In einer Pressemitteilung gab das Auswärtige Amt gestern bekannt, dass es das deutsch-polnische Schulbuchprojekt unterstützen wird. Die Finanzierung von polnischer Seite steht schon länger, dort scheint auch auch bereits ein Verlag gefunden, der das Projekt umsetzen will.
Thomas Strobel vom GEI, der das Projekt als wissenschaftlicher Sekretär betreut, hatte den aktuellen Stand im November auf der Tagung „Polen im deutschen Schulunterricht“ des Deutschen-Polen-Instituts vorgestellt. Die Finanzierungszusage ist nun eine weitere wichtige Etappe auf dem Weg zum Lehrwerk.
Bisher habe ich nichts davon gehört oder gelesen, dass sich auch ein deutscher Verlag – im Gegensatz zum Pilot- und Leuchtturmprojekt des deutsch-französischen Geschichtsbuchs – gefunden hätte. Das ist sehr bedauerlich. Zu vermuten ist, dass hier Wirtschaftlichkeitserwägungen ausschlaggebend sind. Das deutsch-polnische Schulbuch scheint bei den Verlagen auch nicht als Vorzeige- und Prestigeprojekt begriffen zu werden, oder wie lässt sich sonst die Zurückhaltung erklären? Die Produktion wird nun offensichtlich über massive staatliche Zuschüsse, also Steuergelder, ermöglicht.
Außer Frage steht für mich, dass es sinnvoll ist, das Projekt mit öffentlichen Geldern zu fördern. Allerdings stellt sich mir die Frage, ob die Geld Deutschlands und Polens sinnvoll angelegt sind, in einem Projekt, dass dann auf ein abgeschlossenes, gedrucktes Lehrwerk hinauslaufen, das durch Verlagen vertrieben wird und mit denen sie ggf. doch – je nach Höhe der Deckung durch die Zuschüsse – Gewinn erwirtschaften? Die Schulbuchverlage haben keine Monopolstellung auf die Expertise bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien. Vielmehr hemmen sie in ihrer konservativen Haltung zumindest zur Zeit zumindest in Deutschland die didaktische und methodische Weiterentwicklung von Schulbüchern in digitalen Form.
Wenn also nun schon Gelder in diesem Umfang aus öffentlicher Hand für das Projekt zur Verfügung gestellt werden, warum macht man daraus nicht zugleich auch ein Leuchtturmprojekt für ein digitales „Schulbuch“, das neu gedacht wird mit den Möglichkeiten des Digitalen und kein reines Onlinestellen einer Printversion ist und entsprechend als Open Educational Ressource unter Creative Commons-Lizenz verfügbar ist? Die Chance, die sich hier bietet, ist groß, weil die Gelder da sind, die in anderen Projekte fehlen. Hinzu kommt, dass die das Projekt betreuenden Institutionen, auf deutscher Seite u.a. das GEI und die KMK, mehr als genug Know-How und Kompetenzen für Umsetzung eines solchen Projektes haben.
Der nächste Schritt wäre dann entsprechend des eigenen Anspruchs des Projekts die Antragsstellung, dieses auf alle Lehrpläne zugeschnittenen Werks in Polen sowie den Bundesländern als reguläres Lehrbuch zuzulassen. Das käme einer kleinen Revolution im Bildungswesen gleich und verlangt sicherlich Mut.
Wenn man darauf verzichtet, diese Chance zu nutzen, hoffe ich, das es nicht nur darum geht, dass am Ende einige Bildungspolitiker die Möglichkeit haben, mit einem gedruckten Buch in der Hand vor den Kameras zu posieren… das geht mit einem digitalen Lernbuch natürlich nicht.
Lieber Herr Bernsen,
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ihre Idee sollte an die breite Öffentlichkeit gebracht werden. Bin sehr gespannt, wie sich das Projekt weiterentwickelt.
Beste Grüße
Ihr
Manfred Mack
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Lieber Herr Mack,
vielen Dank für Ihre positive Rückmeldung. Mit Thomas Strobel hatte ich im Nachgang der Tagung auch schon kurz darüber gesprochen. Ein solcher Ansatz könnte für Bundesländer mit Schulbuchausleihe übrigens auch finanziell interessant und damit auch ein Grund für die Zulassung eines solchen OER-Lehrwerks sein. Darüber hinaus macht es vor allem die Konzeption als digitales „Schulbuch“ im Rahmen des Projekts auch inhaltlich Sinn.
Die unterschiedlichen Lehrpläne Polens sowie der 16 Bundesländer in einem gedruckten Werk zu berücksichtigen ist kaum zu leisten. Ein digitales Schulbuch ließe sich modular aufbauen. Für Lehrkräfte könnte man dann Leitfäden erstellen, die angepasst an den jeweiligen Lehrplan Modulvorschläge enthalten.
Hinzu kommt, dass Lehrpläne sich ändern. Seit den umfangreichen Vorarbeiten zu dem Schulbuchprojekt hat zumindest Hessen einen neuen Lehrplan eingeführt. In Rheinland-Pfalz folgt (voraussichtlich) in anderhalb Jahren ein neuer Lehrplan für den Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I. Auch hier würde die eine flexible Anpassung über ein digitales Lernbuch mit Modul-/Leitfadenstruktur vereinfacht.
Wenn man die Idee eines digitalen „Schulbuchs“ weiter denkt, ließe sich ergänzend eine Plattform einrichten bzw. in das „Buch“ integrieren, die die Möglichkeit zur Partnersuche, für Chats und Videokonferenzen bereithält. Eventuell in Kooperation mit dem DPJW und/oder eTwinning könnten Klassen und Lehrkräfte hier gezielt nach Partnern suchen, um einzelne Module in einem gemeinsamen Projekt, das die Möglichkeiten webgestützer Kommunikation nutzt, zu bearbeiten.
Denkbar wäre ergänzend auch ein Wiki zur Weltgeschichte aus deutsch-polnischer Perspektive. Mit diesem Ansatz ließe sich forschendes, entdeckendes und selbsttätiges Lernen unterstützen. Über die Jahre hinweg würde ein Glossar und Lexikon zum Lehrwerk entstehen, das von Schülern für Schüler geschrieben ist.
Wäre ein solches Wiki zunächst eine Plattform zu Veröffentlichung von Schülerarbeiten in Polnisch, Deutsch, aber aus dem bilingualen Geschichtsunterricht auch auf Englisch und Französisch, so könnten später die Einträge selbst zum Thema im Unterricht werden, um diese zu ergänzen, korrigieren, die verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Kein anderes Online-Lexikon kann die im Projekte angedachte spezifische binationale Perspektive bieten. Insofern ist es sinnvoll, nicht zu versuchen, in diesem Bereich z.B. die Wikipedia zu ergänzen, sondern mit den besonderen pädagogischen und inhaltlichen Zielsetzungen ein eigenes Lexikon aufzubauen, auf der Schüler zugleich die Funktionsweise eines Wikis wie auch Formen des kollaborativen Schreibens und Arbeitens lernen können.
Das sind nur ein paar erste Gedanken, die vielleicht ansatzweise aufzeigen, was für Potentiale sich eröffnen können, wenn man anfängt, ein digitales Schulbuch im Rahmen eines solchen Projekts nicht nur als multimedial aufgehübschte Version einer Printfassung zu verstehen.
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tolle Initiative!
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Das klingt sehr spannend und ist hoffentlich ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Gibt es denn eigentlich eine Art OER/CC-Schulbuch-Initiative?
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Ja, das WÄRE ein Schritt in die richtige Richtung, im Rahmen gerade dieses Projekt vermutlich auch ein ziemlich großer. Zur Zeit, sieht die Planung aber, soweit ich weiß, weiterhin nur die Erarbeitung einer traditionellen gedruckten Schulbuches vor.
Eine offizielle „Initiative“ gibt es meines Wissens nicht. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Kultusministerium mal darauf anspringt. Das müsste allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen für die Schulpolitik enorm attraktiv sein.
Was es sehr wohl gibt, sind erste Kapitel selbst erstellter Bücher mit der Apple-Software an der KAS in Köln (http://ischulbuch.wordpress.com/) sowie speziell für Geschichte ein Projekt der Uni Eichstätt für die deutsche Sprachgemeinschaft in Belgien (https://geschichtsunterricht.wordpress.com/2011/12/23/mbook-projektziel-multimediales-schulgeschichtsbuch/) über das es allerdings kaum öffentlich zugängliche Informationen gibt.
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