Getwittert hatte ich meine Begeisterung ja bereits gestern. Nun will ich kurz noch die Erklärung dafür nachliefern. In der aktuell laufenden LdL-Reihe der Klasse 8 war gestern das Thema „Der Aufbruch in die neue Welt“ dran. So der Titel des Kapitels im Schulgeschichtsbuch, das ohne Anführungszeichen „neue Welt“ und „Entdeckungsfahrt“ aus europäischer Perspektive setzt. Mit der Schülergruppe war abgesprochen, dass sie die Stunde gestalten mit einem Schwerpunkt auf der Multiperspektivität und dabei den Begriff der „Entdeckung“ problematisieren bzw. die Standortgebundenheit der europäischen Perspektive daran deutlich machen.
Das hatte die Gruppe sehr gut vorbereitet und ein methodisch gelungenes Arrangement ausgedacht, in dem die Mitschüler die wesentliche Inhalte in einem 1-2-4-Verfahren erarbeitet und miteinander verglichen haben. Direkt beim ersten Punkt der Besprechung im Plenum kam es dann jedoch zur Diskussion: Die vorbereitende Gruppe war zu dem Schluss gekommen, dass es sich aus Sicht der Europäer durchaus um die „Entdeckung“ einer „neuen Welt“ handelte, aus Sicht der Einwohner jedoch nicht. Dazu kam von einzelnen Schülern Kritik, die in eine engagierte Diskussion mündete: So wurde argumentiert, dass durch den Kontakt auch die Einwohner Amerikas eine „neue Welt entdeckten“, nämlich die der Spanier und Europäer, wobei die Schüler „Welt“ im Sinne von Kultur, Sprache usw. verstanden haben wollten. Ihrer Meinung nach bedeutetete die Begegnung eine Öffnung und „Entdeckung“ für beide Seiten.
Die Gruppe der Unterrichtenden beendete die Diskussion (leider) mit einem Verweis auf die Zeit, aber immerhin noch geschickt mit der Erklärung, dass nach ihrem Verständnis (!) nur auf europäischer Seite von „Entdeckung einer neuen Welt“ gesprochen werden können. Damit haben sie die Position der anderen Schüler als berechtigt stehen lassen und anerkannt, dass es hier unterschiedliche Sichtweisen geben kann. Ich finde, das ist eine enorme Leistung für eine 8. Klasse und widerlegt auf eindrucksvolle Weise den teilweise zu hörenden Vorwurf, dass LdL keinen anspruchsvollen Unterricht generieren könne.
Es lässt sich natürlich argumentieren, dass solche Momente auch im traditionellen Unterricht auftreten. Das ist sicher richtig. Dennoch glaube ich, dass das Prinzip Lernen durch Lehren diese Situation begünstigt, weil viel stärker als sonst das eigene Denken der Lernenden herausgefordert wird. In einer regulären Stunde hätte ich als Lehrkraft die Sammlung der Ergebnisse an der Tafel vorgenommen. Durch die Autorität als Lehrer sind die aufgenommenen und als Ergebnisse schriftlich festgehaltenen Schülerbeiträge quasi „beglaubigt“. Leiten aber Mitschüler wie beim LdL diese Phase, dann sind die übrigen Lernenden viel mehr gefragt, selbst zu prüfen, ob das stimmt, was vorne schriftlich fixiert wird. Sie sind mutiger abweichende eigene Deutungen einzubringen und zur Diskussion zu stellen, was die Aushandlung von Deutungen in einer Diskussion begünstigen und damit die eigene Sinnbildung im Geschichtsunterricht fördern kann.
Übrigens kamen weder in der Vorbereitung noch bei der Durchführung der Stunde „digitale Medien“ zum Einsatz (mal abgesehen vom Erstellen eines Arbeitsblatts mit dem Computer). Ich glaube aber, dass LdL, der beschriebene Ausschnitt aus der Stunde zeigt das meines Erachtens exemplarisch, einen zentralen Ansatz für (historisches) Lernen in der Schule „unter den Bedingungen der Digitalität“ bietet.
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