Prüfung historischer Bildquellen. Beispiel: Foto aus Kabul von 1972?

Theorie ist gut, aber funktioniert sie auch in der Praxis? Um die Leitfragen aus dem letzten Beitrag zu prüfen, habe ich mir mal folgendes (vielen vermutlich bekanntes) Bild vorgenommen:

https://twitter.com/Historicalmages/status/652830539687325696

Zeitgleich zu meinem Beitrag zur digitalen Bildquellenkritik schrieb jemand auf Twitter zu dem obigen Bild:

https://twitter.com/RainerSteinke/status/653101472071196672

Wenn man genau hinschaut, kann man tatsächlich den Eindruck haben, dass die Köpfe nachträglich verändert und aufgesetzt wurden. Aber stimmt die Vermutung oder handelt es sich um ein unverfälschtes Bild? Und selbst dann: Zeigt es tatsächlich eine alltäglich, typische Straßenszene aus Kabul im Jahr 1972?

An Afghan school girl sings a prayer in celebration and for blessing during a ground breaking ceremony in the village of Dar Bhabba in the Nangahar province May 15. The school that will be built here is funded by the Jalalabad Provincial Reconstruction Team. Photo by United States Army, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Afghan_girls_in_Nangarhar.jpg

An Afghan school girl sings a prayer in celebration and for blessing during a ground breaking ceremony in the village of Dar Bhabba in the Nangahar province. The school that will be built here is funded by the Jalalabad Provincial Reconstruction Team. Photo from May 15, 2007  by United States Army (Public Domain), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Afghan_girls_in_Nangarhar.jpg

15 May 2007

Das Bild ist stark, weil es im Kontrast zu unserer heutigen Vorstellung von Afghanistan steht. Die Vergangenheit Afghanistans „vor den Taliban“ wird bildlich verdichtet zu einem modern, westlich orientierten Land. Dabei schwingt beim Betrachter dann mit, dass dies heute nicht mehr so ist, diese „gute Zeit“ durch Terrorismus und Islam(ismus) vernichtet wurde. Dabei könnte es aufgrund der zeitlichen und räumlichen Einordnung ebenso mit einem Titel „Afghanistan vor dem Einmarsch der Sowjetunion“ versehen werden… erst die Bildunterschrift ordnet das Foto ein und nimmt eine wertende Bedeutungszuschreibung vor.

In der Bildersuche bei Google findet sich über 600 Fundstellen, vor allem auf Twitter, aber auch in zahlreichen Blogs. Allerdings finden sich fast nirgendwo Informationen zum Bild. Es wird fast ausschließlich benutzt, um den Verlust von Frauen- und Menschenrechten in Afghanistan zu illustrieren, leider immer ohne Quellenangaben (siehe z.B. hier: http://www.amnesty.org.uk/womens-rights-afghanistan-history#.VhuIMCuoPJA) Auf einigen Seiten wird die Ausdruckskraft des Bildes mit dem Spruch: „Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte“ auch explizit evoziert. Ich habe keine Seiten gefunden, die den Kontext oder die Frage nach der Authentizität des Bildes diskutiert. Vermutlich haben die meisten Blogger dieses Bild selbst über eine (Google-) Suche gefunden und als passende Illustration für ihren Beitrag übernommen. Das Foto wird immer wieder unhinterfragt in einen ähnlichen Kontext eingebettet, dadurch verbreitet es sich nicht nur weiter, es erhält so auch eine wachsende Trefferrelevanz zu dem Thema in den Suchmaschinen und damit eine Art virale Form der Glaubwürdigkeitsbestätigung durch Reproduktion und Verlinkung.

Auffällig ist, dass auf einigen Bilder in der Google-Suche auch eine Überschrift auf Portugiesisch rechts im Bild („Cabul antes do Taleban“ – Kabul vor den Taliban) sowie ein längerer, aber auch in Vergrößerung kaum lesbarer Text in weißer Schrift links unten im Bild.

Sucht man nun diese „Überschrift“ kommt man auch auf folgende Seite: http://the1988.blogspot.de/2008/03/strangers-when-we-meet.html Dort ist der kleinere portugiesische Text in voller Länge wiedergegeben und verweist auch auf eine Fotografin, Harriet Logan, und ein Buch, „Frauen in Kabul“.

Recherche mit dem Namen ergibt folgendes Ergebnis: „The award-winning photographer Harriet Logan first travelled to Afghanistan in December 1997“ (http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/7637622.stm) Die Fotografin ist 1967 geboren und daher selbst mit Sicherheit nicht die Autorin des gesuchten Fotos, zumal sie 1997 zum ersten Mal in Afghanistan gewesen ist (Interview: http://www.bedales.org.uk/alumni/harriet-logan). Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sie das schwarz-weiß Foto in ihrem Band verwendet hat, z.B. als Kontrast zu ihren eigenen Fotografien. Dies wäre dann im Bildband selbst zu prüfen, der mit genauem Titel heißt: Unveiled: Voices of women in Afghanistan. Ein Bild der Google-Suche zeigt eine Fotografie der Abbildung aus einem Heft oder Buch. Dem bin ich nicht weiter nachgegangen.

Andere Seiten verweisen auf einen „unbekannten Fotografen“, was aufgrund der Überlieferung bei Bildern nicht selten ist. Die Suche nach dem Bild führt auch zu Galerien mit Farbbildern aus dem Afghanistan der 1970er Jahren (z.B. Der Spiegel oder Daily Mail) . Das gesuchte S/W-Foto findet sich dort allerdings nicht.

Fazit

Der Versuch zeigt, dass der Onlinesuche allein vergleichsweise enge Grenzen gesetzt sind, um die Echtheit eines digital vorliegenden Bilds zu prüfen. Weder das Wer, Was, Wo noch Warum konnten eindeutig geklärt werden. Dennoch können aufgrund der Fundstellen einige hilfreiche Feststellungen zu dem überprüften Bild getroffen werden:

  • Der Vergleich über die Google-Bildersuche macht es sehr wahrscheinlich, dass hier ein Originalbild vorliegt, dass (abgesehen von den Schriftelement aus der Printveröffentlichung) nicht verändert oder aus verschiedenen Elementen neu zusammengesetzt wurde
  • ob das Foto das zeigt, was behauptet wird, nämlich westlich gekleidete Frauen in Kabul im Jahr 1972 kann hingegen nicht definitiv beantwortet werden, allerdings:
  • verweist die Kleidung der Frauen auf die 1970er Jahre und
  • der Vergleich mit anderen sicher belegten und verorteten Fotografien aus den 1970er Jahren zeigt ähnlich gekleidete Frauen, auch afghanische –  wobei es anhand der Fotos scheint, als ob dies eher eine auf bestimmte Milieus und die Hauptstadt beschränkte Ausnahme war.
  • Der Vergleich zeigt auch: Das Foto allein eignet sich nicht zur Illustration typischer Lebensumstände der gesamten Bevölkerung in Afghanistan in den 1970ern Jahren. Das Bild ergänzt um die implizite oder explizite Behauptung „So war das Leben der Frauen vor den Taliban in Afghanistan.“ ist auf jeden Fall irreführend.
  • Abschließend lässt sich festhalten, dass es sich um ein historisch mögliches Foto handelt, dass durchaus zu Ort und Zeit passen könnte.

Auch wenn ich die Ergebnisse der kurzen (ca. 30 Minuten) Recherche als unbefriedigend empfinde, wäre es aus meiner Sicht notwendig nicht erst in der Universität, sondern bereits in der Schule solche Verfahren einzuüben, ihre Möglichkeiten und Grenzen kennenzulernen und vor allem die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, selbst die Aussagereichweite ihrer Recherche sowie damit die Authentizität von Bildquellen bewerten zu können.

10 Gedanken zu „Prüfung historischer Bildquellen. Beispiel: Foto aus Kabul von 1972?

  1. Pingback: Falschmeldungen entlarven | digithek blog

  2. Danke für die Mühe und den Text.

    Übrigens eine Randbemerkung die Farbillustration in dem Artikel enthält weder eine Jahreszahl noch direkt die Lizenzbedingungen, da muss man erst dem Wikimedia Link folgen (immerhin ist der lesbar mit angegeben).

    Gibts eigentlich gute freie Forensiktools zur Bilderanalyse, zumindest eine FFT sollte bei schlechten Montagen Hinweise geben.

    Gruss
    Bernd

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  3. Danke für den Kommentar. Ich habe die Daten bei dem Bild ergänzt. Da Public Domain, fand ich das mit dem Link ausreichend. Jetzt stehts direkt in der Bildunterschrift drin. Ich kenne so Tools leider nicht, falls eine Leserin oder ein Leser hier Hinweise hat, wäre das super!

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    • Nochmal Danke für den Hinweis. Über einen anderen Artikel habe ich jetzt so ein Tool gefunden. Das scheint wirklich hilfreich, allerdings an mehreren Beispielen getestet und es funktioniert in der Tat nur bei schlechten Montagen: http://fotoforensics.com/

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  4. Zum 1. Punkt im Fazit würde ich eine Ergänzung wagen wollen: in der linken unteren Ecke des von „Historical Images“ getwitterten Fotos ist allem Anschein nach etwas wegretuschiert worden – unmittelbar neben dem linken Fuß der links gehenden Dame. Die Flecken auf der Straße neben dem Schuh bis zum linken Bildrand hin sind viel zu gleichmäßig gedoppelt, und auch der Absatz des linken Schuhs könnte vom Photoshop-Pinsel getroffen worden sein.

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    • Ach, ich sehe gerade, daß Sie das doch schon erwähnt hatten („sowie ein längerer, aber auch in Vergrößerung kaum lesbarer Text in weißer Schrift links unten im Bild“) … Man sollte Texte genau lesen … Mir würde sich bei dieser Form der Bildbearbeitung allerdings schon die Frage stellen, ob das Foto noch als „Originalbild“ bezeichnet werden kann?

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      • Das wäre zu prüfen. Das lässt sich online aber alleine nicht leisten. Auf Grundlage der gesichteten online verfügbaren Fotos vermute ich, dass das „Originalfoto“ für eine Printpublikation mit den Textelementen versehen wurde. Zumindest ein Teil der digitalisierten Fotos beruht offensichtlich auf einem Abfotografie der Abbildung aus dem Buch, wo dann die Textelemente wieder entfernt wurden. Letztlich halbwegs sicher prüfen lässt sich das unter Vorlage der verwendeten Publikation, die vermutlich auch weitere Informationen zum Foto liefert.

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  5. Ja, ich weiß, man müßte sich eigentlich nur das Buch besorgen, aber online geht es auch – und weil es Spaß gemacht hat, habe ich nach dem ersten Sucherfolg nicht aufgehört:
    1. Google-Bildersuche nach dem Motiv: Auswahl der größten nicht retuschierten Fassung (800 Pixel Breite) auf https://koptisch.wordpress.com/2014/01/28/afghanistan-fruher-und-jetzt-nehmen-sie-sichein-beispiel-daran/, um den auf http://the1988.blogspot.de/2008/03/strangers-when-we-meet.html stehenden Text zu verifizieren.
    2. Bei der Google-Suche nach dem Textanfang „1972. No“ in Verbindung mit „Cabul“ (vgl. Überschrift rechts) tauchte https://leandromarshall.files.wordpress.com/2012/05/mulheres-de-cabul-harriet-logan1.pdf mit einem Scan der Copyright-Seite auf Seite 7 auf – sehr schwer lesbar. Aber im dritten Absatz schien ein Hinweis auf Fotos mit anderem Copyright angebracht zu sein. Am Ende der ersten Zeile des dritten Absatzes steht ein Name – das drittletzte Wort konnte allem Anschein nach nur „Lawrence“ oder „Laurence“ lauten.
    3. Die Google Books-Suche nach „“Laurence“ 1972 Cabul“ („Laurence“ in Anführungszeichen) führte gleich beim ersten Treffer zu einem Buch mit dem Titel „Meena, Heroine of Afghanistan: The Martyr Who Founded RAWA, the Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“ von 1972 (https://books.google.de/books?id=42rQefcFdgMC&printsec=frontcover&hl=de), wo auf einer nicht numerierten Seite im Kapitel „A New World Begins“ ein anderes Foto abgebildet ist: „A 1972 demonstration by Kabul High School girls. Their signs call for democracy. Courtesy of Laurence Brun/Rapho.“ Der Name stimmt mit der unter (2) erwähnten, schwer lesbaren Copyright-Nennung absolut überein.
    4. Nach einer Google Books-Suche nach „“Laurence Brun“ 1972″ findet man im „Guide des sources de l’histoire du féminisme: de la Révolution française à nos jours“ von 2006 die Zeile „Laurence Brun. Conditions de vie des femmes en Afghanistan, 1970-1972. 40 tirages contemporains. DR“ Die Suche nach diesem Titel führt aber wohl zu nichts.
    5. Rapho ist eine französische Bildagentur. Zu Laurence Brun findet man nach einfacher Google-Suche auf http://www.zoominfo.com/p/Laurence-Brun/456092454 unter „Web References“ weiterführende Infos, die sich beim Anklicken von „[cached]“ als Infos zu einer 2004er Ausstellung von Harriet Logans und Laurence Bruns Fotos entpuppen – zu Laurence Brun gab es dabei eine eigene Seite (http://www.mayastendhalgallery.com/harrietlogan_brun.html), die nicht mehr online ist. Im Internet Archive ist sie auch zu sehen – http://web.archive.org/web/20040428081921/http://www.mayastendhalgallery.com/harrietlogan_brun.html -, allerdings ohne Fotos. Wichtig ist indes der letzte Absatz mit dem letzten Satz: „The Afghan women photographs are in the collections of the « Bibliothèque Nationale » and the « Bibliothèque du Musée d’Histoire Contemporaine » of Paris.“
    6. Bei der Suche im catalogue géneral der Bibliothèque Nationale (http://catalogue.bnf.fr) nach „Laurence Brun Kaboul“ tauchen 15 Fotos auf. Online kann man sie anscheinend nicht betrachten; letztlich käme nur der Titel „Apparition de femmes devoilées“ (http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb39878704p/PUBLIC) in Betracht. Herr Bernsen: Eventuell könnten Sie nun eine Anfrage starten – rechterhand gibt es Infos zum Standort und zu Reproduktionen. ;o)

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  6. Vielen Dank für die spannende und ertragreiche Fortsetzung der Recherche. Das zeigt zum einen, was möglich ist, aber auch wo ich Fehler gemacht habe und deshalb nicht weiter gekommen bin. Damit lässt sich festhalten, dass die Fotografin Laurence Brun 1970-1972 in Afghanistan war und dort eine Fotoreportage mit 40 Bildern gemacht hat, die mehr ausgestellt wurde und im Netz unter unterschiedlichen Titeln referiert wird („Femmes afghanes entre tradition et modernité“ http://www.bdic.fr/pdf/DP/dossier%20de%20presse%20Berlin.pdf aber auch „Conditions de vie des femmes en Afghanistan, 1970-72 http://www.bdic.fr/pdf/Collections_photos_MHCBDIC.pdf).

    Es ist sehr wahrscheinlich, dass das gesuchte Foto Teil dieser Serie ist. Klären lässt sich das in der Tat nur mit einer Anfrage an die Bibliothèque Nationale. Das zeigt in Bezug auf die Verifikation von online verfügbaren Bildern, wie hilfreich es ist, wenn Museen, Bibliotheken und Archive ihre Bilder, und sei es auch nur in geringer Qualität, online zugänglich machen.

    Bezog auf den Geschichtsunterricht und Medienbildung in der Schule frage ich mich, wie man Schülerinnen und Schüler konkret anleiten kann, solche Suchen selbstständig und kompetent durchzuführen. Dabei geht es um drei Bereiche:

    1) Das Kennen und Verwenden entsprechender Werkzeuge (Suchmaschinen, Kataloge usw.- besonders auch in Kombination und jeweils für den nächsten Schritt adäquat), was mir vergleichsweise einfach erscheint.

    2) Schwieriger wird vermutlich das sinnvolle Herausfiltern von weiterführenden Suchbegriffen und das Formulieren entsprechender Suchphrasen. Die Boolschen Operatoren sind vermittelbar, das Erkennen, welche Inhalte wirklich relevant sind und potentiell in der Suche weiterhelfen ist viel schwieriger. Wer hier nur im Nebel stochert, wird schnell aufgeben und nicht fündig. Das ist der eigentliche, schwierige Kern von Recherchearbeit.

    3) Problematisch dürfte für den Schulbereich ggf. auch die Notwendigkeit des Verfügens über mehrere Sprachen (hier im Beispiel englisch- und französischsprachige Seiten sowie teilweise als Ausgangspunkt auch portugiesisch) sein, wenn auch nur in geringem Umfang in Form von einem Globalverständnis zur Orientierung und ggf. Nutzung der Seiten. Vermutlich wäre das für einen Großteil der Schülerinnen und Schüler, vor allem der jüngeren, bereits eine kaum überwindbare Hürde.

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  7. Das Foto ist echt. Ich bin die Tochter der Dame auf der linken Seite. Dieses Bild wurde damals für eine Zeitschrift „Women“ in Kabul aufgenommen. Das kann natürlich hier jeder behaupten – aber ich würde sonst hier keinen Kommentar hinterlassen.

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