Die Zahl von Virtual Reality-Angeboten zur Geschichte wächst und damit stellt sich die Frage, was sich ihnen im Geschichtsunterricht anfangen lässt. Virtuelle Realität (kurz: VR) meint laut Wikipedia dabei zunächst die „Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung“. Erweitert sollen hier aber auch 360°-Videos mit in die Betrachtung einbezogen werden.
Es finden sich zur Zeit vor allem Abbildungen historischer Objekte, also Quellen, die in 3D-Ansicht zugänglich gemacht werden: d.h. sie können gedreht und von allen Seiten betrachtet werden, außerdem bietet die Zoom-Funktion die Möglichkeit, sich Details genauer anzuschauen. Außerdem werden historische Orte und Rekonstruktionen virtuell begehbar gemacht. Der Betrachter wählt jeweils seine Blickrichtung und Perspektive aus. Selten sind (noch) Inszenierungen mit nachgestellten Spielszenen, in denen die Nutzer sich wie mitten in einen Geschichtsfilm versetzt fühlt. Diese können, aber müssen aber weder quellennah sein und noch Quellen (-zitate) enthalten.
Angereichert werden die meisten Angebote durch zusätzliche Informationen, die per Klick an jeweiligen Detail abrufbar sind. Sie können sowohl auf mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets oder VR-Brillen angeschaut werden. Einige Angebote sind nur als App verfügbar und setzen daher ein entsprechendes Betriebssystem voraus, andere lassen sich online in jedem Browser auch an einem stationären PC nutzen.
Aus geschichtsdidaktischer Sicht handelt es sich um Abbildungen von Quellen. Vorteile gegenüber den Bildern von historischen Orten und gegenständlichen Quellen z.T. in gedruckten Büchern ist der Eindruck der „Gegenständlichkeit“ gegenüber der Wiedergabe in 2D: Die Objekte lassen sich drehen, von unten oder der Rückseite betrachten, ggf. auf einem Foto zu klein wiedergegebene Details können durch den Zoom vergrößert und damit genauer betrachtet und analysiert werden.
Grundsätzlich sind für Quellen wie Darstellungen in VR-Form dieselben Arbeitsweisen anzuwenden wie sonst auch in Geschichtswissenschaft bzw. -unterricht. Wichtig ist, und dies gilt für jüngere und ungeübte Lernende sowie inbesondere für das mögliche Immersionserlebnis bei Inszenierungen, sich nicht „blenden“ lässt, sondern das Angebot sinnvoll didaktisch einzubetten und ggf. eine kritische, analytische Distanzierung anzuregen. Gerade das (kurzzeitige, aber mit Hilfe einer Brille komplette) Eintauchen in ein historisches VR – Erlebnis kann die Gefahr der „Überbewältigung“ mit sich bringen und ist daher im Sinne des Beutelsbachers Konsenses besonders aufmerksam zu begleiten.
Die Integration von Virtual Reality in Schule und Unterricht ist in jedem Fall sinnvoll, um eine sinnvolle und kritische Nutzung der Technologie in allen Fächern aufzuzeigen und zu erlernen. Besonders interessant scheint zuletzt die Möglichkeit, dass Lernende selbst VR-Produkte im Rahmen des Unterrichts erstellen bzw. bei der Erstellung beteiligt sind, so „hinter die Kulissen“ schauen und zugleich auch die technologischen Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen kennenlernen. Auf ein solches größer anlegtes Projekt, in dem deutschlandweit Schulen zusammenarbeiten, sei abschließend noch verwiesen:
Erinnerung sichtbar machen: 80 Jahre Reichspogromnacht 2018
Beispiele für VR-Angebote zur Geschichte:
Projektbüro „Here I Stand …“ Lutherausstellungen USA 2016 – Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte: www.here-i-stand.com/de/order#three-d-objects
Britisches Museum – Altägyptisches Boot:
WDR Kölner Dom in 360°: http://dom360.wdr.de/
WDR Inside Auschwitz – Das ehemalige Konzentrationslager in 360°: https://www.youtube.com/watch?v=QwC5d75iTcA
Deutschlandfunk Kultur Stasiverhöre. Manipulierte Geständnisse: http://blogs.deutschlandradiokultur.de/stasiverhoer/
„Du bist nichts wert“ – im geheimen Stasi-Gefängnis (360°-Video): https://www.youtube.com/watch?v=whRxD3T65ec