrichtsideen öffentlich als Beispiel dafür heranzog, was im britischen Bildungssystem falsch läuft. Es folgte eine hitzige Debatte über Schule und Geschichtsunterricht im besonderen, die Russel auch auf seiner Website dokumentiert hat und von allen großen Medien im Vereinigten Königreich aufgenommen wurde.
Letztes Jahr nun hat Russel Tarr im Selbstverlag ein kleines Buch herausgegeben, in dem er methodische Anregungen aus seiner Unterrichtspraxis für den Geschichtsunterricht zusammengestellt hat: Practical Classroom Strategies. A History Teaching Toolbox (2016).
Das Buch ist unterteilt in 10 Kapitel, die unterschiedliche Kompetenzen und Methoden des Geschichtslernens:
1. Imparting knownledge to students
Hierunter fallen der Umgang mit Karten, QR-Code-Rallyes oder Rätselgeschichten
2. Debate and discussion strategies
Neben der bekannten Debattenmethode im Heißluftballon finden sich hier auch Anregungen für Schreibdiskussionen oder Gerichtsverhandlungen als Rollenspiel im Klassenraum.
3. Transforming and applying knowledge
Kreative produktorientierte Arbeitsformen wie das Erstellen eines Filmposters, eines Kinderbuchs oder eines Social Media-Profils zu einem historischen Thema bzw. einer historischen Person werden hier vorgestellt.
4. Comparing, contrasting, linking
Das Erstellen von Diagrammen, Hochzeitseinladungen und eines Bingo-Spiels werden genutzt um historische Phänomene zu vergleichen und miteinander zu verknüpfen.
5. Judgements and interpretations
Kontrafaktisches Erzählen, das Lebensrad für Biographien oder spielerische Ansätze wie Interpretieren mit „Schiffe versenken“ stehen in diesem Kapitel im Mittelpunkt.
6. Group work approaches
Arbeitsformen wie Gruppenpuzzle Rollenkarten für Diskussionsrunden oder kollaboratives Vorbereiten von zu schreibenden Texten werden den GeschichtskollegInnen bereits bekannt sein.
7. Tests and revision
Verschiedene Ideen zur Wiederholung und Überprüfung des Gelernten inbesondere in Form von Rätseln und Spielen sind Thema des Kapitels.
8. Classroom display
Entsprechend des außerhalb Deutschlands vorherrschenden Lehrerraumprinzips werden verschiedene Ideen vorgestellt, wie sich der Klassenraum so herrrichten lässt, dass er die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler unterstützt werden.
9. Essay skills
Hier gibt es Tipps, um Lernende durch visuelle Impulse und Strukturierungshilfen, das Schreiben von Geschichtsessays zu erleichtern.
10. Other ideas
Alles, was sich nicht einem der vorangehenden Kapitel zuordnen ließ, wurde im abschließenden Kapitel des Buchs gesammelt: Umgang mit Hausaufgaben, Belohnungssysteme, Schatzsuche oder Speed-Dating als Unterrichtsmethoden usw.
Die Stärke des Buchs liegt darin, dass es aus der Praxis kommt. Hier hat ein Lehrer aus seiner Unterrichtspraxis heraus, die Methoden und Anregungen zusammengestellt, mit denen er hervorragende Erfahrungen gemacht hat und macht sie auf diese Weise als Anregungen für alle Kolleginnen und Kollegen verfügbar. Dies ist notwendigerweise ein sehr subjektiver Blick. Daher stehen neben den vielen anregenden, kreativen Unterrichtsideen auch immer wieder bekannte Arbeitsformen und Methoden. Aber gerade das macht die Lektüre reizvoll, weil sich so oft der Eindruck einstellt, einem kreativen Kollegen bei seiner Arbeit über die Schulter bzw. direkt in seine Unterrichtsgestaltung schauen zu können.
Was überrascht, ist neben der unbefangenen Theoriebefreitheit der Darstellung die vermutlich zugleich darauf beruhende Unstruktriertheit sowohl bei der Anordnung der Ideen im Buch wie auch bei der Darstellung der einzelnen Vorschläge, die keinem Raster oder Muster folgen, das Lektüre, Einordnung und Nutzung des Buchs deutlich vereinfacht und verbessert hätte. Ebenso fehlt ein Stichwortverzeichnis am Ende, das gleichfalls hilfreich gewesen wäre.
Beides ist vermutlich dem Selbstverlag geschuldet. Eine redaktionelle Bearbeitung hätte dem Buch gut getan. Allerdings sagt auch einiges über das britische Verlagswesen im Bildungsbereich, dass das Buch im Selbstverlag erschienen ist. Nichtsdestotrotz: Das Buch bündelt zahlreiche, anregende Vorschläge, den Geschichtsunterricht kreativer zu gestalten. Obwohl „Werkzeugkasten“ drauf steht, ist es eigentlich eine sehr persönliche Zusammenstellung von Methoden und Arbeitsformen, die er als „erfolgreich“ erlebt hat.
Vermutlich kennt das jeder aus seiner eigenen Lehrerbiogprahie: Aus der Praxis eines engagierten Kollegen lassen sich immer Anregungen für die eigene Arbeit ziehen. Insofern lohnt der Blick in das Buch auf jeden Fall!