Zu Film und Filmanalyse gibt es eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen in den Geschichtswissenschaften und Nachbardisziplinen (siehe z.B. hier und hier). Speziell Filme zu Nationalsozialismus und Holocaust stehen dabei stark im Fokus der Aufmerksamkeit. Hier möchte ich auf zwei Veröffentlichungen aus dem Bertz+Fischer-Verlag aus dem letzten Jahr hinweisen, die sich gleichfalls diesem Schwerpunkt widmen.
1) Claudia Bruns, Asal Dardan, Anette Dietrich (Hg.), ‚Welchen der Steine du hebst‘. Filmische Erinnerung an den Holocaust, Berlin 2012.
2) Sonja M. Schultz, Der Nationalsozialismus im Film. Von Triumph des Willens bis Inglourious Basterds, Berlin 2012.
Eine Rezension des erstgenannten Sammelbandes findet man hier. Das letztere Werk ist bereits bei H-Soz-Kult rezensiert und schließt mit folgendem Fazit: „Konzeptionell wie editorisch wird der Anspruch an ein Standardwerk formuliert. Und das zu Recht.“
Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen und inhaltlich wenig hinzuzufügen, außer aus der speziellen Sicht als Geschichtslehrkraft, für die in der Praxis nicht jedes wissenschaftliche Werk unbedingt relevant ist. So enthält der Sammelband von Bruns/Dardan/Dietrich höchst lesenswerte Beiträge, eignet sich aber wenig zum Einstieg in das Thema und wendet sich eher an ein interessiertes Fachpublikum. Aus geschichtdidaktischer Sicht ist zu bemängeln, dass im einführenden Überblick „zur filmischen Erinnerung an den Holocaust“ Ansätze der Geschichtsdidaktik zur Erinnerungskultur und Filmanalyse fehlen.
Mit dem Buch von Schultz sieht das anders aus: Es hat das Format eines Standardnachschlagewerk für jede Lehrkraft, die viel mit Filmen im Unterricht arbeitet oder vermehrt mit Filmen arbeiten will, profunde Informationen sowohl in der chronologischen Entwicklung, als auch zu den Genres und einzelnen Werken sowie Filme zum Themenbereich abseits des üblichen Standardrepertoires sucht.
Eben diese häufig im Unterricht eingesetzten Filme, zu denen auch zahlreiche Handreichungen vorliegen, schneiden in dem wertenden Fazit von Schultz nicht besonders gut ab. Mit ihren Überlegungen über Filme berührt die Autorin zugleich den Kern von Geschichtswissenschaft- und -unterricht mit der Frage danach, ob sich Vergangenheit so darstellen lässt „wie es gewesen ist“. Während dies in Wissenschaft und Didaktik seit langem negiert wird, versuchen viele Filme weiterhin diese Illusion zu bedienen und gerade diese Kino- und TV-Produktionen sind es, die erfolgreich in die Klassenzimmer und Köpfe gelangen. Es gibt aber auch Alternativen:
„[…] wenn das Kino vom Nationalsozialismus erzählt, begegnet es sich selbst: seiner Materialität und seinem eigenen Blick, seiner Macht und Ohnmacht, seiner eigenen fragilen Identität. Es gibt einerseits Filme, die dies reflektieren, die auf verschiedene Weise ihre Medialität bewusst machen. Andererseits gibt es solche, die an die ungebrochene Repräsentationskraft ihrer Bilder glauben, an die Wiedergabe der äußeren Wirklichkeit.“ (S. 492)
Schultz sieht eine deutliche Veränderung der „Perspektive auf Krieg und Holocaust in allen hiervon betroffenen Staaten durch die Jahrzehnte“ (503) mit der Entwicklung einer wachsenden „Personalisierung und Intimisierung“ der Geschichtsdarstellungen, die sich als „historische Quelle“ inszenieren und in den letzten zehn Jahren in Deutschland zunehmend eine „ambivalenzbefreite Heroisierung von Tätern“, die durch den „immer wieder hervorgehobenen Wahrheitsgestus des Films zur revisionistischen Perspektive“ (497) wird. In ihrem Fazit verweist sie auch auf die Bedeutung des Internets als alternativen Kommunikationsraum, wo eine Vielzahl von Parodien veröffentlicht wurden, die in kreativer Weise durch Remixen, Neuschnitt und -vertonung dieses neue Pathos konterkarieren.
Als zentrale Leitfragen formuliert die Autorin einleitend: „Welche Bilder hat sich also dieses einflussreiche Medium vom Nationalsozialismus, Krieg und Menschenvernichtung gemacht? Welche Darstellungstabus wurden errichtet und beseitigt, welche Chiffren und Stereotype prägen die Sicht auf die Vergangenheit? Welche faschistischen Perspektiven leben bis heute fort, und mit welchen narrativen Mitteln Konstruktionen versuchen die Regisseure, den Erfahrungen von Opfer- und Täterherrschaft zu begegnen?“
Das sind Leitfragen, die sich an geeignetem Material und in reduziertem Umfang für die Filmarbeit im Unterricht stellen. Genauso wie Britta Wehen das in ihrer Masterarbeit formuliert hat:
„Die große Möglichkeit für den Geschichtsunterricht liegt […] im grundlegenden Konstrukt- und Erzählcharakter des Films: Ein historischer Spielfilm verstanden als historische Narration, kann als Ergebnis eines Re-Konstruktionsprozesses der Vergangenheit de-konstruiert werden.“
Nach Lektüre des Buches von Schultzes ist das „kann“ dieses Satzes durch ein „muss“ zu ersetzen. Der Autorin gelingt es ebenso überzeugend wie nachvollziehbar die Entwicklungslinien der NS- und Holocaust-Filme im Kino und Fernsehen sowie die damit verbundenen Deutungsangebote herauszuarbeiten. Auf Grund der Ergebnisse dieser Studie stellt sich für Geschichtslehrkräfte in noch stärkerem Maße als zuvor die Aufgabe die gängige Praxis der Filmeinsatzes, wie sie sich u.a. in den Untersuchungsergebnissen von Britta Wehen und vielen „Praxis“-Handreichungen zum Filmeinsatz widerspiegelt, zu überdenken.