Bereits im Juni 2016 erschienen komme ich leider erst jetzt dazu über das deutsch-polnische Geschichtsbuch zu schreiben. Die deutsche Version hat der Eduversum-Verlag herausgebracht. In einem recht frühen Stadium der Konzeptionsphase hatte ich an einem sehr spannenden Lehrer-Workshop in Breslau teilgenommen und bei Gelegenheit im Blog über den Fortlauf des Projekts berichtet, ohne allerdings selbst über den Workshop hinaus involviert zu sein. Genau 10 Jahre hat es gedauert vom ersten Anstoß aus der Politik bis zur Veröffentlichung des ersten Bandes. Die weiteren drei Bände sollen nun bis 2020 folgen.
Natürlich wurde über dieses wichtige Projekt berichtet, wie z.B. hier im tagespiegel, allerdings war die Resonanz – so mein subjektiver Eindruck – (leider) deutlich geringer als beim deutsch-französischen Geschichtsbuchs 2006 (z.B. Der Spiegel oder hier zwei Jahre später zum Erscheinen des zweiten Bandes wiederum im tagesspiegel).
Beiden Werken gemeinsam ist, dass sie als reguläre Lehrwerke – und deshalb auch nicht digital und nicht als OER – in allen 16 Bundesländern und zugleich im Partnerland zugelassen sein sollte und es sich um ein exakt inhaltsgleiches Buch auf Deutsch bzw. Polnisch handelt. Während sich das deutsch-französische Projekt an die Sekundarstufe II richtete und eine klar binationale Konzeption besaß, ist das auf vier Bände angelegte deutsch-polnische Schulbuch für den Unterricht in der Sekundarstufe I konzeptioniert und will über das Binationale hinaus „die europäische und Globalgeschichte unter besonderer Berücksichtigung deutsch-polnischer Perspektiven“ in den Mittelpunkt rücken (Georg-Eckert Institut: Ziele).
Der Weg von der Idee zum Werk war lang und steinig. Es mussten die Geschichtslehrpläne von 16 Bundesländern sowie das nationale Curriculum Polens auf einen Nenner gebracht werden. Dazu kam eine zeit- und personalintensive politische und wissenschaftliche Begleitung des Projekts sowie nicht zuletzt unterschiedliche Traditionen in Historiografie und Unterrichtspraxis.
Dass am Ende nun ein fertiges, im Unterricht einsetzbares Schulbuch steht, ist – nicht nur angesichts der politischen Veränderungen der letzten Jahre insbesondere in Polen – keineswegs selbstverständlich und es ist das Verdienst einer Vielzahl von Beteiligten diese Herkulesaufgabe zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht zu haben. Dabei ist keineswegs ein aufgeblähtes Additum von vielen Lehrplänen und nationalen Perspektiven entstanden, sondern bei einem ersten Band, der die Epochen von der Steinzeit bis zum Ende des Mittelalters umfasst, mit rund 250 Seiten ein Werk mit überschaubarem und im Hinblick auf die Stundenzahl des Fachs Geschichte „realistischem“ Umfang.
Kritisch einzuwenden ist hingegen, dass aufgrund der notwendigerweise langen Entwicklung und des umfassenden Anspruchs der allgemeinen Gültigkeit, die Zeit gegen das Projekt gearbeitet hat. So gibt es z.B. seit letztem Jahr einen neuen Teillehrplan Geschichte in Rheinland-Pfalz, für den das deutsch-polnische Geschichtsbuch nur noch sehr eingeschränkt kompatibel ist. So taucht das Buch – angesichts der politischen Absprachen trotzdem überraschend – nicht im rheinland-pfälzischen Schulbuchkatalog der im Land für den Unterricht in der Sekundarstufe I zugelassenen Schulbücher auf.
Allerdings liegt die Bedeutung des gemeinsamen Geschichtsbesuchs wohl vor allem in der „hohe[n] bildungs- und wissenschaftspolitische[n] Bedeutung für die deutsch-polnischen Beziehungen. Beide Seiten zeigen damit ihren Willen, die geschichtlichen Erfahrungen des Nachbarlandes in der schulischen Vermittlung von Geschichte mit einfließen lassen und den Wissenschaftsdialog über historische Themen vertiefen zu wollen.“ (so die deutsch-polnische Schulbuchkomission auf der Projektseite).
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Europa. Unsere Geschichte. Band 1. Eduversum: Wiesbaden 2016. Online bestellbar: http://www.jubi-shop.de/de/Shop/Jugend-Und-Bildung/Unterrichtsmaterial/Europa—unsere-Geschichte–Band-1_BEUUG.html
„Breslau“ heißt übrigens Wrocław. Und falls Ihnen das auch ein paar Zeilen wert ist, sei hier an den deutsch-faschistischen Massenmörder Frank erinnert, der bis Anfang 1945 im südlichen Kraków „residierte“… und im Oktober 1946 hingerichtet wurde. https://sascha313.wordpress.com/2017/04/14/der-leichengeruch-von-majdanek-physiognomie-eines-massenmoerders/
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