Interview: 10 Fragen an… Playing History

[Crossposting aus dem Spieleautorenblog: „Spielsuspensorium“]

Stellt euch beide doch bitte selbst kurz vor:
Bei uns, den Initiatoren von Playing History, handelt es sich um Michael „Geis“ Geithner und Martin Thiele-Schwez – wir sind begeisterte Spieler, Projektpartner und seit langem gute Freunde. Kennengelernt haben wir uns in Berlin, kommen aber ursprünglich aus dem Osten Deutschlands, aus Sachsen und Thüringen. Inzwischen konnten wir unser Hobby zum Beruf machen und arbeiten in erster Linie als Spieleentwickler und Projektleiter im Medienbereich.

1) Wie seid ihr dazu gekommen, speziell Spiele zum Lernen von Geschichte zu entwickeln?

Unsere aktuelle Tätigkeit, das Entwickeln von Lernspielen, insbesondere für den Geschichtsunterricht begründet sich zum einen mit unserer Affinität zu Spielen selbst, zum anderen aber auch irgendwie mit unserer Herkunft: Es war ein verregneter Nachmittag in Berlin. Wir hatten einige Brettspiele gespielt und fragten uns einmal mehr, was damals eigentlich unsere Eltern so gespielt haben. Es war ein Moment der Erkenntnis, als wir feststellten,
dass es in unseren beiden Familien (in der DDR) handgefertigte Brettspiele gab. Monopoly, Sagaland, Malefiz und andere wurden von unseren Familien kopiert und zuhause gespielt.
Auf Basis dieser Einsicht starteten wir eine Sammlung unter dem Titel „Nachgemacht – Spielekopien aus der DDR“, die uns von da an über Jahre begleitete. Wir sammelten Spiele und historische Dokumente, wir interviewten spieleaffine Zeitzeug*innen, stellten unsere Forschungsergebnisse aus und verfassten eine gleichnamige Publikation. Sogar eine Dissertation über die Spielekultur der DDR ist entstanden (und wird in Kürze verteidigt).
Über dieses Thema kamen wir unweigerlich zur spannenden Schnittstelle von Geschichte und Spiel. Von da an war es kein weiter Weg mehr: Es lag geradezu auf der Hand, dass wir Spiele, die wir in diesem Zusammenhang kennenlernten, neu auflegen mussten und damit versuchen mussten, DDR-Geschichte spielerisch zu vermitteln.

2) Warum habt ihr euch für analoge Spiele aus Papier und Pappe entschieden und entwickelt nicht z.B. Apps zum Geschichtslernen? Die Gestaltungs- und Umsetzungsmöglichkeiten sind digital doch viel größer, oder nicht?

Diese Entscheidung haben wir nie aktiv getroffen. So war eines unserer ersten Spiele eine iOS-App mit dem Titel „Ligato“. Auch sie basierte auf unseren medienhistorischen Recherchen: Bei Ligato handelt es sich um ein schlichtes agonales Brettspiel. Der traditionelle Wettstreit auf dem Brettspiel wird zwischen zwei gleichstarken Parteien ausgefochten – Schwarz vs. Weiß. Entstanden ist das Brettspiel in den 80er Jahren in der DDR. Sein Urheber Lothar Schubert, der in seiner Freizeit Spiele entwickelte, verkaufte dieses Spiel sogar an den volkseigenen Betrieb (VEB) Berlinplast. Doch das musste nicht notwendigerweise bedeuten, dass Schubert sein Spiel auch auf dem Markt sehen würde. Schließlich wurden bereits vier seiner Ideen gekauft,
aufgrund mangelnder Produktionsmittel in der DDR jedoch nicht realisiert.

Im Falle von Ligato allerdings gab es Hoffnung für Herrn Schubert: Schließlich besprach der Verlag den Titel des Spiels, die Anleitungstexte und die Gestaltung mit dem Spieleautor. Er erhielt sogar ein Handmuster seines Spiels, doch dann wieder: Funkstille. Monate vergingen und die DDR ging ihrem Ende entgegen. Mitte der 1990er Jahre erhielt Schubert einen Brief. Im Briefkopf war VEB durchgestrichen und GmbH hinter Berlinplast gekritzelt, im Brief war von Umstrukturierung die Rede. Die Mauer war gefallen und auch die Produktion seines Spiels wurde eingestellt.

Ca. 30 Jahre nach seiner Entstehung entdeckten wir dieses Spiel und seine Hintergrundgeschichte, die uns einen Einblick in die Industrie und Produktionsbedingungen des „Arbeiter- und Bauernstaats“ gab. So entschlossen wir uns dieses Spiel mit unseren medienpraktischen Kompetenzen als App neu aufzulegen und damit ein Zeitzeugnis herauszustellen und gleichzeitig Wissen über die DDR-Industrie zu vermitteln. Das Spiel
ist immer noch zum gratis Download verfügbar und steht inzwischen in der Dauerausstellung des DDR Museums in Berlin.

Zurück zur eigentlichen Frage: Der Grund warum der überwiegende Teil der von uns entwickelten Spiele analog und nicht digital ist, hat eher mit Aspekten der Finanzierung zu tun. So sind die Produktionskosten eines digitalen Spiels in der Regel ungleich größer, da – wie allgemein bekannt – gute Programmierer rar und teuer sind. Kurzum: Wir haben zahlreiche gute Ideen für digitale Spiele – die Konzepte liegen jedoch solange auf Eis, bis wir die Finanzierung derselben sichergestellt haben.

3) Viele Lehrerinnen und Lehrer sehen den Platz von Spielen im Unterricht allenfalls in der letzten Stunde vor den Ferien, wo „eh nicht mehr gearbeitet wird“, oder halten den zeitlichen und materiellen Aufwand für Spiele im Unterricht für zu hoch im Vergleich mit dem, was die Schülerinnen und Schüler dabei lernen. Was sagt ihr dazu?

Wir haben genau diese Erfahrung mit unseren letzten Lernspiel „Bürokratopoly“ gemacht. Das Spiel – auch auf Basis eines historischen Zeitzeugnisses entwickelt – ist für große Gruppen spielbar und eignet sich daher besonders gut für Schulklassen. Die Spieldauer allerdings ist mit ca. 60-90 Minuten ausgesprochen lang. Das Feedback, was uns von Lehrkräften erreichte, war genau das: Das Spiel ist klasse und wir spielen es gerne mit der Klasse, allerdings eignet
es sich eher für Projekttage oder ähnliches.

Aus diesen Erfahrungen haben wir gelernt und mit unserem aktuellen Spiel WENDEPUNKTE ein sogenanntes „Impulsspiel“ entwickelt. Die Spieldauer einer Partie ist mit ca. 10-15 Minuten außerordentlich kurz und die Regeln sind schnell erklärt. Somit möchten wir den Lehrkräften ermöglichen in das Kapitel DDR-Geschichte einzusteigen und den Schüler*innen einen niedrigschwelligen Zugang zu einem neuen Themenfeld zu schaffen. Ein umfassendes Lehrerheft, das wir dem Spiel beilegen, gibt den Lehrkräften eine Vielzahl von möglichen Aufgabenstellungen an die Hand an die ersten gespielten Partien anzuknüpfen.

Besonders erfreulich war das Feedback, welches wir von einem Lehrer aus Gießen erhielten. Er stellte heraus, dass seine Klasse durch das Spiel ein reges Interesse am Thema entwickelte, selbst Fragen stellte oder unbekannte Begriffen auf dem Handy nachschlug. Unter anderem schrieb er über WENDEPUNKTE: „…ein grandioses Spiel, das Fachwissen spielerisch vermittelt, Anreize zum Fragen stellen schafft und die Reflexionsfähigkeit stärkt.“ Sowas freut uns natürlich sehr und wir hoffen, durch Spiele, die tatsächlich die Arbeitsrealität der Lehrkräfte berücksichtigen, immer mehr von ihnen für spielerische Lehrmethoden begeistern zu können.

4) Wenn man sich die bestehenden Handreichungen und Angebote zum Spielen im Geschichtsunterricht anschaut, dann finden sich dort vor allem verschiedene Arten von Quiz- und Laufspielen. Was meint ihr, warum gibt es nur wenig gute Spiele zum Geschichtslernen?

Nunja, mit Verlaub – wir schätzen es sehr, wenn sich Lehrkräfte oder Historiker daran machen Spielformen zu entwickeln. Jedoch darf nicht unterschätzt werden, dass die Entwicklung von genuinen Spielen eine anspruchsvolle Arbeit ist, die Erfahrung, Ausdauer und Fleiß abverlangt. Fachwissen auf Quizformen oder Laufspiele zu setzen führt nur zu einer Sache: Schüler*innen stöhnen auf.

Dabei ist das Spiel ein ganz hervorragendes Lernmedium, da Wissensvermittlung und Vergnügen miteinander einhergehen. Der Schlüssel zum Gelingen liegt darin, relevante
Lehrinhalte nicht neben die Spielformen zu stellen, sondern sie in die spielerische Handlung zu integrieren. Ist ein Spiel gut konzipiert und realisiert, lernen seine Schüler*innen hochmotiviert mit Spaß an der Sache. Spielformen können in allen denkbaren Bildungsbereichen das Lernen unterstützen, denn: Wer spielt, lernt!

Trotzdem steht es uns nicht zu Vorstöße anderer Entwickler abzuurteilen. Die spielerischen Lehrmittel müssen alle für sich betrachtet werden, um sie letztlich dezidiert beurteilen zu können.

5) Bei Quiz- und Laufspielen werden ja vor allem Informationstexte und Frage-Antwort-Kärtchen genutzt, um „Geschichte zu vermitteln“. Das ist ja nicht nur bei Lernspielen so: Mit „Luther – das Spiel“ ist ja auch ein aktuelles Beispiel für ein Mainstream-Spiel, wo die Wissensvermittlung so funktioniert. Gibt es nicht noch andere Möglichkeiten und Wege mit Spielen Geschichte zu lernen?

Die gegenwärtige Zeit stellt uns vor diverse Herausforderung in der Vermittlung von Lehr- und Lerninhalten. Zum einen erweist sich das Abrufen von Daten und Fakten heutzutage als kinderleicht, bildet längst nicht mehr das eigentliche Vermittlungsziel. Vielmehr gilt es – so lautet die Maxime – Kompetenzen zu fördern und zu bestärken.

Bei Norbert Bolz heißt es, das Weltwissen verdopple sich alle sieben Jahre. Zusammenhänge in einer derart komplexen Welt aufzuzeigen, zu erschließen und Abhängigkeiten transparent zu machen, stellt die Herausforderung für all jene dar, die Inhalte vermitteln wollen. Der Geschichtsunterricht ist ein gutes Beispiel. So geht es doch heutzutage nicht mehr darum, dass Kinder und Jugendliche auswendig lernen, wann Luther aus Worms floh, die Französische Revolution stattfand oder die Berliner Mauer gebaut wurde – diese Fakten kann jedes Kind innerhalb von Sekunden selbst ermitteln. Vielmehr sollte es darum gehen Zusammenhänge zu verstehen und Kompetenzen zu stärken. Hierin liegt im Übrigen nicht nur der Anspruch für gute Lernspiele, sondern für gute Lehre generell.

Im Fall von WENDEPUNKTE beispielsweise stellen sich die Schüler*innen spielerisch Biografien in der Zeit der deutschen Teilung und den Jahren danach zusammen. Dabei geht es uns aber nicht darum, eine historisch bestehende Biografie zu rekapitulieren, sondern es geht darum zu verstehen unter welchen Abhängigkeiten, Zwängen und Widersprüchen sich Biografien in der DDR entwickelten und welche Konsequenzen einzelne Handlungen nach dem Systemwechsel 1989 hatten.

Ein mögliches Beispiel: Ein Spieler von WENDEPUNKTE lässt sich (im Spiel) konfirmieren, eine SED Karriere bleibt ihm dadurch zunächst verwehrt. Sein Schicksal zwingt ihn dann aber dazu für die Stasi als IM tätig zu sein. Diese Tätigkeit bringt ihm vor 89 erhebliche Vorteile (und Punkte) ein. Nach 89 kommt seine Tätigkeit allerdings ans Licht, woraufhin er negative Konsequenzen (wie Parteiausschluss, Strafanzeige, Gefängnisstrafe oder gar Exil) erfährt. Derartige Zusammenhänge und Abhängigkeiten zeigt das Spiel auf und motiviert die Schüler*innen fast ganz von allein dazu die Biografien auszuschmücken und nachzuerzählen. Der Weg zu Fragen, wie: „…gab es das wirklich…“, „…wem ist sowas denn passiert…?“, ist dann nicht mehr weit.

6) Was macht eurer Meinung nach ein gutes Geschichtsspiel aus?

Wenn es gelingt den Schüler*innen Spielwelten zu erschaffen, in die sie eintauchen und in denen sie handeln können, dann ist schon viel gewonnen. Kinder und Jugendliche wollen ja entdecken, erforschen und erleben – das Spiel ermöglicht das. Irgendwelche Zahlen auswendig zu lernen, will heute niemand mehr, zumal es längst nachweisbar ist, dass eine derartige Vorstellung von Unterricht keinen nachhaltigen Lernerfolg mit sich bringt.

Erlebnisse – seien sie real oder mindestens spielerisch – prägen sich da doch wesentlich nachhaltiger ein. Um ein gelungenes Spiel – egal ob digital oder analog – zur Geschichtsvermittlung zu erstellen, halten wir folgende Grundsätze hoch und empfehlen bei unseren Beratungen oder Vorträgen darauf zu achten – in aller Kürze:

Freude: Auch wenn es um und gerade WEIL es um Inhaltsvermittlung geht, ist es essentiell, dass das Spielen des Spiels Freude bereitet. Ohne Freude, keine Freiwilligkeit. Ohne Freiwilligkeit, kein Spiel.

Inhalt mit Praxis verknüpfen: Der Inhalt, der vermittelt werden soll, darf nicht neben dem Spielprinzip stehen. Schlechte Lehrspiele und Serious Games begehen den Fehler, dass sie wie ein Lehrbuch aufgebaut sind und Spielprinzipien nur zur Auflockerung einstreuen. Ein gelungenes Machwerk vermittelt im Prozess des Spielens.

Style: Das Auge denkt mit. Ist ein Spiel (gemäß Zielgruppe) unattraktiv gestaltet, wird sich niemand gerne damit beschäftigen. Auch im Schulkontext darf ein Lernspiel nach Spiel aussehen. Darum empfehle wir immer, sich möglichst frühzeitig im Projekt einen Designer oder eine Designerin mit ins Boot zu holen.

Rhetorik: Gleiches gilt für die Sprache. Das Spiel muss die richtige Sprache sprechen. Dabei gilt es sowohl ein zielgruppengerechtes Niveau aufrecht zu erhalten, gleichwohl nahe am Thema zu bleiben. Wichtig ist die Konsistenz aller dem Spiel zugehörigen Elemente – dazu zählt auch die Anleitung. Das wiederholte Testen in verschiedenen Entwicklungsphasen ist hier essentiell – nicht allein das Spiel selbst, sondern auch die Verständlichkeit des Regelwerks und der „Flavor“ des Spiels sollten mit Testpersonen kritisch besprochen werden.

Anleitung: Ob das Spiel im Bildungskontext genutzt wird, steht und fällt mit der Qualität seiner Anleitung. Insbesondere für weniger spielaffine Personen ist es essentiell einen zügigen Einstieg in das Spiel zu erhalten. Im Idealfall kann auf eine Anleitung ganz verzichtet werden, da die ersten Schritte im Spiel schon den Fortgang des Spielprinzips erklären (z.B. in Form eines In-Game-Tutorials). In jedem Fall muss den Beteiligten (Spieler*innen und Pädagog*innen) schnell klar sein, was es zu tun gibt. Eventualitäten oder Sonderregeln erschweren diese Prämisse mitunter. Kleiner Geheimtipp: Eine Online-Videoanleitung macht sich immer gut.

Abstraktion: Spiele sind Abstraktion. Das heißt, dass mit ihnen eher das Ziel verfolgt werden kann, ein Gespür für komplexe Systeme zu vermitteln als Daten und Fakten wiederzugeben. Gerade in Anbetracht dieser Abstraktion gilt es, sich auf ein konkretes Thema festzulegen und dieses Thema zielgerichtet darzustellen.

Spielmechanik: Die spielerische Darstellung basiert (neben formellen Dingen wie der Gestaltung) vor allem auf der Spielmechanik. Im Game-Design gilt es darum stets die Frage zu klären, wie sich die Zusammenhänge, welche vermittelt werden sollen, durch eine sinnvolle Mechanik abbilden lassen. Gerade in Zeiten von zahlreichen Neuerungen in der Spielelandschaft empfiehlt es sich sicherlich auch mit originellen Mechaniken aufzuwarten, die über reines Würfeln und Figurensetzen hinausgehen.

(Ziel-) Gruppe: Zu Beginn der Arbeit ist es sinnvoll zu klären, für wen das Spiel gemacht wird. Nicht um andere auszuschließen – im Idealfall inkludiert das Spiel eine breite Zielgruppe – sondern eher um die Rahmendaten für das Game-Design zu klären. Obendrein ist stets die essentielle Frage zu beantworten, ob das Spiel für ein, zwei oder viele Spieler*innen funktionieren soll und welcher spielerische „Use-Case“ fokussiert wird.

Historische Einbindung: Ein Spiel muss für sich allein funktionieren. Ist erst ein Lehrer*innenheft für das Gelingen des Spiels notwendig, ist fraglich, ob es sich dann um ein gelungenes Spiel handelt. Allerdings ist die historische Kontextualisierung trotzdem mehr als wünschenswert. Gelingt es nämlich das Verständnis für ein Ereignis zu vertiefen, ist der Wiederspielwert meist umso höher. Obendrein ermöglicht eine historische Einbettung (z.B. in Form eines Lehrer*innenheftes) Anknüpfungspunkte für all jene zu schaffen, die weiterführend an den im Spiel abgebildeten Themen interessiert sind.

Interaktion: Spannend wird ein Spiel dann, wenn die Spieler*innen die Möglichkeit erhalten, miteinander (oder mit dem Spiel) zu interagieren. Gerade im historischen Zusammenhang erlaubt das Spiel seinen Spieler*innen historische Verläufe zu erleben, buchstäblich durchzuspielen und diese möglicherweise gar zu beeinflussen.

7) Also mehr gute Spiele in den Unterricht, um mehr Interesse, Motivation und Freude am Geschichtslernen zu fördern. Aber wie bekommt man die Spiele zu den Schülerinnen und Schülern (wenn ihre Lehrer Spielen eher kritisch gegenüberstehen)?

Gar nicht ☺ – wenn es sich tatsächlich um Spiele für den Schulunterricht handeln soll, ist die Offenheit der Lehrkräfte essentiell. Allerdings sind wir da ganz zuversichtlich. Denn nach unserer Erfahrung sind es oftmals die Lehrkräfte selbst, welche die schärfste Kritik am Schulsystem und ihrem Lehrplankorsett liefern. Immer mehr begegnen uns junge motivierte Lehrer*innen, die uns mit offenen Armen empfangen und großes Interesse an didaktischen Spielformen haben. Ist ja klar, denn „trockener“ Unterricht weckt Widerstände der Schüler*innen, mit denen ja nicht nur die Schülerschaft, sondern auch die Lehrkräfte auskommen müssen. Über spielerische Alternativen sind also meist alle froh. Besonders glücklich sind wir dann, wenn sich die Lehrkräfte schon in unseren Schaffensprozess einschalten – unsere Prototypen mit ihrer Klasse testen oder unsere Begleithefte kritisch
kommentieren und auf ihre Alltagstauglichkeit hin prüfen.

8) Welche Rolle spielen eurer Einschätzung nach Spiele beim Geschichtslernen außerhalb der Schule: zuhause, im Museum oder sogar Spiele in einer Gedenkstätte?

Neben Spielen für den Unterricht sind die Spiele für Museen oder Gedenkstätten unser Arbeitsschwerpunkt. Denn auch sie begegnen immer mehr den Herausforderungen, dass sich Lernverhalten verändert. Die reichen Schätze an Inhalt müssen raus aus verstaubten Vitrinen und in Interaktion mit den Besucher*innen gebracht werden. Die Notwendigkeit ist aber auch hier erkannt. So gehört es ja inzwischen zum Standard einer Ausstellung, die Besucher*innen zu motivieren Klappen zu öffnen, Hebel zu bedienen oder auf Displays zu tippen. Allein das kann schon als rudimentäre Spielform interpretiert werden. Auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: Wissen möchte entdeckt und erschlossen werden. Alles, was da eine Interaktion und Aktivität der Zielgruppe abverlangt, ist gut und vorteilhaft für Betreiber als auch für Gäste.

9) Wo liegen die Grenzen von Spielen für das Lernen von Geschichte?

Das ist unsere Lieblingsfrage, da auch wir dieselbe gerne an die Zuhörer*innen unserer Vorträge richten. Eine beliebte Antwort ist, dass bei den ganz schweren Themen der Geschichte (z.B. Sklavenhandel, Holocaust etc.) Schluss ist und hier das Spiel unangemessen wäre. Diese Auffassung möchten wir zurückweisen und die Behauptung entgegenstellen: Spiel kann alle Komplexe sehr gut vermitteln. Vielleicht so gut wie kein anderes Medium. Warum?
Die Haltung, dass gewisse Themen nicht spielerisch abbildbar sind, basiert auf einem Denkfehler. Die Vertreter*innen dieser Einstellung verwechseln Spiel mit Spaß, sie verwechseln Spiel mit Quatschmachen. Genau das ist es aber nicht.

Ein Spiel kann todernst oder traurig sein und trotzdem eine gewisse Art von Vergnügen bereiten, so wie es auch ein mitreißender Film oder ein spannender Roman vermag. Doch mehr als diese Medien vermag es das Spiel Komplexe, Zusammenhänge und Eventualitäten abzubilden. Es gibt hierfür eine Vielzahl ganz großartiger Beispiele, einige sollen
hier kurz genannt sein:

● Das Mobile Game „Phone Story“, zeigt im simplen Stil eines Casual Games wie ein Smartphone produziert wird und wieviel Blut und Schrecken an der Produktion des Alltagsgegenstandes hängt. Die Ironie liegt auf der Hand – wir erfahren die Geschichte spielerisch mithilfe des Geräts, welches wir im selben Moment nutzen.

„The War of Mine“: Dieses Spiel lässt uns die Schrecken eines Krieges aus der Sicht von Zivilisten erleben. Die geradezu unlösbare Aufgabe ist, in Zeiten von Grauen, Mangel und Entbehrung eine Gruppe von Zivilisten gesund, satt und moralisch in Ordnung zu halten. Unweigerlich müssen hier moralische Entscheidungen getroffen werden, auf die es keine richtige Lösung gibt.

Brenda Romeros Spiel „Trains“ verlangt von seinen Spieler*innen Züge mit möglichst vielen kleinen Spielfiguren zu befüllen und diese von A nach B zu transportieren. Im Spielprozess verstehen die Spieler*innen, dass die pragmatische Handlung, welche sie hier ausführen, nicht weniger simuliert als die Logistik in der Zeit des Holocaust. Spielerisch wird das vor Augen geführt, was Hannah Arendt als die Banalität des Bösen bezeichnet: Wir können banale Handlungen emotional verrichten und damit doch integraler Gegenstand eines bösen Komplexes sein.

Beispiele wie diese gibt es reichlich und sie führen in hervorragender Weise vor Augen, wie das Spiel nicht nur als didaktisches Medium für Wissensvermittlung eingesetzt werden kann, sondern auch für die Bereiche Moral, Ethik und Philosophie ein fantastisches Medium darstellt.

10) Ihr habt mit WENDEPUNKTE gerade ein neues Spiel veröffentlicht. Was macht es zu einem guten Spiel und warum sollte jeder Geschichtslehrer davon mehrere Exemplare in seiner Schule haben?

Zur diesjährigen Geschichtsmesse wurde WENDEPUNKTE in einem Pre-Release vorgestellt. Die Lehrer*innen haben uns das Spiel aus den Händen gerissen, da sie froh sind über derart umfassendes Lehrmaterial, was unterrichtstauglich ist und den Schüler*innen Spaß macht. Das Feedback eines Lehrers lautete: „Das Kartenspiel ist klug konzipiert und ansprechend gestaltet. Es weckt sofort das Interesse der Klasse. Das Lehrmaterial gibt Lehrkräften eine umfassende, abwechslungsreiche und qualitativ herausragende Hilfestellung, um diesem Stück Zeitgeschichte differenziert zu begegnen.“

Doch neben dem positiven Lehrerfeedback war folgende Anekdote die eigentlich erhebende: Nachdem wir das Spiel den Lehrkräften vorgestellt hatten und mit Schulklassen spielten fanden wir uns nach getaner Arbeit an der Bar am Veranstaltungsort wieder. Als wir schon nicht mehr an die Arbeit dachten, kamen einige Schüler auf uns zu und bedankten sich für ein so originelles Material und fragten uns, ob wir ihnen das Spiel für den Abend nochmal ausleihen könnten. Klar – und den Rest des Abends saß die Schülergruppe am Tisch und spielte mit viel Freude unser Spiel. Wenn Schüler*innen also freiwillig und mit sichtlicher Freude ein Lernspiel spielen, dann weiß man, dass man einiges richtig gemacht.

Ein Gedanke zu „Interview: 10 Fragen an… Playing History

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