Łambinowice ist heute ein unscheinbarer Ort, der in der Woiewodschaft Opole liegt. Der deutsche Ortsname ist vielen bekannt und im Gedächtnis geblieben: Lamsdorf. Dort gab es seit dem deutsch-französischen Krieg wiederholt Kriegsgefangenen-, Arbeits- und Durchgangslager.
Mir sagte das nichts bis zur Studienfahrt vor zwei Wochen, auf der wir einen ganzen Tag in Łambinowice selbst sowie einen halben Tag im Kriegsgefangenen-Museum und -Archiv in Oppeln verbracht haben. Der Ort hat mich tief beeindruckt. Ich vermute, dass sowohl der historische Ort als auch sein didaktisches Potential bei deutschen Lehrkräften wenig bis gar nicht bekannt ist, deshalb möchte ich beides in diesem Blogbeitrag darstellen, in der Hoffnung den ein oder anderen vielleicht zur einer Fahrt dorthin motivieren zu können.
Die Geschichte eines Militärstandorts in Lamsdorf reicht bis in die preußische Zeit zurück: 1860 begannen die Planungen zur Einrichtung eines Truppenübungsplatzes wurde in der Nähe des Orts. Den Namen Lamsdorf erhielt der Truppenübungsplatz ab 1900. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde der Ort zum ersten Mal als Lager für französische Kriegsgefangene genutzt. Gräber der französischen Gefangenen finden sich noch auf dem alten Friedhof heute und sind die ältesten erhaltenen Überreste. Nach 1871 war der Ort wiederum Exerzier- und Übungsplatz. Zahlreiche Fotos und Postkarten dokumentieren diese Zeit und lassen sich gut im Unterricht einsetzen.
Im Ersten Weltkrieg erfolgte ein größerer Ausbau und wiederum eine Nutzung als Kriegsgefangenenlager. In Lamsdorf waren u.a. russische,

Gräber rumänischer Soldaten. Datierung des Krieges auf den Gedenkplaketten: 1916-1919
französische, britische, rumänische und serbische Soldaten interniert. Über 7000 von ihnen starben durch Auszehrung und Unterernährung.
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abtretung von Teilen Oberschlesiens an das wieder errichtete Polen richtete man im ehemaligen Kriegsgefangenlager ein Sammelzentrum für Aussiedler aus den nun polnischen Gebieten Oberschlesiens ein. Danach wurden während der Weimarer Republik hier Sportstätten und ein Stadion errichtet, die dann von den Nationalsozialisten in der Folge auch für die Neuorientierung der Sporterziehung zur Wehrertüchtigung von Schülern genutzt wurden. Spätestens ab dem 26. August 1939 wurden auf dem daneben weiter existierenden Militärgelände mit der Neueinrichtung eines Kriegsgefangenenlagers konkrete Kriegsvorbereitungen unternommen.
Zunächst war Lamsdorf ein Durchgangslager (DuLag) und wurde dann ab Mai 1940 mit dem Eintreffen britischer Gefangener zu den größten Stammlagern (StaLag) der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs. Im Lauf des Kriegs wurden hier fast alle Gegner Deutschlands interniert: u.a. Franzosen, US-Amerikaner, Griechen, Jugoslawen, Polen (besonders aus dem Warschauer Aufstand als über 6000 Aufständische nach Lamsdorf gebracht wurden) und vor allem Soldaten der Sowjetarmee.
Entsprechend der NS-Ideologie erfuhren die Gefangenen eine sehr unterschiedliche Behandlung. Die Soldaten der Sowjetunion waren in eigenem Lagerkomplex untergebracht und bildeten mit insgesamt rund 200.000 Gefangenen, von denen über 40.000 gestorben sind, die bei weitem größte Gruppe. Für sie wurden auch keine Einzel-, sondern nur noch Massengräber angelegt.
Im Januar erfolgte die Evakuation des Lagers mit Märschen ins Zentrum Deutschlands. Kranke und Schwache wurden im Lager zurück und sich selbst überlassen. Mitte März befreite die Rote Armee die Gegend und damit auch das Lager.
Ab Juli 1945 bis zum Herbst 1946 wurde in der Nähe ein Arbeits- und „Umsiedlungs“-Lager für Schlesier aus den umliegenden Dörfern errichtet. In der Erinnerungsliteratur ist dieses auch als „Hölle von Lamsdorf“ (so der Titel des Buchs von Heinz Esser) bezeichnet. Man schätzt, dass ca. 1000-1500 Menschen in diesem Lager gestorben sind.
Heute befinden sich auf dem riesigen Gelände der verschiedenen Lager noch Überreste einzelner Baracken, zahlreiche Denk- und Mahnmäler aus unterschiedlichen Zeiten, ein Friedhof sowie ein Museum. In seiner Kontinuität dürfte der Ort einmalig sein. An der kurzen Zusammenfassung seiner Geschichte lässt sich erkennen, dass hier nicht nur deutsch-polnische, sondern wie in einem Brennglas 150 Jahre europäischer Geschichte anschaulich und erfahrbar werden.
Als Einstieg vor Ort oder im Klassenzimmer kann der im Januar 2012 sehr professionell und aufwändig erstellte Film zur Geschichte des Ortes dienen, der auf der DVD auch in einer deutschsprachigen Version verfügbar ist. Auf Youtube findet sich eine kurze Zusammenfassung auf Polnisch, die aber einen guten Eindruck des insgesamt etwa 20 Minuten langen Films vermittelt:
Die Wikipedia-Artikel sind noch etwas dürftig und in der deutschen Version fokussiert auf das Nachkriegslager. Als Einführungslektüre kann ich den Sammelband von Edmund Nowak empfehlen, der auch auf Deutsch vorliegt und der auch einige Statistiken und Fotos beinhaltet, mit denen im Unterricht gearbeitet werden kann:
Edmund Nowak (Hg.), Lager in Lamsdorf/Łambinowice (1870-1946), Opole 2009 (Polnische Originalversion 2006).
Das Museum in Łambinowice bietet ein pädagogisches Programm auch auf Deutsch an. Auch deutschsprachige Arbeitsmaterialien für Schülergruppen sind vor Ort verfügbar. In der Regel kommen Schülergruppen ab 15 Jahren sowie Studierende.
Die Ausstellung im Museum besteht aus drei Räumen, von denen der erste Anfang dieses Jahres komplett neu gestaltet wurde und das Thema Kriegsgefangenenschaft allgemein in den Blick nimmt.
Die Inszenierung ist auf den ersten Blick fesselnd. Die Kollegen der Studienfahrt fanden allerdings, dass die Texte zu den Objekten deutlich zu tief angebracht sind und durch die verschiedenen Multimediastationen und Videoinstallationen mit offener Lautsprecherbeschallung eine zu hohe Lautstärke ensteht.
Die beiden weiteren Räume sind der Geschichte der Lager in Lamsdorf sowie der Geschichte von Katyn gewidmet. Dieser Ausstellungsteil ist bereits einige Jahre alt und soll demnächst überarbeitet und ergänzt werden. So ist z.B. die Geschichte des Nachkriegslager zwar im Film aufgegriffen, in der Ausstellung aber noch ausgespart. Ein Denkmal wurde 1995, der Friedhof für die deutschen Nachkriegsopfer 2002 eingeweiht.
Interessant in diesem Zusammenhang, eventuell auch als Material für den Unterricht, sind ein Artikel im Spiegel zum zweiten Prozess gegen den polnischen Lagerkommandanten 2001 sowie eine Besprechung der FAZ zur 2004 erschienen deutschen Übersetzung des Buches zum System der Nachkriegslager im Oppelner Schlesien von Edmund Nowak.
Die Auseinandersetzung mit dem Ort Lamsdorf sollte auch die Geschichte und Gegenwart des (unterschiedlichen) Gedenkens mit umfassen. Die Ausstellung ist dazu noch nicht geeignet, die zahlreichen Denkmäler und Infotafeln auf dem Gelände sehr wohl. Auch die Eintragungen in den Gästebüchern können durchgesehen und thematisiert werden. So kommen z.B. viele Besucher auch aus Übersee, aus Australien oder den USA: Es sind die Enkel und Urenkel, der in den beiden Weltkriegen inhaftierten Soldaten und Offiziere, die über Familienerzählungen und Tagebücher ihrer Vorfahren den Wunsch entwickeln, diesen Ort zu besichtigen.
Zum offiziellen Gedenken fehlen noch Lernmaterialien. Am großen Ehrenmal finden mehrfach im Jahr Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen statt. Allerdings noch nie von einer offiziellen sowjetischen oder russischen Delegation, auch hier sind es die Nachfahren der Kriegsgefangenen, die den Ort aufsuchen. Gefangenenahme im Krieg wurde in der Sowjetunion als Verrat betrachtet. Die verstorbenen Kriegsgefangenen waren folglich keine Helden, die überlebenden Heimkehrer waren starken Repressionen ausgesetzt, viele von ihnen kamen nach ihrer Kriegsgefangenenschaft in ein sowjetisches GuLag.
Ergänzend zu Łambinowice lohnt sich der Besuch im zentralen Kriegsgefangenenmuseum und -archiv in Oppeln. Um genau zu sein, ist das Museum weniger lohnenswert, wenn man bereits vor Ort in Łambinowice war. Die kleine Ausstellung richtet sich vor allem an jene, die nicht zum Lager selbst fahren. Was sich hingegen sehr lohnt, ist das Archiv. Auch hier gibt es ein eigenes archivpädagogisches Angebot. Das Archiv hat umfangreiche Bestände von Kriegsgefangenenakten mit einem Schwerpunkt im Zweiten Weltktrieg. Die Aktenbestände stammen nicht nur aus Lamsdorf. Ergänzt werden die überwiegend auf Deutsch verfassten Akten durch eine große Fotosammlung. Nach Anmeldung und Absprache mit den Pädagogen kann hier an Archivalien in Form von Geschichtswerkstätten sowohl mit deutschen wie auch mit deutsch-polnischen Gruppen hervorragend projektorientiert geforscht und gelernt werden.
Danke für den weiterführenden Beitrag. Ich finde es mutig, dass du dieses tabuisierte Thema anprichst. Es ist schon erstaunlich, dass über 60 Jahre braucht, um darüber sprechen zu können. Es ist wenig bekannt, dass auch ehemalige KZs umfunktioniert wurden. So war z.B. mein Vater nach einjährigem Krankenhausaufenthalt 18jährig im „Speziallager Nr. 2“ in Buchenwald, wo er mehrfach verhört (= gefoltert) wurde, bis er bis 1955 nach Sibirien in ein Arbeitslager kam.
Die unglaublichen Zustände, die ich aus Berichten meines Vaters kenne, durften man bislang kaum ansprechen, wollte man nicht in eine rechte Ecke gestellt werden. Wenn überhaupt, wird dieses Thema auch nur von Rechten besetzt.
Ich berichte in meinem Unterricht gelegentlich von diesen Erinnerungen. Allerdings vermeide ich eine Rechts- / Links-Thematik. Vielmehr interessiert mich das Thema „Krieg und Mensch (bleiben)“.
Meine Mutter (Jahrgang 1929!), die ein ähnliches Schicksal erlitt und meinen Vater 1955 beim Rücktransport aus Sibirien kennenlernte, erhielt vor einigen Jahren ein Entschuldigungsschreiben des russischen Außenministeriums mit dem Angebot einer Entschädigungszahlung. Dieses Angebot lehnte sie kategorisch ab, um alte Wunden nicht aufzureißen. Ich kann das Leid nur ahnen, wenn die Wunden nach Jahrzehnten noch nicht verheilt sind.
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Mutig ist, wie du hier deine Familiengeschichte erzählst. Von tiefen Wunden bei den persönlich betroffenen Besuchern hat auch das Ehepaar Spietz berichtet, die sich um das Museum des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Bretzenheim kümmern. Mein Zugang ist ein intellektueller, beruflicher. Die Distanz macht es vermutlich auch einfacher darüber zu reden. Das Verschweigen und Tabuisieren lässt sich historisch erklären, es wird aber gefährlich, weil die Orte und ihre Geschichten politisch instrumentatisiert werden können. Deshalb muss das Thema im Geschichtsunterricht und auch in der außerschulischen historisch-politischen Bildung aufgegriffen und als Aufgabe begriffen werden. Sonst können andere damit hausieren gehen, mit Tabubrüchen prahlen und behaupten, sie würden die „wahre“ Geschichte erzählen, die von den offiziellen Institutionen (Schule etc.) verschwiegen würde.
Allerdings muss ich einschränkend hinzufügen in Bezug auf außerschulische Lernorte: Wenn ich mit Glück eine Exkursion im Schuljahr in Geschichte zugestande bekomme, würde ich mit Schülern nicht zu einem vereinzelten Kriegsgefangenenlager fahren, sondern einen anderen Ort wählen.
Das macht übrigens Lambinowice so besonders, weil hier an einem Ort tatsächlich Geschichte nicht nur punktuell, sondern in einer langen Perspektive erzählt werden kann.
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Keine Sorge: Trotz allem habe auch ich die notwendige Distanz 😉
In einem Punkt gebe ich dir völlig recht: Bei Vermeidung des Themas „können andere damit hausieren gehen, mit Tabubrüchen prahlen und behaupten, sie würden die “wahre” Geschichte erzählen, die von den offiziellen Institutionen (Schule etc.) verschwiegen würde“. Dies öffnet Tür und Tor für die rechte Szene, andere, noch schlimmere Gräuel zu relativieren oder gar zu rechtfertigen.
Ich würde übrigens bei knapp bemessenen Ressourcen auch kein einzelnes Kriegsgefangenenlager mit Schülern besuchen. Da hat das Thema KZ sicher einen höheren Stellenwert.
Trotzdem streue ich exemplarisch die Geschichte meiner Eltern ein, um in Kombination mit den Darstellungen von KZs das zu vermitteln, was die Erfahrungen hierüber in meiner Jugend ausgelöst haben: eine pazifistische Grundhaltung.
Es geht um das, was Krieg wirklich ist – fern von Ego Shooter-Spielen. Und dies vermitteln die kleinen Geschichten vielleicht mehr als Längsschnittuntersuchungen. Ich bin sicher, dass wir sachlich auf einer Linie liegen. Vielleicht liegen die didaktischen Schwerpunkte nur etwas anders.
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In diesem Zusammenhang gibt es übrigens eine sehr interessante Tagunsankündigung für den 22.-24. November in Bielefeld:
Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch- politisches Lernen zum Nationalsozialismus 2012: „Sowjetische Kriegsgefangene als Opfer und als Erinnerungsthema“
Mehr Infos dazu unter:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=20532
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