Schule im digitalen Zeitalter – Zum #speedlab2

Vorne weg ein Dankschön an die Organisatoren für den weitgehend gelungenen Rahmen zum anregenden Austausch mit interessanten Menschen. Wer sich fragt, was überhaupt ein Speedlab ist und wer das wo organisiert hat, kann das auf den Seiten von werkstatt.bpb.de nachlesen. Dort ist die „Mikrokonferenz“ auch ausführlich dokumentiert.

Auf dem Heimweg von Köln sind mir noch einige Sachen durch den Kopf gegangen, die ich völlig ins Unreine versuche durch das Niederschreiben zugleich zu ordnen und auszulagern.

Zuhause habe ich dann auch noch den (nicht ausgefüllten) Feedbackbogen in meiner Tasche gefunden, vielleicht geht der Beitrag dann hier auch als nachträgliche Rückmeldung zur Veranstaltung durch.

Zunächst war ich gespannt auf das für mich neue Format „Speedlab“. Es hat mich in vielem an ein World Café erinnert. Das Speedlab war mir aber über den Tag, ehrlich gesagt, zu laut, zu wuselig, was vielleicht auch an dem offenen Raum gelegen haben mag. Dieser war zwar schön, aber mir, und da war ich sicher nicht der einzige, dröhnte am Nachmittag schlicht der Kopf. Persönlich interessant fand ich bei der Veranstaltung viele Leute, die ich bisher nur über ihre Beiträge von Twitter oder ihren Blogs kannte, als Referenten oder Teilnehmer live und in 3D zu erleben. Das ist schon immer noch einmal etwas anderes.

Insgesamt hat die Veranstaltung bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Es wurden teilweise durchaus kontrovers, laut und emotional diskutiert. Oft allerdings an der Oberfläche oder wie zum Teil auf dem Podium auch schlicht aneinander vorbei. Was ich von dem Tag mitnehme, ist wenig Neues und viel Bestätigung eigener Ansichten. Es stimmt schon, dass solche Veranstaltungen auch ein Echoraum sein können, der die eigene Meinung unter „Gleichgesinnten“ positiv verstärkt.

Ein paar dieser neuen und bestätigten Gedanken will ich als Thesen kurz zusammenfassen und, sofern nicht eh altbekannter Konsens, damit natürlich auch zur Diskussion stellen. Außerschulische Bildung ist natürlich auch wichtig, kam aber auf der Veranstaltung eher am Rande vor und da ich Lehrer bin, beschränke ich mich auf den Bereich der Schule:

– Es gibt eine wachsende Kluft zwischen einer veränderten und sich weiter verändernden Gesellschaft (und damit auch Lebenswelt der Lernenden sowie der Arbeitswelt) und einer sehr trägen Institution Schule. Problematisch finde ich allerdings, die auch heute wiederholt gehörte Formulierung bisher sei aller Unterricht „schlecht“, „öd“, „fad“, „langweilig“ gewesen (alles heute auf dem Podium heute ernsthaft so geäußert). Das ist schlicht falsch und führt nicht weiter. Viele Kollegen fühlen sich damit zu Recht angegangen, ungerecht und falsch beurteilt und verschanzen sich, wie zu erwarten, in einer Abwehr- und Verteidigungshaltung. Richtig ist hingegen, dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft durchdringt und verändert (dazu kommen noch ein ganze Reihe anderer Faktoren, die zu grundlegenden Veränderungen führen) und dem kann sich Schule nicht versperren, will sie nicht ihre grundlegenden Aufgaben verfehlen. Aber nochmal: Das heißt nicht, dass bisher alles schlecht gewesen wäre, sondern nur dass die bisherigen Konzepte von schulischen Lernen nicht mehr zur Realität unserer heutigen Welt passen.

– Es ist deutlich zu trennen zwischen der Ebene des Unterrichts und der des Systems Schule. Auf der Unterrichtsebene lässt sich vieles verändern. Das zeigen die vielen Beispiele von Edu-Hackern, -Bloggern, Bildungsaktivisten und wie sich der einzelne auch selbst gerne bezeichnen mag. Die Möglichkeiten zu Veränderung stoßen aber systembedingt an Grenzen. Felix Schaumburg hat das sehr schön formuliert, in dem er darauf hinwies, dass er sich mit seinem beruflichen Selbstverständnis in einem ständigen Widerspruch in Bezug auf die Vorgaben der schulischen Realität befindet.

– Wirklich ärgerlich fand ich, dass (mal wieder) über Lehrer, gerne auch pauschalisierend über „die“ Lehrer gesprochen wurde, aber auf dem Podium kein Lehrer saß, obwohl bei den Referenten einige mögliche Kandidaten dabei gewesen wären. Es muss darum gehen, mit den Lehrkräften zu reden und nicht nur über sie. Eigentlich sollte das klar sein. Ich erlebe das aber leider immer wieder anders. Pauschale Lehrerschelten helfen nicht. Positive Beispiele gehören hervorgehoben, diskutiert und verbreitet. Es gibt viele, die sich im Rahmen des Möglichen bemühen und Veränderungen in Gang setzen.

– Die Frage, wie man die erreicht, die sich den notwendigen Veränderungen widersetzen oder (weniger aktiv) schlicht entziehen, wurde mehrfach gestellt, eine überzeugende Antwort habe ich nicht gehört… Entscheidend scheinen Neugier, Bereitschaft zum Ausprobieren und Experimentieren, zu kritischer Selbstreflexion und dem Wunsch nach größerer Berufszufriedenheit zu sein. Das lässt sich allerdings schlecht vorgeben, allenfalls vorleben.

– Es waren übrigens insgesamt wenig aktive Lehrkräfte anwesend. Das sollte man aber nicht vorschnell einem Desinteresse zuschreiben: Freistellungen für Fortbildungen in der Dienstzeit sind schwierig, überhaupt ist Zeit, bzw. deren Mangel, ein Riesenproblem für Lehrkräfte und ein wesentliches Hemmnis für Innovationen. Auch hier verschärfen G8 und Zentralabitur die Situation zusätzlich.

– Ich habe den Eindruck, dass Lehrkräfte Fortbildungen, fachdidaktisch reflektierte Konzepte und Unterrichtseinheiten brauchen, wie sie digitale Medien in ihren Untericht integrieren können. Das ist noch nicht der schulische Leitmedienwechsel und Systemwandel, aber es ist das, was sofort im Kleinen möglich ist und eine Brücke bildet zur Heranführung an die Entdeckung der Potentiale. Als Technologie könnte auch das interaktive Whiteboard so eine Brücke, ein Katalysator sein. Es lässt sich in jede Art Unterricht integrieren, bietet aber zusätzliche Möglichkeiten und schöpft sein volles Potential erst aus, wenn die Lernenden mit eigenen Endgeräten digital arbeiten.

– Die Arbeit mit digitalen Medien ermöglicht / führt zu / erzwingt eine Öffnung des Unterrichts, und zwar auf allen Ebenen (inhaltlich, methodisch usw.). Das ist entgegengesetzt zur Ausbildung von Lehrern, sowie wie ich sie vor ein paar Jahren noch durchlaufen habe, die in anderthalb bis zwei Jahren lernen (und teilweise verinnerlichen), die Klasse, den Raum, die Inhalte, Methoden usw. zu kontrollieren. Wenn sie das können und in einer in höchstem Maße kontrollierten Situation vorführen, erhalten sie mit dem zweiten Staatsexamen die Erlaubnis zu unterrichten. Kein Wunder also, wenn in der Diskussion auch immer die diffuse, oft gar nicht bewusste Angst vor Verlust dieser (Illusion von) Kontrolle mitschwingt. Es ist ja genau das, was man gelernt hat, was eine gute Lehrkraft ausmacht.

– Ich bin immer wieder erstaunt zu hören, wie es mit den Einsatz digitaler Medien in anderen Bundesländern aussieht. Ich höre immer wieder: Es fehle an Konzepten, Ausstattung und Fortbildungen. Es scheint so, als wären wir in der Tat in Rheinland-Pfalz relativ weit. Wenn man selbst drinsteckt, muss ich sagen, sieht man doch eher die Mängel und Fehler und was man noch tun könnte. Der Blick von außen ist immer ein anderer.

– Es geht nicht um Geräte, sondern um Didaktik. Wir brauchen Lernsettings, eine neue Aufgabenkultur und vor allem neue Prüfungsformate. Über die Zulassung alternativer Bewertungen wird sich das Lernen und Lehren in Schulen grundlegend verändern. So lange zentral immer noch Klassenarbeiten und Klausuren stehen, die eine Wiedergabe auswendig gelernten Wissens verlangen, wird sich auch Unterricht nicht grundlegend verändern. Das Zentralabitur wirkt sich hier hemmend aus. Ein großer Schritt wäre die Zulassung von Open Educational Resources als reguläre „Schulbücher“ durch die Behörden der Bundesländern. In anderen Ländern, wie z.B. Kalifornien, passiert das bereits, berichtete Basti Hirsch in seinem Workshop. Für Deutschland scheint die Vorstellung noch utopisch und geradezu revolutionär.

– Die technische Entwicklung geht weiter und sie geht schnell voran. Daher veralten Geräte schnell. Schule kann sich eine permanente Erneuerung ihrer Ausstattung aber nicht leisten. Das lässt sich einfach z.B. an den meisten Computerräumen ablesen. Es kann also nicht darum gehen, dass Schulen nun in Klassenstärke oder größeren Zahlen iPads, Tablets oder was auch immer anschaffen, um sie in ein paar Jahren auszutauschen. Das kann sich niemand leisten, mal abgesehen von den Problemen, die entstehen, wenn Lernende die Geräte nur leihweise in ein oder zwei Stunden im Unterricht nutzen: So können dort z.B. keine eigenen Dateien abgelegt werden (darauf hat André Spang in seinem Kurz-Workshop hingewiesen) und sie stehen auch zuhause nicht zur Verfügung, sie können also nicht als eigenes Werkzeug in eine persönliche Lernumgebung integriert werden. Deshalb kann der Weg meines Erachtens nur über Geräte der Schüler führen, die dann mit Verlassen der Schule auch ihre Geräte mitnehmen. Die Lernenden finanziell zu unterstützen, die sich das von zuhause nicht selbst leisten können, kommt allemale günstiger als die komplette, regelmäßig notwendige Erneuerungen ganzer Schulausstattungen in diesem Bereich.

Wie gesagt, ein paar Gedanken zum heutigen Tag, schnell runtergeschrieben, ich hoffe nicht allzu wirr, aber zumindest sind sie jetzt aus meinem Kopf 😉

34 Gedanken zu „Schule im digitalen Zeitalter – Zum #speedlab2

  1. Pingback: Wider Spott und Häme » Kreide fressen

  2. danke für deinen kleinen bericht, so kann ich nachträglich noch etwas teilnehmen 🙂 –
    – zentral wichtig finde ich die unterscheidung der ebenen des unterrichts und der gesamten struktur. auch übertragbar auf andere kontexte.
    – dann aber auch sich der grenze bewusst zu sein: stichwort neue prüfungsformate, alternative bewertungssysteme. was läuft denn da an projekten, wenn überhaupt ?
    – geräte benutzen, die den schülern gehören, genau. aber doch eine hürde, wegen einheitlichkeit z.b. ?
    – was würde die zulassung von open resources schulmaterial bewirken ? benutzt werden dürfen sie doch, oder ? wäre der vorteil, dass man offiziell bestimmte veraltete bücher ersetzen könnte. (ich bin keine lehrerin, daher nicht im detail informiert)

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    • Zu deinen Fragen:

      – Es ließen sich (und das geschieht zum Teil ja auch schon) Tests und Klassenarbeiten durch „Lernprodukte“ (Präsentationen, Portfolios etc.) ersetzen. In der Oberstufe mit den Facharbeiten finden ja auch einheitliche Benotungen (die vermutlich als Zugang zu Qualifikationen wie dem Abitur unumgänglich sind, aber das ist ein anderes Thema) bei inhaltlich sehr individuellen Zugängen statt – warum passiert das in der Regelschule nur einmal und dann gleich über einen so langen Zeitraum? Wenn ich sonst so arbeite, dann zur Zeit immer nur zusätzlich zu den vorgeschrieben Klassenarbeiten und Klausuren.

      – Voraussetzung für das gemeinsame Arbeiten mit mobilen Endgeräten ist die Kompatibilität. Das kann Schule, wenn sie die Geräte als Unterrichtsmaterial definiert, genauso vorgeben wie bei Füllern oder Schulbüchern.
      Matthias Heil hat dazu eben auf Google+ geschrieben: „In Amerika ist der BYOD-Ansatz momentan sehr populär: Bring your own device (egal ob Tablet oder Smartphone oder Notebook…), Schule stellt WLAN zur Verfügung… das dann allerdings in ausreichender Bandbreite…“
      https://plus.google.com/u/0/113531191251644176468/posts/GtaqZEsoFDz

      – OER hätten vor allem den Vorteil, dass sie digital vorliegen würden. Niemand wird hingehen und freie Lernmaterialien erstellen, drucken und dann kostenlos verteilen. Zur Zeit sagen viele Lehrer zu Recht (und das darf man nicht einfach als Ausrede und Vorwand abtun): Ich orientiere mich stark am Lehrbuch, was auch dem hohen Zeitdruck und der Arbeitsbelastung geschuldet ist, das liegt aber nur analog vor, wie soll ich da digital arbeiten? Alles selbst zusammensuchen und zusammenstellen, ist bei einer vollen Stelle an der Schule schlicht utopisch. Digitalisieren darf man die Materialien der Schulbuchverlage ja auch nicht. Ein kostenpflichtiges digitales Angebot machen sie aber auch noch nicht.
      Stünden nun aber gute digitale Materialien zur Verfügung, die dann auch noch als Schulbuch zugelassen wären, sähe das ganz anders aus.
      Als Historiker würde ich sagen: Veränderungen und auch Revolutionen brauchen eine breite Zustimmung, wobei die Gründe für diese Zustimmung durchaus unterschiedlich sein können. Wenn ich Basti Hirsch noch richtig im Ohr habe, dann setzt Kalifornien auf OER, um damit Geld zu sparen…. mal schauen, was passiert, wenn die Idee bei den Landespolitikern ankommt, in den Bundesländern, wo es eine Schulbuchausleihe gibt.

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    • Muss man da auch angemeldet sein, um Kommentare zu lesen? Bei mir werden da keine Kommentare angezeigt…

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      • Danke für den Hinweis. Da gibt es in unseren Beobachtungen ja in der Tat eine Menge Überschneidungen. Fand das schade, dass ich in Berlin mit dem Fokus auf historischem Lernen nicht dabei sein konnte. Bin gespannt, ob und wie die auf den Speedlabs entstandene Dynamik genutzt wird: „Ziel der LernLabs sind der persönliche Austausch zwischen den Akteurinnen Akteuren und die Formulierung von konkreten Thesen für Veränderungen im Schulalltag, insbesondere bei der Geschichts- und Politikvermittlung.“

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    • Hallo Birgit,

      entschuldige die Verzögerung, dein Kommentar ist nun freigeschaltet. Wie von dir vermutet, sollten die Kommentare eigentlich automatisch freigeschaltet werden. Wir prüfen, was hier technisch schiefgegangen ist. Dir vielen Dank für dein ausführliches Feedback!

      Viele Grüße
      Kaja

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  3. Liebe Kollegen! Ich bin mit diesen Gedanken des Artikels völlig einverstanden! Und möchte sagen, dass vieles vom Lehrer selbst abhängt! Noch im Jahre 1997 begann ich als Deutschleherin aus Russland die Email Projekte mit Bielefeld und Bochum! Und damals war keine digitale Geräte und trotzdem mit meinem einzigen Laptop und meiner Begeisterung hab ich sogar die internationale Preise gewonnen! Und jetzt, wohnhaft in Frankreich setze ich meine Online Projekte und Videokonferenzen international fort! Und ich wiederhole- Lehrer selbst ist die entscheidende Person! Gruß

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  4. danke Daniel !

    der vorzug von digitalen, frei zugänglichen und verwendbaren materialien ist mir schon klar. meine frage zielte auf deren „zulassung“. wie frei sind lehrende in ihrer wahl jetzt ?

    #sparargumente könnten im vergleich schneller auf offenen ohren stossen, hoffen wir’s 😉

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  5. Niemand hindert Lehrende, andere Materialien zu verwenden als Lehrbücher, welche offiziell zugelassen sind. Es gibt keinen Zwang, Lehrbücher zu nutzen. Wenn es aber um Lehrbücher geht, dann hat das jeweilige Bundesland die Hoheit der Zulassung. Das würde auch für ein #OER Schulbuch gelten, wenn dieses von Schulen offiziell und verbindlich für alle Schüler als Lehrwerk eingeführt werden soll.
    Solange einfach so mit wechselnden Lehrmaterialien gearbeitet wird und dieses nicht den Charakter einer verbindlichen Einführung an der Schule trägt, gibt es keine Probleme.

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    • Genau, danke @Damian! Da hast du vollkommen recht. Sorry @Jutta hatte die Fragen zu schnell gelesen.
      Ich denke dennoch, eine Zulassung und nur eines #OER-Schulbuchs könnte einen Bewusstseinswandel unterstützen. Mit der Zulassung wird offiziell bestätigt, dass die Lernmaterialien den rechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Bundeslandes entsprechen. Das Material hat damit einfach noch einmal einen ganzen anderen Status, würde nicht mehr nur als „Zusatzmaterial“ betrachtet und fände dadurch eine breitere Akzeptanz in der Lehrerschaft.

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  6. Gerade erst gesehen, Joachim Wedekind zum 2. Zwischenbericht der Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft”:

    „Überrascht war ich dann aber doch, eine Forderung wieder zu finden, mit der ich beim KBOM-Kongress wenig Unterstützung gefunden hatte, nämlich dass jede Schülerin und jeder Schüler über einen eigenen mobilen Computer verfügt. Die Kommission empfiehlt in ihren Handlungsempfehlungen diese Ausstattung für die Sekundarstufe I und II […] Konsequent auch, wenn die Kommission fordert, dass mittelfristig zwingend die Digitalisierung von Schulbüchern, Lehr- und Lerninhalten sowie deren Zugänglichmachung im Netz beziehungsweise in Intranets notwendig wird. Deshalb der Vorschlag an Bund und Länder, die Unterstützung und Förderung entsprechender Projekte zu prüfen“

    http://konzeptblog.joachim-wedekind.de/?p=609

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  7. (1) Es muss noch mehr darum gehen, mit den SchülerInnen zu reden und nicht nur über sie. (Das ist der „elephant in the room“.) Es geht um die Perspektive der SchülerInnen, und um ihre Interessen in einer Flat World, in der man es sich eigentlich nicht leisten kann, 10 – 15 Jahre in einem infantilisierten Stadium und traktiert mit obsoletem, auf aussagelose Prüfungen ausgerichteten „Lehrstoff“ zu verbringen. Sie sind entweder frustriert oder angeödet oder opportunistisch auf Belohnung durch „gute Noten“ dressiert, die keine Aussagekraft für ihre spätere Lebensbewältigung haben.

    Es braucht schülerzentriertes Lernen, nicht lehrerzentriertes. Die LehrerIn darf eben _nicht_ „die entscheidende Person“ sein (vgl. Kommentar). Das ist im übrigen eine _gute_ Nachricht für LehrerInnen: Sie sind gerade dadurch überfordert, dass sie glauben, zentrale Alles-im-Griff-Haber sein zu müssen, und das demnächst dann auch noch mit Neuen Medien.

    (2) Sind LehrerInnen das Problem? Jein. Lisarosa hat Recht: Das erste Problem ist das System „Schule“, wie es ist. Das ist in so vieler Hinsicht grotesk an den Erfordernissen aus SchülerInnen-Perspektive vorbeigehend, dass Einzelpersonen kaum eine Chance haben, die Gesamtsituation zu verändern. Dieses System zieht nun Leute an, die in dieses System passen: In den 1970er Jahren waren JunglehrerInnen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit engagiert und experiemntierfreudig (der kurzzeitige Post-68-Effekt). Heute, zumindest in Bayern, ist es eher umgekehrt.

    (3) Gute LehrerInnen sind toll. Das sind in erster Linie die, die die einzelnen SchülerInnen ins Zentrum stellen und ihnen ein Ermächtigungsgefühl vermitteln. (Dazu gehört dann noch Fairness und unaufgeregte Vernunft.) Aber Gute LehrerInnen sind nicht die Rettung: Ihr Prozentsatz ist seit Jahrzehnten konstant, und er liegt unter 10%.

    Wenn, dann ginge es um die mittelmäßigen, aber noch irgendwie motivierten LehrerInnen. Genau denen würde (s.o.) mit einer Neuasrichtung von Schule geholfen.(Und ca. 50% sind tatsächlich hoffnungslose Fälle, auch diese Rate ist übrigens seit Jahrzehnten konstant.)

    (4) Ich bin Sohn eines Gymnasiallehrers, Vater einer 14jährigen Schülerin, habe selber 2 Jahre auf Lehramt studiert und kenne viele, viele Geschichten aus SchülerInnen-Sicht. Keine davon ist ermutigend. (Ausnahme: Die iPad-Lehrer der Kaiserin-Augusta-Schule. Das sind natürlich Gute Leher, die auch mit Kreide und Tafel inspirieren. Aber das ist nicht entscheidend: Entscheidend ist, dass sie eine andere Struktuir vorbereiten, die sogar den Guten Lehrer zur (sicher oft segensreichen) Randfigur macht.

    (5) Ich verstehe völlig die beleidigte Reaktion. Mein Vater wäre auch beleidigt gewesen, und er war ein schülerorientierter Lehrer mit Leib und Seele. Es ist ja klar, dass auf einer Veranstaltung wie dem Speedlab nur Gute Lehrer (und von denen wiederum die Speerspitze) kommen. Und es ist klar, dass sie sich ungerecht behandelt vorkommen. Aber selbst das ist noch die indirekte Folge der systemisch überzeichneten Rolle der Lehrer.

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    • @Martin – zu Punkt 3:
      Sind wir uns einig, dass Unterricht völlig ohne Lehrer nicht geht?

      – Falls ja:
      Was willst du dann mit den 50 % „hoffnungslosen Fällen“ machen? Nehmen wir an, du könntest sie entlassen – wie gewännest du so viele neue (natürlich „gute“, oder wenigstens „motivierte mittelmäßige“), dass die Schulen wieder, und diesmal besser, funktionieren? In Finnland (habe ich in der SZ vor ein paar Monaten gelesen) reißen sich die Top-Abiturienten darum, einen Platz für einen Lehramtsstudiengang zu bekommen. In Deutschland ist das nicht so. Kann man das ändern? Wenn man es nicht ändern kann, wie verbessert man dann die Ausbildung der Lehrkräfte so, dass sie als motivierte Lehrer an die Schulen kommen? Wie gestaltet man das Feedback und die Evaluation von Lehrkräften so, dass diese Motivation nicht nur anhält, sondern sogar noch steigt (weil Erfahrung bildet)? Wie kommen wir dahin, dass die Bundesländer sich auf etwas einigen, was alle als „guten Unterricht“ empfinden (denn ohne diejenigen, die die Mehrzahl der Schulen finanzieren und betreiben, wird es nicht gehen)?
      Das sind die (bzw. einige der) Probleme, die sich für mich hier auftun.

      – Falls nein:
      Wie sonst? – Dass Schülerinnen und Schüler (die sehr (sehr!) engagiert und intrinsisch motiviert sind) ab etwa 15 Jahren ihren eigenen Unterricht organisieren könnten (ohne Lehrkraft), mag ich ja gerade noch glauben. Aber dass Kinder damit überfordert sind, davon bin ich überzeugt. Da kann Sugata Mitra noch so viele Computer in Slum-Mauern bereitstellen – die Situation ist nicht vergleichbar, gar nicht. Und er kann auch nicht behaupten, nicht als Lehrer aufgetreten zu sein: er hat zumindest das Setting geschaffen.

      So. Mehr fällt mir dazu aus dem Ärmel nicht ein. Ich muss jetzt endlich meinen Stapel von 32 Deutsch-Schulaufgaben fertig korrigieren, sonst komme ich in Teufels Küche. 9. Klasse, Erweiterte Inhaltsangabe (Strukturierte Zusammenfassung und Analyse von sprachlichen Besonderheiten). Über die Sinnhaftigkeit solcher Aufgaben könnte man sich auch mal unterhalten.

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  8. Pingback: Keynote Debakel – eine Analyse | School-Networking

  9. ja mei, lösungen habe ich auch keine. es hilft nur nicht, wenn man nicht klar sagt, wie es ist. es hat keinen sinn, die lehrer-situation nicht klar anzusprechen. (wie gesagt, nichts neues: mein vater war immer ganz geschockt, als ich ihm als schüler erzählt habe, wie es zuging bei seinen kollegen.)

    ich habe ja schon (etwas hastig) oben gesagt, dass ich nichts gegen lehrer an sich habe. nein, ich würde sie natürlich nicht pauschal abschaffen. in einer völlig anders gepolten schule (die unrealistisch ist, ich weiß) würde sich ihre rolle & bedeutung nur sehr stark verändern.

    mein problem bei diesen diskussionen ist halt, dass man immer bei den lehrern hängenbleibt. schon deshalb, weil sonst kaum einer mitdiskutiert. (ich bin hier quasi als vater beteiligt und sachverständig.) natürlich bekommen diese beiträge hier von den kollegen immer 5 punkte, ich verstehe das, aber wenn wir über schule reden wollen, müssen wir weg von der lehrer-perspektive.

    das schulsystem, wie es seit feuerzangebowlen-zeiten ist (und es hat sich verblüffend wenig geändert), leidet erstens unter der idee von „wissensstoff“ und hebt zweitens die lehrerrolle auf eine übersteigerte und ungesunde art ins zentrum und auf die bühne. manche fühlen sich dort wohl, manche sind gute performer, manche sind einfach gute fachleute, bei denen es spaß macht, meister/gesellenmäßig ihnen etwas abzuschauen. aber die meisten sind überfordert. (und es ist ja auch brutal, im brennpunkt des interesses einer klasse von ansonsten – trotz notenstress! – unterforderten mittelstuflern zu stehen. jede macke wird überlebensgroß zurückgeworfen.)

    inwieweit 13jährige ihre arbeit selbst organisieren können? garantiert sehr viel mehr, als sie es jetzt dürfen. und noch besser, wenn man ihnen eine arbeitsumgebung zur verfügung stellt, wie sie sich für co-worker heute auch „im richtigen leben“ herausbildet.

    das zweite große problem bei diesen nervösen diskussionen: es ist ja klar, dass diese schule nicht von oben großflächig reformiert werden wird, mit einem didaktischen masterplan. sie ist unreformierbar, weil niemand über die schule-wie-sie-ist redet, sondern über symbolische eckpunkte des jeweiligen weltbilds, deren aufgabe als psychologische katastrophe erfahren würde.

    es geht also eher um subversive strategien, und da kommt den Guten Lehrern zwangsläufig schon eine wichtige rolle zu, um so weit es geht zu kompensieren. und natürlich ist es bereits verdienstvoll, wenn man nur den armen schweinen dabei hilft, sich durch ihre sinnlosen dauerprüfungs-schuljahre zu schlagen udn einigermaßen den kopf über wasser zu behalten.

    die hoffnungslosen 50%: sorry, die sind wirklich hoffungslos. das ist nicht böse und polemisch, das ist einfach so. da hilft keine fortbildung der welt. auch da kann man nur dadurch etwas herausholen, dass man die struktur verändert, dass man einen bypass schafft. es darf eben _nicht_ auf die lehrer ankommen. vielleicht führt das sogar dazu, dass manche, weil sie nicht mehr im zentrum stehen, doch wieder eine konstruktivere rolle zu spielen beginnen. —

    [oh, 9.klasse. wie meine tochter. (sie hat ihre erweiterte inhaltsangabe gerade zurückbekommen, von ihrem katatstrophalen lehrer.) und ich kann mich gut erinnern, wie mein vater am wohnzimmertisch saß mit seinen schulaufgabenstapeln und jammerte und mitlitt, wenn die resultate wieder mal nicht so gut waren. er war immer extrem nervös vor der korrektur …]

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    • [organisatorischer Vorspann: Ich habe die Reihenfolge der Zitate aus deinem Kommentar ein bisschen umgestellt. Auslassungen sind natürlich gekennzeichnet. Überall, wenn von „Schülerinnen“ die Rede ist, wurde mitbedacht, dass die Mehrzahl der Klassen sowohl aus männlichen wie aus weiblichen Schülern besteht; die männlichen Schüler sind in jedem Fall mitgemeint.]

      Also Lösungen hast du keine – das ist mir ja schon mal sehr sympathisch. Ich finde Leute mit Masterplänen immer verdächtig, vor allem wenn das Problem so vielschichtig ist wie hier.

      > in einer völlig anders gepolten schule (die
      > unrealistisch ist, ich weiß) würde sich [die]
      > rolle & bedeutung [der Lehrer] … sehr stark
      > verändern.

      Ich finde Gedankenspiele sehr schön. Ich habe meine Magisterarbeit über Tolkiens „Lord of the Rings“ geschrieben, und für die Schullandschaft wünschte man sich manchmal einen ‚Ring der Macht‘ 😉
      Aber Spaß beiseite – wie wäre es denn mit *realistischen* Zukunftsplänen? Ich beneide dich um deinen Beruf als „Visionär“ (ernsthaft), aber ich muss leibhaftig fünf Tage in der Woche in Klassenzimmern stehen und am Ende des Halbjahres Noten für 2 große und 3 kleine Leistungsnachweise für jede Schülerin vorlegen können. Da habe ich fürs Unrealistische keine Verwendung.

      > klar, dass diese schule nicht von oben
      > großflächig reformiert werden wird

      Gut, das deckt sich mit meinen Erwartungen. Also geht es um Reform im Kleinen, beim Einzelnen. Die Lehrkräfte, die sich dafür interessieren, wie sie einen besseren Unterricht machen können, wie sie ihre Schülerinnen beim Selberlernen unterstützen können, müssen (und werden) sich selbst darum bemühen.

      > wenn wir über schule reden wollen, müssen
      > wir weg von der lehrer-perspektive.

      Ja – insofern als es wichtig ist, wie Schülerinnen gut lernen können, was ihren Bedürfnissen entspricht. Diese Perspektive muss noch wichtiger genommen werden als bisher.

      Nein, insofern als es Lehrer sind, die dieser Perspektive Rechnung tragen müssen. Schülerinnen werden die Reform (auch wenn sie eine Reform im Kleinen ist) nicht anstoßen und durchsetzen können – jedenfalls nicht so, wie sie in den allermeisten Fällen heute erzogen sind, und nicht in den Kontexten, die sie in den allermeisten Fällen antreffen. Es kommt, ob du willst oder nicht, auf die Lehrer an.

      > die hoffnungslosen 50%: … da hilft keine fortbildung der welt

      So pessimistisch bin ich nicht. Aber vielleicht kenne ich ja einen untypischen Ausschnitt aus meinem Berufsstand.

      > [oh, 9.klasse. wie meine tochter. (sie hat ihre erweiterte
      > inhaltsangabe gerade zurückbekommen)

      Schöne Grüße 🙂 Ich hoffe, es war erträglich.

      > … vater … war immer extrem nervös vor der korrektur …]

      Nervös bin ich vorher nicht – aber ich mache mir hinterher Vorwürfe, wenn das Ergebnis schlechter ist, als ich erhofft hatte.

      Und nun der optimistische Ausklang: Das Internet und der Meinungsaustausch quer über Bundesländer- und Staatsgrenzen hinweg macht alles besser – nicht auf einen Schwung, aber man sieht, dass es nicht nur vereinzelte Lehrkräfte gibt, die sich um besseren Unterricht bemühen, sondern eine ganze Menge. Und nicht alle, die sich Mühe geben, twittern oder bloggen darüber. Manche würden sogar sagen, sie hätten für so Zeugs gar keine Zeit, sie müssten ihren Unterricht vorbereiten. Vielleicht haben sie recht. Ihnen entgeht aber die konstruktive Anregung durch solche Diskussionen. Und damit habe ich beinahe die Kurve zum Ausgangsposting gekriegt – danke dafür, Daniel 🙂

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      • Ja, die Debatte ist sehr grundlegend geworden 😉 Ich glaube auch nicht, dass es zu einem völligen Umsturz des Systems Schule kommen wird. Daher erscheint es mir wichtig, an Beispielen aufzuzeigen, wie viel Spielraum auf der Ebene der Schulen und des Unterrichts besteht. Da passiert eine Menge und die gelungenen Beispiele können wiederum andere inspirieren und motivieren.
        Der Begriff ist abgelustscht, aber im Sinne von Martin sehe ich auch die Notwendigkeit einer stärkeren „Schülerorientierung“. Ein interessantes, aber wenig bekanntes didaktisches Modell ist hier die „didaktische Rekonstruktion“, die von den Schülern und nicht wie die „didaktische Reduktion“ vom Stoff her denkt.
        Die Debatte hier zeigt für mich, dass es auch nicht primär um die Medien geht. Ich denke aber, dass digitale Medien die vielen guten (neuen und vielen alten) Ansätze zur Veränderungen von Schule und Unterricht fördern oder überhaupt erst in einem realistischen Rahmen ermöglichen können. Im Gegensatz zu vorangehenden Reformen und Projekten sehe ich hier auch den Zusammenhang mit der „digitalen Durchdringung“ der Gesellschaft und den daraus resultierenden Veränderungen, Durch diesen Zusammenhang erhöht sich das Potential für Veränderungen in der Schule.
        Trotz der notwendigen „Schülerorientierung“,behalten, falls wir davon ausgehen, dass das System Schule vorerst erhalten bleibt, Lehrkräfte eine zentrale Rolle als „Stakeholder“ von Unterricht. Viele gute Ideen und Reformen haben keinen Eingang in den Unterricht vieler Lehrer gefunden, weil sie die Tür zumachen und dann so weitermachen können wie immer. Jeder Lehrer hat sicher schon mehr als einmal den Satz gehört: „Da wird wieder nur eine neue Sau durchs Dorf getrieben.“ Und so reproduziert sich Schule immer wieder aus Neue. Hoffnung auf Neuerung durch einen generationellen Austausch besteht wenig, da junge Lehrer trotz Uni und Studium in ihrer Berufspraxis ganz wesentlich auf Unterrichts- und Verhaltensmuster rekurrieren, die sie selbst als Schüler erlebt haben. Persönlich verblüfft und letztlich auch ratlos bin ich dann, wenn dieselben jungen Kollegen, die in der Pause mit dem Smartphone ihren Facebook-Account und ihre Mails checken, auf der nächsten Gesamtkonferenz dafür plädieren, dass die „Dinger“ nichts in der Schule zu suchen haben und für ein absolutes „Handyverbot“ stimmen.

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      • dank auch von mir für die sehr gute diskussion.

        ich bin ja überhaupt kein „visionär“ (der begridd stammt nicht von mir), und natürlich bezahlt mich niemand als solchen. ich verdiene geld, indem ich (mit meinem partner Lutz Berger) für unternehmen und organisationen lösungen erarbeite, wie man mit den mitteln des web 2.0 (vernetzte software, praktiken, web-videos) die lern- und wissenprozesse neu organisiert. da gibt es sehr konkreten bedarf. die frage ist nicht ob, sondern wie, und das ist nicht leicht.

        Peters frage war, was man ganz konkret tun kann. und natürlich ist es wahr, dass die ohnehin mit rollen-zumutungen und selbsterwartungen überlastenen Guten LehrerInnen da im gegenwärtigen system eine schlüsselfunktion haben. wer sonst könnte etwas bewegen? aber wie gesagt: so wird die schule nicht grundsätzlich gerettet oder verändert.

        wie dann? Buckminster Fuller (der war ein Visionär, zugegeben) hat gesagt (sinngemäß): „Kein System lässt sich von innen grundsätzlich reformieren. Wenn du ein System verändern willst, baue eine Struktur daneben und warte, bis sich die ale Struktur von selbst erledigt hat.“

        anders ausgedrückt: neben der schule vollziehen sich gerade revolutionäre entwicklungen, die das lebendige gesellschaftliche wissen selbst betreffen und deshalb notwendig auf die schule zurückwirken werden. irgendwann wird dieses selbstbezügliche klassenzimmer-hefte-prüfungen-lehrershow-system einfach lautlos wegbröseln und zusammenfallen. schlimmstenfalls erst dann, wenn sich herausstellt, dass die leute, die draußen lernen, sehr viel erfolgreicher sind, und die insassen wertvolle lebenszeit und -energie für zertifikate verschwendet haben, die in kürze das papier nicht mehr wert sind, auf dem die kultusminister-unterschriften geschrieben stehen.

        meine erwartungen richten sich auf zwei untergründige trends:

        (1) wissensarbeit. vor einiger zeit habe ich Herr Larbig in twitter ungewollt sehr provoziert, weil ich beiläufig gemeint habe, auch schülerInnen seien im grunde „wissensarbeiterInnen“ (knowledge worker). ich glaube das wirklich. sie sollen nicht zertifikatlernen, sie sollen und müssen „wissensarbeiten“. das können sie ab ca. 12/13. das ist zugleich, wenn es gut geht, gleichbedeutend mit „bildung fürs digitale zeitalter“.

        (2) digitale medien-revolution. ipad-klassen sind nur der anfang. in 10 jahren werden SchülerInnen (jedenfalls die privilegierten 2/3) diese unfassbar mächtigen neuen geräte und technologien vor sich auf der schulbank liegen haben: tablet-computer (mit qwertz-tatsatur zum manchmal anstecken), mobile internet-gerät mit kamera/aufnahme, digitaler stift,e-reader. diese technologie setzt sich von allein durch, wie schon die PCs und das Internet am arbeitsplatz, die auch keiner so richtig wollte. und im sinne Marshall McLuhans sage ich: When You Use These Tools, Your Mind Will Follow.– bis jetzt folgt ja das schülerhirn den tools, auf die sie jetzt beschränkt sind: schulheft, füller, tintenkiller … und die fähigkeit, lehrerreden zu folgen und sich daraus etwas anzueignen.

        es ist klar, dass das die verhältnisse in der schule fundamental verändern wird, ganz ohne gurus und visionäre. die frage ist, wie schnell und aktiv und inklusiv (!) wir diesen umbruch gestalten. oder ob wir einfach nur weitermachen wie gehabt, bis die letzten betonruinen der 1970er und bulimie-curricula der 00er Jahre zerbröselt sind.

        wenn ich auf diese beiden entwicklungen setze, ist das keine vision, sondern resultat einer nüchternen analyse dessen, was gerade vorgeht. auch keine vision, aber eine illusion ist es, man könnte der bösen neuen flachen digitalisierten welt eine zum x-ten mal neu erfundene „bürgerliche bildung“ als abwehrzauber entgegenhalten.

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  10. @Daniel @Damian #OED materialien zulassung, verstehe, es ginge um die aufwertung, das ins bewusstsein heben.

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  11. In NRW läuft die offizielle Schulentwicklung zur Zeit auf drei Schienen: systemische Entwicklung, fachliche Entwicklung und kooperative Lernformen. Alles, was nicht in diese Kategorien passt, fällt hinten runter. Thema ist natürlich auch noch Inklusion, läuft aber irgendwie mehr nebenher, trotz aller Fokussierung darauf.

    Viele der Themen, mit denen sich die Edu Blogger derzeit beschäftigen sind durchaus präsent innerhalb dieser drei Schien, haben aber nur den Rang von Nebenschauplätzen ziemlich weit außen an der Peripherie. Um unsere Themen in den Mainstream zu bringen, braucht es viel Energie und Akteure mit Ausdauer und Engagement. Eine gute Chance sehe ich derzeit tatsächlich beim #OER Thema, da hier keine ideologischen Befindlichkeiten in Gefahr sind.

    Sollte es wirklich soweit kommen, dass für #OER Lehrwerke Zulassung durch Bundesländer beantragt wird, werden wir die gleichen Diskussionen wie um die Verlässlichkeit der Wikipedia erleben. Angefeuert werden wird diese Diskussion vor allem von Seiten der Bildungsverlage, die ihr angestammtes Territorium verteidigen wollen.

    Von daher wird es extrem wichtig sein, grundsätzlich alle #OER Materialien durch CC Lizenzen rechtlich abzusichern und in Bezug auf Urheberrecht höchst sauber zu arbeiten. Die Selbstkontrolle der Community muss hier stimmen. Funktioniert dieses nicht, werden die Bildungsverlage mit ihren großen Rechtsabteilungen und entsprechenden finanziellen Ressourcen die #OER Bewegung schnell versenken.

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    • Danke Damian. Das sehe und beobachte ich ähnlich. Veränderungen laufen auf mehreren Ebenen. Viel kommt Top-Down gerade im Nachklapp von Pisa durch die Ministerien.
      Gerade bei den Haupt- und Realschulen, die hier flächendeckend in „Realschulen Plus“ verwandelt werden, ist kaum Luft für weitere Themen wie Inklusion oder Medienarbeit, da die strukturellen Veränderungen, Zusammenführungen von mehreren Standorten usw. alle Kräfte beanspruchen. Einige Schulen leisten trotzdem hervorragende, innovative Arbeit im Medienbereich, bei anderen reicht verständlicherweise die Puste nicht. Überall hängt es an einzelnen engagierten Kollegen. Gut läuft es da, wo die Aufgaben und die Mehrbelastung breit gestreut ist und vor allem auch die Schulleitung die Medienarbeit (die Schulen sollen alle schuleigene Medienkonzepte entwickeln) aktiv unterstützt. Ich arbeite ja mit halber Stelle in der regionalen Betreuung der Projektschulen des Landesprogramms „Medienkompetenz macht Schule“. Das sind so ein paar Beobachtungen aus den letzten zweieinhalb Jahren, die ich jetzte teilabgeordnet bin.

      Auf den letzten Treffen (jeweils eines pro Halbjahr), wo die Schulen zusammenkommen, war natürlich auch der Schultrojaner ein großes Thema. Wir haben auf den Veranstaltungen in Koblenz auf #OER, die entstehenden Initiativen und Potentiale, hingewiesen, Im Rahmen des Programms haben die Schulen (in der 3. Runde sind es 280, die nach 3 Jahren mit Ende des Schuljahrs das Projekt verlassen) die Aufgabe mindestens 5 Unterrichtsbeispiele mit digitalen Medien einzureichen. Hier entsteht ein riesiger Pool an praktischen und fachbezogenen Unterrichtsbeispielen, die natürlich auch urheberrechtlich einwandfrei sein müssen (und daher zunächst in einer geschlossenen Datenbank gesammelt werden). Aus den Gesprächen mit den Kollegen auf den Arbeitstagungen, und da kommen mehrheitlich die interessierten und fitten hin, die das Projekt an ihrer Schule betreuen, weiß ich, dass das Urheberrecht für viele ein Riesenproblem darstellt. Trotz der Informationen herrscht in dem Bereich in den Kollegien eine große Verunsicherung, die teilweise dazu führt, doch wieder lieber keine Materialien weiterzugeben und zu veröffentlichen. Insofern zeigt der Schulbuchkopie-Vertrag Wirkung. Wir müssen noch schauen, wie wir die Unterrichtsbeispiele sichten, bewerten und (hoffentlich) öffentlich verfügbar machen können. Wir sind da im Team in der Diskussion.

      Trotz allem Gesagten: Ich bin immer wieder beeindruckt, was in einigen Schulen trotz aller Widrigkeiten passiert. Davon bekommt man in der Öffentlichkeit wenig mit und auch die wenigsten der dort engagierten Kollegen haben einen Blog oder nutzen Twitter, weil sie da den Sinn/Mehrwert für sich nicht sehen, und bei einer vollen Stelle plus Engagement in schulischen Projekten (oft sind es ja dieselben, die gleich mehrere Sachen vorantreiben) dafür keine Zeit sehen.

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  12. Update: Gerade bin ich über Google+ auf einen Artikel aus der Zeit aufmerksam geworden, der zwar schon einen Monat alt ist, aber in das der Debatte hier zur Rolle von Lehrern stößt. Sicherlich diskutierbar, zumal hier versucht wird aufgrunder Erkenntnisse von notwendigen Reformen auf der Strukturebene abzulenken. Die beiden Ebenen von Unterricht und Schulstrukturen gehören aber beide gedacht, aufeinander bezogen weiterentwickelt und nicht gegeneinander ausgespielt:

    „Nicht eine Unterrichtsform sei besonders lernwirksam, sondern viele – all diejenigen nämlich, die »ein hohes Maß an themenbezogener Schüleraktivität mit einem hohen Maß an schülerorientierter Lehrersteuerung verbinden« […] Hatties Befunde belegen den absoluten Vorrang personaler vor strukturellen Einflussfaktoren. Nicht auf Schulorganisation oder Schulpolitik, sondern auf die Lehrer kommt es an (»the teacher matters«)! Aber nicht der geborene Lehrer als Ausnahmetalent ist gemeint, sondern sein erlernbares Handeln (»What teachers do matters«).“

    http://www.zeit.de/2011/45/C-Lehrer-Studie/komplettansicht

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  13. Die Ergebnisse dieser Hattie Studie sind höchst interessant, können leider aber den moderneren Medienaspekt noch nicht berücksichtigen. Mich wundert es allerdings etwas, dass diese Studie bei uns so wenig Resonanz gefunden hat, außer in universitären Kreisen.

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  14. Pingback: Linkliste vom | Floyboy

  15. Da hat wirklich jemand verstanden, worum es geht. Auf die Rede bin ich nur zufällig aufmerksam geworden. Warum habe ich so etwas noch nicht von hochrangingen Bildungspolitikern in Deutschland gehört oder gelesen?

    Hier ein paar Auszüge aus der Rede der EU-Kommissarin Neelie Kroes vom 1. Dezember (den Volltext gibt es hier und kann auf ihrer Website auch kommentiert und disktutiert werden):

    „Elsewhere in the world, people have realised this potential. In South Korea, all classrooms will go fully digital by 2015, ending the paper and textbook era. I recently visited a primary school in the slums of Nairobi, Kenya – and even there they’ve realised the potential of ICT, they are teaching kids computers. Even there it’s having an impact on the children, broadening their skills, expanding their horizons, and opening up new hope for the future.

    So, why, here in Europe, do most of our classrooms still feel like they did when I was at school? When digital media can be combined to create interactive rich content to help teaching: why are we still based on blackboards, textbooks and a uniform approach for everybody?

    In today’s digital world, are we really doing all we can to ensure we use the digital revolution to educate, to enrich, to enlighten?

    My goal in the EU is clear: to get Every European Digital. That has to include education and training. We need every teacher digital, and every student digital. Right from the very start of formal education, and as part of lifelong learning. […]

    Of course, the words are the easy part. I know you share a desire to fulfil this potential. The hard part, of course, is changing things. […]

    To really make this case, we need to join forces. Because to transform education, we will need not just education experts; not just technology experts; not just funding experts. We need all three: we need people from all those areas to sit down, work together, and understand each other’s needs. That is the only way to get products which are useful to teachers, trainers and students. Products which are reliable, user-friendly, and which make a difference on the frontline.

    I propose to get everyone together: in a common, multi-stakeholder platform. So those making technology can learn the needs of those in education. So educators can learn, support and champion the benefits of new technology. And, overall, so we can mainstream new technology into the European education and training systems.[…]

    Changing learning through technology might not be an overnight process – but it will be a revolutionary one. […]

    Learning new things is not just for pupils and trainees: it is for everybody in our education and training system. Teachers, too, can learn to do things differently.

    If we do this, we can build a system where teachers have the technological tools to reach out to students of all needs, backgrounds, and abilities. We can stimulate an economy that produces wild, exciting innovations to support the education sector. And we can build a society where education is an endless adventure for everybody.

    Ladies and gentlemen: will you join me in this revolution?“

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    • Danke für den Hinweis. Würde ich mir gerne mal anschauen. Nur der Link stimmt nicht, der führt zu einer etwas anderen Seite 😉

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  16. Pingback: „Will you join me in this revolution?“ « Medien im Geschichtsunterricht

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