Teil 2 des Vortragsmanuskripts zur Tagung Archive 2.0
Wer das Netz privat und beruflich auf diese Weise nutzt, also einen beruflichen und/oder fachlichen Gewinn sieht, versucht diesen auch für Schüler gewinnbringend im Unterricht zu integrieren. Wie das in Praxis aussehen kann, möchte ich an drei Beispielen aufzeigen:
– In Koblenz sind vor rund zwei Jahren aus einem Projekt mit einer 10. Klasse eine Google Maps Karte zur Geschichte der Stadt Koblenz im Nationalsozialismus sowie eine dazugehörige Handreichung für Lehrkräfte entstanden. Aktuell läuft ein Geocaching-Projekt zur Gründung und den ersten Jahren des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz. Die von Schülern eines 11er Leistungskurses Geschichte erstellten Caches werden in den nächsten zwei Wochen online gestellt.
– Digital storytelling: Das Erstellen von Geschichts-Videos durch Lehrkräfte oder Lernenden (z.B. Alexander der Große? am Theodor Heuss Gymnasium Sulzbach)
– Wikis als interaktive Online-Schulbücher zur Förderung propädeutisch wissenschaftlichen Arbeitens in der Oberstufe (z.B. classroom4.eu)
Das sind sicher noch erste Versuche, Arbeit mit digitalen Medien nicht nur punktuell, sondern dauerhaft in den regulären Unterricht zu integrieren. Es handelt sich dabei also nicht um außergewöhnliche Projekte nach Notenschluss am Schuljahrsende. – Das scheint mir wichtig festzuhalten. Aufbauend auf diesen und anderen Beispielen will ich versuchen, gemeinsame Merkmale herauszuarbeiten und – auch, wenn man sicher damit vorsichtig sein – mögliche Entwicklungen des schulischen Geschichtsunterrichts aufzuzeigen.
Unter Punkt 2) folgt nun also ein Blick auf Veränderungen des Geschichtsunterrichts unter Bedingungen der digitalen Welt. Das ist im Zusammenhang mit der Fragestellung deshalb wichtig, weil Angebote von Archiven sich nicht an kurzfristigen Moden orientieren können, sondern aufgrund des damit verbundenen Aufwands immer längerfristig ausgerichtet sein müssen. Die beschriebenen Entwicklungen sind nicht trennscharf, sondern besitzen teilweise Überschneidungen und starke Interdependenzen.
Acht Entwicklungstendenzen des Geschichtsunterrichts – Oder wie sich der Geschichtsunterricht unter den Bedingungen der Digitalisierung verändert.
1. Veränderte Aufgabenkultur
Die ubiquitäre Verfügbarkeit von Informationen muss zu veränderten Aufgaben führen. Wenn ich eine Antwort in wenigen Sekunden googlen kann, dann ist nicht Google schlecht, sondern die Aufgabenstellung. Damit einher geht die Entwicklung in Richtung Kompetenzorientierung des Unterrichts. Das heißt nicht, dass es keine Inhalte mehr geben wird oder dass nichts mehr auswendig gelernt werden würde, aber es bekommt eine andere Funktion.
Das lässt sich mit dem Lernen einer Fremdsprache vergleichen: Jahreszahlen, Namen sind wie Vokabeln, die Kompetenzen bieten eine Art Grammatik, die das sinnvolle Verknüpfen von Daten und Namen zu einer Geschichte ermöglicht. Wenn ich in einem Gespräch im Ausland jede Vokabel nachschlagen muss, kommt kein Gespräch zustande: Das gilt in Analogie auch für Geschichte.
Was sich verschiebt sind die Schwerpunkte der Aufmerksamkeit, die nun viel stärker auf die Konstruktion von Geschichtserzählungen gerichtet ist und dafür muss der Geschichtsunterricht das Handwerkzeug liefern.
2. Narrativität als zentrale Kategorie bzw. De-/Rekonstruktion als Vorgehensweisen des Unterrichts
Der Geschichtsunterricht wird noch weniger als bisher auf 1-Wort-Antworten oder das Nennen von Jahreszahlen zielen, sondern das Verfassen eigener Geschichtsdarstellungen als Form der Re-Konstruktion sowie die De-Konstruktion bestehender Narrationen in den Mittelpunkt stellen.
Mit der Digitalisierung stehen nun neue mediale Formen von Quellen und Darstellungen zur Verfügung, die zudem viel leichter zugänglich sind. Letztlich erweitert die Digitalisierung auch die Ausdrucksmöglichkeiten der Schüler (Lehrer sprechen hier auch von Lernprodukten). Die Schülerinnen und Schüler sind nicht mehr darauf beschränkt, sich mündlich, schriftlich in einer Klausur, einer Wandzeitung oder einem Hefteintrag zu äußern, hinzunkommen nun selbst erstellte Videos auf Youtube, Tweets, Wikis, Blogs usw. Die Reichweite von Schülerbeiträgen war im Alltag bis auf wenige Ausnahmen auf die Klassen-, mit kleinen Ausstellungen im Foyer vielleicht noch die Schulgemeinschaft limitiert. Diese Grenzen werden nun aufgehoben. Es stellt sich allerdings immer jeweils die Frage nach einem möglichen Zielpublikum für die Schülerproduktionen, aber das ist ein anderes Thema.
3. Schülerinnen und Schüler haben nun – wie alle anderen Menschen, im Sinne des mit Schlagwort ‚Web 2.0‘ bezeichneten Phänomens der selbst erstellten Inhalten – neue, veränderte und erweiterte Ausdrucks- und Veröffentlichungsformen: Einfach und ohne weitere Kosten können nun multimediale Geschichtsdarstellungen erstellt und veröffentlicht werden (digital storytelling). Schülerinnen und Schüler können sehr einfach zur Begleitung oder als Ergebnis ihres Lernprozesses ein Blog, Wiki oder ein Quiz/Spiel erstellen, ein Podcast oder Video aufnehmen und aus dem Klassenraum heraus öffentlich zugänglich machen.
4. Damit einher geht eine veränderte Bedeutung des Schulbuchs für den Unterricht. Vom Leitmedium des Geschichtsunterrichts als Lesebuch und Nachschlagewerk wird das Schulbuch zu einem Arbeitsmittel bei wachsender Bedeutung anderer Materialien, wie vor allem Open Educational Resources, die auch für das Erstellen eigener Lehr- (auf Lehrerseite) und Lern-Produkte (auf Schülerseite) ermöglichen.
Für Geschichte bietet sich bereits jetzt ein riesiger und immer weiter wachsender Fundus an z.B. freien Bildquellen und Kartenmaterial in den Commons der Wikimedia aber auch auf Flickr, wo in beiden Fällen Archive und Museen dazu beigetragen haben, die Sammlungen deutlich zu vergrößern. Diese Angebote wie auch die lokaler und regionaler Einrichtungen scheinen wenig bekannt bei den Lehrkräften. Was sich mit unter Creative Commons lizenzierten Materialien bereits heute urheberrechtlich einwandfrei gestalten lässt von Arbeitsblättern über interaktive Aufgaben bis hin zu eigenen Videos, zeigt eindrucksvoll das Segu-Projekt am Historischen Institut der Uni Köln.
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